Powerhouse Zentraleuropa

Helaba Volkswirtschaft/Research
LÄNDERFOKUS
21. Juli 2016
Powerhouse Zentraleuropa?
AUTOR
Marion Dezenter
Telefon: 0 69/91 32-28 41
[email protected]
1 Brexit als Profilierungschance für Zentraleuropa ................................................................... 1
REDAKTION
Dr. Stefan Mütze
4 Positionierung als Daueraufgabe.............................................................................................. 7
HERAUSGEBER
Dr. Gertrud R. Traud
Chefvolkswirt/
Leitung Research
Helaba
Landesbank
Hessen-Thüringen
MAIN TOWER
Neue Mainzer Str. 52-58
60311 Frankfurt am Main
Telefon: 0 69/91 32-20 24
Telefax: 0 69/91 32-22 44
2 Investoren interessiert ............................................................................................................... 2
3 Investoren willkommen?............................................................................................................ 5
1
Brexit als Profilierungschance für Zentraleuropa
1
Das Brexit-Votum hat die EU mit Wucht getroffen: mögliche Wachstumseinbußen für einzelne
Länder werden kalkuliert, Szenarien eines Domino-Effekts machen die Runde und die Tragfähigkeit des Konstrukts EU wird getestet. In einigen Ländern rufen Europa-Gegner zumindest nach
einer Nachbesserung der Verträge. Dabei entsteht der Eindruck, dass ein Prozess zusätzlich befördert wird, der bereits vor einiger Zeit gestartet war.
BIP real
% gg. Vorjahr
2015
2016 p
BIP
pro Kopf
Arbeitslosenquote
Inflation
HVPI
Einwohner
EU-28=100
2015
%
2016 p
%
2016 p
Mio.
2015
Polen
Tschechien
Ungarn
3,6
4,2
2,9
3,0
2,4
2,0
69
85
68
9,6
5,7
6,6
-0,6
0,6
0,3
38,0
10,5
9,9
Deutschland
Eurozone
1,4
1,6
1,6
1,6
125
106
4,6
10,1
0,6
0,4
81,2
338,5
Quellen: EU-Kommission, Macrobond, Helaba Volksw irtschaft/Research
Die Publikation ist mit größter
Sorgfalt bearbeitet worden.
Sie enthält jedoch lediglich
unverbindliche Analysen und
Prognosen zu den gegenwärtigen und zukünftigen
Marktverhältnissen. Die Angaben beruhen auf Quellen,
die wir für zuverlässig halten,
für deren Richtigkeit, Vollständigkeit oder Aktualität wir
aber keine Gewähr übernehmen können. Sämtliche in
dieser Publikation getroffenen Angaben dienen der Information. Sie dürfen nicht
als Angebot oder Empfehlung für Anlageentscheidungen verstanden werden.
Denn auch in einigen alten EU-Ländern gärt es seit längerem. Die Wachstumsraten sind geschrumpft, trotz Zinsen im Dauertief, und die Arbeitslosigkeit ist nach den zurückliegenden Krisen
oft noch hoch. Unter diesen wirtschaftlich schwierigen Rahmenbedingungen hat schon die Flüchtlingskrise wie ein Katalysator gewirkt. Sie hat das Thema „Belastung durch Zuwanderung“ ins
Zentrum gerückt und vorhandene Abschottungstendenzen befördert. Das Brexit-Votum, das sich
z.T. auch aus Überfremdungsängsten speist, regt in anderen Ländern ebenfalls zum Nachdenken
an. Die Überzeugung, in einem großen wirtschaftlichen Verbund mehr zu erreichen, wird etwa in
Frankreich und den Niederlanden in Frage gestellt von den Befürchtungen, für die Zugehörigkeit
zu dieser Gemeinschaft (zu) viele Zugeständnisse machen zu müssen.
Für die Länder Zentraleuropas, allen voran Polen, Tschechien und Ungarn, könnte der Brexit eine
zusätzliche Chance sein, sich für Investoren als verlässliche EU-Mitglieder mit gutem Wachstumspotenzial ins rechte Licht zu rücken. Zwölf Jahre nach der größten Erweiterungsrunde der EU
durch die Aufnahme der zentraleuropäischen Länder haben sich die wirtschaftliche Lage in und
das Bild von den damaligen EU-Neulingen verändert. Mit dem EU-Beitritt begann für sie eine neue
Ära wirtschaftlicher Entwicklung. Mittlerweile haben sich die „Youngsters“ aus ihrer damaligen
Rolle emanzipiert. Sie sind selbstverständlicher Bestandteil der EU und bekleiden z.B. mit EURatspräsident Donald Tusk zentrale Ämter. Die wirtschaftlichen Erfolge im Laufe der vergangenen
Jahre haben insbesondere in Polen, Tschechien und Ungarn auch zu einem spürbar gestiegenen
1
Siehe dazu auch den Helaba Länderfokus „Zentraleuropa: kein EU-Exodus“ vom 28.06.2016.
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1
LÄNDERF OKUS Z ENT RALEUROPA
Wachstumspotenzial
höher in Zentraleuropa
Selbstbewusstsein beigetragen. Das Fundament dafür sind markante Fortschritte beim Pro-KopfEinkommen, rekordniedrige Arbeitslosenquoten und Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts
(BIP), die sich in den letzten Jahren – wie etwa in Polen – oft von den mageren Zahlen der alten
EU-Länder absetzten. Am aktuellen Rand hat sich die Dynamik zwar abgeschwächt. Allerdings
berechnet Eurostat für Polen, Tschechien und Ungarn auch für die nächsten Jahre ein Wachstumspotenzial, das zwei- bis dreimal so hoch ist wie im Eurolanddurchschnitt.
Wachstum meist über EU-Durchschnitt
Pro-Kopf-BIP: Einkommensfortschritte
Reales BIP in % gegenüber dem Vorjahr
Pro-Kopf-BIP, US-Dollar, PPP, in % des EU-Durchschnitts
100
100
EU-Beitritt
90
Tschechien
80
90
80
Slowakei
70
Ungarn
60
70
60
50
Polen
40
50
40
00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16* 17*
Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research
Wettbewerbsvorteile
Quellen: EIU, Helaba Volkswirtschaft/Research; *Prognosen
Gleichzeitig sorgt die vergleichsweise günstige Kostensituation für Vorteile im internationalen
Wettbewerb: Das Institut der deutschen Wirtschaft hat für Polen, Tschechien und Ungarn Lohnstückkosten im Verarbeitenden Gewerbe ermittelt, die um bis zu einem Drittel unter denen in
Deutschland liegen. Aufholbedarf bei der Produktivität wird offenbar durch niedrigere Arbeitskosten
mehr als wettgemacht. Angesichts des höheren Wachstumspotenzials und der Kostenvorteile im
Wettbewerb stellt sich die Frage, ob in Zentraleuropa ein Powerhouse entsteht, das mit neuen
Ideen und eigenen Wegen Impulse setzt.
2
Investoren interessiert
Gute Expansionsaussichten bei weiterhin niedrigeren Lohnstückkosten sowie ein durch die EUMitgliedschaft gesicherter Rechtsrahmen – das ist auch für Investoren auf der Suche nach Anlagemöglichkeiten attraktiv. Unterstützt wird das Ganze durch EU-Fördermittel, die wirtschaftliche
Fortschritte in verschiedenen Regionen der EU beschleunigen sollen.
Investoren-Zug nach Osten
Seismografen der Finanzmärkte
Ausländische Direktinvestitionen in Mrd. US-$, Index, 2004 = 100
Spreads 10-jähriger Staatsanleihen zur deutschen Benchmark in Prozentpunkten
Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research
Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research
Die ausländischen Direktinvestitionen, die aufgrund von Unternehmenszusammenschlüssen und
von Wechselkursbewegungen stark schwanken können, haben in Zentraleuropa seit 2004 z.T.
deutlich stärker zugelegt als der EU-Durchschnitt (wählt man einen längeren Zeitraum, so trifft dies
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LÄNDERF OKUS Z ENT RALEUROPA
auch auf Ungarn und die Slowakei zu). Dies gilt auch abseits der Visegrad-Länder Polen, Tschechien, Ungarn und Slowakei. Beim EU-Beitritt der zentraleuropäischen Länder ging es für ausländische Unternehmen – häufig aus der Kfz-Branche – vorrangig darum, die dort günstigeren Lohnbedingungen zu nutzen und sich auf den Märkten rechtzeitig zu positionieren. Heute haben sich
viele Unternehmen längst etabliert und – da sich der Standort offenbar bewährt hat – z.T. weiter
expandiert. Die zuletzt etwas schwächeren Daten bei den Direktinvestitionen in Zentraleuropa
fallen mit einer Übergangszeit zwischen zwei EU-Förderperioden zusammen.
Investoren als Finanzmarktseismografen
Dass Standortattraktivität kein Selbstläufer ist, zeigen die zeitweise angestiegenen Risikoaufschläge 10-jähriger Staatsanleihen auf deutsche Bundesanleihen, obwohl das Vertrauen der Investoren
an den Kapitalmärkten im Zuge der EU-Mitgliedschaft zugenommen hat: Der Risikoaufschlag für
Anleihen aus Zentraleuropa auf die deutsche Benchmark ging in den Jahren nach 2004 zunächst
zurück, um in der Finanzkrise insbesondere in Ungarn wieder anzusteigen. Auf politische Risiken,
etwa durch fragwürdige Alleingänge in rechtlichen und wirtschaftspolitischen Belangen, die im
Falle Polens gar die Einleitung eines EU-Rechtsstaatlichkeitsverfahren auslösten, reagieren die
Finanzmärkte ebenfalls sensibel. Zu umfassenden Kapitalabflüssen scheint es aber nicht zu kommen, so lange das Engagement lohnt und die EU-Mitgliedschaft selbst unangetastet bleibt. Angesichts Renditen von rund 3 % in Polen und Ungarn gegenüber einer negativen Verzinsung 10jähriger Bundesanleihen werden einige Unwägbarkeiten in diesen Ländern offenbar in Kauf genommen.
Attraktivität gefördert durch EU-Gelder
Regionalpolitik ein Drittel
des EU-Haushalts
Das Aufschließen weniger entwickelter Regionen in der EU zu fördern ist der Gemeinschaft lieb
und teuer. Zwischen 2014 und 2020 stehen u.a. für mehr Wachstum und Beschäftigung, für kleine
und mittlere Unternehmen, für die Verbesserung der Infrastruktur sowie der ökologischen Situation
rund 350 Mrd. Euro zur Verfügung, rund ein Drittel des Gesamthaushalts bzw. 2 ½ % des EU-BIP.
Grundsätzlich kommen alle EU-Regionen für eine Förderung in Frage. Allerdings ist bei der Finanzierung auch das Empfängerland in der Pflicht. Denn der Zuschuss variiert zwischen 50 % und
80 %, in Abhängigkeit davon, ob ein Land als stärker entwickelt, als Übergangsregion oder als
weniger entwickelt kategorisiert wird. Hält sich ein Land nicht an EU-Regeln, kann die Förderung
ausgesetzt werden.
„Entwicklungshilfe“ aus dem EU-Haushalt
Länderspezifische Budgets im Rahmen der Kohäsionspolitik 2014-2020 in Mrd. Euro
Text
80
80
70
70
60
60
50
50
40
40
30
30
20
20
10
10
0
0
Sl
EE
LV
LT
BG
HR
SK
HU
CZ
RO
PL
DE
Quellen: EU-Kommission, Helaba Volkswirtschaft/Research
In absoluten Zahlen ist Polen zwischen 2014 und 2020 abermals der größte Nutznießer: Für das
Land stehen insgesamt rund 106 Mrd. Euro zur Verfügung, davon etwa 76 Mrd. im Rahmen der
Kohäsionspolitik und knapp 30 Mrd. an Agrarbeihilfen. Pro-Kopf der Bevölkerung sind die Unterschiede deutlich geringer. Die erforderliche Kofinanzierung aus den nationalen Budgets ist vielfach
diskutiert worden, da sie für schwächere Länder eine zusätzliche Belastung bedeutet. Insgesamt
sehen die Haushaltseckdaten in Zentraleuropa aber oft besser aus als in West- oder Südeuropa.
In der Staatsschuldenkrise der EU dürfte dies aus Investorensicht ein Pluspunkt gewesen sein.
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LÄNDERF OKUS Z ENT RALEUROPA
Öffentliche Haushalte auf Linie gebracht
Bei der jüngsten Veröffentlichung ihrer länderspezifischen Empfehlungen stellte die EUKommission im Mai 2016 in keinem der großen zentraleuropäischen Länder ein makroökonomisches Ungleichgewicht fest und konstatierte – anders als für Kroatien, Griechenland, Frankreich,
Portugal, Spanien und Großbritannien – kein übermäßiges Haushaltsdefizit. Ungarn und Polen
konnten das Defizit-Verfahren 2013 bzw. 2015 beenden. Die Haushaltssalden in Zentraleuropa
lagen zuletzt deutlich unterhalb der Maastricht-Grenze von 3 % des BIP, die Verschuldung liegt
zwischen 41 % (Tschechien) und 75 % (Ungarn) des BIP. Im Durchschnitt der Eurozone blieb das
öffentliche Defizit 2015 ebenfalls unterhalb des Grenzwerts, die öffentliche Verschuldung erreichte
aber mit gut 90 % das 1,5-Fache des zulässigen Werts von 60 %.
Haushaltssalden und…
…Schuldenstand weitgehend im Rahmen
Saldo der öffentlichen Haushalte 2015 in % des BIP
Öffentlicher Schuldenstand 2015 in % des BIP
1,0
1,0
100
100
0,5
0,5
90
90
0,0
0,0
80
80
-0,5
-0,5
-1,0
-1,0
-1,5
-1,5
-2,0
-2,0
-2,5
Maastricht-Grenze
-3,0
-3,5
Pl
Slk
Hu
Cz
D
70
Maastricht-Grenze
60
60
50
50
40
40
30
30
-2,5
20
20
-3,0
10
10
-3,5
0
Ø Euroland
Quellen: Eurostat, Helaba Volkswirtschaft/Research
Stabilitätssignale an
Investoren
70
0
Hu
Slk
Pl
Cz
D
Ø Euroland
Quellen: Eurostat, Helaba Volkswirtschaft/Research
Die unliebsame EU-Defizitprozedur zu verlassen, hat einen doppelten Vorteil und war insbesondere für Ungarn ein wichtiges politisches Ziel: Erstens ist die offenkundig verbesserte Haushaltslage
ein Stabilitätssignal an Investoren. Und zweitens macht die Regierung sich von EU-Vorgaben
(Stabilitäts- und Wachstumspakt) unabhängiger und gewinnt so nationale Souveränität zurück,
schafft aber auch fiskalische Handlungsspielräume für wirtschaftspolitische Maßnahmen. Die Balance zu halten zwischen dem Bestreben, ein günstiges Bild abzugeben, dabei aber nicht die Konjunktur durch Sparen und hohe Steuern zu beschädigen, erfordert Weitblick und eine ruhige Hand.
Die Nachhaltigkeit der Fiskalpolitik wird auch in Osteuropa in Zukunft noch einer demographischen
Belastungsprobe unterzogen werden. Die in Polen anvisierte Absenkung des Rentenalters geht
hier in die falsche Richtung.
Konvergenz als Qualitätssiegel
Die Haushaltsdaten fließen neben anderen Kriterien ein in die turnusgemäß alle zwei Jahre veröffentlichten Berichte der EU-Kommission zur wirtschaftlichen Konvergenz jener Länder, die die
gemeinsame Währung noch nicht eingeführt haben. Bis auf Schweden sind dies zentraleuropäische Länder. Sie bieten bei den quantitativen Kriterien generell ein erfreuliches Bild. Das Signal an
Investoren: Die Euro-Abstinenz ist nicht das Ergebnis von Mängeln bei der Erfüllung der Maastricht-Kriterien, sondern selbstgewählt und damit ein Zeichen von Stärke und Autonomie.
Polen, Tschechien, Ungarn:
Euro derzeit kein Thema
Die Euro-Einführung dürfte allerdings innenpolitisch derzeit ohnehin kaum durchzusetzen sein: Die
Resultate des letzten verfügbaren Eurobarometers vom Herbst 2015 spiegeln jeweils Skepsis in
der Bevölkerung. Vor allem Polen und Tschechien finden sich hier am Ende der Skala, was die
Zustimmung zum Euro anbelangt. Aber auch in Ungarn und Bulgarien ist die diesbezügliche Zurückhaltung ausgeprägt. Zu schwer wiegt wohl der Verzicht auf einige Instrumente aus der wirtschaftspolitischen Werkzeugkiste. Denn von ihrer Freiheit haben etwa Polen, Tschechien und
Ungarn durch Zinsschritte, Devisenmarktinterventionen und andere Maßnahmen in den letzten
Jahren regen Gebrauch gemacht.
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LÄNDERF OKUS Z ENT RALEUROPA
Stand der Konvergenz 2016
Inflation
Defizit
Schulden
langfristiger Teilnahme am mit dem
Zinssatz
WechselkursGesetz
mechanismus vereinbar?
%
Kriterien
erfüllt?
%
%
%
Referenzwert
0,7
3,0
60,0
4,0
-
-
-
Bulgarien
-1,0
2,1
26,7
2,5
nein
nein
-
Kroatien
-0,4
3,2
86,7
3,7
nein
ja
-
Tschech. Rep.
0,4
0,4
41,1
0,6
nein
nein
-
Ungarn
0,4
2,0
75,3*
3,4
nein
nein
-
Polen
-0,5
2,6
51,3
2,9
nein
nein
-
Rumänien
-1,3
0,7
38,4
3,6
nein
nein
-
Schweden
0,9
0,0
43,4
0,8
nein
nein
-
*Wert oberhalb des Referenzw erts, aber rückläufig; EU-Kommission sieht Haushaltskriterien als erfüllt an
Berichtszeitraum 12 bzw . 24 Monate bis April 2016, für Staatsfinanzen Daten 2015
Quellen: EU Kommission Konvergenzbericht 2016, Helaba Volksw irtschaft/Research
So lange die EU-Mitgliedschaft glaubhaft ist, werden Länder in Zentraleuropa für Investoren –
zumal bei den derzeitigen Schwierigkeiten, rentable Anlageformen zu finden – interessant sein.
Von ihrer z.T. zwiespältig erscheinenden Haltung zwischen Autonomie und EU-Anbindung profitieren Polen, Tschechien und Ungarn offenbar. Diese Mischung in Verbindung mit guten wirtschaftlichen Eckdaten dürfte für Investoren auch vor dem Hintergrund des Brexit attraktiv bleiben – Voraussetzung sind allerdings entschlossene Reformen. Sie sind nötig, um z.B. genügend qualifizierte Arbeitskräfte verfügbar zu haben, um Sozialsysteme funktionsfähig zu halten und die öffentlichen Finanzen nicht zu strangulieren, aber auch um langfristig verlässliche Rahmenbedingungen
für Investitionen zu bieten. Denn anhaltendes Investoren-Interesse wird sich nicht auf ein freundliches Bild bei den Ist-Daten stützen, sondern die Wahrscheinlichkeit für eine Fortsetzung der Erfolgsgeschichte ins Kalkül ziehen.
3
Potenziale vs.
Investitionshürden
Investoren willkommen?
Drei Indizes sollen Auskunft geben über die Voraussetzungen, die die einzelnen Länder hinsichtlich ihrer Haltung gegenüber Investoren und ihrer Zukunftsfähigkeit haben:
-
“Index of Economic Freedom“ der Heritage Foundation
Dieser Index des US-Think Tanks setzt sich aus verschiedenen Einzelindikatoren zusammen.
Niedrige Rangzahlen bedeuten einen hohen Freiheitsgrad. Dabei führen in der EU insbesondere unflexible Arbeitsmärkte und fiskalische Aspekte zu Herabstufungen.
-
“Corruption Perceptions Index” von Transparency International
Der Index über das wahrgenommene Ausmaß an Korruption basiert auf der Einschätzung
verschiedener Organisationen und Unternehmen, die in der Länderanalyse und Länderrisikobewertung tätig sind. Auf einer Skala von 0 (sehr korrupt) bis 100 (nicht korrupt) befinden sich
nur rund ein Drittel der Länder weltweit (Rang 1 bis 54) auf der besseren Hälfte der Skala.
-
“Doing Business Index” der Weltbank
Er fasst zehn gewichtete Einzelaspekte staatlich gesetzter Rahmenbedingungen für Unternehmen zu einem Gesamtindikator zusammen, z.B. die Rechtsverbindlichkeit, steuerliche Gesichtspunkte und den Zugang zu Krediten. Ein niedriger Gesamtscore bedeutet niedrige Hürden für die Gründung und den Betrieb einer Firma vor Ort.
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LÄNDERF OKUS Z ENT RALEUROPA
Von den großen Euroländern haben Italien, Spanien und Frankreich das schwächste Ergebnis.
Insgesamt schneiden die skandinavischen Länder gut ab, ebenso Großbritannien und Irland. Bei
den kleineren Euroländern und den Zentraleuropäern ist das Bild gemischt. Jedoch fallen insbesondere Estland und Litauen positiv auf. Die Hürden für Unternehmen scheinen außer im Baltikum
auch in Polen, in der Slowakei und in Slowenien unterdurchschnittlich zu sein, während sie in
Tschechien sowie in Rumänien, Bulgarien, Kroatien und Ungarn etwas über dem EU-Durchschnitt
liegen.
Übersicht Indizes
Index
of Econ. Freedom
Rang 2016 Tendenz
Corr. Perc.
Index
Rang 2015*
Doing Business
Index
Rang 2016*
BIP
2015
gg. VJ
Einw.
2016
Mio.
große Euroländer
10
23
61
36
5
15
27
45
33
28
1,7
1,3
0,8
3,2
2,0
82,2
66,7
60,7
46,4
17,0
kleine Euroländer
15
10
18
58
37
32
16
28
2
50
35
23
40
32
43
61
17
60
80
47
21
23
10
29
29
16
22
20
1,4
4,8
7,8
-0,2
6,4
1,6
1,0
1,5
0,5
3,6
2,9
1,1
2,7
1,6
11,3
0,6
4,7
10,8
0,4
0,8
8,7
10,4
5,5
5,4
2,1
1,3
2,0
2,9
Euro-Kandidaten CEE**
30

50

37

58

69

50

25
42
36
37
38
40
3,6
2,9
4,5
3,8
3,0
1,6
38,0
9,8
10,5
19,8
7,1
4,2
andere EU-Länder
3
1
10
8
3
6
4,2
1,0
2,2
9,8
5,7
65,3
Deutschland
Frankreich
Italien
Spanien
Niederlande
17
75
86
43
16





Belgien
Luxemburg
Irland
Griechenland
Malta
Zypern
Österreich
Portugal
Finnland
Slowakei
Slowenien
Estland
Lettland
Litauen
44
19
8
138
55
42
28
64
24
56
90
9
36
13














Polen
Ungarn
Tschechien
Rumänien
Bulgarien
Kroatien
39
58
21
61
60
103
Schweden
Dänemark
Großbritannien
26
12
10



Anz. Länder insges.
178
-
167
189
-
-
-
-
-
31
2,0
510,1
EU-Wert
*Mehrfachbelegung eines Rangs möglich **Central and Eastern Europe
Quellen: Heritage Foundation, Transparency International, Weltbank, Eurostat, Helaba Volksw irtschaft/Research
Angesichts der aktuellen Herausforderungen sollte die EU als Chance genutzt werden, die Kräfte
in Europa zu bündeln. Die Konkurrenz zwischen den Ländern könnte ein Ansporn sein und eine
Inspiration im Hinblick auf „best practice“, aber auch für neue Wege. Uneinigkeit, wie sie gegenwärtig unter anderem beim Flüchtlingsthema besteht, kostet hingegen Ressourcen, die besser
investiert werden könnten.
H E L A B A V O L K SW I R T S C H A F T / R E S E A R C H · 2 1 . J U L I 2 0 1 6 · © H E L A B A
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LÄNDERF OKUS Z ENT RALEUROPA
4
Wirtschaftliches Gewicht
gestiegen
Positionierung als Daueraufgabe
Das Wachstumspotenzial der großen zentraleuropäischen Länder ist zwar nicht mehr so hoch wie
in den Jahren um den EU-Beitritt, liegt jedoch voraussichtlich auch in den nächsten Jahren noch
deutlich über dem Euroland-Durchschnitt. Zwar wird das relative wirtschaftliche Gewicht – derzeit
knapp 8 % des nominalen EU-BIP, nach 5,5 % 2004 – weiterhin überschaubar bleiben. Bestrebungen insbesondere der größeren zentraleuropäischen Länder, in der EU-Politik mehr Gewicht in
die Waagschale zu werfen, dürften allerdings zunehmen, zumal das „alte Europa“ bei so manchen
aktuellen Problemen nur schwer zu einer einheitlichen Position findet. Auch sorgt die Lage in der
Nähe Russlands für eine gestiegene politische Bedeutung der Länder. In der EU dauerhaft als
Kraftwerk wahrgenommen zu werden – eine Assoziation, die noch vor wenigen Jahren kaum möglich schien – kann Zentraleuropa indes nur gelingen, wenn an der Weiterentwicklung der strukturellen Rahmenbedingungen gearbeitet wird.
Offene Baustellen angehen
Dafür sind potenzielle Bremsfaktoren für Investitionen zügig anzugehen. In der jüngsten Umfrage
der deutschen Auslandshandelskammern unter den deutschen ortsansässigen Unternehmen werden insbesondere folgende Themenfelder als problematisch benannt:
-
Arbeitsmarktthemen (Flexibilität, Verfügbarkeit von Fachkräften, Berufsbildungssystem)
Rechtssicherheit/Berechenbarkeit, Korruption, Transparenz bei der öffentlichen Vergabe
Steuersystem und -belastung
Demgegenüber wurden Aspekte wie
-
Qualität der akademischen Ausbildung/Qualifikation der Arbeitnehmer
Arbeitskosten und Produktivität
Infrastruktur
eher positiv bewertet. Tschechien landet im Ranking der beliebtesten Investitionsstandorte in Mittel- und Osteuropa regelmäßig auf den vordersten Plätzen, seit 2010 wechselt es sich an der Spitze mit Polen ab. Ungarn rangiert eher am Ende der zentraleuropäischen Skala. Besonders bei
Maßnahmen, die eine längere Vorlaufzeit haben, wie die ausreichende Verfügbarkeit gut ausgebildeter Fachkräfte, müssen die Länder rechtzeitig Weichen stellen, um nicht ein Opfer des eigenen
Erfolgs und der demographischen Entwicklung zu werden. Die z.T. noch immer hohen Arbeitslosenquoten bei Jüngeren sollte sich schon unter diesem Aspekt kein Land leisten.
Jugendarbeitslosigkeit: Verschwendung von Potenzial
Arbeitslose unter 25 Jahre in % der Erwerbsbevölkerung
Text
Quellen: Eurostat, Helaba Volkswirtschaft/Research
EU-Status wichtig,
Euro weniger
Der EU-Mitgliedschaft messen die befragten Unternehmen jeweils eine hohe Bedeutung zu. Die
Unternehmen schätzen offenbar den verlässlichen Rechtsrahmen, den der Acquis Communautaire
bietet. Dass die meisten Länder den Euro (noch) nicht eingeführt haben, scheint von nachrangiger
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LÄNDERF OKUS Z ENT RALEUROPA
Bedeutung. Für die Regierungen besteht daher kaum ein Grund, von ihrer abwartenden Haltung
abzurücken. In den letzten vier Jahren wuchs das reale BIP der zentraleuropäischen Länder im
(ungewichteten) Durchschnitt um rund 2 % jährlich (nicht berücksichtigt ist hier Kroatien, das erst
2013 der EU beigetreten ist). Darüber lagen Polen und Rumänien mit 2,5 % bzw. 2,7 %, während
in Deutschland und der Eurozone in diesem Zeitraum 1 % bzw. 0,4 % erreicht wurden. Da die
Länder durch Außenhandelsbeziehungen i.d.R. eng mit der EU und auch untereinander verbunden
sind, ist die Verringerung des Wechselkursrisikos allerdings weiterhin ein wichtiges Argument.
Tschechische Exporte etwa gehen zu über 80 % in das Gebiet der EU. In jedem Fall wird der wirtschaftliche Erfolg Zentraleuropas auch künftig nur mit der EU realisierbar sein. Auf das BrexitVotum folgten daher oft umgehende Bekräftigungen der EU-Mitgliedschaft.
Risiken des
Rosinenpickens
Dass die gemeinsame Währung allerdings für den wirtschaftlichen Erfolg eines EU-Landes weniger Gewicht haben könnte, als es ursprünglich schien, war beim Start der Gemeinschaftswährung
nicht absehbar. Wenn der Währungsverbund für zentrale Probleme (Bankenaufsicht, Regulatorik)
keine zügigen, praktikablen Lösungen findet oder wenn sich nach dem Brexit herausstellt, dass er
für Großbritannien keine gravierenden Änderungen mit sich bringt, könnten Investoren zu dem
Schluss kommen, dass Rosinenpicken für die Länder doch der richtige Weg ist. Dies dürfte allerdings Ablösungstendenzen verstärken. Dem entgegenzuwirken kann nur im Verbund der EULänder gelingen. Blockbildungen in den Abstimmungen behindern Fortschritte.
Brexit verschiebt Stimmgewichte
„Club Med“
mit Sperrminorität
Seit November 2014 gilt für Entscheidungen im Ministerrat der EU bei einer Stimme je Land das
Prinzip der doppelten Mehrheit, d.h. es müssen mindestens 55 % der Länder (derzeit 15 der 28
Länder) mit 65 % der EU-Bevölkerung zustimmen. Die Sperrminorität ist bei mindestens vier Ländern und 35 % der Bevölkerung erreicht. In Großbritannien leben knapp 13 % der EU-Bürger.
Stimmkarten neu gemischt nach dem Brexit?
Anteile der Gruppierungen an der EU Bevölkerung mit und ohne UK als EU-Mitglied
70
65 %Grenze
60
50
40
60
Anteil an EU
mit UK
Anteil an EU
ohne UK
50
40
35 %Grenze
30
Text
70
30
20
20
10
10
0
0
F, It, Sp, Pt
Pl, Cz, Hu, Sk
CEE
BeNeLuxDFIt
Quellen: Eurostat, Helaba Volkswirtschaft/Research
Aktuell repräsentieren die vier Visegrad-Länder 12,3 % der EU-Bevölkerung. Werden die Modalitäten nicht angepasst, steigt durch den Brexit der Bevölkerungsanteil der Visegrad-Länder um knapp
2 Prozentpunkte auf 14,3 %. Der Anteil Zentraleuropas insgesamt erhöht sich um drei Prozentpunkte auf 23,2 %, Deutschlands Anteil wächst von 16,1 % auf 18,5 %. Ungelöste Probleme, die
verhindern, dass Wachstumspotenzial realisiert wird, gibt es in allen Regionen der EU. Oft gleichen sich die Themenfelder, wie bei der Finanzmarktregulierung oder den Auswirkungen der Demographie auf die öffentlichen Haushalte. Ohne Zusammenarbeit geht es daher auch in Zukunft
nicht. 
H E L A B A V O L K SW I R T S C H A F T / R E S E A R C H · 2 1 . J U L I 2 0 1 6 · © H E L A B A
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