Weniger schädliche Unterbrechungen, größere Zielgruppe, mehr

Brigitte Pothmer, MdB
Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen
Arbeitsmarktpolitische Sprecherin
März 2016
Weniger schädliche Unterbrechungen, größere Zielgruppe, mehr Erfolg? Arbeitsministerin
Nahles erweitert Teilnehmerkreis für ESF-Sonderprogramm für Langzeitarbeitslose
Mit einer vergrößerten Zielgruppe will Arbeitsministerin Nahles offenbar ihr nur schleppend
vorankommendes Sonderprogramm für Langzeitarbeitslose ankurbeln. Bis Februar 2016 konnten mit
dem Lohnkostenzuschuss-Modell erst 3.400 Langzeitarbeitslose auf einen Arbeitsplatz vermittelt
werden.1 Das ist eine magere Bilanz des Ende 2014 von Nahles vorstellten und seit Mai laufenden
Sonderprogramms, das ursprünglich 33.000 Personen erreichen sollte.
Nun wird das Programm durch eine Änderung der Förderrichtlinie für mehr Arbeitslose als bisher
geöffnet. Das geht aus einem Schreiben des Bundesverwaltungsamt, das das Programm abgewickelt,
an die Jobcenter von Ende Februar hervor.2 Darin erklärt das Amt im Auftrag des
Bundesarbeitsministeriums, dass im Rahmen des ESF-Programmes ab sofort auch







Krankheit ohne zeitliche Begrenzung
die Betreuung pflegebedürftiger Angehöriger
genehmigte Ortsabwesenheiten
Zeiten ohne Nachweis bis zu jeweils sechs Wochen
die Teilnahme an kurzen Weiterbildungsmaßnahmen bis zu jeweils acht Wochen
die Teilnahme an Eingliederungsmaßnahmen nach § 16f SGB II
die Ausübung einer Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit mit einer wöchentlichen
Arbeitszeit von unter 15 Stunden
die Arbeitslosigkeit nicht unterbrechen. Dadurch wird die Zahl der Arbeitslosen, die an dem NahlesProgramm teilnehmen können, größer. Deren mindestens zweijährige Arbeitslosigkeit ist eine der
Voraussetzung für die Teilnahme.
Neben dem Sinneswandel ist an dem Vorgang aber noch etwas anderes bemerkenswert. Nahles
erkennt mit diesem Schritt auch Zeiten als Zeiten der Arbeitslosigkeit an, die normalerweise als
„schädliche Unterbrechung“ bei der Messung der Arbeitslosendauer gelten. Das betrifft zum Beispiel
Arbeitslose, die länger als sechs Wochen krank sind oder sich um pflegebedürftige Angehörige
kümmern. Bei ihnen wird sonst nach diesen Phasen die Dauer der Arbeitslosigkeit wieder von null an
gezählt, obwohl sich an ihrer Situation nichts geändert hat.
1
vgl. http://statistik.arbeitsagentur.de/Statistikdaten/Detail/201602/arbeitsmarktberichte/monatsberichtmonatsbericht/monatsbericht-d-0-201602-pdf.pdf#page=88
2
vgl.
http://www.bva.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/BVA/Zuwendungen/ESF/LZA_Newsletter_4_2016.pdf?__
blob=publicationFile&v=3.
Inzwischen ist auch die veränderte Richtlinie im Bundesanzeiger veröffentlicht worden:
http://www.bva.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/BVA/Zuwendungen/ESF/LZA_Foerderrichtlinie.pdf?__bl
ob=publicationFile&v=9
1
Brigitte Pothmer, MdB
Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen
Arbeitsmarktpolitische Sprecherin
Durch die statistische Einstufung als Kurzzeitarbeitslose wird die Zahl der Langzeitarbeitslosen
künstlich nach unten gedrückt wird. Die Problemdimension der Langzeitarbeitslosigkeit wird
statistisch verschleiert. Bisher hat Nahles aber jede Änderung an diesen Regeln abgelehnt.3
Kommentar
Mit der Ausweitung der Zielgruppe will Nahles offenbar ihr Programm vor der drohenden Blamage
retten und die dürftigen Teilnehmerzahlen in die Höhe treiben. Dieses Manöver ändert aber nichts
daran, dass das Sonderprogramm keinen Beitrag zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit leistet.
Wenigen Tausend Teilnehmern stehen über eine Million Langzeitarbeitslosen gegenüber. Fakt bleibt
auch, dass durch das Programm viele Millionen Euro gebunden werden, die den Jobcentern an
anderer Stelle fehlen.
Spätestens jetzt muss Nahles eingestehen, dass die Strategie der arbeitsmarktpolitischen
Sonderprogramme gescheitert ist. Sie entfachen allenfalls Strohfeuer und wirken nicht nachhaltig. Sie
bringen der Mehrzahl der Langzeitarbeitslosen gar nichts und verursachen enormen Aufwand in den
Jobcentern. Langzeitarbeitslose und Jobcenter brauchen keine befristen Sonderprogramme, sondern
Verlässlichkeit und Planungssicherheit. Dafür sind flexible Instrumente und frei verfügbare Mittel
erforderlich, mit denen individuelle Strategien für Langzeitarbeitslose entwickelt werden können.
Notwendig ist auch ein verlässlicher Sozialer Arbeitsmarkt für diejenigen, die auf dem ersten
Arbeitsmarkt keine Perspektive haben.
Jenseits dieser Frage gehört endlich das Prinzip der schädlichen Unterbrechung auf den Prüfstand. Es
ist ein Unding, dass Nahles für ihr Programm die seit langem kritisierten Regeln modifiziert, für das
Normalgeschäft aber keinen Bedarf sieht. Fragwürdige Regelungen müssen für alle Arbeitslosen
infrage gestellt werden. Die Furcht vor steigenden Langzeitarbeitslosenzahlen ist kein Argument für
eine unsinnige und verschleiernde Statistik.
Hintergrund ESF-Bundesprogramm
Das ESF-Bundesprogramm zur Eingliederung langzeitarbeitsloser Leistungsberechtigten arbeitet mit
Lohnkostenzuschüssen. In den ersten sechs Monaten erhält der Arbeitgeber 75 Prozent, in den
folgenden neun Monaten 50 Prozent und danach für drei Monate 25 Prozent des Gesamtlohns. Der
Arbeitgeber muss sich verpflichten, die Teilnehmer anschließend ein weiteres halbes Jahr ohne
Zuschüsse bei vollem Gehalt zu beschäftigen (Nachbeschäftigungspflicht).
Ursprünglich sollten 33.000 Langzeitarbeitslose von dem Lohnkostenzuschuss-Programm profitieren.
Doch schon in der dem Programmstart vorgeschalteten Ausschreibungsrunde erhielt Nahles einen
Dämpfer, weil die Jobcenter lediglich etwas mehr als 24.000 Plätze abriefen.
Adressaten des Programms sind (i.d.R. über 35-jährige) Langzeitarbeitslose, die mindestens seit zwei
Jahre ohne Job sind, über keinen verwertbaren Berufsabschluss verfügen und vermutlich mit einer
anderen Förderung nicht in Arbeit gebracht werden können. Vorgesehen ist ein begleitendes
3
vgl. BT-Drucksache 18/5757, Antwort der Bundesregierung auf Frage 10, S.6
2
Brigitte Pothmer, MdB
Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen
Arbeitsmarktpolitische Sprecherin
Coaching. Für intensiv geförderte Langzeitarbeitslosen gibt es höhere Zuschüsse. Gefördert werden
außerdem Arbeitsplatz-Akquisiteure bei den Jobcentern.
Das Programm wurde von Anfang an kritisiert. Es gilt als aufwendig und – u.a. wegen bestehender
anderer Lohnkostenzuschuss-Modelle – als kaum nutzbringend. Zudem werden dadurch erhebliche
Summen gebunden, die den Jobcentern nicht für andere Arbeitslose zur Verfügung stehen. In der
Kritik sind Sonderprogramme auch wegen der fehlenden strukturellen Nachhaltigkeit.
3