"Die andere Heimat" beim ersten Festival für

Edgar Reitz' "Die andere Heimat" beim ersten Festival für Geruchsku…e echte künstlerische Neuheit werden | Kultur Info | SWR2 | SWR.de
19.07.16, 14:23
Edgar Reitz' "Die andere Heimat" beim ersten Festival für Geruchskunst
Duftsprache könnte eine echte künstlerische
Neuheit werden
Kulturgespräch am 15.7.2016 mit dem Autor und Regisseur Edgar Reitz
Wie riechen Filme beziehungsweise nach was? Na ja, ein Westernfilm riecht vielleicht am ehesten nach Pulverdampf und Pferdemist, ein Schimanski-Krimi nach Zigaretten, Bier und Ruhrpott-Smog und ein Liebesmelodram vielleicht nach einem
schweren Blumenduft. Das wäre zumindest gut vorstellbar. Wonach der wunderbare
Film "Die andere Heimat" von Regisseur Edgar Reitz riecht, das lässt sich jetzt in Berlin erfahren auf dem Festival "Osmodrama", dem ersten Festival für Geruchskunst.
Bis Mitte September kann man dort interdisziplinäre Kunstwerke, Projekte und Installationen erleben und vor allem eben auch riechen.
Edgar Reitz' Film "Die andere Heimat" von 2013 spielt im 19. Jahrhundert im Hunsrück-Dörfchen Schabbach und erzählt die Geschichte zweier Brüder, die von der
Fremde träumen, beziehungsweise sich auf ihre ganz eigene Art in die Fremde aufmachen. Für das Festival "Osmodrama" wurden jetzt einige Szenen des Films mit Geruchssequenzen versehen.
Herr Reitz, wie riecht denn "Die andere Heimat"?
Ja, da bin ich auch sehr gespannt, muss ich ehrlich sagen. Ich habe das alles bis jetzt
auch nur in reiner Theorie erfahren. Der Erfinder und Betreiber dieser ganzen Idee,
Herr Georgsdorf, ist eigentlich schon seit Jahrzehnten mit dieser Idee zugange, und er
hat mir das derart plausibel dargestellt, dass ich denke, da entsteht etwas ganz sensationell Neues.
Im Internet gibt es ja auch einige Filme zu sehen, wo er erklärt wird, wie dieses Prinzip funktioniert. Wenn ich das richtig verstanden habe, hat er ein Instrument gebaut, eine Art Geruchsorgel.
Ja, und das eigentliche Problem besteht jetzt nicht darin, in den Kinoraum irgendwelche Düfte gelangen zu lassen, sondern darin, wie man die anschließend wieder rauskriegt. Das heißt, wie man den Geruch für eine bestimmte Szene anschließend sofort
wieder wegbekommt, damit er sich nicht auf eine unerträgliche Weise mit dem Geruch für die nächste Szene vermischt. Damit der Geruch oder die Gerüche also überhaupt den künstlerischen Ausdruck bekommen, müssen die natürlich auch schnell
aufeinander folgen, so wie eben der Film in seiner Erzählung voranschreitet und ganz
http://www.swr.de/swr2/kultur-info/edgar-reitz-die-andere-heimat-…hskunst/-/id=9597116/did=17791774/nid=9597116/130adw4/index.html
Seite 1 von 3
Edgar Reitz' "Die andere Heimat" beim ersten Festival für Geruchsku…e echte künstlerische Neuheit werden | Kultur Info | SWR2 | SWR.de
19.07.16, 14:23
verschiedene Orte und verschiedene Gedanken betritt.
Mit diesem neuen Festival, "Osmodrama", wollen die Filme- und Festivalmacher ja
jetzt eine Geruchskunst etablieren, ein neues Ausdrucksmittel einführen, mit Gerüchen erzählen, so beschreibt es Herr Georgsdorf. Können Sie sich das vorstellen, dass
das funktioniert alleine mit Gerüchen?
Also ich kann mir eines vorstellen: Wenn es wirklich gelingt, in rascher Folge, so wie
wir es im Leben eigentlich niemals haben können, die verschiedensten Düfte wahrzunehmen, sodass man innerhalb von Minuten durch ein ganzes Areal von verschiedenen Wahrnehmungen geht, dann öffnet sich da wirklich ein künstlerischer Horizont,
sozusagen eine Duftsprache, die im Leben so nicht vorkommt, was wirklich eine
künstlerische Neuheit sein kann.
Der Geruchssinn ist ja wirklich ein ganz besonderer, ein basaler Sinn, der nur schwer
zu beschreiben ist. Welche zusätzlichen Dimensionen kann jetzt ein Geruch einem
Bild, einem Film zufügen?
Es ja so: Mein Film "Die andere Heimat" handelt sehr stark von Erinnerungen, also Erinnerungen an eine andere Zeit, sogar Erinnerungen, die über die eigene Lebenszeit
hinausgehen, Vorstellungen, die wir in uns tragen aus vergangenen Zeiten, vergangenen Generationen, die uns sozusagen genetisch vererbt sind. Und ich könnte mir
vorstellen, dass, um auf den Spuren solcher Dinge zu wandeln, das mit Gerüchen sogar besser funktioniert als mit allen anderen sinnlichen Wahrnehmungen, weil an
den Geruch doch sehr stark das wortlose, namenlose Gedächtnis gekoppelt ist. Wir
erinnern uns bei Gerüchen an Dinge, die irgendwo tief im Unterbewussten verlorengegangen zu sein scheinen. Und da hoffe ich sehr darauf, dass so was da zustande
kommt.
Wie riecht denn, jetzt muss ich doch noch mal fragen, Schabbach im 19. Jahrhundert
in Ihrer Vorstellung?
Da spielt sehr stark eine Rolle, dass das ein noch nicht technisches, nicht industrielles
Zeitalter ist. Also die Naturgerüche, die in unserer heutigen, mit Hygienevorstellungen überzüchteten Welt ganz unvorstellbar sind, beherrschten diese Welt natürlich
sehr, diese eigenartige Mischung von Genießbarem und Ungenießbarem, von Ausscheidungen und Abfall, verbunden mit den köstlichsten Düften von Speisen unverfälschtester Art. Und ich könnte mir vorstellen, dass das etwas ist, was unser Geruchssinn auch schon fast vergessen hat.
Vor allem wäre auch die Frage: Was haben Geruchsempfindungen mit unserer Fantasie, mit unserem Vorstellungsvermögen zu tun? Also diese beiden Brüder träumen ja
von einem exotischen, fernen Land, in dem sie leben möchten, und da haben die sicher auch Geruchsvorstellungen, also sämtliche Düfte der exotischen Pflanzenwelt.
Und diesen Duft der fernen Welt, das kann so eine Duftsynchronisation auch realisiehttp://www.swr.de/swr2/kultur-info/edgar-reitz-die-andere-heimat-…hskunst/-/id=9597116/did=17791774/nid=9597116/130adw4/index.html
Seite 2 von 3
Edgar Reitz' "Die andere Heimat" beim ersten Festival für Geruchsku…e echte künstlerische Neuheit werden | Kultur Info | SWR2 | SWR.de
19.07.16, 14:23
ren. Ich könnte mir vorstellen, dass, wenn der Georgsdorf da Glück hat, er uns sozusagen die Ferne auch riechen lässt.
Was meinen Sie, ist das jetzt nur ein Experiment, eine Spielerei? So was gab’s ja in
der Geschichte des Films immer wieder mal. Ich denke da an die 80er-Jahre und an
einen Film von John Waters, bei dem es Rubbelkarten gab. Da wurde ein Zahl eingeblendet, dann musste man rubbeln, und dann roch es im Kino. Oder ist das jetzt vielleicht wirklich etwas, was sich in 20, 30 Jahren zumindest in manchen Kinos finden
wird?
Ja, da bin ich sehr gespannt. Also, ich würde mir sehr wünschen, dass es gelingt, da
einen Durchbruch zu erzielen. Denn alle diese Versuche, etwa diese Rubbelkarten,
waren ja unglaublich primitiv. Da konnte man nicht sagen, dass darin irgendeine
Kunstfähigkeit verborgen war.
Aber hier wird wirklich mit allen Mitteln gearbeitet, und wenn das gelingt, öffnet sich
ein Tor, ein Weg in eine zusätzliche Gestaltungsmöglichkeit. Wobei ich sagen möchte,
die Verbindung von Film und Geruch ist da nicht das Einzige. Und wenn es gelingt,
dann könnte das auch die Möglichkeit für eine eigenständige Performance bieten.
Also dass man tatsächlich mit Gerüchen erzählt.
Ja.
Das SWR2 Kulturgespräch mit dem Autor und Regisseur Edgar Reitz führte Martin
Gramlich am 15.7.2016 um 7.45 Uhr.
Stand: 15.7.2016, 9.29 Uhr
http://www.swr.de/swr2/kultur-info/edgar-reitz-die-andere-heimat-…hskunst/-/id=9597116/did=17791774/nid=9597116/130adw4/index.html
Seite 3 von 3