Bericht zum Seminar „Ziran Gong für Fortgeschrittene vom 03.-08. Januar 2016“ Ein Wintereinbruch begleitete all diejenigen, die am 3. Januar zum „Ziran Gong für Fortgeschrittene“ nach Seefeld am Jadebusen reisten: Die Temperaturen waren eisig, so, wie es sich an richtigen Wintertagen gehört und der Schneefall so üppig, dass sich am Rand der Straße bereits kleinere Schneeverwehungen bildeten. Die intensiven äußeren Gegebenheiten, so schien es fast, sollten den Rahmen bilden für ein intensives inneres Geschehen. Spüren und Erforschen im Innen wie auch im Außen waren grob gesagt die Schwerpunkte im Seminar mit Herrn Sun Benlian, der wenige Tage zuvor über Holland aus Peking angereist war, um seine im letzten Jahr begonnene unterrichtende Tätigkeit fortzusetzen. Von den ca. 30 Teilnehmern des letzten Jahres hatten sich knapp zwei Drittel für den Fortgeschrittenenkurs angemeldet. Im Einsteigerkurs 2015 ging es vor allem darum, mit Hilfe des „Ziran Gong“, wie Herr Sun seine Methode nennt, zunächst den eigenen Körper zu stärken und zu regulieren. Das Ziran Gong kann als „Natur- Qigong“ beschrieben werden. Von der stehenden schulterbreiten Position ausgehend gilt es dabei im wesentlichen drei Komponenten zu beachten bzw. zur Entfaltung zu bringen: Entspannen (fangsong), in die Ruhe treten (rujing, die Gedanken wegschieben) und den Dingen ihren Lauf zu lassen (shin qiziran). Hat man den entspannten Zustand und einen ruhigen Geist erreicht, so stellen sich innere (Bewegungs)- Impulse ein wodurch man sich laut Herrn Sun „nach dem Qi bewegt“. Diese möglichen Bewegungen sind dann, da abhängig von der körperlichen Konstitution und den Gegebenheiten, individuell verschieden und prägen sich in der meist eine ganze Stunde lang andauernden Übephase individuell aus. In einem weiteren Schritt wandten sich die Übenden dann unter Anleitung gezielt der Wahrnehmung und dem Erspüren des Äußeren Qi, das Herr Sun in das Himmels-Qi, das Erde-Qi und das Wesens-Qi unterteilt. War die individuelle Entfaltung von inneren oder äußeren Bewegungen ohne eine vorgegebene Choreographie eine bemerkenswerte und oft neuartige Erfahrung für die Teilnehmenden, so brachte das Erspüren des Äußeren Qi eine „wertvolle Erfahrung“ wie sich ein Teilnehmer nach dem Seminar äußerte: „Eine beeindruckend stärkere Wahrnehmung des Qi, ein fehlender Baustein in meiner QigongPraxis und Qigong-Erfahrung“. Im Fortgeschrittenenseminar wurde auf diese bereits bekannten Inhalte aufgebaut. Das knapp einstündige Stehen und Lauschen auf innere Impulse bildete aber auch dieses Jahr die Grundlage für alles Weitere. Jeder Vormittag und jeder Nachmittag begann zuerst erst einmal damit. Herr Sun Benlian selbst arbeitet seit nunmehr über 10 Jahren als Qigong-Therapeut in der Xiyuan-Klinik in Peking und wird dort zu Rate gezogen, wenn die Verfahren der westlichen und der chinesischen Medizin entweder nicht angezeigt sind oder keine Wirkung in der Therapie entfalten konnten. Das von ihm formulierte Ziel seines Unterrichts knüpft an diese Tätigkeit an. Nachdem durch das Üben der eigene Körper reguliert ist, soll man lernen, anderen Menschen helfen das Qi zu regulieren. Für das Seminar bedeutete dies, das Erspüren des Qi noch weiter zu verfeinern. War die Wahrnehmung des äußeren Qi anfangs noch allgemein als „Kraftgefühl“ beschrieben worden, so sollte nun in Partnerübungen verschiedene Qualitäten des Qi spürbar gemacht werden. Herr Sun gab für diese Empfindungsqualitäten beispielhaft warm, glatt, heiß, kühl, klebrig, stechend oder herb an. Ist man in der Lage die eigene Qi-Wahrnehmung derart auszudifferenzieren, so sind dies laut Herrn Sun erste Schritte hin zu einer Diagnose von Krankheiten bei anderen Personen. Diese Kompetenz soll durch stetes Üben verfeinert werden. Ob man jedoch durch vieles Üben dazu kommt, jemals andere Menschen mit Hilfe des Qi zu behandeln war für die meisten Teilnehmenden nicht die entscheidende Frage. Es war vielmehr das intensive faszinierende Erleben dieser formlosen Art des Qigong und das nuancierte Erspüren von Qi, was das Seminar zu einem außergewöhnlichen Erlebnis machte. Sich ohne vorgegebenem Rahmen inneren Impulsen zuzuwenden war wie im Vorjahr wieder entdeckungsreich und eine spannende Unternehmung. Auch die Erfahrungstiefe, die Differenziertheit und die Intensität der Wahrnehmung von Qi wurde als eine Bereicherung im eigenen Qigong-Lernprozess empfunden. Tauchte der Winter die Landschaft zu Beginn in ein Meer von Schnee, deren schöner Anblick das Seminar begleitete, so zog er sich am Ende wieder zurück und gab Teiche, Bäche und Straßen wieder frei. Fast als wollten die innerlich neu gemachten Erfahrungen dann auch im Außen pünktlich zum Abfahrtstag ein verändertes Bild abgeben. Martin Amendt
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