Vorlesung Lexikologie, FS 2006/7 (Pethő Gergely) Thema 4: Typen der Wortbildung 1. 1. Begriff der Wortbildung Wortbildung bezeichnet den Prozess, bei dem ein neues Lexem mithilfe vorhandenen Sprachmaterials erschaffen wird. Wortbildung steht daher im Gegensatz zu: - Wortschöpfung, der Erschaffung von Lexemen aus Lautkomplexen, die in der Sprache noch nicht als bedeutungstragende Elemente vorhanden sind (z.B.: Fa, Biskin, Pril); und - Entlehnung, der Erweiterung des Lexikons durch die Übernahme eines existierenden Lexems aus einer anderen Sprache (z.B.: Computer < Eng., Pizza < Ital.). 2. Die Komposition Def.: Komposition (Zusammensetzung) ist eine Wortbildungsart, bei der durch die Verbindung von zwei oder mehr Wurzeln oder Stämmen ein neues Lexem entsteht. Z.B. Spiel + platz, Wort + bildungs + theorie, Textil + waren + handel Wörter, die durch Komposition gebildet werden, nennt man Komposita.1 Komposita stellen im Deutschen den häufigsten Worttyp dar. Deutsche Komposita können beliebig komplex sein. Unterschied im Verhältnis zum Ungarischen – dort werden statt Komposita verstärkt Attributivsyntagmen verwendet, z.B.: dt. Bundestagsprotokoll – ung. országgyűlési jegyzőkönyv, dt. Nussschokolade – ung. mogyorós csokoládé, dt. Infektionskrankheit – ung. fertőző betegség 2.1. Subklassen der Komposita nach Beziehung der Elemente zueinander Zwei Subklassen nach der syntaktisch-semantischen Beziehung der Elemente: Determinativkomposita und Kopulativkomposita. 2.1.1. Determinativkomposita Determinativkomposita stellen den weitaus größten Teil der Zusammensetzungen im Deutschen dar. Die Bedeutung des rechten Elements wird von der des linken Elements determiniert bzw. modifiziert, die Bedeutungen der Glieder stehen also in einem subordinativen (untergeordneten) Verhältnis zueinander: z.B. Straßenbahn = (Eisen)bahn, die auf der Straße fährt, Erbseneintopf = Eintopf, der aus Erbsen gekocht wird = Eintopf aus Erbsen Gruppenfoto = Foto, das von einer Gruppe gemacht wurde schwerkrank = krank, nämlich an einer schweren Krankheit erkrankt Ein Determinativkompositum besteht immer aus einem Grundwort/Kopf (rechtes Glied) und einem Bestimmungswort/Modifikator (linkes Glied). Das Grundwort legt die grammatischen Eigenschaften des Kompositums fest (Wortklasse, Flexionsklasse usw.). 1 s Kompositum, -s, Komposita: összetett szó 1 Die Struktur eines Determinativkompositums kann mit einem sog. Baumdiagramm dargestellt werden. Sie verzweigen auf jeder Strukturebene binär, d.h. wir kombinieren immer nur genau einen Kopf und einen Modifikator miteinander zu einem Determinativkompositum. Der Aufbau von komplexeren Komposita geschieht immer schrittweise binär. Beispiel: Donaudampfschifffahrts (BW) + kapitän (GW), weiter: Donau (BW) + dampfschifffahrt (GW), weiter: Dampfschiff (BW) + fahrt (GW), weiter: Dampf (BW) + schiff (GW): N N N N N N N N N Donau dampf schiff fahrts kapitän 2.1.2. Kopulativkomposita Kopulativkomposita sind seltener. Die Glieder sind semantisch nicht unter-, sondern nebengeordnet, sie stehen also in einem koordinativen (nebengeordneten) Verhältnis. z.B. frechdreist = frech und dreist hellheiter = hell und heiter helldunkel = hell und dunkel Seniorensportler = Senior und Sportler Strichpunkt = Strich und Punkt In einigen wenigen Fällen ist es wegen des koordinativen Verhältnisses möglich, die Reihenfolge der Glieder von Kopulativkomposita umzukehren. z.B. Jackenpullover – Pulloverjacke, süßsauer – sauersüß 2.2. Subklassen der Determinativkomposita nach Bedeutung Zwei Typen von Determinativkomposita: exozentrische und endozentrische Komposita. 2.2.1. Endozentrische Komposita In endozentrischen Komposita bezieht sich (referiert) der Kopf des Kompositums auf die Art von Dingen, auf die sich das Kompositum auch insgesamt bezieht. z.B. ein Dampfschiff (der Referent des gesamten Kompositums) ist ein Schiff (Referent des Kopfes); ähnlich: Erbseneintopf ’ein Eintopf’; Schlafzimmer ’ein Zimmer’; dunkelblau ’eine Art blau’. 2 2.2.2. Exozentrische Komposita In exozentrischen Komposita referiert der Kopf nicht auf die Art von Dingen wie das Kompositum insgesamt. z.B. ein Langbein ist kein Bein, sondern eine Person, die lange Beine hat ähnlich: ein Dreirad ist kein Rad, sondern ein Fahrgerät, das drei Räder hat, und eine Zwickmühle ist keine Mühle, sondern eine schwierige Situation, aus der man keinen Ausweg weiß. Exozentrische Komposita können metonymisch oder metaphorisch motiviert sein: - Metonymische Motivation: Der Kopf des exozentrischen Kompositums referiert auf etwas, das ein Teil des Referenten des Kompositums ist oder zu ihm gehört. z.B.: Langbein referiert auf eine Person; sein Kopf (Bein) bezeichnet etwas, das ein (Körper)teil dieser Person ist ähnlich: Blauhelm, Frohnatur, Großmaul, Rotschopf - Metaphorische Motivation: Der Referent des Kompositums ist dem wortwörtlich interpretierten Referenten in irgendwelcher Hinsicht ähnlich. z.B. bedeutet Zwickmühle wortwörtlich einen aussichtslosen Spielstand im Mühlenspiel, und wird auf Lebenssituationen übertragen, die als ähnlich aussichtslos empfunden werden. ähnlich: Kindergarten, Baumschule, Stimmungskanone, Pechvogel, Glückspilz 2.3. Rechtschreibung von Komposita Im Deutschen schreibt man Komposita generell zusammen. Eine Schreibung mit Bindestrich ist in einigen besonderen Fällen vorgeschrieben, vor allem: - Zusammensetzung mit Ziffern oder Einzelbuchstaben, z.B. T-Shirt, 100-prozentig; - mehrteilige Zusammensetzung, die als Zusammensetzungsglied eine Verbindung mit Bindestrich enthält, z.B. UV-Strahlen-gefährdet; - Determinativkompositum, dessen Bestimmungswort aus gleichrangigen, nebengeordneten Zusammensetzungsgliedern besteht, z.B. Arzt-Patient-Verhältnis ’Verhältnis zwischen Arzt und Patient’. Ein Bindestrich kann auch dazu dienen, unübersichtliche Zusammensetzungen zu gliedern, z.B. Haushalt-Mehrzweckküchenmaschine. 3. Die Derivation Def.: Derivation (Ableitung) bedeutet die Bildung eines Lexems aus einem vorhandenen Lexem (als Basis) und einem Derivationsaffix. Durch Derivation entstandene Wörter nennt man Derivate2 oder Ableitungen. Hinsichtlich der Wortart, aus der das neue Wort abgeleitet wird, spricht man von desubstantivischen (Fehler > fehlerhaft, Kind > kindisch), deverbalen (duld- > duldsam, lad- > Ladung) und deadjektivischen (weise > Weisheit, klein > kleinlich) Derivaten. 3.1. Explizite Derivation Derivate, bei denen ein Derivationsaffix phonetisch-phonologisch realisiert wird, nennt man explizite Derivate: un + nöt + ig, ver + steh + en, Führ + ung. 2 s Derivat / s Derivatum, -s, Derivate: képzett szó 3 A Px un A N Sx nöt ig Die meisten Präfixe sind auf eine einzige Wortart beschränkt wie z.B. be-, auf-, zer- auf Verben (z.B. aufbauen, zerfallen). Andere können bei der Ableitung verschiedener Wortarten eingesetzt werden: miss-: misslingen, Missgeburt; un-: Unglück, unrein. Suffixe sind immer an eine bestimmte Wortart gebunden, d.h. sie determinieren die Wortart des Derivats. So können etwa mit Hilfe der Suffixe -chen, -tum, -ung, -schaft usw. nur Substantive, mit Hilfe der Suffixe -lich, -haft, -ig usw. nur Adjektive abgeleitet werden. 3.2. Derivation ohne Derivationsaffix An bestimmten Derivaten ist kein Derivationsaffix zu erkennen. In solchen Fällen können wir als Derivationsaffix ein sog. Nullsuffix annehmen, d.h. ein abstraktes Affix, das phonetischphonologisch nicht realisiert wird, aber über eine (grammatische, meist auch semantische) Funktion verfügt. Zwei Typen von Ableitungen ohne explizites Derivationsaffix: implizite Derivation und Konversion. 3.2.1. Implizite Derivation Bei den impliziten Derivaten erscheint zwar kein Affix, aber sie weisen eine Stammalternation auf. Typische Gruppen: - Deverbale Substantive: Bund < bind-, Sprung < spring-, sowie Biss, Bruch, Flug, Schwung, Schnitt, Wurf, Zug, Zwang; Verlag, Ersatz usw. - Bildung von kausativen Verben aus nichtkausativen wie z.B. tränken < trinken, setzen < sitzen; sowie säugen, fällen, legen, schwemmen, senken usw. 3.2.2. Konversion Bei der Konversion erscheint weder ein Affix, noch ist eine Stammalternation zu beobachten. Dass es sich um ein anderes Lexem handelt als die Basis ist lediglich an der Veränderung von grammatischen Eigenschaften des Wortes (insbesondere der Wortart) und ggf. der Bedeutung zu erkennen. z.B. sitzen > Sitz, schlafen > Schlaf, sehen > Sehen, Geige > geigen, Frühstück > frühstücken Die durch Konversion entstehenden Lexeme heißen Konvertate oder Konversionen. Typische Gruppen: - Substantivierungen von verbalen Infinitiven: Wiedersehen, Benehmen, Stöhnen, Gähnen, Rauschen usw. - Substantivierungen gebildet aus verbalen Präsensstämmen: Schlaf, Hass, Schlag, Ruf usw. - Verben gebildet aus Substantiven: frühstücken, salzen, dampfen, schaukeln, blitzen, hausen usw. 4 Als Konversionen können auch Änderungen von grammatischen Eigenschaften ohne einen Wortartenwechsel angesehen werden, z.B. - Verwendung eines eigentlich zählbaren Substantivs als Massennomen (Stoffname), vgl. Magst du Gänseleber? - Kausativierung von Verben ohne Stammalternation, z.B. brechen (intransitiv) und brechen (transitiv); ähnlich: schmelzen, heilen, kochen usw. Nicht als Konversion ist die substantivische Verwendung von Adjektiven zu betrachten, z.B. Du bist aber ein ganz Schneller! Kennst du den Blonden / die Blonde da? usw. Diese verhalten sich nämlich morphologisch genau wie Adjektive, während das bei anderen Prozessen der Substantivierung nie der Fall ist. Vielmehr lassen sich solche Strukturen als elliptische Nominalphrasen mit einem nicht realisierten substantivischen Kopf auffassen: Kennst du den blonden [Mann] / die blonde [Frau] da? 4. Zusammenfassung Wortbildung Derivation Komposition Deriv.affix realisiert explizite Derivation Deriv.affix nicht realisiert mit Stammalternation implizite Derivation 5 ohne Stammalternation Konversion
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