SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Zeitwort 28.05.1928: Sun Yat-sen wird von Peking nach Nanking überführt Von Jürgen Hoeren Sendung: 28.05.2016 Redaktion: Ursula Wegener Produktion: SWR 2016 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Zeitwort können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/zeitwort.xml Autor: Er gilt als der Gründer der Volksrepublik China und als Pionier der Revolution – Sun Yat-sen, der erste Präsident des modernen China, Sohn eines Bauern, 1866 in der Provinz Kuangtung geboren. Er wird in der kommunistischen Volksrepublik ebenso verehrt wie auf dem nationalchinesischen Inselreich Taiwan. Die Grundlage seines Parteiprogramms lässt sich in drei Begriffe fassen: Nationalismus, Demokratie und soziale Gerechtigkeit. Zu den herausragenden Ideen von Sun Yat-sen zählte die Verlegung der chinesischen Hauptstadt. Statt in Peking übernahm er 1912 in Nanking die vorläufige Präsidentschaft, in Nanking fühlte Sun Yat-sen sich zuhause. Daher äußerte er schon früh seinen großen Wunsch, nicht in Peking begraben zu werden, sondern in Nanking. Erst drei Jahre nach seinem frühen Tod im März 1925, ging sein Wunsch in Erfüllung. Am 28. Mai 1928, wurde sein Leichnam unter großer öffentlicher Anteilnahme von Peking nach Nanking überführt – mehr als ein symbolischer Akt. Hiermit wollten die Kuomintang und der Nachfolger Sun Yat-sens, General Chiang Kai-shek, nochmals den einschneidenden politischen Wandel im Reich der Mitte unterstreichen. Nicht die alte Kaiserstadt Peking sollte der politische Mittelpunkt des nach-kaiserlichen China sein, sondern Nanking, wo mittlerweile die Kuomintang-Regierung auch ihren Sitz aufgeschlagen hatte. Die sogenannte Nanking-Regierung konnte es als Erfolg verbuchen, von zahlreichen ausländischen Staaten als die neue chinesische Zentralmacht anerkannt worden zu sein. Alles sah zu diesem Zeitpunkt danach aus, dass der Nachfolger Sun Yat-sens, Chiang Kaishek, seine Macht absichern und eine solide demokratische Regierung auf den Weg bringen könnte. Die Großmacht Amerika vertraute voll und ganz auf die militärische und politische Führungsqualität von Chiang Kai-shek, der von Sun Yat-sen als Militärexperte aufgebaut worden war. An dem Grabmal für Sun Yat-sen hatte man im traditionsreichen Nanking, dessen Gründung auf das 6. Jahrhundert v. Christus zurückgeht, nicht gespart. Hoch auf dem Hügel der sogenannten Purpurberge errichtete man ein imposantes Mausoleum für den ersten Präsidenten der chinesischen Republik. Der Architekt legte diesen Grabkomplex auf einem etwa 80.000 qm großen Areal im Stile eines klassischen Kaisergrabes an. Hallen und Ehrentore reihen sich auf einer Nord-Südachse. Und die Torbögen tragen die zentralen Begriffe aus dem Programm von Sun yat-sen: Nationalismus, Demokratie und soziale Gerechtigkeit. 392 Stufen, 70 Meter breit, führen zu der monumentalen Gedenkhalle. In einem strahlenden Blau leuchten die glasierten Dachziegel über dem weißen Granit. Bevor man die große Freitreppe betritt, geht man durch ein dreibogiges Ehrentor, auf dem die chinesischen Zeichen Bo ai - umfassende Liebe, he ping - Friede, fun dou - Kämpfe eingemeißelt sind – Schlüsselbegriffe von Sun Yat-sens. Das Hauptportal trägt die Inschrift Tian xia wei gung – die Welt gehört allen. In der Gedenkhalle Sun Yat-sens steht eine Marmorstatue des noch heute verehrten Staatsmannes, einem gelernten Mediziner, der in Hawaii studierte, viele Jahre lang in der damaligen britischen Kolonie Hongkong lebte und schließlich zum christlichen Glauben konvertierte. Wenn heute Touristen und Chinesen das Mausoleum von Sun Yat-sen besuchen, dann wird ihnen bewusst, dass dieser große Erneuerer Chinas letztlich gescheitert ist. Seine Partei, die Kuomintang, hatte weder die moralische noch die politische Kraft, sich dem Kommunismus gegenüber zu behaupten. Peking wurde wieder das, was es war, Hauptstadt – und Nanking erinnert heute an die Idee eines Mannes, an eine Bewegung, die letztlich scheiterte. 1
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