Staat-Staat-Investitionsschiedsverfahren und ihr Verhältnis zu ISDS

Staat-Staat-Investitionsschiedsverfahren und ihr Verhältnis zu ISDS: Von
Antagonismus zu Dialog
Dr. Andreas Kulick, LL.M. (NYU), Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Investitionsschutzabkommen (oder Investitionsschutzkapitel in Freihandelsabkommen)
enthalten zumeist zwei Formen der schiedsgerichtlichen Streitbeilegung. Während der Fokus
der Wissenschaft und Praxis in den vergangenen Jahrzehnten auf der ersten Form, InvestorStaat-Schiedsgerichtsbarkeit, lag, tritt häufig gänzlich in den Hintergrund, dass die Abkommen
in Gestalt der Staat-Staat-Schiedsgerichtsbarkeit noch eine weitere Form schiedsgerichtlicher
Streitbeilegung vorsehen. Lange vernachlässigt, gerät diese nunmehr wiederum verstärkt in den
Fokus. Dies weniger an den im Moment noch wenigen Testläufen in jüngeren Verfahren wie
Italy v. Cuba und Ecuador v. United States, sondern vor allem daran, dass sich seit einigen
Jahren eine generelle Tendenz der Vertragsstaaten abzeichnet, verloren gegangene oder
jedenfalls verloren geglaubte Kontrolle über die Auslegung der Abkommen zurück gewinnen
zu wollen. Hier scheinen Staat-Staat-Schiedsgerichtsverfahren geradezu prädestiniert als
Kontrollinstrumente, gewähren doch die meisten Klauseln in den jeweiligen Abkommen
Zugang zu einem solchen Verfahren im Falle einer Meinungsverschiedenheit („dispute“)
zwischen den Vertragsparteien über die „Anwendung oder Auslegung“ („application or
interpretation“) des Abkommens.
Wie gestaltet sich aber nun das Verhältnis von Investor-Staat- und Staat-StaatSchiedsverfahren? Ist ein Investor-Staat-Tribunal an die Auslegung einer Vorschrift desselben
Investitionsschutzabkommens durch ein Staat-Staat-Tribunal gebunden, muss es sie bei seiner
eigenen Auslegung der fraglichen Klausel berücksichtigen oder kann es sie sogar gänzlich
ignorieren? Kann ein Staat-Staat-Schiedsverfahren unter demselben Abkommen und mit dem
Ziel, dieselbe fragliche Vorschrift des Abkommens auszulegen, eingeleitet werden, wenn
bereits ein paralleles Investor-Staat-Schiedsverfahren läuft? Mit anderen Worten, welche Rolle
spielt der Zeitpunkt, zu dem ein Vertragsstaat das Staat-Staat-Schiedsverfahren einleitet, für die
Wirkung der Auslegungsentscheidung? Teilen die Abkommen den zwei verschiedenen
schiedsgerichtlichen Streitbeilegungsmechanismen bestimmte Rollen zu und besteht ggf. sogar
ein (ungeschriebenes) Hierarchieverhältnis?
Mein Vortrag soll sich mit diesen Fragen auseinandersetzen und soll skizzieren, wie das
Verhältnis zwischen Investor-Staat- und Staat-Staat-Schiedsverfahren zu verstehen ist: als
(schieds-)richterlicher Dialog.