Finanzplatz wappnet sich für Brexit - K

Finanzplatz wappnet sich für Brexit
Wie genau würde sich ein Brexit auf den Finanzsektor auswirken? Blick
auf den Businessplatz Canary Wharf in London.
(9. Juni 2015)
(Bild: Keystone Matt Dunham)
Überall
in
den
Wolkenkratzern
der
City
stellen
sich
Banken,
Versicherungen und Börsenplätze dieselbe Frage: Was ist, wenn die
Briten in einem Monat für den EU-Austritt stimmen? Die Vorbereitungen
für einen Plan B laufen dabei ebenso fieberhaft wie diskret.
Stärkere Schwankungen der Märkte, erschwerte Zugangsbedingungen zum
EU-Binnenmarkt, internationale Handelsbeziehungen ungewiss – die kurzund langfristigen Folgen eines Brexit wären vielfältig. Grossbanken
wie HSBC und Deutsche Bank haben schon mit der Geschäftsverlagerung in
andere Länder gedroht.
Geheime Notfallpläne
Die Bank of England wird in den Wochen rund um das mit Spannung
erwartete Referendum die Liquidität erhöhen, um eine Kreditklemme wie
während der Finanzkrise 2008–2009 zu verhindern.
Womit die Unternehmen im Einzelnen ihre «Werkzeugkästen» für den Fall
eines Austritts aus der EU ausstatten, darüber schweigen sie. «Wir
haben Notfallpläne, an denen wir sehr hart arbeiten», sagt John Nelson
vom Versicherungsmarkt Lloyd’s, ohne Details zu nennen.
Stresstests mit Risikoszenarien
Für die Wirtschaftsprofessorin Anastasia Nesvetailova von der City
University London ist klar: Grosse Finanzdienstleister werden vor
allem
versuchen,
ihre
Reserven
aufzustocken
–
also
Bargeld,
hochwertige Finanztitel und andere Wertpapiere, die von einem Brexit
nicht in Mitleidenschaft gezogen würden.
Ferner hätten die Finanzinstitutionen bewusst pessimistische Szenarien
erstellt, um die möglichen Risiken abzuschätzen, sagt die Ökonomin. In
ihren
Stresstests
müssten
sie
auch
Liquiditätskrisen» überstehen können.
«massive
und
verlängerte
Abbau von 100’000 Arbeitsplätzen droht
Und nicht zuletzt wird der Personalbedarf auf den Prüfstand gestellt,
sollten Aktivitäten aus London verlagert werden. Im Fall eines Brexit
könnten rund 100’000 Arbeitsplätze in der City verloren gehen, wie die
Lobbyfirma The City UK errechnet hat. Das wäre fast jeder siebte Job.
Die grösste britische und europäische Bank, HSBC, hat gewarnt, dass
sie allein rund 1000 Arbeitsplätze nach Paris verlagern würde. Auch
die Deutsche Bank, die rund 9000 Arbeitnehmer in Grossbritannien
beschäftigt, prüft nach eigenen Angaben mögliche Verlagerungen. Es
gebe die «konkrete» Gefahr, dass Mitarbeiter aus dem Finanzsektor nach
Dublin, Frankfurt oder Paris versetzt würden, sagt auch Nesvetailova.
Die Grossen beziehen Stellung
Laut einer Studie der HSBC könnte ein Brexit das britische Pfund um
bis zu 20 Prozent fallen lassen, während die Inflation auf 5 Prozent
stiege. Auch die Zinssätze würden demnach in die Höhe schiessen, neben
einem Anstieg der Lohnkosten. Die Wachstumsrate würde laut HSBC
dagegen um bis zu 1,5 Prozent sinken.
Dennoch halten sich die meisten Unternehmen im Finanzsektor bedeckt
mit einer Empfehlung zum Referendum am 23. Juni. Institute wie die
Royal Bank of Scotland beziehen nicht offiziell Position, sprechen
aber von gewissen «Risiken», die eine Scheidung von Brüssel mit sich
brächte. Die Bank of England, der Internationale Währungsfonds (IWF),
der britische Industrieverband und The City UK sprechen sich offen für
einen Verbleib in der Europäischen Union aus.
Quelle: tagesanzeiger.ch