Auf ein Neues: Potsdam streitet über die historische Mitte – Dritte Seite Heu mit T te Alle F icket: il diese mstar ts r Woc he Von Boris zu Brexit: In Großbritannien steht gerade vieles zur Wahl – Seite 2 BERLIN, MITTWOCH, 4. MAI 2016 / 72. JAHRGANG / NR. 22 748 Drei Wünsche frei: Komische Oper sucht Musikchef – Seite 21 WWW.TAGESSPIEGEL.DE Elementare Frage: Haben Physiker ein neues Teilchen entdeckt? – Seite 24 BERLIN / BRANDENBURG 1,50 €, AUSWÄRTS 2,00 €, AUSLAND 2,20 € Oppositionsrechte Scheitern verpflichtet Bayern scheitert furios Von Jost Müller-Neuhof S Der FC Bayern zieht nicht ins Finale der Champions League ein. Ein 2:1-Sieg gegen Atlético Madrid reichte nicht aus. Die Bayern waren während des ganzen Spiels überlegen, am Ende hatten die Spanier Glück. – Seite 20 Verfassungsgericht weist Klage der Linken ab Berlin - Das Grundgesetz gibt Oppositionsfraktionen gegenüber anderen Abgeordneten keine Sonderrechte. Dies hat das Bundesverfassungsgericht am Dienstag auf eine Klage der Linksfraktion entschieden. Die Linke hatte sich unter anderem im Nachteil gesehen, weil sie auch mit den Grünen nicht das notwendige Quorum von 25 Prozent zusammenbekommt, um dem Bundesverfassungsgericht Gesetze zur Prüfung vorzulegen. Zwar enthalte das Grundgesetz einen „allgemeinen verfassungsrechtlichen C HINWEIS D Liebe Leserinnen und Leser, wegen des Feiertags Christi Himmelfahrt erscheint die nächste Ausgabe des Tagesspiegels am Freitag, dem 6. Mai. Grundsatz effektiver Opposition“, sagte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle. Daraus ließen sich jedoch für Fraktionen keine Rechte ableiten. Parlamentarische Minderheitenrechte stünden allen Abgeordneten zur Verfügung, „ohne Ansehung ihrer Zusammensetzung“. Sonderrechte für Fraktionen verstießen gegen die Gleichheit der Abgeordneten. Der langjährige Fraktionschef der Linken im Bundestag, Gregor Gysi, sieht seine Fraktion trotzdem gestärkt, weil nach seiner Ansicht das Gericht einen Weg geebnet habe, künftig gegen Gesetze zu klagen. Die Grünen sehen sich dagegen in ihrer Skepsis bestätigt. Die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, Christine Lambrecht, betonte, die Oppositionsrechte zu Beginn der Legislaturperiode ausreichend gestärkt zu haben. Damals hatten die Parlamentarier mit den Stimmen der Koalition eine Vorschrift in die Geschäftsordnung eingefügt, wonach Minderheitenrechte bereits ab einer Stärke von 120 Abgeordneten geltend gemacht werden können. neu ANZEIGE Berlin macht krank – vor allem Frauen DAK stellt bei Fehltagen in der Hauptstadt besonders große Unterschiede zwischen den Geschlechtern fest Von Hannes Heine Berlin - In Berlin fallen Frauen öfter im Job aus als Männer. Der Krankenstand der Berlinerinnen ist zumindest bei DAK-Versicherten um 39 Prozent höher als der der Berliner. In keinem anderen Bundesland ist der Unterschied so groß, im Bundesschnitt beträgt er 14 Prozent. Dies teilte die DAK am Dienstag mit. Der Krankenkasse zufolge ist die Lücke zwischen den Geschlechtern dort größer, wo Frauen berufstätig sind – in Metropolen eher als auf dem Land. Für die Hauptstadt heißt das konkret: Von 1000 erwerbstätigen Frauen fehlten 2015 jeden Tag im Schnitt 52 in ihrem Büro oder Betrieb, bei Männern waren es nur 38. Frauen waren 2015 insgesamt mehr als 19 Tage, Männer weniger als 14 Tage krankgeschrieben. Für die Studie hatte das renommierte IGES-Institut die Daten von 108 000 Berliner DAK-Versicherten ausgewertet. Außerdem wurden bundesweit Beschäftigte befragt. Die größere Techniker Krankenkasse bestätigte die Erkenntnis auf Nachfrage weitgehend. Auch Barmer und AOK sprachen von einem ähnlichen Trend. „Der viel zitierte kleine Unterschied zwischen Mann und Frau ist größer als gedacht“, sagte Cornelia Raymund von der DAK. „Zudem gibt es unterschiedliche Krankheitsprofile.“ Berliner Männer haben demnach 24 Prozent mehr Fehltage wegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen, was mit ihrer Ernährung, Alkohol und Rauchen zusammenhängen könnte. Frauen fehlten zu 90 Prozent öfter wegen seelischer Leiden, was womöglich mit mehr Einsicht in eigene psychische Probleme, aber auch mit stressigeren Jobs und stär- Unterschiedliche Krankheiten So viel häufiger fehlen Frauen gegenüber Männern wegen folgender Krankheiten: Psychische Erkrankungen +90% +90% Neubildungen (Tumore) +51% Nervensystem, Augen Atmungssystem Muskel-Skelett-System Infektionen Verdauungssystem +51% +20% +17% +6% So viel häufiger fehlen Männer: Verletzungen +14% Hauterkrankungen +23% Herz-Kreislauf +24% Das bedeutet, Frauen in Berlin fehlen fast doppelt so oft wegen Seelenleiden als Männer (das entspräche +100 Prozent). Quelle: DAK-Gesundheit 2015, Angaben für Berlin Tsp/Bartel kerer Belastung durch Kinder zu erklären ist. Besonders oft sind Beschäftigte aus Verkehrsbetrieben sowie Kliniken und Heimen krank – in Letzteren arbeiten überwiegend Frauen. In der Medienbranche und dem Verbandswesen sind Arbeitnehmer gesünder als im Schnitt. In Berlin gebe es mehr Alleinerziehende, sagte die Charlottenburger Internistin Natascha Hess, die zudem oft arbeiten müssten. Hinsichtlich der Doppelbelastung vieler Mütter äußerte sich Dienstag auch Arbeitssenatorin Dilek Kolat (SPD): „Berlin ist die Hauptstadt der Alleinerziehenden. Sie machen 30 Prozent der Familien aus und sind zu 90 Prozent Frauen.“ Generell gilt für Berlin: Anders als in den anderen Ländern nahmen Krankmeldungen 2015 nicht zu, der Krankenstand lag mit 4,4 Prozent laut DAK aber über dem Bundesschnitt von 4,1 Prozent. C Böhmermann Nahles sieht TTIP Paar aus Höxter fühlt sich von skeptisch: soll Opfer Merkel „filetiert“ „Keine geile Sache“ verbrannt haben Hamburg - Jan Böhmermann (35) kritisiert Bundeskanzlerin Angela Merkel für ihr Verhalten nach der Veröffentlichung seines Schmähgedichts. „Die Bundeskanzlerin darf nicht wackeln, wenn es um die Meinungsfreiheit geht“, sagte der Satiriker der Wochenzeitung „Die Zeit“. „Doch stattdessen hat sie mich filetiert, einem nervenkranken Despoten zum Tee serviert und einen deutschen Ai Weiwei aus mir gemacht“, sagte der ZDF-Moderator und Grimme-Preisträger. Böhmermann las Ende März in seiner satirischen TV-Show „Neo Magazin Royale“ (ZDFneo) ein Schmähgedicht über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan vor. Erdogan stellte Strafantrag wegen Beleidigung. Bundeskanzlerin Merkel (CDU) hatte Böhmermanns Gedicht früh als „bewusst verletzend“ bewertet. Später sagte sie dazu: „Das war im Rückblick betrachtet ein Fehler.“ dpa Berlin - Nach der Veröffentlichung geheimer TTIP-Dokumente hat sich Sozialministerin Andrea Nahles skeptisch zu dem Freihandelsabkommen geäußert. TTIP sei „für Arbeitnehmer keine geile Sache“, sagte die SPD-Politikerin bei der Digitalkonferenz re:publica in Berlin. Sie könne dafür „keine Unbedenklichkeitserklärung abgeben“ und wisse nicht, wie es in den Verhandlungen mit den USA Fortschritte geben könne. Zuvor hatte Juso-Chefin Johanna Uekermann gefordert, die Gesprächeabzubrechen.Frankreich lehnt dasAbkommen „in diesem Stadium“ ebenfalls ab. Sein Land werde niemals akzeptieren, dass zentrale Prinzipien „für unsere Landwirtschaft, unsere Kultur, für wechselseitigen Zugang zu öffentlichen Aufträgen“ infrage gestellt würden, sagte Präsident François Hollande in Paris. fiem/raw/dpa Berlin - Das Paar aus dem nordrhein-westfälischen Höxter, das für den Tod einer wochenlang misshandelten Frau verantwortlich sein soll, hat noch mindestens eine weitere Frau zu Tode gequält. Wie die Polizei am Dienstag berichtete, sei eine 33-Jährige aus Niedersachsen am 1. August 2014 an den Verletzungen, die ihr im Haus des Paares zugefügt wurden, gestorben. Die Spurensicherung im Haus der Beschuldigten ist noch nicht abgeschlossen. Die Polizei geht nach den Aussagen der Beschuldigten davon aus, dass es noch weitere Opfer gebe, die das Martyrium aber überlebt hätten. Am Nachmittag wurde eine Frau aus dem Großraum Berlin vernommen, die von dem Paar misshandelt, aber frei gelassen wurde. Sie hatte sich nach den Medienberichten bei der Polizei gemeldet. Tsp — Seite 4 — Seite 28 INDEX D WIRTSCHAFT & BÖRSEN . . . . . . . . . 15–17 Maue Geschäftszahlen Dax belasten den Dax. Der Leitindex verliert 1,9 Prozent auf 9926 Punkte. WETTER ............................................ 2 Am Mittwoch überwiegen in Berlin die Wolken. Es kann auch kurz regnen. 14 /5 Nachmittags kommt die Sonne durch. Es ist vorübergehend etwas kühler. Der Feiertag wird milder und sonnig. SPORT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 + 20 TAGESTIPPS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 + 13 MEDIEN/TV-PROGRAMM . . . . . . . . . . 26 + 27 IMPRESSUM & ADRESSEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 [email protected] TEL. REDAKTION . . . . . . . . . . . . . (030) 29021 - 0 TEL. ABO-SERVICE . . . . . . . (030) 29021 - 500 TEL. SHOP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (030) 29021 - 520 TEL. TICKETS . . . . . . . . . . . . . (030) 29021 - 521 ISSN 1865-2263 30018 4 190662 202006 Foto: Eddie Keogh/Reuters Keine Sonderrechte für Opposition cheitern gehört zum Geschäft. Niemand weiß das besser als die Opposition im Bundestag. Ihre Routine erschöpft sich in Kritik, für die sie parlamentarische Ausdrucksformen sucht: den Gesetzentwurf, der von der Mehrheit abgelehnt wird; die Anfrage, der die Regierung ausweicht; die Rede, zu der die wenigsten applaudieren. Ihre jüngste Niederlage wird die darin geübte Linksfraktion deshalb gefasst zu nehmen wissen. Das Bundesverfassungsgericht hat ihre Klage auf mehr parlamentarische Rechte abgewiesen. Aber es ist ein Scheitern, wie es in der Politik angemessen und letztlich auch gefordert ist. Opposition bedeutet, sich die Minderheit von heute als Mehrheit von morgen vorstellen zu können. Darin liegt ihr Wert. Scheitern ist nach dieser Prämisse nicht das Ende, sondern es markiert einen Anfang. Insofern lohnt der Blick auf das, was der Linken in Karlsruhe widerfuhr – und was sie dort erreicht hat. Die Richter haben, erstens, die Opposition gestärkt. Denn die Widerworte der bei Wahlen Unterlegenen verdichten sich beim Einzug ins Parlament zu einem echten Anspruch. Scheitern ja, aber bitte effektiv: Demokratische Kontrolle darf nicht auf das Wohlwollen der Mehrheit angewiesen sein, urteilen die Richter und stellen in dieses System auch die Klagemöglichkeiten in Karlsruhe, deren Erweiterung die Linken begehrt hatten. Eine sogenannte Normenkontrolle, das Recht also, verabschiedete Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit prüfen zu lassen, dürfen sie zwar angesichts fehlender Mindeststimmenzahl nicht verlangen. Doch räumten die Richter ein paar Hürden für einen anderen Rechtsweg beiseite, die Organklage, mit der die Linksfraktion etwa gegen den Syrien-Einsatz der Bundeswehr vorgehen will und mit der sie jetzt auch in Karlsruhe vorstellig geworden war. Eine Organklage kann theoretisch ein Abgeordneter allein erheben. Die Anrufung des Verfassungsgerichts ist das wirkmächtigste Instrument politischen Widerspruchs, dessen rhetorischen Widerhall – siehe Horst Seehofer und die Grenzkontrollen – Oppositionelle unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit zu nutzen verstehen. Künftig dürfte es noch bedeutsamer werden. Die Richter haben aber auch, zweitens, eine Mahnung ausgesprochen. Sie haben daran erinnert, dass Opposition weit mehr ist als die Eigenschaft von Fraktionen, keine Regierung zu tragen. Opposition schlummert, verfassungsrechtlich betrachtet, in jedem einzelnen Volksvertreter. Sonderrechte, wie die Linken sie wollten, verbieten sich daher; jeder Parlamentarier muss sich ihrer Mittel gleichermaßen bedienen können. Eine lehrreiche Einsicht, die bemüht ist, den demokratischen Prozess während des politische Empfindlichkeit oft betäubenden Legislaturbetriebs für Einflüsse von außen offenzuhalten. Auch Großkoalitionäre dürften also häufiger mal etwas anderes meinen als ihre Fraktionschefs. Umgekehrt mag die Minderheit zur Kenntnis nehmen, dass bloßes Dagegensein keine Kategorie des Grundgesetzes ist. Im demokratischen Wettbewerb zählt die Bereitschaft und die Fähigkeit, Verantwortung zu übernehmen. Hier muss sich eine Opposition erweisen. So gesehen, ist das Urteil eine Aufforderung an aktuelle und künftige Alternativen für Deutschland und deren Wähler, ihre Entwürfe gründlich zu prüfen. Taugen sie nichts, ist nicht Opposition Mist, sondern Mist Opposition.
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