Clausnitz nach dem Skandal: Vom Leben in einem gespaltenen Dorf – Seite 3 Grusical: Die Komische Oper Heute mit Agenda: Was gräbt einen vergessenen wird aus der Immunität „Vampyr“ aus – Seite 19 von Abgeordneten? – Seite 5 BERLIN, DIENSTAG, 22. MÄRZ 2016 / 72. JAHRGANG / NR. 22 707 Berlin - Die drei Angeklagten im Mordprozess um die Schüsse auf einen Türsteher am „Soda“-Club sind freigesprochen worden. Das Berliner Landgericht hat am Montag aber zwei der drei Rocker aus dem Umfeld der Hells Angels wegen anderer Taten zu Haftstrafen von drei Jahren sowie zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Die Richter folgten mit dem Freispruch dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Hintergrund war die Bewertung von Aussagen eines Kronzeugen, der einst selbst den Hells Angels angehörte. Der Mann hatte die Angeklagten belastet – darüber hinaus aber waren keine Sachbeweise zu dem Mordfall gefunden worden. Das 39 Jahre alte Opfer wurde im September 2013 vor dem „Soda“-Club in Prenzlauer Berg erschossen. Der Mann gehörte keiner Rockerbruderschaft an und war auch nicht im Milieu aktiv. hah BERLIN / BRANDENBURG 1,50 €, AUSWÄRTS 2,00 €, AUSLAND 2,20 € Haushalt Die Null muss stehen Hola Obama Von Lutz Haverkamp W Erstmals seit 88 Jahren reichten sich die Präsidenten der USA und Kubas die Hand. Barack Obama traf Raul Castro am Montag im Revolutionspalast – Seite 4 Foto: Jonathan Ernst/Reuters Rockerprozess endet mit Freispruch WWW.TAGESSPIEGEL.DE Traum vom Eigenheim: Verlässt Hertha das Olympiastadion? – Seite 18 — Seite 7 Berlin - Knapp ein Jahr nach der Eröffnung des neuen Bundesinnenministeriums soll ein weiterer 6000 Quadratmeter großer Neubau für das Haus von Minister Thomas de Maizière entstehen. Und auch das Bundesministerium für Gesundheit soll einen neuen Dienstsitz in Berlin erhalten: Der frühere Sitz der Deutschen Bank an der Mauerstraße wird dazu saniert. Das benachbarte „Haus 2“ vom Bank-Ensemble wird für eine „anderweitige ministerielle Nutzung“ umgebaut. Für die Maßnahmen sind insgesamt rund 230 Millionen Euro im Wirtschaftsplan des Bundes eingestellt. Auch das Auswärtige Amt und das Arbeitsministerium bauen neu in Berlin. ball — Seite 7 Renten steigen bis zu sechs Prozent Altersbezüge legen so stark zu wie seit 23 Jahren nicht / Dennoch Kritik von Sozialverbänden Von Cordula Eubel Berlin - Die rund 21 Millionen Rentner in Deutschland können sich in diesem Jahr auf eine deutliche Rentenanhebung freuen. Die gesetzlichen Altersbezüge steigen so stark wie seit 23 Jahren nicht mehr, teilte Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) am Montag mit. Rentner in Westdeutschland erhalten zum 1. Juli ein Plus von 4,25 Prozent, im Osten liegt dieses bei 5,95 Prozent. Nahles begründete den Anstieg mit der „guten Lage auf dem Arbeitsmarkt, dem Wachstum der Wirtschaft und steigenden Löhnen“. Die jährliche Rentenanpassung richtet sich vor allem nach der Lohnentwicklung. Diese lag laut Statistischem Bundesamt im Westen bei 3,78 Prozent und im Osten bei 5,48 Prozent. Ein Teil des Rentenanstiegs ist auf einen statistischen Ein- maleffekt zurückzuführen. Durch Veränderungen bei der Berechnungsgrundlage war das Rentenplus im Sommer 2015 um etwa einen Prozentpunkt geringer ausgefallen. Dies wird nun in diesem Jahr ausgeglichen. Im vergangenen Jahr waren die Renten im Westen um 2,1 Prozent und im Osten um 2,5 Prozent gestiegen. Arbeitsministerin Nahles wertete das Plus als Beleg, dass die umlagefinanzierte Rente sich bewähre. Das sei „eine gute Nachricht, gerade in Zeiten niedriger Zinsen“, sagte die SPD-Politikerin. Sie betonte, die Erhöhung habe keine Auswirkung auf den Beitragssatz für Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Dieser bleibe in den kommenden Jahren stabil bei 18,7 Prozent des Bruttolohns. Durch die Rentenanpassung verringert sich auch der Unterschied zwischen Ostund Westrenten weiter. Erkennbar ist C Studie der Bundesbank: Nur die Reichen werden reicher Berlin - Die Deutschen werden reicher – sofern sie Immobilien oder Wertpapiere besitzen. Alles in allem jedoch driften die Lebensverhältnisse auseinander. „Die Nettovermögen in Deutschland sind weiterhin ungleich verteilt“, hieß es am Montag bei der Vorstellung einer Bundesbank-Studie über die Finanzen der privaten Haushalte. Danach besitzen die reichsten zehn Prozent der Haushalte rund 60 Prozent des gesamten Nettovermögens. Das ist deutlich mehr als im Durchschnitt der 19 Euro-Länder. Hochgerechnet auf 40 Millionen Haushalte ergibt sich hierzulande ein durchschnittliches Bruttovermögen von 240200 Euro. In der ersten Erhebung dieser Art waren es 2010 noch 222 200 Euro. Vor allem die Eigentümer von Immobilien und Wertpapieren erfreuten sich in den vergangenen Jahren eines Vermögenszuwachses. So konnten die Haushalte, die in ihren eigenen vier Wänden wohnen, ihr Nettovermögen von 2010 bis 2014 um mehr als 33 500 Euro erhöhen, dagegen stieg das Vermögen von Mietern im gleichen Zeitraum nur um knapp 1000 Euro. Ebenfalls am Montag veröffentlichte die Friedrich-Ebert-Stiftung der SPD einen „Disparitätenbericht“. Danach steigt die Wohlstandslücke vor allem zwischen West und Ost. Von einer „zunehmenden Unwucht zwischen den Landesteilen“ ist die Rede und von sich selbst verstärkenden Entwicklungen. So würden gut ausgebildete, junge Leute die „Verliererregionen“ verlassen und in die prosperierenden Gegenden im Süden und Südwesten der Republik ziehen, da es dort die besseren Jobs und die höheren Einkommen gebe. Zu den Verliererregionen gehörten dabei nicht nur Gebiete in den östlichen Bundesländern, sondern auch ländliche Regionen in Westdeutschland, schreibt die Ebert-Stiftung. alf/ro — Seite 13 INDEX WIRTSCHAFT & BÖRSEN . . . . . . . . . 13–15 Der Dax Dax tritt auf der Stelle. Am Montag schloss er unverändert bei 9948 Punkten. WETTER ............................................ 2 Es ist überwiegend bewölkt. Gelegentlich regnet es. Nur selten zeigt sich 7 /2 am Dienstag die Sonne. In den nächsten Tagen wird es etwas wärmer. SPORT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17+18 TAGESTIPPS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 MEDIEN/TV-PROGRAMM . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 IMPRESSUM & ADRESSEN . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 [email protected] TEL. REDAKTION . . . . . . . . . . . . . (030) 29021 - 0 TEL. ABO-SERVICE . . . . . . . (030) 29021 - 500 TEL. SHOP . . . . . . . . . . . . . . . . . . (030) 29021 - 520 TEL. TICKETS . . . . . . . . . . . . . . (030) 29021 - 521 ISSN 1865-2263 20012 4 190662 202006 dies an den Rentenwerten. Laut Arbeitsministerium beträgt der Rentenwert Ost jetzt 94,1 Prozent des Westwerts, bisher waren es 92,6 Prozent. Von einer vollständigen Angleichung, wie die große Koalition sie für 2020 versprochen hat, ist man damit allerdings noch deutlich entfernt. Bis zum 1. Juli soll Arbeitsministerin Nahles einen Bericht vorlegen. Danach will die Bundesregierung entscheiden, ob der Gesetzgeber eine schnellere Ost-West-Angleichung vorantreiben soll. Sozialverbände kritisierten das längerfristig sinkende Rentenniveau. „Die seit Jahren sinkenden Neurenten zeigen, dass die Rentnerinnen und Rentner mit immer kleineren Einkommen in den Ruhestand starten müssen“, sagte Ulrike Mascher, Präsidentin des Sozialverbands VdK. Auch der Linken-Politiker Matthias W. Birkwald kritisierte, die diesjährige Rentenanpassung sei „lediglich eine kurze Verschnaufpause bei einem stetig weiter sinkenden Rentenniveau“. Die Arbeitgeber hingegen verwiesen darauf, dass auch für die kommenden Jahre weiter mit realen Rentenerhöhungen zu rechnen sei – also mit einem Anstieg, der über der Teuerungsrate liegt. Die Rentner blieben damit auch weiterhin an der allgemeinen Wohlstandsentwicklung beteiligt, sagte BDA-Hauptgeschäftsführer Alexander Gunkel. Trotz sinkenden Rentenniveaus werde die Kaufkraft der Renten weiter steigen. Der Grünen-Rentenexperte Markus Kurth kritisierte, die Regierung versäume es, „die gute Finanzlage zu nutzen und die Rentenversicherung zukunftsfest zu machen“. mit dpa Zuwanderung erreicht Rekordwert Gericht hält Sawtschenko für schuldig Berlin - Deutschland verzeichnet erneut einen Einwanderungsrekord. Im vergangenen Jahr kamen – rechnet man Zu- und Wegzüge gegeneinander auf – 1,1 Millionen Menschen aus dem Ausland in die Bundesrepublik. Registriert wurden 2015 sogar zwei Millionen, 860 000 zogen aber wieder fort. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik kam die Mehrheit der Zuzügler nicht mehr aus europäischen Ländern. Die Entwicklung werde „überlagert durch eine Zuwanderung, die durch Schutzsuchende bestimmt ist“, teilte das Statistische Bundesamt in Wiesbaden mit. Während in den vergangenen Jahren immer die Staaten der EU-Osterweiterung an der Spitze lagen, waren 2015 erstmals Syrer die größte Gruppe, gefolgt von Polen und Rumänen. ade Moskau - Ein Gericht hält die Militärpilotin Nadeschda Sawtschenko des Mordes für schuldig. Das meldete die Agentur Interfax am Montag aus dem Gericht im südrussischen Donezk nahe der Grenze zur Ukraine. Moskau wirft der Ukrainerin Sawtschenko vor, 2014 im Kriegsgebiet Ostukraine tödliches Mörserfeuer auf zwei russische Journalisten gelenkt zu haben. Sie habe aus politischem Hass und Feindseligkeit gehandelt, hieß es. Die Staatsanwaltschaft hatte 23 Jahre Lagerhaft gefordert. Der Urteilsspruch wurde auf Dienstag vertagt. Der Prozess ist international massiv kritisiert worden. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier kündigte an, er wolle den Fall bei seinem Besuch in Moskau am Mittwoch ansprechen. Die Vertretung der Europäischen Union in Moskau verlangte die sofortige Freilassung Sawtschenkos. dpa — Meinungsseite D Foto: Imago/Drama-Berlin.de Zwei weitere Ministerien bauen in Berlin — Seite 4 enn Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble am Mittwoch seinen Kabinettskollegen den Bundeshaushalt 2017 vorstellt, wird jede Partei das Zahlenwerk als ihren ureigenen Erfolg verkaufen. Die einen, weil der Bund auch 2017 keine neuen Schulden machen wird, die anderen, weil sie zusätzliche Ausgaben für ihre Politik durchgesetzt haben. Auf einen Punkt wird niemand gesondert hinweisen, weil damit keine Wähler zu begeistern sind – den Einzelplan 32. Dahinter verbirgt sich der Posten Bundesschuld, also die Ausgaben, die Schäuble für Zinszahlungen der schon angehäuften Schulden aufbringen muss. Es werden mehr als 25 Milliarden Euro sein. Es ist der drittgrößte Posten im Haushalt. Nur die Ressorts Arbeit und Soziales sowie Verteidigung dürfen mehr ausgeben. Mit diesen 25 Milliarden Euro werden keine Straßen gebaut, keine Schulen gegründet, keine Flüchtlinge integriert. Damit wird nicht die soziale Schieflage in Deutschland bekämpft. Das Geld wird nicht genutzt, um die mehr als 1,6 Millionen Kinder, die von Hartz IV leben, aus ihren relativ ärmlichen Verhältnissen herauszuholen. Das Geld wird nicht dafür ausgegeben, um den mehr als drei Millionen Rentnern in Altersarmut einen würdigen Lebensabend zu gewähren. Nein, der drittgrößte Ausgabeposten im Bundeshaushalt ist nur dafür da, die Schulden der Vergangenheit zu finanzieren. Nur die Zinsen – für eine Reduzierung der Altlasten bedürfte es noch viel mehr Geld. Das zeigt: Die inzwischen von vielen kritisierte „Schwarze Null“ ist ein gutes Ziel, eine politische Maxime, die es zu achten gilt. Auch um der Politik in Zukunft größere Spielräume zu geben. Denn wer Schulden abbaut, zahlt weniger Zinsen und hat mehr übrig für Konsum und Investitionen. Das ist beim Staat nicht anders als beim privaten Auto- oder Hauskauf auf Pump. Gesamtstaatlich gesehen gibt es eine lange Reihe von Anzeichen, die die gute wirtschaftliche Situation in Deutschland beschreiben. Der Arbeitsmarkt ist in Topform, die Wirtschaft verkauft ihre Produkte und Dienstleistungen in alle Welt, nie zuvor waren so viele Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt, der Mindestlohn hat in einigen Bereichen zu deutlichen Lohnzuwächsen geführt, die Renten steigen wie lange nicht. Das führt zu nie dagewesenen Steuereinnahmen, die Sozialkassen profitieren, viele Menschen können zufrieden sein. Und doch, es gibt auch ein anderes Deutschland: marode Schulgebäude, kaputte Straßen und Brücken, Langzeitarbeitslosigkeit, Kinderarmut, durch Stadtflucht verödende Gemeinden in der Fläche, ein von vielen als ungerecht empfundenes Steuersystem, eine wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, Bürokratiewahnsinn und Behördenversagen. Beide Aufzählungen ließen sich nahezu unendlich fortsetzen. Was zeigt das? Es zeigt die Handlungsfelder für die Politik auf. Die können ganz unterschiedlich im Hinblick auf ihre Dringlichkeit und gesamtstaatliche Bedeutung bewertet werden. Das fördert im Idealfall den politischen Diskurs, animiert zur Teilhabe der Bürger und führt zu einem demokratisch herbeigeführten Kompromiss. Einer dieser Kompromisse war in der Vergangenheit auch die „Schwarze Null“. Sie muss stehen, damit auch zukünftige Generationen finanziellen Spielraum für gestalterische, zukunftsweisende Politik haben. 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