IG Metall geht in die Offensive

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Deficit Spender
Vor 70 Jahren starb John Maynard
Keynes. Der Brite gilt als Theoretiker
des kapitalistischen volkswirtschaftlichen Krisenmanagements im
20. Jahrhundert. Der Keynesianismus verschleiert Widersprüche und
ist für Linke ein schlechter Ratgeber.
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Atomkraftgegner kritisieren AKWRückbau und Endlagerung auf
Kosten der Steuerzahler
US-Polizisten feuern erneut auf afroamerikanisches Kind. Behörde
gibt dessen Mutter die Schuld
Gewalt gehört in Mexiko zum Alltag.
Angehörige von getöteten BergarbeiBesonders Frauen sind bedroht –
tern fordern von BASF EntschäRegierung aber tut nichts
digung. Der Konzern lehnt ab
Rechtspopulistin im Amt
Türkei: Haftstrafen
wegen Karikatur
Istanbul. In der Türkei sind am
Donnerstag zwei Journalisten
wegen der Veröffentlichung einer
Karikatur aus der französischen
Satirezeitschrift Charlie Hebdo zu
Haftstrafen verurteilt worden. Hikmet Cetinkaya und Ceyda Karan
sollen für jeweils zwei Jahre ins
Gefängnis. Ihr Anwalt kündigte an,
das Urteil des Istanbuler Gerichts
anzufechten. Die Journalisten hatten ihre Kolumnen in der Zeitung
Cumhuriyet nach dem Anschlag
auf die Redaktion von Charlie
Hebdo im vergangenen Jahr mit der
Zeichnung des weinenden Propheten illustriert. Daraufhin eröffnete
die türkische Staatsanwaltschaft
ein Verfahren wegen des Verdachts
auf Volksverhetzung und Beleidigung religiöser Werte.
(AFP/jW)
Bundesarbeitsministerin will Migranten aus der EU fünf Jahre lang Sozialleistungen
­verwehren. Von Simon Zeise
W
Mit einem Lächeln auf den Lippen will Ressortchefin Andrea Nahles (SPD) Tausende Migranten in die Illegalität zwingen
Auch der Europäische Gerichtshof
hatte sich gegen die Rechtsprechung
der Kasseler Sozialrichter gewandt.
Ende Februar hatte Luxemburg festgestellt, dass jobsuchende EU-Ausländer in Deutschland keinen Anspruch auf Leistungen aus der Grundsicherung geltend machen können
(siehe jW vom 26. Februar). Die Opposition und Sozialverbände kritisierten den Gesetzentwurf am Donnerstag. Die Linksfraktion im Bundestag
warf Nahles vor, sie unterstütze rechte
Parolen. Alexander Ulrich, Bundestagsabgeordneter der Partei Die Linke, nannte die
Pläne »Populismus auf Kosten der
Schwächsten«. Sein Genosse Jan Korte argumentierte: »Wer immer noch
glaubt, mit Rechtspopulismus die
eigene Partei zu stärken, sollte sich
die Ergebnisse der vergangenen Landtagswahlen und die Regierungskoalition in Österreich anschauen.« Nicht so
recht festlegen wollten sich die Grünen. Der sozialpolitische Sprecher der
Partei, Wolfgang Strengmann-Kuhn,
gab gegenüber AFP zu bedenken, der
Gesetzesentwurf verstoße »sehr wahrscheinlich gegen das Grundrecht auf
Existenzsicherung«.
Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, sagte am Donnerstag gegen-
über jW: »Nach allen Erfahrungen,
die es gibt, werden die Menschen so
in die Illegalität getrieben und damit zur leichten Beute für modernen
Menschenhandel und Ausbeutung.«
Das reiche von Schwarzarbeit unter
entwürdigenden Bedingungen bis hin
zur Prostitution, so Schneider.
Die Arbeitsministerin machte deutlich, dass die Gesetzesregelung nicht
viele Menschen treffe. »Es gibt keinen
Massenansturm«, stellte Nahles klar.
Nach Angaben der Bundesagentur für
Arbeit bezogen im Januar 2016 hierzulande knapp 440.000 Menschen
aus anderen EU-Staaten Leistungen
nach dem Sozialgesetzbuch II.
IG Metall geht in die Offensive
Bundesweite Warnstreiks nach »provokativem« Angebot der Industrie
I
m Tarifstreit in der Metall- und
Elektroindustrie lässt die Industriegewerkschaft (IG) Metall
jetzt die Muskeln spielen. Mit Ende
der Friedenspflicht um 00.00 Uhr in
der Nacht zum heutigen Freitag sollten bundesweit Warnstreiks beginnen,
wie verschiedene IG-Metall-Bezirke
am Donnerstag ankündigten.
Ein neues Angebot der Unternehmerseite, das in der dritten Verhandlungsrunde vorgelegt wurde, hatte die
Gewerkschaft als »Provokation« zurückgewiesen. »Die Arbeitgeber verharren nach wie vor im Angebotskel-
ler«, erklärte dazu NRW-Bezirksleiter
Knut Giesler.
Demnach sollen 2,1 Prozent mehr
Lohn in zwei Stufen bei einer Laufzeit
von zwei Jahren gezahlt werden. Die
IG Metall hingegen fordert für die
bundesweit 3,8 Millionen Beschäftigten der Elektro- und Metallindustrie
fünf Prozent mehr Lohn.
Angesichts dieser Forderung reagierte die Arbeitgeberseite mit den
üblichen Reflexen und drohte, wenn
auch noch indirekt, Entlassungen an.
Der Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, Rainer Dulger,
warnte in der Welt vom Donnerstag:
»Wer in einer konjunkturell schwierigen Phase überzogene Abschlüsse mit
Gewalt durchsetzen will, verschärft
die Verlagerungstendenzen.«
In der vergangenen Tarifrunde habe
die Industrie »Warnstreik-Exzesse«
erlebt, beschwerte sich Dulger in dem
Interview. »Wenn das neue Streikkonzept zu noch mehr Streiks führen würde, wäre das eine Katastrophe.« Nach
diesem Konzept kann die Gewerkschaft einzelne Betriebe für 24 Stunden lahmlegen, ohne vorher in einer
Urabstimmung die Mitglieder befragt
zu haben. Für unbefristete Streiks, die
es in der Branche zuletzt vor vier Jahren gab, ist eine solche Abstimmung
allerdings nötig.
Nach Informationen aus Gewerkschaftskreisen sollen in NordrheinWestfalen 60 Betriebe vorübergehend
bestreikt werden. Auch in Bayern wurde zu massiven Warnstreiks aufgerufen. Im dritten großen Tarifbezirk, in
Baden-Württemberg, wollten die Tarifparteien am Donnerstag nachmittag, nach jW-Redaktionsschluss, zu
Verhandlungen zusammenkommen.
(jW)
BORIS ROESSLER DPA/LHE/DPA-BILDFUNK
Mehr Tote durch
illegale Drogen
OLIVER BERG/DPA- BILDFUNK
er braucht da noch die
AfD? Die Bundesregierung
spricht EU-Ausländern das
Recht auf das Existenzminimum ab.
Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) stellte am Donnerstag in
Berlin ihren Gesetzentwurf vor, wonach Migranten aus EU-Staaten erst
nach fünf Jahren Anspruch auf Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe erhalten
sollen. Wer danach keinen Job findet,
fliegt: Vier Wochen lang dürfen EUBürger dann noch im Land bleiben und
ihr Leben mit Hartz-IV-Leistungen fristen. Im Anschluss sollen sie ein Darlehen erhalten, das ihnen die Reise in
ihre Heimat finanzieren soll, um dort
Sozialhilfe zu beantragen. Dies sei nötig, um »die Akzeptanz für ein freizügiges Europa aufrechtzuerhalten«,
sagte die Ministerin am Donnerstag
gegenüber Reuters.
Im Dezember 2015 hatte das Bundessozialgericht entschieden, dass
Zuwanderer aus der EU bereits nach
einem halben Jahr Anspruch auf Sozialhilfe haben. Das Urteil wurde von
verschiedenen Landessozialgerichten
angefochten (siehe jW vom 25. Februar). Nahles kippt das Bundesurteil
nun in Gänze. Ihr gehe es darum, »ein
Schlupfloch, das potentiell da wäre,
rechtzeitig zu schließen«. Sie begründete ihren Vorstoß mit dem Schutz der
Kommunen, die bisher die Sozialleistungen zahlen. Durch das Urteil des
Bundessozialgerichts sei »Unklarheit
reingekommen« in die geltende Praxis, so Nahles weiter. Diese wolle sie
beseitigen. Angesichts der großen Unterschiede beim Sozialhilfeniveau in
den EU-Staaten könne es kein Recht
geben, »den Ort der Auszahlung der
Sozialhilfe frei aussuchen zu können«, so Nahles.
Leipzig. Erneut gibt es mehr Tote
durch illegale Drogen und einen
Anstieg der Zahl von Erstkonsumenten harter Drogen in Deutschland. Im vergangenen Jahr sind
1.226 Menschen an den Folgen
des Rauschgiftkonsums gestorben,
wie die Bundesdrogenbeauftragte
Marlene Mortler (CSU) und der
Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), Holger Münch, am
Donnerstag in Berlin mitteilten.
Das waren fast 19 Prozent mehr
als noch im Jahr zuvor. Im Jahr
2014 wurden 1.032 Drogentote
registriert, 2013 waren es 1.002 und
2012 nur 944.
Haupttodesursache war im
vergangenen Jahr erneut eine
Überdosis Heroin, meist in Verbindung mit anderen Substanzen.
Aber auch die Gefahren durch neue
synthetische Rauschmittel wachsen – die Zahl der Todesfälle durch
sogenannte Legal Highs stieg 2015
demnach von 25 auf 39.
(AFP/jW)
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