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Nummer 15/2016, 29. April 2016
Sehr geehrte User unserer Website,
liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das Ergebnis des ersten Durchgangs der Bundespräsidentenwahl am vergangenen Sonntag ist in den Medien ausführlich
diskutiert worden. Ich werde mich hier nicht in die lange
Reihe derer einordnen, die das Abschneiden des FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer kommentieren, denn ein anderer
Aspekt scheint mir bislang nicht beachtet worden zu sein.
Von den sechs KandidatInnen verfügen vier über langjährige
politische Erfahrung. Richard Lugners Kenntnis des politischen Parketts beschränkt sich auf Wahlkampf. Irmgard Griss kannte nicht einmal diesen Aspekt
politischer Arbeit und kam „aus dem Stand“ auf fast 19 Prozent der gültigen
Stimmen. Damit liegt sie nur knapp hinter Alexander Van der Bellen mit rund
21 Prozent. Fast hätte sie sich mit Norbert Hofer in der Stichwahl „duelliert“.
Stellen Sie sich, geschätzte LeserInnen, einmal vor, ich würde mich um das Amt
des Gouverneurs der Nationalbank bewerben und als wichtigste Referenz anführen, keinerlei Berufserfahrung im Bankwesen zu haben. Man könne mir daher
keinesfalls irgendeine Mitschuld an der Bankenkrise anlasten. Damit nicht genug. Ich käme im Auswahlverfahren auch noch ganz knapp hinter dem Zweitgereihten auf Platz 3, klar vor zwei weiteren Bankenprofis. Skurril?
Wenden wir uns wieder den Präsidentenwahlen zu. Irmgard Griss bewarb sich
um das höchste politische Amt des Staates, ohne in diesem Beruf auch nur die
geringste Erfahrung zu haben – und erringt ein sehr beachtliches Wahlergebnis.
Das müsste eigentlich bei allen, denen eine parlamentarische Demokratie ein
Anliegen ist, die Alarmglocken läuten lassen. Politik hat offenbar ein derart
schlechtes Image, dass ein Erfolgsfaktor bei politischen Wahlen die maximale
Distanz zur Politik ist. Das macht mich als überzeugten Demokraten betroffen.
„Die Gesetze tragen mehr zur Erhaltung der demokratischen Republik in den
Vereinigten Staaten bei als die geographischen Umstände und die Sitten
[„mœurs“] noch mehr als die Gesetze“, schrieb Alexis de Tocqueville 1835.1 Die
„mœurs“, die Sitten und Gewohnheiten, beschreiben bei Tocqueville Denk-,
Verhaltens-, Diskussions- und Interpretationsweisen einer Gesellschaft, ihre
Werte und Symbole und das daraus folgende menschliche und staatsbürgerliche
Handeln.
Ohne entsprechende „mœurs“ kann eine Demokratie nicht bestehen. Ohne ein
Mindestmaß an Vertrauen in politisch Handelnde und das politische System ist
unsere Demokratie nicht lebensfähig.
„Keiner sieht ein Übel und wählt es, sondern man lässt sich täuschen, weil man
es im Vergleich mit einem anderen noch größeren Übel
für ein Gut hält, und wird eingefangen“, wusste bereits der
342 v. Chr. auf Samos geborene Epikur. Ich mache mir ernsthaft Sorgen über den Fortbestand einer parlamentarischen
Demokratie, in der politische Ahnungslosigkeit als das
geringere Übel angesehen wird. Ein Armutszeugnis für alle
politisch Tätigen, das sie dringend zum Nachdenken veranlassen sollte.
Mit herzlichen Grüßen
Mag. Dr. Eckehard Quin
stv. Vorsitzender der ÖPU
www.quintessenzen.at
1
„Que les lois servent plus au maintien de la république démocratique aux États-Unis que
les causes physiques, et les moeurs plus que les lois“. So lautet die Überschrift des achten
Unterkapitels von Kapitel IX in Alexis de Tocqueville, De la démocratie en Amérique I
(deuxième partie) (1835).
Die Woche im Medienspiegel der