3.1 Vollkommene Emotion

Sangharakshita: Sehen, wie die Dinge sind, II Vollkommene Emotion
Es geht hier um das Problem menschlichen Daseins überhaupt, dies umfasst auch
den spirituellen Aspekt des Daseins. Gefühl oder Emotion geht häufig einen anderen
Weg als der Verstand. Im psychoanalytischen Sinne könnte man auch sagen, und
das trifft die Sache deutlich besser als der Text von Sangharakshita, das Es fragt
nicht nach der Außenwelt, es dringt aus der Tiefe in das Ich ein und führt zu
Handlungen, die häufig in Kollision zu Aspekten der Rationalität oder auch des ÜberIch stehen.
Sowohl das Gleichnis vom indischen, buddhistischen Lehrer am Kaiserhof in Peking
wie auch ein Gleichnis des Paulus können stellvertretend für diesen Widerspruch
stehen.
Der Kaiser erwartete vom Philosophen eine tiefschürfende Antwort auf die Frage
nach dem Grundprinzip des Buddhismus. Die Antwort lautete: „Aufhören, Böses zu
tun; Gutes zu tun; das Herz läutern.“ Der über die kurze und einfache Antwort
verblüffte Kaiser fragte: „Das ist alles?“ Der Philosoph bejahte und wiederholte die
einfache Regel, auch als der Kaiser protestierte, selbst ein dreijähriges Kind verstehe
dies. Der Philosoph antwortete: „Selbst ein dreijähriges Kind versteht dies, selbst ein
achtzigjähriger Weiser kann es nicht verwirklichen.“
Paulus meinte im 7. Röm, 19: Ich tue nicht das Gute, das ich wünsche, sondern das
Schlechte, das ich verabscheue. Paulus bezeichnete dies übrigens als Sünde.
Wahrscheinlich beschreibt dies mehr den Kern menschlicher Natur, alles vieles
andere. Letztlich ist dies Ursache der Tragik menschlicher Lebensläufe. Die meisten
Menschen meinen ja, sie sind der Herr im Hause oder besser gesagt, das „Ich“
meint, im Körper fast alles und in der Psyche alles steuern zu können. Das ist aber
eine ungeheure Verblendung: „Wir sind nicht unser Verstand“.
Wer wirklich einen Progress im Leben machte möchte, der muss sich also um die
tiefen Schichten seines seelischen Daseins kümmern, insbesondere um das, was
man am ehesten mit Emotionen beschreibt.
a) Vollkommene Emotionen als Verneinung negativer Emotionen
Im Buddhismus würde man Gier, Hass(Ärger) und Grausamkeit als die negativsten
Emotionen betrachten. Ihre Verneinungen lauten: Nicht-Begehren, Nicht-Hass, NichtGrausamkeit.
Das Nicht-Begehren entspricht am ehesten den Worten Verzicht, Aufgabe,
verschenken, weggeben, loslassen. Betrachtet man das Fehlen inhärenter Existenz
der Produkte, dann sollte das Weggeben eine einfache und logische Konsequenz
sein. Sangharakshita sagt: „Nicht-Begehren ist die praktische Folge, nämlich eine
Abnahme der Begierde als Folge der Vision der wahren Natur alles Bedingten.“ Der
krampfhafte, umklammernde Griff löst sich unter dieser Einsicht allmählich. Wer sich
hier redlich seit Jahr und Tag abmüht, wird bereits das Eine oder Andere aufgegeben
haben. Das kann z. B. auch die Aufgabe eines Wunsches sein, z. B. des Wunsches,
im Alter noch etwas ganz besonderes, Neues zu tun, z. B. der Umzug in den Süden
etc. Es kann aber auch etwas viel kleineres sein, wie z. B. die Ungeduld vor der roten
Ampel oder einfach so etwas profanes wie überflüssiges, gehortetes Geld.
Hierbei geht es nicht darum, etwas zu opfern, es geht nicht um den
Trennungsschmerz, es geht eher um die Erkenntnis, am Nicht-Festhalten an etwas
zu wachsen.
Der Nicht-Hass, der Nicht-Ärger, ergibt sich eigentlich aus dem vorgenannten. Mit
nachlassendem verlangen, nachlassender Gier, nimmt auch die Möglichkeit ab,
enttäuscht zu werden. Damit reduziert sich die Gefahr, durch Enttäuschung zu
verbittern, sich zu ärgern. Im Prinzip kann man sich fragen, bin ich besser gelaunt,
seit ich meditiere?
Nicht-Grausamkeit ist ein starker Ausdruck. Es geht ja hier um die Idee des
willentlich beigefügten Schadens, der willentlich beigefügten Verletzung aus Lust
daran. Grausamkeit kann manchmal, z. B. bei Kindern, unabsichtlich geschehen,
wenn sie noch nicht antizipieren können, dass beigefügte Verletzung dem anderen
Wesen Schmerzen bereitet. Es ist aber sicher unserer aller Pflicht, diese Kinder
sofort aufmerksam zu machen und zu belehren.
In diesem Sinne sollte schon Kindern gesagt und erklärt werden, dass
Grausamkeiten ungeschickt sind.
Für Buddhisten ergeben sich recht überschaubare, lebenspraktische Konsequenzen,
die ich teils schon im „Rechten Lebenserwerb“ genannt hatte:
Jagdsport, Angeln, entsprechende Berufsstände (Fleischer, Soldat etc.) kommen
nicht in Frage. Das Essen von Fleisch oder Fisch gehört sicher auch in diesen
Bereich, da man sich ansonsten zum Komplizen solcher Grausamkeiten macht.
Buddhismus schreibt Vegetarismus zwar nicht explizit vor, aber letztlich wird dies als
folgerichtiger und logischer Entwicklungsschritt betrachtet. Man könnte sagen: Bei
entsprechender Entwicklung und entsprechenden Fortschritten in der Feinfühligkeit,
ist dies eine unbedingte Konsequenz.
b) Vollkommene Emotionen in positiver Hinsicht
Positive Emotionen in dieser Hinsicht sind:
1. Dana, Geben
2. Metta, liebevolle Güte, Liebe i. S. von Caritas
3. Karuna, Mitgefühl, Mitleid, Erbarmen
4. Mudita, Mitfreude
5. Upekkha, Frieden, Gleichmut, Gelassenheit
6. Sraddha, Vertrauen
Metta, Karuna, Mudita, Upekkha werden auch göttliche Verweilungen (Brhama
vihara) genannt. Ich glaube, das erklärt sich von ganz alleine.
1. Dana
Dana ist die buddhistische Tugend schlechthin. Über Geben und Teilen kann man
die Anhaftung stark reduzieren und umgekehrt.
Zunächst denkt man an das Geben materieller Güter. Das sollte für uns reiche
Menschen wohl die leichteste Übung sein.
Wichtiger ist das Geben von Zeit. Da wird es schon schwieriger. Wer ist schon bereit,
regelmäßig viel Zeit z. B. für sich selber aufzuwenden, geschweige denn für Partner,
Kinder, Verwandte, Freunde? Viel zu viel Zeit wird zweckgebunden verbracht und
schädigt damit die Muße, die Kreativität.
Das Geben von Wissen, also das Lehren, zählt sicher auch zum Geben. Viele
Menschen geben ihr Wissen nicht weiter, hüten es z. T. eifersüchtig.
Das Geben von Furchtlosigkeit oder Vertrauen, gilt im Buddhismus als eine
besonders geschickte Handlung.
Ein Beispiel für die Gabe von Leib und Leben aus Mitgefühl hat uns der 1982 heilig
gesprochene Franziskaner-Pater Maximilian Kolbe gegeben.
2. Metta
Das Pali-Wort Metta stammt vom Sanskrit-Wort Maitri (oder auch Mitra = Freund) ab.
Es geht also um Liebe im Sinne einer Freundschaft oder im Sinne von Caritas (Sorge
tragen). Hier möchte ich kurz auf die Website www.sorge-verein.de verweisen. Die
Entwicklung von Metta soll nicht dem Zufall überlassen werden. Es gibt eine spezielle
Praxis zur Entwicklung von Metta: Metta Bhavana.
3. Karuna
Karuna heißt Mitgefühl. Metta, die Liebe, schlägt in Erbarmen oder Mitgefühl um,
wenn man das geliebte Wesen leiden sieht. In der buddhistischen Ikonographie steht
der Boddhisattva Avolokiteshvara, dargestellt mit 11 Köpfen und 1000 Armen für das
Mitgefühl. Die weibliche Form, die grüne Tara, steht ebenso für das Mitgefühl.
Der Dalai Lama gilt als Emmanation des Avalokiteshvara, also als Wiedergeburt des
Avalokiteshvara.
4. Mudita
Mudita, die Mitfreude, steht dem Neid entgegen. Freude über das Glück anderer
Menschen ist vielleicht gerade im Westen unüblich. Die Eleganz und Schönheit
dieses Gefühls erklärt sich aber von selbst.
5. Uppeka
Frieden oder Gelassenheit oder noch besser Gleichmut ist mehr als die Abwesenheit
von Lärm oder Unruhe. Es ist ein durchdringendes, imprägnierendes Gefühl, dass
viel mit Glück zu tun hat.
6. Sraddha
Sraddha übersetzt man am besten mit Vertrauen oder Hingabe. Die typischen
Vertrauensobjekte im Buddhismus sind Lehrer, Lehre und Gemeinschaft. Hier ist
übrigens kein blindes Vertrauen gemeint. Lehrer und Lehre sollen unablässig und
intensiv mit Mitteln, die man als wissenschaftlich bezeichnen kann, überprüft werden.
c) Puja
Die siebenfältige Puja, eines der klassischen, buddhistischen Rituale, möchte ich nun
nicht weiter besprechen; es würde den Rahmen dieses Abends sprengen. Ich
empfehle Interessierten, für eine Puja nach Essen zu fahren.