Manuskript

SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Aula
Abgehoben und transnational?
Wie tickt die globale Wirtschaftselite?
Von Michael Hartmann
Sendung: Sonntag, 25. September 2016
Redaktion: Ralf Caspary
Produktion: SWR 2016
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Ansage:
Mit dem Thema: "Abgehoben und transnationale? Wie tickt die globale
Wirtschaftselite?"
Hohe Einkommen und Vermögen, Chef-Posten in internationalen Unternehmen,
grenzüberschreitende Mobilität, transnationale Ausrichtung - das sind Elemente, die
gerne der globalen Wirtschaftselite zugeschrieben werden. Doch gibt es sie wirklich,
die internationale Superelite, die die Fäden zieht und von den Großkonzernen aus
die Welt regiert? Der Eliteforscher Professor Michael Hartmann hat sich die 1.000
größten Unternehmen der Welt über 20 Jahre hinweg angesehen, ebenso wie die
weltweit 1.000 reichsten Personen.
Michael Hartmann:
Der Begriff der "globalen Wirtschaftselite" oder kürzer: der "globalen Elite" taucht seit
gut zwei Jahrzehnten regelmäßig in den Medien auf. Spätestens wenn sich die Eliten
im Frühjahr zu ihrem jährlichen Treffen versammeln oder der Weltwirtschaftsgipfel in
Davos tagt, hat dieser Begriff Hochkonjunktur.
Eine kurze und zugleich präzise Analyse dessen, was unter globaler Elite verstanden
wird, liefert die kanadische Publizistin Chrystia Freeland in ihrem Buch "Die
Superreichen". Freeland, lange Jahre stellvertretende Chefredakteurin der Financial
Times, zur Zeit Handelsministerin der kanadischen Regierung und in dieser Funktion
mit den CETA-Verhandlungen ("Comprehensive Economic and Trade Agreement")
beauftragt, charakterisiert die globale Elite als eine Personengruppe, die
Spitzenpositionen in großen, weltweit agierenden Unternehmen besetzt und/oder
über hohe Vermögen verfügt, die gleiche oder zumindest sehr ähnliche Interessen,
Konsumgewohnheiten und Lebensstile teilt, die auf denselben Ausbildungsstätten
war und die sich als Weltbürger versteht.
Nimmt man diese Charakterisierung zum Maßstab, so ist eindeutig klar: Damit sich
eine solche globale Elite herausbilden kann, muss bei einem erheblichen Teil der zu
den nationalen Wirtschaftseliten zählenden Personen ein hohes Maß an
grenzüberschreitender Mobilität vorhanden sein. Wie sollen sie die gleichen
Ausbildungsstätten besuchen, wenn sie die Hochschulen ihrer eigenen Länder
frequentieren? Denn die von Freeland gemeinten exklusiven Ausbildungsstätten
befinden sich durchweg in den USA und Großbritannien, eine in Frankreich. Es
handelt sich um Elite-Universitäten mit Harvard an der Spitze, um Stanford, das MIT,
um Oxford und Cambridge und um eine Reihe berühmter Business-Schools wie die
Harvard Business School, die London School of Economics oder das INSEAD im
französischen Fontainebleau.
Damit ein nennenswerter Anteil der in Frage kommenden Personen Abschlüsse an
diesen Ausbildungsstätten macht, müsste man die nationalen Grenzen verlassen.
Das gleiche gilt für die Hauptwohnsitze. Die Personen müssten zumindest für eine
längere Zeit außerhalb ihrer Heimatländer wohnen und arbeiten. Diese
Charakteristika sind entscheidend, wenn man sich dem Thema globale
Wirtschaftselite wissenschaftlich nähert.
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Wenn man einen Blick auf die Personen wirft, die die größten Unternehmen der Welt
leiten, und jene, die zu den reichsten Menschen der Welt zählen, wird schnell klar:
Von einer wirklich globalen Wirtschaftselite kann keine Rede sein! Von den
Vorstandschefs oder CEOs (Chief Executive Officer) der 1.000 größten Unternehmen
dieser Welt leiten gerade mal 126 Unternehmen außerhalb ihres Heimatlandes. Das
ist nur jeder Achte. Dieser Prozentsatz reduziert sich realistisch betrachtet sogar
noch weiter, denn erstens gehören zu diesen 126 über zwei Dutzend, die nicht
wirklich außerhalb ihres Heimatlandes arbeiten. Sie leiten Unternehmen, die – vor
allem aus steuerlichen Gründen – nur juristisch außerhalb des jeweiligen
Ursprungslandes angesiedelt sind.
Ein besonders krasses Beispiel stellt Irland dar. Dort werden sechs der zehn größten
Unternehmen von Ausländern geleitet. Aber kein einziges liegt mit seinem Hauptsitz
tatsächlich in Irland; sie befinden sich in den USA oder in Großbritannien. Das liegt
daran, dass die irische Regierung mit 12,5 % eine konkurrenzlos niedrige
Körperschaftssteuer anbietet. Ähnliches verhält es sich auch in der Schweiz, in den
Niederlanden, in Luxemburg oder in Großbritannien und in einer Reihe weiterer
Länder weltweit.
Wenn man diese Personen abzieht, kommt man auf einen Anteil von nicht einmal
mehr zehn Prozent. Die zweite Einschränkung besteht darin, dass zwei Drittel der
ausländischen CEOs innerhalb ihres vertrauten Sprach- und Kulturraums leben und
arbeiten, nur jeder Dritte bewegt sich in einem sprachlich und kulturell fremden Land.
Das dritte einschränkende Argument lautet: Die Ausländer, die an der Spitze großer
Unternehmen stehen, konzentrieren sich auf relativ wenige Länder. Das Land mit
den mit Abstand meisten ausländischen Vorstandschefs ist die Schweiz. 18 der 25
größten Schweizer Unternehmen werden von Ausländern geleitet. Selbst wenn man
jene drei Unternehmen außen vor lässt, die nicht wirklich in der Schweiz angesiedelt
sind, sondern nur aus steuerlichen Gründen dort registriert sind, bleiben immer noch
15 von 22 Unternehmen übrig, die wirklich von Ausländern geleitet werden. Nicht nur
von Deutschen und Österreichern, sondern auch von US-Amerikanern, Briten, sogar
von einem Mann von der Elfenbeinküste. Die Schweiz ist das einzige Land, wo man
wirklich von einer internationalen Spitze in den Unternehmen sprechen kann.
Auf die Schweiz folgen Länder mit um die 44 Prozent Ausländeranteil,
Großbritannien und Australien. Vergleichsweise hohe Anteile an ausländischen
CEOs haben auch noch die Niederlande, Deutschland, Kanada mit 15 bis knapp 30
Prozent. Die überwiegende Mehrheit der Staaten dieser Welt liegt weit darunter. Die
großen asiatischen Staaten wie China, Indien, Indonesien oder Japan kennen kaum
Ausländer an Unternehmensspitzen, dasselbe gilt für Italien, Spanien und Russland.
In USA sind es knapp acht Prozent. Vergleicht man die zehn Länder unter den
größeren, in denen fast keine Ausländer große Unternehmen leiten, mit Ländern, in
denen der Ausländeranteil bei zumindest zehn Prozent liegt, so repräsentieren die
zehn Länder ohne nennenswerten Ausländeranteil eine dreimal so hohe
Wirtschaftsleistung wie die zehn Länder mit einem hohen Ausländeranteil. D.h. für
die Weltwirtschaftsleistung insgesamt spielen Ausländer eine vernachlässigbare
Rolle. Sie konzentrieren sich auf relativ wenige Länder, vor allem in Europa, dazu
kommen noch Kanada und Australien.
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Schaut man, wie es um die Transnationalität, d.h. die Auslandserfahrungen der
einheimischen Manager aussieht, so sind die Prozentsätze deutlich geringer als man
vermuten würde. Die CEOs der 1.000 größten Unternehmen mit einheimischen
Personen an der Spitze haben gerade mal zu einem Drittel mindestens sechs
Monate – und das ist ein sehr niedriger Maßstab – im Ausland verbracht. D.h.
jemand, der ein Semester an einer ausländischen Universität studiert hat, wird bei
diesem Prozentsatz schon mitgezählt. Viele haben zwei, drei oder vier Jahre,
manche auch zehn oder 12 Jahre im Ausland verbracht. Die Mehrheit bewegt sich in
einem Fenster zwischen zwei und sechs Jahren. 22,5 Prozent ist aber auch kein
Anteil, der dafür spricht, dass es innerhalb des Spitzenmanagements der weltweit
führenden Unternehmen zu einem regelmäßigen globalen Austausch käme.
Insgesamt kann man konstatieren: Sieben von zehn Spitzenmanagern haben nie
länger im Ausland gelebt. Sie sind allenfalls während ihrer Ferien oder während
kurzer beruflich bedingter Reisen im Ausland gewesen, und sie leiten Unternehmen
ihres Heimatlandes. Nur bei drei von zehn Spitzenmanagern sieht das anders aus.
Dabei ist noch zu berücksichtigen, dass diese sehr großen Unternehmen, verglichen
mit kleineren, einen besonders hohen Anteil an Ausländern und Managern mit
Auslandserfahrung haben. Um das an zwei Beispielen deutlich zu machen: Wenn
man in Großbritannien die Zahl der Unternehmen von 50 auf 100 erhöht, sinkt der
Anteil der Ausländer sofort von 44 auf 33 Prozent. Ähnliches gilt auch für andere
Länder. Wenn man in Italien, das weniger große Unternehmen unter den weltweit
führenden Unternehmen als Großbritannien hat, die Zahl auf 30 erhöht, sinkt der
Anteil derjenigen, die über Auslandserfahrungen verfügen, von 57 auf 23 Prozent.
Zusammenfassend kann man drei Gruppen bilden: Eine Gruppe mit der Schweiz als
einsamen Spitzenreiter, von der man tatsächlich oder zumindest in Ansätzen von
globalisierten Strukturen sprechen kann. Zu dieser Gruppe gehören neben der
Schweiz Großbritannien, Kanada, Australien, Deutschland, das zwar nur 15 Prozent
Ausländer an der Spitze von Unternehmen hat, aber einen sehr hohen Anteil von
auslandserfahrenen einheimischen Spitzenmanagern. Das ist die erste Gruppe. Sie
besteht im Wesentlichen aus nordwesteuropäischen Ländern, also Deutschland,
Beneluxländer, Großbritannien und Schweden. Dazu kommen Australien und
Kanada.
Es gibt eine zweite Gruppe, die in jeder Hinsicht durchschnittliche Werte aufweist.
Und es gibt eine sehr große dritte Gruppe, zu der fast alle großen Staaten dieser
Erde gehören, also neben den USA, China, Japan, Indien, Russland, Brasilien. Diese
Gruppe hat einen geringen Anteil von Ausländern im Spitzenmanagement der
großen Firmen, und die einheimischen Spitzenmanager haben gleichzeitig einen
geringen Grad an Auslandserfahrung. Unter US-Managern und chinesischen
Managern waren nicht einmal zehn Prozent länger als sechs Monate im Ausland
während ihrer Ausbildungs- oder Berufskarriere. Ähnliches gilt auch für Manager
anderer Länder, die zu dieser Gruppe zählen. D.h. wenn man sich insgesamt die
Spitzenmanager der 1.000 größten Unternehmen anschaut, so ist eines ganz
eindeutig: Es gibt unter den Spitzenmanagern keine wirklich globale Elite. Die große
Mehrheit der Spitzenmanager ist fest in den nationalen Traditionen des Landes
verwurzelt, in dem sie geboren und aufgewachsen sind.
Nun könnte man sagen, das mag für Spitzenmanager zutreffen. Aber wie sieht es
aus bei denjenigen, die über die großen Vermögen verfügen, bei den Milliardären
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dieser Welt? In den Medien wird häufig von z.B. russischen Milliardären, die
Besitztümer in London und in der Schweiz haben, berichtet oder von Milliardären, die
in der Schweiz oder in Österreich residieren, Franzosen in Monaco oder in der
Schweiz usw. Schaut man auf die 1.041 Personen, die in der Forbes-Liste – die
Grundlage aller Milliardärs-Rankings – gelistet sind, so leben gerade einmal 90, das
sind nicht einmal 10 Prozent, außerhalb ihres Heimatlandes. Diese Zahl erstaunt
angesichts der Medienberichte. Noch erstaunlicher ist, dass von den 500 Milliardären
aus den USA, China und Russland, die die Forbes-Liste anführen, gerade einmal
fünf außerhalb ihres Heimatlandes wohnen: drei US-Amerikaner und zwei Russen.
Gerade bezüglich der Russen werden die meisten, die sich über die Medien
informieren, völlig andere Zahlen erwartet haben, die glauben machen, die Mehrzahl
der russischen Milliardäre residiere entweder in London oder in der Schweiz. Viele
von ihnen werden auch in den Rankings der britischen oder Schweizer Milliardäre
aufgeführt. Tatsächlich leben sie aber ganz überwiegend in Russland und dort zum
allergrößten Teil in Moskau. Das hat im Wesentlichen damit zu tun, dass die
Grundlage ihres Vermögens immer noch in Russland angesiedelt ist – durch
Geschäfte im Rohstoffhandel, im Bankenwesen und im Handelsbereich. Ihr Reichtum
ist also eng mit Russland verbunden und damit auch mit der russischen Politik, so
dass sie gezwungen sind, den allergrößten Teil ihres Lebens in Moskau zu
verbringen, weil diese Kontakte für ihre Geschäfte unverzichtbar sind.
Für die chinesischen Milliardäre gilt dasselbe, wenn auch nicht ganz so deutlich.
Auch hier spielen Kontakte zur chinesischen Regierung für die eigene
Geschäftstätigkeit eine große Rolle. Medien berichten immer wieder, dass
chinesische Milliardäre für Wochen oder auch nur für Tage verschwinden. Das hat
zumeist mit Prozessen innerhalb der KP zu tun, weil diese Milliardäre enge Kontakte
zu einzelnen Spitzenpolitikern hatten, die wegen Korruption verhaftet wurden.
Im Fall der USA gibt es ein anderes wesentliches Argument: Die USA stellen über
300 der 1.000 reichsten Menschen der Welt. Nur drei davon leben wie gesagt
außerhalb der USA – obwohl die Steuersätze dort relativ hoch sind. In New York
residieren die meisten Milliardäre. Die USA hat zusammen mit dem Staat New York
einen Spitzensteuersatz, der so hoch wie der in Deutschland ist. Dass
amerikanische Milliardäre ihr Land trotzdem nicht verlassen, hat m.E. einen
wesentlichen Grund: Die Steuerpolitik in den USA geht mit den eigenen Reichen sehr
viel rigoroser um als die Steuerpolitik der meisten anderen Länder. Wer als USBürger außerhalb der USA wohnt, wird nach US-Steuerrecht behandelt. Wenn z.B.
ein US-Milliardär in der Schweiz lebt und dort die niedrigen Steuersätze bezahlt,
muss er die Differenz zum US-Steuersatz komplett an die USA entrichten. Einen
steuerlichen Anreiz, die USA zu verlassen, gibt es also kaum. Selbst wenn man die
amerikanische Staatsbürgerschaft abgibt, ist man danach noch zehn Jahre diesen
Steuerregeln unterworfen. Aber noch viel wichtiger ist: Das gesamte Vermögen, das
man zum Zeitpunkt der Aufgabe der Staatsbürgerschaft besitzt, wird mit einer "Exit",
d.h. Verlassenssteuer belastet. Der Anreiz für US-Milliardäre, ihr Land zu verlassen,
ist entsprechend gering.
Ganz anders sieht es in Deutschland aus. Von den 67 deutschen Milliardären, die
sich unter den 1.000 Reichsten der Welt befinden, ist Deutschland – hinter den USA
und China – das Land mit den drittmeisten Milliardären. 19 von ihnen leben im
Ausland. Das sind fast 30 Prozent. Sie residieren überwiegend in der Schweiz, z.T. in
Österreich und Monaco. Der Beweggrund, Deutschland zu verlassen, ist ganz klar,
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sie müssen in den genannten Ländern deutlich weniger Steuern zahlen. Manchen
reichen die günstigen Schweizer Steuerbedingungen aber noch nicht aus. Der
Gründer der Bauhaus-Kette Hans Georg Baus hat die Schweiz verlassen, weil er die
Steuern dort immer noch zu hoch fand. Dabei sind die Schweizer Steuern lächerlich
gering. Die dortigen Milliardäre und Multi-Millionäre zahlen gerade mal 100.000
Franken Steuern Jahr. Hans Baus war das dennoch zu viel, und er ist nach Monaco
umgesiedelt, weil er dort noch weniger Steuern zahlt. Ähnliches wie für die
deutschen gilt auch für die französischen, italienischen und schwedischen
Milliardäre.
Dabei ist es interessant, dass auch die Milliardäre Länder auswählen, zumindest in
der großen Mehrheit, in denen sie ihren eigenen Sprach- und Kulturraum nicht
verlassen müssen. Von den 19 Deutschen, die außerhalb Deutschlands leben,
haben 14 die Schweiz und dort in der Regel den Zürich See, also den
deutschsprachigen Teil des Landes, gewählt. Von den französischen Milliardären hat
die Hälfte den Genfer See ausgesucht, also den französischsprachigen Teil der
Schweiz, und die Hälfte der italienischen Milliardäre Lugano, den
italienischsprachigen Teil der Schweiz.
Kanadische und australische Milliardäre wählen gerne London als neue Heimat.
Zusammengenommen leben von den 90 Reichen, die nicht in ihrem Heimatland
wohnen, 30 in der Schweiz, 19 in Großbritannien (15 davon in London) und acht in
Monaco, also in Ländern, die für Milliardäre außerordentlich günstig sind.
Schaut man zum Schluss auf die Ausbildungsstätten der Spitzenmanager und
Vermögenden, wo sie z.B. studiert haben, ändert sich dieses Bild nicht. Von den
1.002 CEOs waren gerade einmal acht am INSEAD und weitere fünf an der London
School of Economics. Es gibt zwei Business-Schools mit einer relativ hohen Anzahl
von Absolventen, das ist die Harvard Business School und die HEC im französischen
Paris mit jeweils 20 Absolventen. Allerdings befinden sich darunter im Fall von
Harvard nur vier Ausländer und im Fall HEC kein einziger. D.h. sie haben EliteInstitutionen des eigenen Landes besucht.
Es gibt insgesamt unter den CEOs gerade einmal zwei Prozent, die auf EliteEinrichtungen anderer Länder waren. Das ist ein so niedriger Anteil, dass niemand
ernsthaft davon sprechen kann, dass hier so etwas wie eine globale Elite in
bestimmten Institutionen gemeinsam ausgebildet wird oder dass diese Institutionen
Brutstätten einer globalen Elite seien. Dasselbe trifft auf die Milliardäre zu. Von den
Milliardären haben nicht einmal 100 ihr Studium an einer ausländischen Universität
absolviert. Die führenden Elite-Universitäten und Business-Schools kommen auf
vergleichbar niedrige Zahlen, häufig auf noch niedrigere wie bei den CEOs. Das trifft
besonders auf die Business-Schools zu. Was man überall feststellen kann, ist, dass
die Reichen die Elite-Einrichtungen ihres eigenen Landes zu einem hohen
Prozentsatz frequentieren. Jeder dritte amerikanische Millionär war auf einer der
Elite-Universitäten des Landes, aber eben kaum ein Ausländer. Dasselbe gilt für die
französischen Milliardäre und CEOs, sie waren zu einem erheblichen Teil auf den
Elite-Einrichtungen des französischen Bildungssystems, aber eben nicht im Ausland.
Selbst jene CEOs, die im Ausland tätig sind, waren auf ihren einheimischen EliteHochschulen und nicht auf denen des Landes, in dem sie später arbeiten.
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D.h. auch ein Blick auf die Ausbildungsstätten zeigt: Es gibt keine globale Elite.
Nun könnte sich das ja im Laufe der Zeit ändern. Ein Blick zurück und ein Blick in die
Zukunft lässt daran zweifeln. Die zunehmenden Konflikte zwischen den Ländern,
Beispiel Ukraine, oder der Konflikt im südchinesischen Meer zwischen China auf der
einen und Japan und USA auf der anderen Seite, sprechen auch nicht dafür, dass
die Eliten der verschiedenen Länder zusammenwachsen werden, sondern eher für
das Gegenteil. Das hat politische Konsequenzen. Es zeigt nämlich, dass die
Handlungsspielräume nationaler Regierungen vor allem in der Steuerpolitik viel
größer sind, als man gemeinhin glaubt und als die Politiker lange verkündet haben
unter dem Motto: "Wir können ja nichts machen gegen diese globale Wirtschaftselite,
wir müssen uns dem anpassen". Ein aktuelles Beispiel ist die kanadische Regierung
unter Trudeau. Er hat den Spitzensteuersatz von 29 auf 33 Prozent erhöht.
Zusammen mit den Steuern der einzelnen Provinzen bewegt sich der effektive
Spitzensteuersatz in Kanada zwischen 50 und 60 Prozent. D.h. die Politik kann
etwas machen, sowohl bei den Reichen wie bei den Unternehmen, wenn sie nur will.
*****
Michael Hartmann studierte Politikwissenschaften, Germanistik, Soziologie,
Philosophie, Psychologie und Geschichte. 1979 Promotion zum Dr. phil.; 1983
Habilitation. An der TU Darmstadt hatte er bis 2014 eine Professur für Elite- und
Organisationssoziologie. Heute ist er im Ruhestand.
Arbeitsschwerpunkte: Eliteforschung, Industrie- und Organisationssoziologie,
Managementsoziologie, Globalisierung und nationale Wirtschaftsstrukturen.
Bücher (Auswahl):
- Die globale Wirtschaftselite. Eine Legende. Campus-Verlag. 2016.
- Soziale Ungleichheit – Kein Thema für Eliten? Campus-Verlag. 2013.
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