Abgeordnete Mag. Alev Korun (Grüne)

Nationalrat, XXV. GP
16. März 2016
117. Sitzung / 1
13.10
Abgeordnete Mag. Alev Korun (Grüne): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr
geschätzte Damen und Herren auf der Ministerbank! Geschätzte Gäste auf der
Besuchergalerie! Vor allem möchte ich die jungen Gäste auf der Besuchergalerie
begrüßen, die heute unserer Debatte zuhören.
Ich möchte …(Ruf bei der ÖVP: Lauter!) – Bin ich nicht laut genug? Entschuldigung,
meine Stimme ist in keinem guten Zustand; ich bin gesundheitlich etwas
angeschlagen.
Ich möchte mit etwas beginnen, das mir am Herzen liegt, denn ich beobachte unsere
Debatte seit neun Uhr in der Früh, und ich fürchte, dass wir als österreichischer
Nationalrat insgesamt kein sehr gutes Bild für alle Menschen abgeben, die uns
zuhören und zuschauen. (Zwischenrufe bei der ÖVP.) – Jetzt kommen schon die
ersten Zwischenrufe (Abg. Schönegger: Das ist im Parlament so!), das ist leider so,
aber ich möchte alle bitten, zu versuchen, wertschätzend miteinander umzugehen.
Wir haben unterschiedliche Meinungen. Wir finden, dass unterschiedliche Vorschläge
zu einer guten Lösung führen, aber ich fürchte, die Art, wie wir miteinander umgehen,
ist vor allem für die jungen Menschen, die zum Beispiel zur Stunde auf der
Besuchergalerie sitzen und uns zuschauen, kein sehr gutes Vorbild. Deshalb möchte
ich alle, wirklich alle, mich selber auch angesprochen fühlend, bitten, diese
Wertschätzung allen entgegenzubringen. (Beifall bei den Grünen sowie des Abg.
Scherak.)
Ich schaue noch einmal kurz auf die Regierungsbank, ob ich jemanden übersehe; das
scheint nicht der Fall zu sein. Auf unserer Tagesordnung steht nämlich „EU-Erklärung
des Bundeskanzlers und des Vizekanzlers“, und ich finde es schon irritierend, bei aller
Wertschätzung, dass weder der Herr Kanzler noch der Herr Vizekanzler da sind; und
das seit einigen Minuten. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der NEOS.)
Ich finde, es ist nicht sehr wertschätzend, mit dem Parlament so umzugehen, eine
Erklärung abzugeben und dann einfach nicht mehr da zu sein, auch wenn einem die
Debatte teilweise oder oft nicht gelingt.
Worüber sprechen wir hier? – Wir sprechen über einen EU-Ratsgipfel, in dessen
Rahmen die Regierungschefs und Regierungschefinnen der EU-Mitgliedstaaten
morgen und übermorgen zusammenkommen werden, um bei der Flüchtlingsfrage, bei
der Menschenrechtsfrage gemeinsame Lösungen zu finden. Da ist es leider sehr
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irritierend, dass etwas passiert, das eigentlich den demokratischen Werten, die wir alle
hochhalten und die gerade in Zeiten wie diesen sehr bemüht werden, zuwiderläuft.
Es ist ja vorgesehen, dass wir uns vor jedem EU-Ratsgipfel im Parlament treffen, um
als Abgeordnete des österreichischen Nationalrates eine gemeinsame Linie zu finden,
um die Bundesregierung gegebenenfalls mit einem politischen Auftrag auszustatten,
damit sie diese oder jene Linie vertritt. Das war nicht möglich, weil im EUUnterausschuss, der gestern Abend stattgefunden hat, keine Dokumente vorhanden
waren, die eigentlich vorbereitete Schlussfolgerungen sind. Wie sollen wir – noch
einmal erinnernd an die demokratischen Werte, die wir alle miteinander teilen –
gemeinsame Entscheidungen fällen, wenn die Dokumente gar nicht da sind?
Das ist leider Teil des Problems, das morgen und übermorgen bei diesem EU-Gipfel
behandelt wird, dieser Deal, den die EU mit der türkischen Regierung zu finden
versucht, nämlich Geld und Visaliberalisierung gegen Zurückhaltung von Flüchtlingen
und Schutzsuchenden, gegen Verhinderung von Asylantragstellung in der EU.
Das noch dazu mit einer Regierung, die die Menschenrechte in den letzten Monaten
und Jahren mit Füßen getreten hat. In der Türkei sitzen so viele verhaftete Journalisten
und Journalistinnen wie sonst nirgends außer in China. Dazu gibt es zu Recht
Wortmeldungen von türkischen und kurdischen Menschenrechtlern und
Menschenrechtlerinnen, die sagen, die EU soll uns bitte nicht noch einmal mit den
sogenannten Menschenrechten kommen, wenn in der Türkei Regimekritiker,
Regierungskritiker, Kurden und Kurdinnen im Gefängnis sitzen und von ihrem
demokratischen Recht auf Meinungsfreiheit nicht Gebrauch machen können. Wenn
diese Vorgehensweise dann auch noch von der EU mit Geld belohnt wird, dann hat
das mit Menschenrechten nichts zu tun. (Beifall bei den Grünen.)
So viel also zu unseren gemeinsamen europäischen Werten, zu den
Menschenrechten, die ja von allen verteidigt werden sollten.
Aus diesem Grund bringe ich folgenden Antrag ein:
Entschließungsantrag
der Abgeordneten Korun, Kolleginnen und Kollegen betreffend zeitgerechte Zuleitung
der europäischen Beschlussvorlagen, damit dem Nationalrat entsprechend Art. 23e BVG Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wird
Der Nationalrat wolle beschließen:
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117. Sitzung / 3
„Der Bundeskanzler beziehungsweise das zuständige Mitglied der Bundesregierung
wird aufgefordert, sich auf europäischer Ebene, insbesondere beim nächsten
Europäischen Rat am 17. und 18. März 2016, mit Nachdruck dafür einzusetzen, dass
in Hinkunft dem österreichischen Nationalrat die vollständigen Beschlussvorlagen und
Protokolle in einer Weise ‚unverzüglich‘ zugeleitet werden, dass der Nationalrat von
seinem verfassungsrechtlich in Art. 23e B-VG zugesicherten Recht auf Stellungnahme
rechtzeitig vor den Europäischen Räten Gebrauch machen kann.“
*****
Sehr geehrte Damen und Herren, abschließend möchte ich sagen: Auch beim
vorangegangenen Tagesordnungspunkt haben mehrere Kollegen und Kolleginnen
erörtert, dass in dieser Situation nur eine gemeinsame, eine europäische Lösung
möglich ist. Wir alle in diesem Haus, aber auch im Europäischen Parlament in Brüssel,
sind dafür gewählt, Lösungen auf den Weg zu bringen, nicht herumzujammern, was
alles nicht geht, dass wir nicht können und dass wir nicht wollen, sondern dass wir die
Herausforderungen anpacken und dass wir sie gemeinsam meistern.
Dafür sind wir gewählt, und deshalb hätte ich der Bundesregierung und vor allem dem
Herrn Bundeskanzler gestern gerne einen Auftrag mitgegeben, welche Linie er im
Namen der österreichischen Republik beim EU-Ratsgipfel vertreten soll, nämlich dass
nur eine gemeinsame Lösung geht, und nicht ein Domino mit nationalen
Grenzschließungen, was zur Folge hat, dass die Menschen im Endeffekt in Idomeni im
Dreck liegen und, wenn Sie versuchen, einen Fluss zu überqueren, dann auch noch
ertrinken. Gemeinsam sind Lösungen machbar, man muss sie nur wollen und man
muss sie auch angehen. In diesem Sinne: Lassen Sie uns die Probleme gemeinsam
anpacken! – Danke. (Beifall bei den Grünen.)
13.18
Präsident Ing. Norbert Hofer: Der Entschließungsantrag ist ausreichend unterstützt,
ordnungsgemäß eingebracht und steht daher mit in Verhandlung.
Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:
Entschließungsantrag
der Abgeordneten Alev Korun, Werner Kogler; Tanja Windbüchler-Souschill,
Freundinnen und Freunde
betreffend zeitgerechte Zuleitung der europäischen Beschlussvorlagen, damit dem
Nationalrat entsprechend Art 23 e B-VG Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wird
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117. Sitzung / 4
eingebracht im Zuge der Debatte über die EU-Erklärung gemäß § 74b Abs. 1 lit b
GOG-NR
Begründung
Die Differenzen am letzten Sondergipfel der europäischen Staats- und
RegierungschefInnen am 7. März 2016 zur Flüchtlings- und Menschenrechtspolitik
haben dazu geführt, dass erstmals kein Beschluss in Form von gemeinsamen
Schlussfolgerungen zustande gekommen ist. Die Staats- und RegierungschefInnen
haben lediglich in einer allgemein gehaltenen Erklärung ihre politischen Anliegen
umrissen und auf den nun bevorstehenden Gipfel verwiesen. Ursache für das
Scheitern des letzten Gipfels waren laut Medienberichten nicht zuletzt übermäßige
Forderungen des türkischen Premiers Ahmet Davutoglu im letzten Moment.
Ein weiterer Grund für die immer schlechtere Zusammenarbeit der EU-Mitgliedstaaten
besteht darüber hinaus auch in einer Renationalisierung der Flüchtlingspolitik, die nicht
zuletzt durch Alleingänge der österreichischen Bundesregierung ausgelöst wurden:
die Schließung der Grenzen Österreichs und die Festlegung von absoluten
Obergrenzen von Spielfeld bis zum Brenner;
die Balkankonferenz unter Ausschluss Griechenlands dem Hauptbetroffenen als
Erstaufnahmeland;
das Betreiben von Grenzschließungen auf der gesamten Balkanroute durch
Außenminister und Innenministerin Österreichs;
die abrupte Schließung der Grenzen von Mazedonien gegenüber Griechenland, die auf
Anregung Österreichs durch die mazedonische Regierung zustande gekommen ist,
macht Griechenland zum größten Flüchtlingslager Europas;
die bilaterale Aktion Österreichs nun auch Bulgarien zu einer raschen Schließung der
Grenzen gegenüber Griechenland zu bewegen;
die dadurch ausgelöste Übertragung der Hauptverantwortung der Erstaufnahme für
Flüchtlinge an das durch die Wirtschaftskrise schwer angeschlagene Griechenland;
eine Abwendung von einer Politik der Zusammenarbeit mit den anderen
hauptbetroffenen EU-Staaten und stattdessen Hinwendung zum Florianiprinzip.
Mit der Verwirklichung des vermeintlich nationalen Eigeninteresses ohne Rücksicht auf
Verlust der Gemeinsamkeit in der Europäischen Union wird bewusst auf ein Scheitern
einer gemeinsamen Lösung hingearbeitet.
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Auf diese Weise wird es nie eine echte gemeinsame Flüchtlingspolitik geben, die
verbindliche Verteilungsquoten, ein gemeinsames europäisches Asylrecht mit
gemeinsamen Standards und harmonisierten Betreuungsregeln hervorbringt. Im
Gegenteil: Aufgrund der nationalen Verzwergung der Flüchtlingspolitik stehen Grundund Menschenrechte und europäische Werte immer massiver in Frage. Der
Ausschluss von Verfolgten vom Asylrecht durch Grenzschließungen und Obergrenzen,
geplanten Massenabschiebungen in den Erstaufnahmeländern und die Schließung der
Binnengrenzen der Union spiegeln auch auf Ebene der europäischen Werte das
Scheitern der nationalen Regierungen Europas wider.
Gleichzeitig finden vor allem von deutscher Seite vorangetrieben, hektische
Verhandlungen auf Regierungsebene mit der türkischen Regierung statt, die eine
Reihe neuer außen-, friedens-, demokratie-, menschenrechts- und
integrationspolitischer Fragen für die Union aufwerfen. Sie hat spezifische
Eigeninteressen im Syrienkonflikt. Sie schränkt die Grundrechte massiv ein. Sie
zerstört den Friedensprozess mit den KurdInnen mit militärischer Gewalt. Sie schließt
Zeitungsredaktionen nach Belieben. Sie kann daher kaum als verlässlicher Partner
wahrgenommen werden.
Selbst vor diesem Hintergrund wollen Teile der Europäischen Union dieser türkischen
Regierung die Gatekeeperfunktion gegenüber den Flüchtlingen aus Syrien übertragen.
In dieser Situation schickt sich der Europäische Rat im letzten Moment an, Beschlüsse
mit der Türkei zu fassen, die die Arbeitsfähigkeit des Europäischen Rates selbst
gefährdet. So können die Beschlussvorlagen auch den nationalen Parlamenten nicht
vorgelegt werden und schneiden diese somit von ihren Rechten ab. Die vorbereitenden
Dokumente sind dem Nationalrat in vollständiger Form nicht mehr zugeleitet worden.
Damit kann dieser auch keine Stellungnahmen beschließen, die den Bundeskanzler an
demokratisch gefasste Beschlüsse bindet.
Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgenden
Entschließungsantrag
Der Nationalrat wolle beschließen:
Der Bundeskanzler bzw. das zuständige Mitglied der Bundesregierung wird
aufgefordert, sich auf europäischer Ebene, insbesondere beim nächsten Europäischen
Rat am 17. und 18. März 2016, mit Nachdruck dafür einzusetzen, dass in Hinkunft dem
österreichischen Nationalrat die vollständigen Beschlussvorlagen und Protokolle in
einer Weise „unverzüglich“ zugeleitet werden, dass der Nationalrat von seinem
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verfassungsrechtlich in Art. 23 e B-VG zugesicherten Recht auf Stellungnahme
rechtzeitig vor den Europäischen Räten Gebrauch machen kann.
*****
Präsident Ing. Norbert Hofer: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Dr. Scherak. –
Bitte.
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