Niederländische Übersetzungen deutscher

Faculteit Letteren & Wijsbegeerte
Elien De Bock
Niederländische Übersetzungen
deutscher Nominalkomposita:
Ähnlichkeiten und Unterschiede
Masterproef voorgedragen tot het behalen van de graad van
Master in het Vertalen
2015
Promotor: Mevr. Hinde De Metsenaere & mevr. Els Snick
Vakgroep Vertalen Tolken Communicatie
VORWORT
Eine Masterarbeit schreibt man nicht allein. Ich möchte mich deshalb bei allen Personen
bedanken, die mich in diesem Prozess unterstützt haben.
Zunächst danke ich Frau De Metsenaere für das interessante Thema und für Ihre Begleitung
und Verfügbarkeit. Anschließend möchte ich mich bei Frau Snick bedanken für Ihre
Ratschläge und Revision. Nicht zuletzt danke ich meiner Mutter und meinen Freunden,
insbesondere Koen Van De Velde, für die Ermutigung und mentale Unterstützung, die ich
manchmal brauchte.
5
INHALTSVERZEICHNIS
1
Einführung .......................................................................................................................... 7
2
Forschungsfrage und Teilfragen ......................................................................................... 7
3
Komposita ........................................................................................................................... 8
4
Nominalkomposita .............................................................................................................. 9
5
Methode, Auswahlkriterien und Doppelmotivation.......................................................... 11
6
Übersetzungstypen ............................................................................................................ 15
7
Formale und semantische Unterschiede ............................................................................ 18
7.1
Formale Unterschiede ................................................................................................ 19
7.2
Semantische Unterschiede ......................................................................................... 19
8
Explizierungshypothese und Asymmetriehypothese ........................................................ 21
9
Quantitative Analyse ......................................................................................................... 23
9.1
Arten von Nominalkomposita ................................................................................... 24
9.2
Übersetzungstypen..................................................................................................... 26
9.3
Identische und nicht-identische Konstruktionen ....................................................... 32
9.4
Komposita und andere Konstruktionen ..................................................................... 33
9.5
Feste und Ad-hoc-Komposita .................................................................................... 34
9.6
Häufig und nicht-häufig vorkommene Komposita .................................................... 37
9.7
Formale Unterschiede ................................................................................................ 39
9.8
Semantische Unterschiede ......................................................................................... 40
9.9
Verhältnis formal-semantisch .................................................................................... 42
9.10 Explizierungs- und Asymmetriehypothese ................................................................ 43
9.11 Vergleich mit Boogmans (2015) ............................................................................... 44
10
Qualitative Analyse ....................................................................................................... 47
11
Weitere Studien ............................................................................................................. 53
12
Schlussfolgerung ........................................................................................................... 53
13
Literaturverzeichnis ....................................................................................................... 56
6
7
1 EINFÜHRUNG
In dieser Masterarbeit wird die Übersetzung von Nominalkomposita, ein Teilgebiet der
Übersetzungswissenschaft, erforscht. Dazu werden einige Übersetzungsuniversalien, d.h. „the
universal characteristics of translated texts independent of language pair and direction of
translation“ (Klaudy & Károly, 2005: 14), untersucht. In dieser Studie beschränken wir uns
auf das Übersetzungspaar Deutsch-Niederländisch, weil diese Sprachen bis jetzt eher selten in
der Übersetzungswissenschaft an die Reihe kamen: meistens ist Englisch nämlich eine der
beiden analysierten Sprachen (De Metsenaere, 2014: 202).
Anhand einer Korpusstudie wird in vorliegender Forschungsarbeit die Übersetzung von
deutschen Nominalkomposita ins Niederländische unter die Lupe genommen. Sowohl das
Kompositum, die Übersetzung, die Art von Kompositum, die Art von Übersetzung, die
Wörterbuchübersetzung als die formalen und semantischen Aspekte werden erforscht.
Die Arbeit ist folgendermaßen aufgebaut. Zuerst schauen wir uns die Forschungsfrage und die
Teilfragen an. Dann werden einige wesentliche Informationen über Komposita und
Nominalkomposita
zusammengefasst
und
werden
Methode,
Auswahlkriterien
und
Doppelmotivation erklärt. Danach wird näher auf die unterschiedlichen Übersetzungstypen,
auf die formalen und semantischen Unterschiede zwischen den Komposita und ihren
Übersetzungen und auf die Explizierungs- und Asymmetriehypothese eingegangen.
Anschließend wird die quantitative und qualitative Analyse besprochen. Und zum Schluss
werden Forschungsvorschläge gemacht und eine Schlussfolgerung gezogen.
Alle Beispiele in dieser Masterarbeit stammen aus dem alignierten Parallelkorpus DeutschNiederländisch, das in dieser Forschung benutzt wurde (siehe Methode: Kapitel 5). Es wird
ausdrücklich darauf hingewiesen, wenn ein Beispiel aus einer anderen Quelle stammt.
2 FORSCHUNGSFRAGE UND TEILFRAGEN
In
dieser
Masterarbeit
wird
untersucht,
wie
vierhundert
verschiedene
deutsche
Nominalkomposita ins Niederländische übersetzt werden und welche Ähnlichkeiten und
Unterschiede es gibt zwischen diesen Komposita und ihren Übersetzungen. Die
8
Forschungsfrage wird in zwölf verschiedene Teilfragen eingeteilt, die in nachstehender Folge
behandelt werden. Alle Teilfragen werden anhand der Daten in unserer Kompositaliste (siehe
Kapitel 5) untersucht.
1) Welches
Verhältnis
gibt
es
zwischen
den
verschiedenen
Arten
von
Nominalkomposita?
2) Welche Übersetzungstypen gibt es und was ist das Verhältnis zwischen diesen Typen?
3) Was
ist
das
Verhältnis
zwischen
den
identischen
und
nicht-identischen
Übersetzungen?
4) Wie viele Komposita werden anhand eines Kompositums bzw. anhand einer anderen
Konstruktion übersetzt?
5) Werden die festen Komposita anders übersetzt als die Ad-hoc-Komposita?
6) Werden Komposita die häufig vorkommen anders übersetzt als Komposita die nur einoder zweimal vorkommen?
7) Welches Verhältnis gibt es zwischen den formalen Unterschieden?
8) Welches Verhältnis gibt es zwischen den semantischen Unterschieden?
9) Vergrößert die Anwesenheit eines formalen Unterschiedes die Chance auf einen
semantischen Unterschied?
10) Können die Explizierungs- und Asymmetriehypothese bestätigt werden?
11) Welche Unterschiede und Ähnlichkeiten gibt es mit den Ergebnissen von Liza
Boogmans (2015)?
12) Gibt es bestimmte Faktoren, die die Wahl für einen bestimmten Übersetzungstyp
beeinflussen?
3 KOMPOSITA
„Die Wortbildung [wurde bzw. wird] sowohl in früheren Sprachperioden als auch
gegenwärtig am stärksten für die Wortschatzerweiterung genutzt (…)“ (Fleischer & Barz,
2012: 2). Wortbildung ist also für den Fortbestand jeder Sprache wichtig. Donalies (2005: 51)
nennt in ihrer Arbeit vier Wortbildungsverfahren, die Komposition und Derivation als
Hauptverfahren haben. Wir beschränken uns auf das Kompositionsverfahren. Donalies (2005:
51-52) umschreibt Komposita, auch Zusammensetzungen genannt, als die Kombination von
mindestens zwei Wörtern oder Konfixen. Sie teilt die Komposita in zwei Kategorien ein: die
semantisch untergeordneten Determinativkomposita (z.B. Pferdedecke) und die semantisch
9
gleichgeordneten Kopulativkomposita (z.B. Rabbi-Vater, Beispiel aus De Metsenaere et al.
(2014)). In unserer Analyse wird dieser Unterschied nicht gemacht, weil wir Booij (1992: 5)
in seiner Meinung, dass das Kopulativkompositum eigentlich keine Kategorie an sich ist,
beipflichten. Die Kopulativkomposita ähneln den Determinativkomposita nämlich dadurch,
dass das Zweitglied semantisch näher vom Erstglied bestimmt wird und fast immer eine
andere formale Funktion ausübt als das Erstglied (es bestimmt zum Beispiel das Genus und
die Pluralform).
Zwischen dem Deutschen und dem Niederländischen gibt es auch Unterschiede, was der
Gebrauch von Komposita angeht: die Tendenz ist laut Hüning & Schlücker (2010: 9), dass
deutsche Komposita im Niederländischen oft durch komplexe Phrasen ersetzt werden (z.B.
Beinverletzung – verwonding aan het been). Komposita kommen also im Deutschen häufiger
vor als im Niederländischen, aber im Vergleich zu vielen anderen Sprachen, kommen im
Niederländischen trotzdem viele Komposita vor.
Donalies
(2005:
52-84)
Determinativkomposita,
macht
einen
weiteren
adjektivischen
Unterschied
zwischen
Determinativkomposita,
nominalen
verbalen
Determinativkomposita, konfixalen Determinativkomposita und Determinativkomposita
anderer Wortarten. Wir beschränken uns auf die erste Kategorie: die nominalen
Determinativkomposita, die ab jetzt Nominalkomposita genannt werden.
4 NOMINALKOMPOSITA
Die Nominalkomposita, Zusammensetzungen mit einem Nomen als Zweitglied, sind laut
Hüning & Schlücker (2010: 9) sowohl im Niederländischen als im Deutschen der
produktivste Kompositionsprozess. Der Grund dafür ist, dass die Bildung von
Nominalkomposita sowohl im Deutschen als im Niederländischen unbeschränkt ist, weil das
Erstglied aus allen Wortarten inklusiv Buchstaben, Phrasen und Sätzen aufgebaut sein kann
(De Metsenaere et al., 2014: 65). Im Deutschen und im Niederländischen sind sogar
Nominalkomposita aus drei Komponenten (z.B. Orangenblütenessenz bzw. buksboomhout)
nicht unüblich. Aber es geht noch viel weiter: das längste Kompositum im Dudenkorpus,
einer
Sammlung
von
mehr
als
zwei
Milliarden
Wortformen,
ist
Grundstücksverkehrsgenehmigungszuständigkeitsübertragungsverordnung und das längste
10
Kompositum im großen Van Dale Wörterbuch der niederländischen Sprache ist
meervoudigepersoonlijkheidsstoornissen. Derartige extremlange Wörter sind, wie es beim
Lesen festzustellen ist, dem Lesekomfort nicht förderlich, obwohl laut August (2001: 210238) dieses Problem relativiert werden soll: ihm zufolge werden solche Komposita nicht im
Übermaß benutzt und kommt das Phänomen nicht häufiger vor als früher.
Die Mehrheit der deutschen Nominalkomposita ist intern unverzweigt, d.h. besteht aus nur
zwei Gliedern, z.B. Blumenfeldern. Es gibt aber auch intern verzweigte Nominalkomposita,
d.h. Komposita die aus mehr als zwei Gliedern aufgebaut sind, weil das Erst- oder Zweitglied
selbst auch ein Kompositum ist (Donalies, 2005: 52-54), z.B. Fingerspitzengefühl. Donalies
(2005: 54) unterscheidet drei verschiedene Strukturen bei den intern verzweigten Komposita:
linksverzweigte Komposita (z.B. Erd-gas|verseuchung), bei denen das linke Glied aufgeteilt
wird, rechtsverzweigte Komposita (z.B. Spitzen|taschen-tuch), bei denen das rechte Glied
aufgeteilt wird, und beidseitig verzweigte Komposita (z.B. Hand-schuh|macher-meister), bei
denen beide Glieder weiter aufgeteilt werden. Diese drei Strukturen werden in Donalies
Arbeit (2005: 53-54) anhand von Baumdiagrammen dargestellt.
Nominalkomposita sind immer binär strukturiert, d.h. sie können, ungeachtet ob sie verzweigt
oder unverzweigt sind, immer in zwei Einheiten, „unmittelbare Konstituenten“ (Donalies,
2005: 52) genannt, zergliedert werden, z.B. Berg|ketten und Fingernagel|pulver. Komposita
die mittels eines Fugenelementes verbunden sind, bilden keine Ausnahme von dieser
Binaritätsregel (Donalies, 2005: 54), weil das Fugenelement bedeutungslos ist, z.B.
Arbeit|(s)|zimmer.
Bei unverzweigten Komposita liegt die Segmentierung des Kompositums immer auf der
Hand, während es bei interner Verzweigung laut Donalies (2005: 52-53) manchmal zwei
mögliche
Segmentierungen
gibt.
In
diesen
Fällen
entsteht
Zweifel
(z.B.
Kindergeburtstagsfeier: Kinder|geburtstagsfeier oder Kindergeburtstags|feier, Beispiel aus
Donalies (2005: 53)) und muss man den Satz analysieren, um herauszufinden, welche
Bedeutung sich im Kontext am sinnvollsten ergibt.
Wie gesagt, können alle Wortarten als Erstglied des Nominalkompositums vorkommen, und
Donalies zufolge (2005: 67) kommen die Nominalkomposita mit Nomen oder Verb als
Erstglied sowohl im Deutschen als im Niederländischen am häufigsten vor, „wobei wiederum
11
Komposita mit einem substantivischen Erstglied die produktivste Subklasse bilden“ (Hüning
& Schlücker, 2010: 9). Trotzdem wurde in dieser Arbeit bewusst dafür gewählt, nicht nur die
NN- und VN-Komposita, sondern auch alle anderen Arten von Nominalkomposita, die
gefunden wurden, in Betracht zu nehmen. Nachstehende Liste gibt uns eine Übersicht der
verschiedenen Arten von Nominalkomposita und der verwendeten Abkürzungen.
 Das Nomen-Nomen-Kompositum (NN), z.B. Stadtmauer.
 Das Verb-Nomen-Kompositum (VN), z.B. Zeigefinger.
 Das Adjektiv-Nomen-Kompositum (AN), z.B. Florentinerflasche.
 Das Präposition-Nomen-Kompositum (PräpN), z.B. Hinterkopf.
 Das Adverb-Nomen-Kompositum (AdvN), z.B. Innenseite.
 Das Präfix-Nomen-Kompositum (PräfixN), z.B. Auseinandersetzung.
 Das Numeral-Nomen-Kompositum (NumN), z.B. Drittelfüllung.
5 METHODE, AUSWAHLKRITERIEN UND DOPPELMOTIVATION
In dieser Masterarbeit wurde eine Korpusstudie durchgeführt, die auf De Metsenaere et al.
(2014) gestützt ist. Es wird mit einem satzalignierten zweisprachigen literarischen
Parallelkorpus gearbeitet, wobei wir uns beschränken auf die Übersetzungsrichtung DeutschNiederländisch. Das verwendete Korpus ist im Rahmen Hinde De Metsenaeres
Forschungsarbeiten zustande gekommen und umfasst zwei Romane: den deutschsprachigen
Roman Das Parfum, die Geschichte eines Mörders von Patrick Süskind aus 1985 und dessen
Übersetzung ins Niederländische Het parfum: de geschiedenis van een moordenaar von
Ronald Jonkers aus demselben Jahr.
Mithilfe des Programms AntConc (2012) wurde eine Word Frequency List der deutschen
Fassung erstellt. Diese Liste enthält alle verschiedenen Wörter aus dem Roman, nach
Häufigkeit sortiert. Danach wurden die vierhundert verschiedenen Nominalkomposita, die am
häufigsten vorkommen, manuell selektiert und in eine Kompositaliste in Excel aufgenommen.
Die Excel-Datei befindet sich im Anhang.
Es wurden vierhundert verschiedene Komposita, vierhundert Typen also, analysiert. Charles
Sanders Peirce (1906: 505-506) hat die Begriffe Token und Type (auf Deutsch auch
Vorkommnis und Typ genannt) 1906 in seinem Artikel Prolegomena to an Apology for
12
Pragmaticism introduziert. Er definiert Tokens als die einzelnen vorkommenden Äußerungen
und Typen als die Menge der vorkommenden Äußerungen die zu einem Wort gehören
(Peirce, 1906: 505-506). Ein Beispielsatz ist „Er schreit nicht, er schläft gut, und er ist
getauft“, in dem es 10 Tokens und 8 Typen gibt.
Wie gesagt, wurden nicht alle deutschen Nominalkomposita aus dem Roman in unsere
Analyse aufgenommen, sondern nur die vierhundert Typen, die im Roman am häufigsten
vorkommen. Aber um die Kategorie deutlich abgrenzen zu können, müssen noch andere
Auswahlkriterien berücksichtigt werden. Die Festlegung dieser Kriterien ist auf De
Metsenaere et al. (2014) gestützt. De Metsenaere et al. (2014) haben in einem alignierten
Parallelkorpus Deutsch-Niederländisch aus drei Romanen und ihren Übersetzungen jeweils
die ersten vierhundert NN- und VN-Komposita und ihre Übersetzungen analysiert. Mögliche
Unterschiede zwischen den verschiedenen Schriftstellern wurden in ihrer Studie nicht
berücksichtigt.
Im unterstehenden Textfeld, gestützt auf De Metsenaere et al. (2014: 67-68), wird eine kurze
Übersicht verschafft über die deutschen Nominalkomposita, die in unserer Forschung aus der
Analyse ausgeschlossen und in eine Restkategorie aufgenommen werden. Unter dem Textfeld
werden diese Auswahlkriterien erklärt.
Komposita die in der Analyse nicht berücksichtigt werden

Intern verzweigte Komposita

Lehnwörter die als Ganzes entlehnt sind

Komposita die Teil eines festen Ausdrucks sind

Komposita die als Ganzes den Wert eines Eigennamens haben

Undurchsichtige Komposita
 Komposita die eine unikale Einheit enthalten
 Idiomatische Komposita

Komposita bei denen Zweifel zwischen zwei Kategorien entsteht

Komposita die keiner Unterkategorie zugerechnet werden können
Die verzweigten Komposita wurden in der Analyse nicht berücksichtigt, weil unsere Daten
auf diese Weise besser mit den Ergebnissen von De Metsenaere et al. (2014) verglichen
13
werden können. Deutsche unverzweigte Komposita die ins Niederländische mittels eines
intern verzweigten Kompositums übersetzt werden, z.B. Buchsbaum – buksboomhout,
werden jedoch berücksichtigt.
Die Lehnwörter, die als Ganzes entlehnt sind, z.B. Major domus, werden auch aus der
Analyse ausgeschlossen, weil sie laut Donalies (2005: 16) die Sprache durch Entlehnung statt
durch Wortbildung bereichern und weil sie sich grammatikalisch und im Gebrauch von nichtentlehnten Komposita unterscheiden.
Deutsche Komposita, die Teil eines festen Ausdrucks sind und Übersetzungen ins
Niederländische, die Teil eines festen Ausdrucks sind, werden auch außer Betracht gelassen,
z.B. aus allen Himmelsrichtungen - van heinde en verre.
Auch die Komposita, die als Ganzes den Wert eines Eigennamens haben, wurden nicht
analysiert. Komposita, die einen Eigennamen enthalten, aber als Ganzes kein Eigenname sind,
wie z.B. Andreaskreuz, werden jedoch in die Analyse aufgenommen.
Deutsche undurchsichtige Komposita und niederländische undurchsichtige Übersetzungen
werden ebenfalls nicht berücksichtigt. Undurchsichtige Komposita können laut De
Metsenaere et al. (2014: 67) zwei Erscheinungsformen aufweisen:
 Komposita die eine unikale Einheit, d.h. eine Einheit die als selbstständige Einheit
veraltet ist, enthalten, z.B. Friedhof.
 Idiomatische Komposita, d.h. Komposita mit einer Bedeutung, die sich nicht aus dem
Inhalt der beiden Glieder ableiten lässt (z.B. Handschuhe). Komposita, von denen eine
der beiden Komponenten ein idiomatisches Kompositum ist (z.B. Freimaurerloge),
werden jedoch in die Analyse aufgenommen.
Auch die Komposita, bei denen Zweifel zwischen zwei Kategorien entsteht, werden außer
Betracht gelassen. Normalerweise ist es einfach zu bestimmen, welche Kategorie einem
Kompositum angehört. Dann spricht Kienpointner (1985) von „Einfachmotivation“ (S. 3)
oder „eindeutige Motivation“ (S. 3), z.B. Briefpapier. Aber es kommt auch vor, dass es
schwierig zu bestimmen ist, ob das Erstglied des Kompositums ein Nomen oder ein Verb ist.
Dann tritt „Doppelmotivation“ (Kienpointner, 1985: 3) auf, z.B. Arbeitszimmer: NN oder
14
VN. Kienpointner (1985: 3-4) introduziert drei Regeln bezüglich der Segmentierung von
Komposita:
1) Wenn das Erstglied in Berücksichtigung der Gesamtbedeutung des Kompositums
nicht nominal interpretiert werden kann, wird das Kompositum verbal interpretiert
(z.B. Schlachthaus = VN). In diesem Fall gibt es Einfachmotivation.
2) Wenn das Erstglied in Berücksichtigung der Gesamtbedeutung des Kompositums
nicht verbal interpretiert werden kann, wird das Kompositum nominal interpretiert
(z.B. Anhaltspunkte = NN). Im diesem Fall gibt es auch Einfachmotivation.
3) Wenn sowohl die nominale als die verbale Interpretation das Wort eine sinnvolle
Bedeutung geben, gibt es Doppelmotivation (z.B. Duftkleid: NN oder VN).
In den ersten beiden Fällen sorgen diese Regeln für Klarheit. Im dritten Fall brauchen wir
weitere Regeln. Bei Zweifel zwischen NN- und VN-Komposita stellt Kienpointner (1985: 4)
fest, dass die verbale Interpretierung oft bevorzugt wird, weil sie im Sprachgefühl als eine
tiefere Auffassung empfunden wird. Da diese ‚Regel‘ eher subjektiv ist, vermitteln Fleischer
& Barz (2012) drei objektive formale Kriterien, die im Falle von Doppelmotivation verwendet
werden können:
1) „Erstglieder in der Form des Infinitivs sind in der Regel als Substantive aufzufassen
(…)“ (Fleischer & Barz, 2012: 137), z.B. Entsetzensschrei = NN.
2) „Kommt ein Präterital- oder Partizipialstamm als Substantiv vor (…), betrachten wir
das entsprechende Erstglied als Substantiv- und nicht als Verbstamm“ (Fleischer &
Barz, 2012: 159), z.B. Zwangsadoption = NN (Beispiel aus De Metsenaere et al.
(2014: 73) und Angestelltentarif = NN (Beispiel aus Fleischer & Barz (2012: 159).
3) Während bei den NN-Komposita die Fugenelemente -e-, -s-, -es-, -n-, -en-, -er-, -ensund -ns- zwischen beiden Gliedern möglich sind, z.B. Ziegenleder = NN, ist bei den
VN-Komposita nur das Fugenelement -e- möglich, z.B. Zeigefinger = VN (Fleischer
& Barz, 2012: 186).
Zum Schluss werden auch die Komposita, die nicht eindeutig einer Unterkategorie der
Nominalkomposita zugerechnet werden können, aus der Analyse ausgeschlossen.
Die Komposita die keiner Kategorie angehören, werden in eine Restkategorie aufgenommen,
die in der Analyse außer Betracht gelassen wird. Auch wenn das deutsche Kompositum einer
15
Kategorie angehört, aber die Kategorie der niederländischen Übersetzung undeutlich ist, wird
das Kompositum in dieser Restgruppe untergebracht.
Nach dieser Selektion der vierhundert Typen, ist eine Excel-Datei, auch Kompositaliste
genannt, zustande gekommen, in der die niederländische Übersetzung, die Seite, die Art von
Nominalkompositum, die Art von Übersetzung, die Wörterbuchübersetzung und das
diesbezügliche Fragment im Ausgangs- und Zieltext aufgenommen wurde. Danach sind zur
Datei auch noch die formalen und semantischen Unterschiede zwischen den Komposita und
ihren Übersetzungen, d.h. die Unterschiede bezüglich der Konstruktion und des Inhalts,
hinzugefügt worden.
6 ÜBERSETZUNGSTYPEN
Die Übersetzungstypen sind die verschiedenen Erscheinungsformen, in denen die
Übersetzungen von Komposita vorkommen können. In unserer Forschung wurde ein eigenes
Klassifizierungssystem von Übersetzungstypen ausgearbeitet, gestützt auf Campe (2008) und
De Metsenaere et al. (2014).
Campe (2008) hat die Übersetzung von NN-Komposita in einem Korpus DeutschNiederländisch untersucht. Ihr Korpus hat sie selber zusammengestellt und umfasst vier
deutsche Romane und ihre Übersetzungen, um den Einfluss von einem bestimmten
Schriftsteller oder Übersetzer zu minimalisieren. Campe (2008: 3-4) teilt die niederländischen
Übersetzungen von deutschen Komposita in zwei verschiedene Kategorien ein:
1) Identische Übersetzungen
Eine identische Übersetzung kommt laut Campe (2008: 3) einerseits vor, wenn das
Kompositum und die Übersetzung dieselbe etymologische Herkunft haben (z.B.
Zeigefinger – wijsvinger) und andererseits, wenn mindestens eines der beiden Glieder
kein niederländisches Pendant mit derselben etymologischen Herkunft hat (z.B.
Ansaugekamin – aanzuigschoorsteen).
2) Nicht-identische Übersetzungen
Campe (2008: 3) unterscheidet zwei Arten von nicht-identischen Übersetzungen.
16
a. Nicht-identische Komposita
Die Übersetzung ist nicht-identisch, aber hat trotzdem die Form eines
Kompositums, z.B. Handwerker – ambachtsman.
b. Andere Konstruktionen
Die Übersetzung ist nicht-identisch und hat auch nicht die Form eines
Kompositums. Campe (2008: 4) unterscheidet neun mögliche Konstruktionen:

Adjektivkonstruktion, z.B. Dauergesängen – onafgebroken gezang.

Nomen mit genitivischem van, z.B. Brandungsgeräusch – geluid van de
branding.

Apposition, z.B. Blutströpfchen – drupje bloed.

Präpositionale Konstruktion, z.B. Englandgeschäfts – handel met
Engeland.

Simplex, z.B. Atemzug – teug.

Verbale Konstruktion, z.B. Blütenwechsels – bloemen te verwisselen.

Adverbiale Konstruktion, z.B. Hinterhof – binnenplaats.

Konstruktion mit Relativsatz, z.B. Ausgangsstoffen – stoffen waar hij
van uitging.

Weglassung, z.B. mit der Rückseite über Tisch und Stühle - over tafel
en stoelen.
Campe (2008) zufolge, ist in mehr als der Hälfte der nicht-identischen Übersetzungen
eine identische Übersetzung auch möglich, z.B. Atemzug – teug (ademteug ist auch
möglich). Campe (2008: 5-6) erwähnt drei mögliche Gründe, warum eine nichtidentische Übersetzung einer identischen Übersetzung bevorzugt wird:
-
In der Hälfte der Übersetzungen kommt die nicht-identische Form im
Niederländischen einfach häufiger vor als die identische Form, z.B. Innenseite –
binnenkant (häufiger als binnenzijde).
-
In einem Viertel der Fälle ist die Übersetzung ein Hyperonym, einerseits weil das
Hyperonym geläufiger ist, z.B. Henkelkorb – mand (geläufiger als hengselmand),
und andererseits weil das deutsche Kompositum ein typisch deutsches Konzept ist,
z.B. Volkspolizei – politie (Beispiel aus Campe (2008)). Hyperonyme kommen oft
vor, wenn das Wort ein zweites Mal übersetzt wird, während es das erste Mal mit
einer identischen Übersetzung übersetzt worden ist, z.B. Toreinfahrt: zuerst
toegangspoort und später poort.
17
-
In den übrigen 25% der Fälle gibt es keine deutliche Erklärung. Wahrscheinlich
spielen stilistische Gründe, persönliche Intuition, Polysemie und Desambiguierung
eine Rolle.
De Metsenaere et al. (2014) erwähnen großenteils die gleichen Übersetzungstypen, aber die
Klassifizierung ist trotzdem anders. Sie unterscheiden vier Hauptübersetzungstypen:
1) Identifizierung, d.h. das Kompositum wird mittels eines einzigen Wortes übersetzt.
Bei dieser Kategorie unterscheiden De Metsenaere et al. (2014):
o Simplex/Derivat, wenn die Übersetzung aus einem freien Morphem aufgebaut
ist, z.B. Atemzug - teug.
o Unverzweigtes Kompositum, wenn die Übersetzung aus zwei freien
Morphemen zusammengestellt ist, z.B. Atemzug - ademteug.
o Verzweigtes Kompositum, wenn die Übersetzung mehr als zwei freie
Morpheme umfasst, z.B. Buchsbaum - buksboomhout.
2) Paraphrasierung, d.h. das Kompositum wird mittels einer Konstruktion
umschrieben.
De
Metsenaere
et
al.
(2014)
unterscheiden
folgende
Übersetzungstypen:
o Nomen mit Adjektiv
o Nomen mit Präposition
o Nomen mit genitivischem van
o Nomen mit einer anderen Präposition
o Apposition
o Konstruktion mit Relativsatz
o Konstruktion mit Verb
3) Nominalisierung, d.h. das Kompositum wird mittels eines Pronomens übersetzt,
um Wiederholung zu vermeiden, z.B. die Wattebäusche – die (Beispiel aus De
Metsenaere et al. (2014)).
4) Weglassung, d.h. das Kompositum ist in der Übersetzung verschwunden, z.B. mit
der Rückseite über Tisch und Stühle - over tafel en stoelen.
Es gibt viele Parallele zwischen den beiden Klassifizierungssystemen, aber auch einige
Unterschiede. Campe (2008) erwähnt zum Beispiel keine Nominalisierungen und De
Metsenaere et al. (2014) nehmen die Kategorie der adverbialen Konstruktionen nicht auf.
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Anhand dieser beiden Klassifizierungssysteme wurde eine neue Klassifizierung ausgearbeitet,
die in unserer Analyse verwendet wird:
Klassifizierungssystem Übersetzungstypen
Identifizierung
 Unverzweigtes Kompositum
 Simplex/Derivat
 Verzweigtes Kompositum
Paraphrasierung
 Adjektivkonstruktion
 Nomen mit genitivischem van
 Nomen mit einer anderen Präposition
 Konstruktion mit Verb
 Apposition
 Genitivkonstruktion
 Konstruktion mit Relativsatz
Pronominalisierung
Weglassung
Komposita die keiner dieser Unterkategorien angehören, werden in der Restkategorie
untergebracht und aus der Analyse ausgeschlossen.
7 FORMALE UND SEMANTISCHE UNTERSCHIEDE
Wie bei der Methode (Kapitel 5) schon erwähnte wurde, sind in der Excel-Datei auch die
formalen und semantischen Unterschiede zwischen dem Kompositum und ihrer Übersetzung
aufgelistet worden. In diesem Abschnitt wird besprochen, welche Unterschiede dabei
gefunden wurden und wie die Analyse zustande kam.
19
7.1 Formale Unterschiede
Um herauszufinden, ob es einen formalen Unterschied gibt zwischen dem Kompositum und
der Übersetzung, wurden beide Label in der Kompositaliste verglichen. Fünf verschiedene
Möglichkeiten wurden dabei entdeckt:
1) Kein formaler Unterschied
In diesen Fällen stimmen beide Label überein, d.h. die Komposita werden als
Komposita desselben Typs übersetzt, z.B. Mischflasche (VN) – mengfles (VN). Die
Übersetzungen die einen anderen Numerus haben als das deutsche Kompositum, z.B.
Veilchenwurzeln – viooltjeswortel, werden auch zu dieser Kategorie gerechnet, weil
beide Komposita dieselbe Struktur haben.
2) Explizierung
Bei einer formalen Explizierung kommen in der Übersetzung mehr Einzelheiten der
Konstruktion des Kompositums ans Licht. Alle Paraphrasen werden deshalb als
formale Explizierungen betrachtet, z.B. Florentinerflasche (AN) – Florentijnse fles
(Paraphrasierung: Adjektivkonstruktion).
3) Implizierung
Formale Implizierungen kommen vor in den Fällen, in denen ein Simplex oder Derivat
als Übersetzung des Kompositums auftritt, z.B. Springbrunnen (VN) – fonteinen
(Identifizierung: Simplex/Derivat).
4) Andere Wortart im Erstglied des Kompositums
Diese Kategorie bilden die Komposita, die zwar als Kompositum ins Niederländische
übersetzt werden, aber dessen Erstglied einer anderen Wortart angehört, z.B.
Richtplatz (VN) – executieveld (NN).
5) Weglassung
Dieser Kategorie gehören in der Analyse nur die Komposita an, die ins
Niederländische gar nicht übersetzt werden, z.B. mit der Rückseite über Tisch und
Stühle - over tafel en stoelen.
7.2 Semantische Unterschiede
In der Kompositaliste wurden auch die semantischen Unterschiede zwischen dem
Kompositum und ihrer Übersetzung analysiert. Die Hauptregel die hantiert wurde, ist: wenn
20
der Leser denselben Referent vor Augen hat im deutschen als im niederländischen Text, gibt
es keinen semantischen Unterschied. Wenn dem Leser aber ein anderes Bild vorgeführt wird,
gibt es einen semantischen Unterschied zwischen den Begriffen. Es gibt sechs Möglichkeiten:
1) Kein semantischer Unterschied
In diesen Fällen rufen der deutsche und der niederländische Begriff dieselbe mentale
Vorstellung auf.
2) Substitution
Substitution tritt auf, wenn die Übersetzung eine andere Bedeutung bekommen hat als
das deutsche Kompositum, z.B. Hinterhof - binnenplaats. Wenn das Kompositum in
der Übersetzung ein anderes Geschlecht bekommen hat, sprechen wir auch von
Substitution, z.B. Schwägerinnen – schoonbroers (Beispiel aus Boogmans (2015).
3) Implizierung
Implizierung ist laut Becher (2011) „the non-verbalization of information that the
addressee might be able to infer“ (S. 18), d.h. dass eine Information ausgelassen wird,
aber trotzdem noch vom Leser aus dem Kontext erschlossen werden kann. Dieser
Kontext ist in unserer Analyse der gesamte Roman. Wenn der Leser die Bedeutung
also herausfinden kann dank seiner Interpretationsfähigkeit, gibt es Implizierung, z.B.
Sonnenlicht - zon.
4) Weglassung
Wenn eine Information ausgelassen wird, die nicht vom Leser aus dem Kontext
erschlossen werden kann, z.B. Eichentisches – tafel, gibt es Weglassung. Ein
Kompositum im Plural, das anhand einer Konstruktion im Singular übersetzt wird, ist
auch Weglassung, z.B. Degengriffe – handvat van hun degen.
5) Hinzufügung
Hinzufüging ist das Gegenteil von Weglassung. Es kommt vor, wenn eine Information
hinzugefügt wird, ohne dass sie im deutschen Kontext anwesend war, z.B. Richtplatz
– executieveld.
6) Explizierung
Explizierung ist das Gegenteil von Implizierung. Baker (1996) beschreibt
Explizierung als „an overall tendency to spell things out rather than leave them
implicit in translation.“ (S. 180) Becher (2011) definiert Explizierung als „the
verbalization of information that the addressee might be able to infer if it were not
verbalized“ (S. 18). Explizierung kommt also vor, wenn eine redundante Information,
die aus dem Kontext erschließbar ist, zur Übersetzung hinzugefügt wird, z.B.
21
Leichengeruch - lijkenstank. Auch diesmal muss erwähnt werden, dass der gesamte
Roman als Kontext betrachtet wird. Nur zu Ihrer Information erwähnen wir, dass
Blum-Kulka (1986: 19) zwei Unterkategorien von Explizierung unterscheidet.
Einerseits gibt es die Explizierung die obligatorisch ist, weil der Zieltext sonst
ungrammatikalisch ist, „as a result of language and register bound stylistic
preferences“ (Blum-Kulka: 1986: 8). Andererseits gibt es die optionale Explizierung,
„as a result of a process of explicitation inherent in translation per se“ (Blum-Kulka:
1986: 8). Dieser Unterschied wurde in unserer Analyse nicht gemacht.
Wir stellen fest, dass der Unterschied zwischen Implizierung und Weglassung und zwischen
Explizierung und Hinzufügung oft undeutlich ist. In verschiedenen Fällen gibt es Weglassung
(bzw. Hinzufügung) auf Wortebene und Implizierung (bzw. Explizierung) auf Textebene.
Deshalb ist es wichtig zu betonen, dass wir in der Analyse den gesamten Roman als Kontext
betrachten.
8 EXPLIZIERUNGSHYPOTHESE UND ASYMMETRIEHYPOTHESE
Schon im Jahre 1986 wurde das Phänomen Explizierung erforschst, mit der Einführung der
Explizierungshypothese (explicitation hypothesis) durch Blum-Kulka (1986). Diese
Hypothese enthält, dass der Zieltext explizieter ist als der Ausgangstext. Blum-Kulka (1986)
drückt die Hypothese folgendermaßen aus:
The process of interpretation performed by the translator on the source text might
lead to a TL text which is more redundant than the SL text. This redundancy can be
expressed by a rise in the level of cohesive explicitness in the TL text. (S. 19)
Die Explizierungshypothese bezieht sich nur auf die optionalen Explizierungen (siehe 7.2).
Das heißt, dass
Blum-Kulka (1986) der Meinung ist, dass
Explizierung dem
Übersetzungsprozess inhärent ist. Im Jahre 1993 schlägt Baker (S. 242-243) vor, Explizierung
anhand von Korpora im großen Maßstab zu erforschen, sodass die Forschungen betreffende
Explizierung einen quantitativen Impuls bekommen. Auch Klaudy & Károly (2005)
verteidigen die Explizierungshypothese von Blum-Kulka (1986), indem sie schreiben, dass „it
may be concluded that translators prefer the more extended, more explicit forms to the more
22
reduced, more implicit forms, and often fail to perform implicitation“ (S. 27), obwohl sie auch
erwähnen, dass weitere Forschungen notwendig sind.
Van de Velde (2011) lehnt Blum-Kulkas (1986) Explizierungshypothese ab, sich stützend auf
die Daten in Tabelle 1. Er hat das Verhältnis zwischen Implizierung und Explizierung
untersucht in einem Korpus, das zusammengesetzt ist aus vier literarischen Büchern, zwei in
jeder Übersetzungsrichtung (Deutsch-Niederländisch und Niederländisch-Deutsch). Dabei hat
er sich auf die literarischen Phänomene Pronominalisierung und Substitution konzentriert. Die
Daten zeigen uns, dass es in der Richtung Niederländisch-Deutsch mehr Explizierungen als
Implizierungen gibt, während in der umgekehrten Übersetzungsrichtung mehr Implizierungen
als Explizierungen vorkommen. Er konkludiert, dass die Explizierungshypothese in seinem
Korpus für die Richtung Niederländisch-Deutsch zutrifft, aber nicht für die Richtung
Deutsch-Niederländisch. Die Explizitierungshypothese ist für das Übersetzungspaar DeutschNiederländisch also nicht allgemeingültig.
Explizierung
Implizierung
Explizierung und Implizierung
ND
DN
236
80
112
143
Tabelle 1: Implizierung und Explizierung in beiden Übersetzungsrichtungen (Quelle: Van de Velde (2011))
Im selben Jahr lehnt auch Becher (2011) die Explizierungsthese ab, weil sie ihm zufolge drei
Probleme enthält: „the hypothesis is unmotivated, unparsimonious and vaguely formulated.“
(S. 27) Er empfehlt, die Explizierungshypothese von Blum-Kulka (1986) nicht mehr zu
verwenden, aus Mangel an Beweisen in Bezug auf die dem Übersetzungsprozess inhärenten
Explizierungen.
Die Implizierungen werden erst viel später erforscht. Klaudy & Károly (2005) bemerken mit
Recht, dass “Implicitation is treated as a stepbrother of explicitation: it is generally mentioned
merely incidentally.“ (S. 13) Klaudy (2001) lanciert im Jahre 2001 in ihrem Paper die
Asymmetriehypothese, „according to which explicitations in the L1→L2 direction are not
always counterbalanced by implicitations in the L2→L1 direction“ (Klaudy & Károly: 2005:
14). Bei dieser Hypothese wird kein Unterschied gemacht zwischen obligatorischer und
optionaler Explizierung/Implizierung. Becher (2011) ist schon mehr mit dieser Hypothese als
23
mit der Explizierungshypothese einverstanden, aber schlägt trotzdem eine modifizierte
Version der Asymmetriehypothese vor: „Obligatory, optional and pragmatic explicitations in
one translation direction tend to be more frequent than (i.e. not ‘counterbalanced’ by) the
corresponding implicitations in the other translation direction, regardless of the source/target
language constellation at hand.“ (Becher, 2011: 59) Diese Asymmetriehypothese von Becher
(2011) wurde der Deutlichkeit halber in eine Formel gefasst.
Asymmetriehypothese nach Becher (2011)
𝐸𝑥𝑝𝑙𝐿1→𝐿2 > 𝐼𝑚𝑝𝑙𝐿2→𝐿1 en 𝐸𝑥𝑝𝑙𝐿2→𝐿1 > 𝐼𝑚𝑝𝑙𝐿1→𝐿2
Van de Velde (2011) hat im selben Jahr das Verhältnis zwischen Implizierung und
Explizierung untersucht in seinem Korpus. Er hat sich dabei basiert auf die
Asymmetriehypothese von Becher (2011). In Tabelle 1 sind seine Ergebnisse dargestellt. Er
stellt fest, dass die Asymmetriehypothese von Becher (2011) zutrifft für die Richtung ND,
aber nicht für die Richtung DN. Van de Velde (2011: 871) konkludiert daraus, dass die
Asymmetriehypothese nicht allgemeingültig ist für das Übersetzungspaar NiederländischDeutsch. Er stellt außerdem fest, dass das Verhältnis zwischen Explizierung und Implizierung
nicht nur von der Übersetzungsrichtung abhängt, sondern auch „von der betreffenden
Sprache, von den Autoren in diesen Sprachen, vom betreffenden sprachlichen Phänomen und
vom Übersetzer“ (S. 882).
De Metsenaere arbeitet auch an einem Promotionsstudium, in dem unter anderem die
Asymmetriehypothese in der Richtung Niederländisch-Deutsch getestet wird. In ihrer
Forschung liegt der Fokus auf dem Phänomen ‚Nominalkonstituente mit einem Kompositum
als Kern‘. Drei Variablen werden von De Metsenaere untersucht: die Übersetzungsrichtung
(Niederländisch-Deutsch und Deutsch-Niederländisch), die Textsorte (literarische Texte und
Sachliteratur) und der Einfluss des einzelnen Übersetzers. Die Ergebnisse werden im
September 2018 erwartet.
9 QUANTITATIVE ANALYSE
Die Kompositaliste wird zuerst mithilfe einer quantitativen und anschließend mithilfe einer
qualitativen Analyse erforscht, weil die qualitative Analyse auf diese Weise auf die
24
quantitative Analyse gestützt werden kann. Angefangen wird mit der quantitativen Analyse,
in der die Kompositaliste aus statistischer Hinsicht betrachtet wird und elf Teilfragen
beantwortet werden.
9.1 Welches Verhältnis gibt es zwischen den verschiedenen Arten von
Nominalkomposita?
Anhand dieser Teilfrage wollen wir eine Übersicht über das Verhältnis zwischen den
verschiedenen Arten von Nominalkomposita, die in Kapitel 4 erklärt wurden, bekommen.
Tabelle 2 verschafft uns eine Übersicht dieses Verhältnis in unserer Kompositaliste. Wie
erwähnt in Kapitel 5, wurden insgesamt vierhundert verschiedene deutsche Komposita
analysiert; deshalb ist die Gesamtsumme der Tabelle vierhundert. In der ersten Spalte findet
man die Arten von Nominalkomposita, in der zweiten Spalte die absoluten Zahlen und in der
dritten Spalte die Prozentsätze.
Verhältnis zwischen den verschiedenen Nominalkomposita
Nominalkompositum
Absolute Zahl
Prozentsatz
Mit Nomen als Erstglied (NN)
337
84,25%
Mit Verb als Erstglied (VN)
29
7,25%
Mit Adjektiv als Erstglied (AN)
21
5,25%
Mit Präposition als Erstglied (PräpN)
5
1,25%
Mit Adverb als Erstglied (AdvN)
4
1%
Mit Präfix als Erstglied (PräfixN)
3
0,75%
Mit Numeral als Erstglied (NumN)
1
0,25%
400
100%
Insgesamt
Tabelle 2: Verhältnis zwischen den verschiedenen Nominalkomposita
Die Zahlen bestätigen die Hypothese von Donalies (2005: 67), dass die NN- und VNKomposita die produktivste Unterkategorie sind. Außerdem wird die Annahme von Hüning &
Schlücker (2010: 9), dass die NN-Komposita die allerhäufigste Unterkategorie sind,
bekräftigt: in unserer Kompositaliste kommen die NN-Komposita sogar in 84,25% der
Komposita vor. Am Zweithäufigsten sind die VN-Komposita mit 7,25%, gefolgt von den ANKomposita mit 5,25%, den PräpN-Komposita mit 1,25%, den AdvN-Komposita mit 1%, den
25
PräfixN-Komposita mit 0,75% und den NumN-Komposita mit 0,25%. Diagramm 1 verschafft
uns eine bessere Übersicht über die gegenseitigen Verhältnisse.
Verhältnis der Arten von
Nominalkomposita
1,25% 1%
5,25%
0,75% 0,25%
NN
VN
7,25%
AN
PräpN
AdvN
PräfixN
84,25%
NumN
Diagramm 1: Verhältnis der Arten von Nominalkomposita
In Diagramm 2 wurde nur das Verhältnis zwischen den NN- und VN-Komposita in Betracht
genommen, damit die Zahlen mit den Ergebnissen von De Metsenaere et al. (2014) verglichen
werden können.
Verhältnis NN- und VN-Komposita
De Metsenaere et al. (2014)
De Bock (2015)
7,17%
7,92%
92,83%
92,08%
 NN
 VN
Diagramm 2: Verhältnis NN- und VN-Komposita
26
Obwohl De Metsenaere et al. (2014) nur die NN- und VN-Komposita analysiert haben,
entsprechen unsere Zahlen ihren Ergebnissen. Der Unterschied zwischen den beiden
Diagrammen ist minimal und deshalb zu vernachlässigen.
9.2 Welche Übersetzungstypen gibt es und was ist das Verhältnis zwischen diesen
Typen?
Anhand dieser Teilfrage verschaffen wir uns eine Übersicht über das Verhältnis zwischen den
verschiedenen Übersetzungstypen, die in Kapitel 6 erläutert wurden, in der Kompositaliste.
Zuerst beschränken wir uns auf das Verhältnis zwischen den vier Hauptübersetzungstypen,
nämlich Identifizierung, Paraphrasierung, Pronominalisierung und Weglassung. Diagramm 3
stellt dieses Verhältnis dar.
Verhältnis der Hauptübersetzungstypen
0,14%
0%
16,88%
Identifizierung
Paraphrasierung
Weglassung
82,98%
Pronominalisierung
Diagramm 3: Verhältnis der Hauptübersetzungstypen
Diagramm 3 zeigt, dass Identifizierung mit 82,98% der am häufigsten verwendete
Übersetzungstyp in unserer Kompositaliste ist. Paraphrasierung ist mit 16,88% die
zweithäufigste Übersetzungsform; dies bestätigt die Annahme von Hüning & Schlücker
(2010: 9), dass deutsche Nominalkomposita im Niederländischen oft durch komplexe Phrasen
ersetzt werden. Weglassung treffen wir nur in 0,14% der Übersetzungen an, und
Pronominalisierung sogar kein einziges Mal.
27
Im nachstehenden Säulendiagramm werden die Hauptübersetzungstypen für jede Art von
Nominalkompositum vorgestellt. Die absoluten Zahlen stehen in den Säulen, während die
Prozentsätze von der vertikalen Achse abzulesen sind.
Verhältnis der Hauptübersetzungstypen pro Art
von Nominalkompositum
100%
90%
80%
70%
60%
50%
40%
30%
20%
10%
0%
91
1
1
4
Weglassung
2
22
487
64
Pronominalisierung
13
9
Paraphrasierung
2
14
NN
VN
AN
1
PräpN
AdvN
Identifizierung
PräfixN NumN
Diagramm 4: Verhältnis der Hauptübersetzungstypen pro Art von Nominalkompositum
Aus Diagramm 4 leiten wir ab, dass das Verhältnis zwischen den Hauptübersetzungstypen für
jede Art von Nominalkompositum verschieden ist. Außerdem stellt sich heraus, dass
Identifizierung der Übersetzungstyp ist, der bei allen Arten von Nominalkomposita, außer bei
den AN- und PräfixN-Komposita, am häufigsten benutzt wird.
Tabelle 3 enthält nicht nur die Daten von den vier Hauptübersetzungstypen, sondern auch die
von allen Unterkategorien der Übersetzungstypen. Für jede Art von Nominalkompositum sind
jeweils die absoluten Zahlen und die Prozentsätze abzulesen in Tabelle 3. Die Summe der
analysierten Komposita ist nicht 400, sondern 711, wegen des Unterschiedes zwischen Typen
und Tokens (siehe Kapitel 5).
94,12
Zahl
%
0
0
100
61,11
64
56
8
0
%
Paraphrasierung
91
15,74
4
5,88
22
-Adjektivkonstruktion
36
2
21
-Nomen mit genitivischem van
29
0
1
-Nomen mit einer anderen
12
1
0
Präposition
-Konstruktion mit Verb
6
1
0
-Apposition
4
0
0
-Genitivkonstruktion
3
0
0
-Konstruktion mit Relativsatz
1
0
0
Pronominalisierung
0
0
0
0
0
Weglassung
0
0
0
0
0
Insgesamt
578
100
68
100
36
Tabelle 3: Frequenz der Übersetzungstypen mit ihren Unterkategorien
84,26
Zahl
AN
38,89
487
440
46
1
%
VN
14
13
1
0
Identifizierung
-Unverzweigtes Kompositum
-Simplex / Derivat
- Verzweigtes Kompositum
Zahl
NN
0
0
0
0
0
1
15
1
0
0
1
13
11
2
0
Zahl
0
6,67
100
6,67
86,66
%
PräpN
0
0
0
0
0
0
26
0
0
0
0
9
7
2
0
Zahl
0
0
100
0
100
%
AdvN
0
0
0
0
0
0
4
2
2
0
0
2
0
2
0
Zahl
0
0
100
50
50
%
PräfixN
0
0
0
0
0
0
1
0
0
0
0
1
0
1
0
Zahl
0
0
100
0
100
%
NumN
7
4
3
1
0
1
711
120
61
30
14
590
527
62
1
Zahl
0
0,14
100
16,88
82,98
%
Insgesamt
28
29
Wir weisen darauf hin, dass bei den NN-Komposita fast alle Übersetzungstypen vertreten
sind, während bei den anderen Arten von Nominalkomposita nur ein paar Übersetzungstypen
vorkommen. Das stimmt überein mit der Annahme von De Metsenaere et al. (2014: 71-72),
dass bei den NN-Komposita alle Übersetzungstypen vertreten sind, während bei den VNKomposita nur wenige Übersetzungstypen vorkommen. Einer der Gründe dieser Tendenz ist,
dass die häufigsten Nominalkomposita in der Kompositaliste nun einmal die NN-Komposita
sind (siehe 9.1). De Metsenaere et al. (2014: 72) zufolge, kann dieser Variationsunterschied
noch andere Gründe haben: so spielen die Eigenschaften des Erstglieds möglicherweise eine
Rolle. Weitere Studien müssen für Klarheit sorgen.
Die Annahme von Hüning & Schlücker (2010: 9), dass interne Verzweigung häufiger
vorkommt im Deutschen als im Niederländischen, wird in unserer Kompositaliste ebenfalls
bestätigt. Wir fanden nämlich 19 intern verzweigte deutsche Nominalkomposita, die, wie
erwähnt, in der Restkategorie untergebracht wurden. Nur 5 dieser 19 intern verzweigten
Nominalkomposita wurden ins Niederländische auch anhand eines intern verzweigten
Kompositums übersetzt.
Anschließend
wollen
wir
herausfinden,
was
das
Verhältnis
der
verschiedenen
Übersetzungstypen innerhalb der Hauptübersetzungstypen ist. In den beiden nachstehenden
Diagrammen wird dieses Verhältnis für die Hauptübersetzungstypen Identifizierung bzw.
Paraphrasierung dargestellt.
Unterkategorien von Identifizierung
0,17%
10,51%
Unverzweigtes Kompositum
Simplex / Derivat
89,32%
Diagramm 5: Unterkategorien von Identifizierung
Verzweigtes Kompositum
30
Die Unterkategorie die am häufigsten bei den Identifizierungen vorkommt, ist das
unverzweigte Kompositum (89,32%). Am Zweithäufigsten sind die Simplexe/Derivate mit
10,51%. Das verzweigte Kompositum (0,17%) kommt nur ein einziges Mal in der
Übersetzung vor.
Unterkategorien von Paraphrasierung
2,50%
3,33%
0,83%
Adjektivkonstruktion
5,83%
Nomen mit genitivischem van
Nomen mit einer anderen Präposition
11,67%
Konstruktion mit Verb
50,83%
25%
Apposition
Genitivkonstruktion
Konstruktion mit Relativsatz
Diagramm 6: Unterkategorien von Paraphrasierung
Die Unterkategorie die am häufigsten bei den Paraphrasierungen auftritt, ist die
Adjektivkonstruktion mit 50,83%, gefolgt von den Nomina mit genivischem van (25%), den
Nomina mit einer anderen Präposition (11,67%), den Konstruktionen mit Verb (5,83%), den
Appositionen (3,33%), den Genitivkonstruktionen (2,50%) und den Konstruktionen mit
Relativsatz (0,83%).
Zum Schluss vergleichen wir unsere Daten mit den Ergebnissen von De Metsenaere et al.
(2014). Da in dieser Studie aus 2014 nur die NN- und VN-Komposita analysiert wurden,
haben wir für den Vergleich auch nur diese Daten aus unserer Kompositaliste in Betracht
genommen. In Tabelle 4 wird der Vergleich gemacht, wobei DM für De Metsenaere et al.
(2014) und DB für De Bock (2015) steht.
229
63
62
41
866
745
93
28
35
22
0
6
Pronominalisierung
1
Weglassung
7
Insgesamt
1103
Tabelle 4: Frequenz der Übersetzungstypen
Paraphrasierung
-Adjektivkonstruktion
-Nomen mit genitivischem van
-Nomen mit einer anderen
Präposition
-Konstruktion mit Verb
-Apposition
-Genitivkonstruktion
-Konstruktion mit Relativsatz
Identifizierung
-Unverzweigtes Kompositum
-Simplex / Derivat
- Verzweigtes Kompositum
Zahl
0,09
0,64
100
20,76
78,51
%
DM
6
4
3
1
0
0
578
91
36
29
12
487
440
46
1
Zahl
NN
0
0
100
15,74
84,26
%
DB
5
0
0
0
0
0
86
9
4
0
0
77
54
23
0
Zahl
0
0
100
10,47
89,53
%
DM
1
0
0
0
0
0
68
4
2
0
1
64
56
8
0
Zahl
VN
0
0
100
5,88
94,12
%
DB
40
22
0
6
1
7
1189
238
67
62
41
943
799
116
28
Zahl
0,08
0,59
100
20,02
79,31
%
DM
7
4
3
1
0
0
646
95
38
29
13
551
496
54
1
Zahl
Insgesamt
0
0
100
14,71
85,29
%
DB
31
32
Obwohl die Unterschiede zwischen beiden Studien ziemlich gering sind, gibt es, sowohl bei
den NN- als bei den VN-Komposita, prozentual weniger Identifizierungen und mehr
Paraphrasierungen in den Übersetzungen von De Metsenaere et al. (2014). Diese
Unterschiede können einem Unterschied in Textgenre zwischen den analysierten Romanen
zugeschrieben werden.
9.3 Was ist das Verhältnis zwischen den identischen und nicht-identischen
Übersetzungen?
Wie erwähnt in Kapitel 6, teilt Campe (2008) die Übersetzungstypen in zwei große
Kategorien ein: die identischen und die nicht-identischen Übersetzungen. Die nichtidentischen Übersetzungen werden weiter in nicht-identische Komposita und andere
Konstruktionen unterteilt. Mit obiger Teilfrage wollen wir uns eine Übersicht über das
Verhältnis zwischen den identischen und nicht-identischen Übersetzungen verschaffen. Die
Ergebnisse von Campe (2008) auf diese Teilfrage wurden verglichen mit den Daten aus
unserer Kompositaliste und dieser Vergleich resultiert in Diagramm 7.
Identische – nicht-identische Übersetzungen
Campe (2008)
De Bock (2015)
43,34%
45,45%
45%
54,57%
55%
45,43%
54,55%




56,66%
Identische Übersetzung
Nicht-identische Übersetzung
Nicht-identisches Kompositum
Andere Konstruktion
Diagramm 7: Identische – nicht-identische Übersetzungen (Quelle: Campe (2008))
Es gibt verschiedene Unterschiede zwischen beiden Diagrammen. Im Korpus von Campe
(2008) wird mehr nicht-identisch als identisch übersetzt, während dieses Verhältnis in unserer
Kompositaliste umgekehrt ist. Eine der möglichen Erklärungen dafür ist, dass Campe nur die
33
Übersetzungen von NN-Komposita betrachtet hat, und wir die Übersetzungen von allen Arten
von Nominalkomposita. Das Verhältnis zwischen den nicht-identischen Komposita und den
anderen Konstruktionen hingegen, ist sich in den beiden Korpora sehr ähnlich.
9.4 Wie viele Komposita werden anhand eines Kompositums bzw. anhand einer
anderen Konstruktion übersetzt?
Oft werden die Nominalkomposita als (identische oder nicht-identische) Komposita übersetzt,
aber manchmal anhand anderer Konstruktionen. Campe (2008) hat dieses Verhältnis zwischen
beiden Übersetzungstypen in ihrem Korpus untersucht. Sie hat berechnet, wie viele
Übersetzung die Form eines Kompositums bzw. die Form einer anderen Konstruktion haben.
Um die Zahl der Komposita herauszufinden, müssen wir die identischen Übersetzungen und
die nicht-identischen Komposita (siehe 9.3) addieren. Die restliche Zahl sind dann die
Komposita, die anhand einer anderen Konstruktion übersetzt werden.
Dieses
Verhältnis
wurde
schon für andere Übersetzungspaare
mit
Deutsch als
Ausgangssprache berechnet. Bossong (1981) und Ermlich (2004) haben in ihrem deutschfranzösischen bzw. deutsch-englischen Korpus dieses Verhältnis erforscht. Laut Bossong
(1981) wird aus dem Deutschen ins Französische, eine romanische Sprache, nur 5% der
Komposita als Kompositum und 95% anhand einer anderen Konstruktion übersetzt: der
Übersetzungstyp, der in dieser Übersetzungsrichtung (DF) am häufigsten vorkommt, ist
laut dieser Studie die Paraphrasierung mit genitivischem van. Im Korpus von Ermlich (2004)
in der Übersetzungsrichtung Deutsch-Englisch, wird 50% der Komposita als Kompositum
und 50% anhand einer anderen Konstruktion übersetzt. Campe (2008) traf in ihrem Korpus
Deutsch-Niederländisch 70% Komposita an die anhand eines Kompositums übersetzt wurden
und 30% Übersetzungen in der Form einer anderen Konstruktion. Diese hohe Zahl der
Übersetzungen in der Form eines Kompositums war zu erwarten, da das Niederländische,
genauso wie das Englische, eine germanische Sprache ist. Wir haben dieses Verhältnis auch
in unserer Kompositaliste (ebenfalls Deutsch-Niederländisch, wie Campe (2008)) untersucht.
528 der 711 Komposita (74,26%) schienen anhand eines Kompositums und 183 der 711
(25,74%) anhand einer anderen Konstruktion übersetzt zu werden. Tabelle 5 verschafft uns
eine Übersicht der oben genannten Zahlen.
34
Verhältnis Komposita – andere Konstruktionen
Übersetzung mittels eines
Kompositums (%)
Übersetzung mittels einer
anderen Konstruktion (%)
Deutsch-Französisch
(Quelle: Bossong (1981))
5%
95%
Deutsch-Englisch
(Quelle: Ermlich (2004))
50%
50%
Deutsch-Niederländisch
(Quelle: Campe (2008))
70%
30%
Deutsch-Niederländisch
(De Bock (2015))
74,26%
25,74%
Tabelle 5: Verhältnis Komposita – andere Konstruktionen (Quellen: Bossong (1981), Ermlich (2004) und Campe
(2008))
Unsere Ergebnisse ähneln den Ergebnissen von Campe (2008), obwohl Campe nur die
Übersetzungen der NN-Komposita analysiert hat und wir alle Arten von Nominalkomposita.
Der Grund dieser Übereinstimmung ist wahrscheinlich, dass es sich in beiden Studien um
dieselbe Übersetzungsrichtung und dasselbe Übersetzungspaar handelt.
9.5 Werden die festen Komposita anders übersetzt als die Ad-hoc-Komposita?
Campe (2008) hat in ihrer Studie untersucht, ob Komposita die im Wörterbuch vorkommen,
feste Komposita genannt, anders übersetzt werden als Komposita, die nicht im Wörterbuch
vorkommen, Ad-hoc-Komposita oder Neologismen genannt. Wir nehmen an, dass Wörter mit
einer Übersetzung im Wörterbuch Van Dale Deutsch-Niederländisch, feste Komposita in der
deutschen Standardsprache sind. Es hat sich herausgestellt, dass 55% der Komposita im
Korpus von Campe (2008) im Van Dale Wörterbuch vorkam und die übrigen 45% nicht.
Anschließend hat sie kalkuliert, wie groß die Chance ist, dass, wenn es eine
Wörterbuchübersetzung gibt, sich der Übersetzer auch tatsächlich für diesen Vorschlag
entscheidet.
Sie
konkludiert,
dass
der
Übersetzer
in
72,72%
der
Fälle
diese
Wörterbuchübersetzung wählt, und in den übrigen 27,27% eine andere Konstruktion.
Diese Prozentsätze wurden auch auf unsere Kompositaliste berechnet. 213 der 400 Komposita
(53,25%) in unserer Kompositaliste kommen im Van Dale Wörterbuch DeutschNiederländisch vor. Die übrigen 187 Komposita, oder 46,75%, stehen nicht in diesem
Wörterbuch. Diese Zahlen sind fast identisch mit den Ergebnissen von Campe (2008). Es
35
stellte sich auch heraus, dass der Übersetzer bei 66,83% der im Wörterbuch vorkommenden
Komposita diese Wörterbuchübersetzung wählt und in 33,17% der Übersetzungen eine andere
Übersetzung. Diese Zahlen entsprechen ebenfalls den Ergebnissen von Campe (2008).
Fast die Hälfte (45%) der Komposita im Korpus von Campe (2008) kamen nicht im
Wörterbuch vor, aber, da viele dieser Wörter ihr trotzdem bekannt vorkamen, hat Campe die
Wörter ohne Van Dale Wörterbuchübersetzung nachgeschlagen im Duden Online
Wörterbuch. Die Komposita die nicht im Van Dale, aber trotzdem im Duden Wörterbuch
stehen, werden auch als feste Komposita betrachtet. 30% der Wörter ohne Van Dale
Wörterbuchübersetzung, kamen trotzdem im Duden vor und die anderen 70% nicht. Die
Komposita die in keinem der beiden Wörterbücher vorkommen, werden als Ad-hocKomposita betrachtet und die anderen als feste Komposita.
In unserer Analyse wurde diese zweite Sortierung mithilfe des Duden Wörterbuchs auch
angewendet, da in unserer Forschung auch fast die Hälfte (46,74%) der deutschen Komposita
nicht im Van Dale vorkommt und mir viele dieser Wörter (wie z.B. Mondlicht, Kirchplatz
und Überzeugungskraft) ziemlich standardsprachlich vorkamen. Alle Komposita, die nicht im
Van Dale vorkommen, werden also im Duden Online Wörterbuch nachgeschlagen: 20,86%
dieser Komposita stehen im Duden und die übrigen 79,14% nicht. Nach dieser zweiten
Sortierung blieben nur noch 148 der 400 Komposita (37%) übrig, die in keinem der beiden
Wörterbücher vorkommen. Diese Komposita betrachten wir als Ad-hoc-Komposita oder
Neologismen. Wir stellen einen Unterschied mit Campe (2008) fest: während in der Studie
von Campe 30% dieser Komposita trotzdem im Duden vorkamen, ist dieser Prozentsatz in
unserer Forschung nur 20,86%. Campe (2008) bietet dafür eine mögliche Erklärung an: sie
vermutet, dass das prozentuale Verhältnis zwischen den festen und den Ad-hoc-Komposita
unter anderem vom Textgenre abhängt: wahrscheinlich gibt es z.B. in akademischen
Zeitschriften mehr Ad-hoc-Komposita als in Fiktionstexten. Der Grund für den angetroffenen
(minimalen) Unterschied könnte also sein, dass das Textgenre der Romane im Korpus von
Campe (2008) anders ist als das Textgenre unseres Romans von Patrick Süskind.
Wahrscheinlich sind die Daten von Campe (2008) zuverlässiger als unsere, da sie sieben
Romane analysiert hat und wir nur einen. Alle oben genannten Zahlen sind in Tabelle 6
zusammengefasst.
36
Wörterbuchübersetzungen – nicht-Wörterbuchübersetzungen
Campe (2008)
De Bock (2015)
Im Van Dale
55%
53,25%
Verwendet vom Übersetzer
72,72%
66,83%
Nicht verwendet vom Übersetzer 27,27%
33,17%
Nicht im Van Dale
45%
46,75%
Im Duden
30%
20,86%
Nicht im Duden
70%
79,14%
Tabelle 6: Wörterbuchübersetzungen - nicht-Wörterbuchübersetzungen (Quelle: Campe (2008))
Anschließend wollte Campe (2008) herauszufinden, ob diese Ad-hoc-Komposita anders
übersetzt werden als die festen Komposita. Sie hat die Ergebnisse auf diese Frage anhand
ihres Klassifizierungssystems (siehe Kapitel 6) vorgestellt: die Ergebnisse sind in Tabelle 7
zusammengefasst. Einerseits fand Campe (2008) heraus, dass 45% der festen Komposita
identisch und 55% nicht-identisch übersetzt wird, wovon 45,45% als nicht-identische
Komposita und 54,54% als andere Konstruktionen. Andererseits wurde aufgedeckt, dass von
den Ad-hoc-Komposita, 40% identisch und 60% nicht-identisch übersetzt wird, wovon
41,67% als nicht-identische Komposita und 58,33% als andere Konstruktionen. Wir können
daraus konkludieren, dass die Unterschiede zwischen den Übersetzungen von festen und Adhoc-Komposita ziemlich gering sind. Trotzdem wird ausfindig gemacht, dass die Ad-hocKomposita öfter nicht-identisch und anhand anderer Konstruktionen übersetzt werden als die
festen Übersetzungen.
Auch wir haben untersucht, ob die 37% Ad-hoc-Komposita in unserer Kompositaliste anders
übersetzt werden als die 63% festen Komposita. Wir erwarten einen Unterschied in der
Übersetzung, einerseits weil von Ad-hoc-Komposita keine Standartübersetzung vorhanden ist
und der Übersetzer deshalb kreativ sein muss und andererseits weil Campe (2008) schon
einen, zwar kleinen, Unterschied in ihrer Forschung angetroffen hat. Unsere Ergebnisse sind
ebenfalls in Tabelle 7 dargestellt. Wir sehen, dass die Unterschiede zwischen den
Übersetzungen von den Ad-hoc- und den festen Komposita, wie bei Campe (2008), nicht so
groß sind. Es gibt bei den Ad-hoc-Komposita mehr nicht-identische Übersetzungen, aber der
Unterschied ist geringer als bei Campe (2008). Es gibt auch mehr andere Konstruktionen bei
den Ad-hoc-Komposita als bei den festen Komposita; eine Tendenz, die ebenfalls die
Ergebnisse von Campe (2008) bestätigt.
37
Übersetzung von festen und Ad-hoc-Komposita
Fest
Ad-hoc
Fest
Identische Übersetzung
Nicht-identische Übersetzung
Nicht-identische Komposita
Andere Konstruktionen
Simplex/Derivat
Adjektivkonstruktion
Nomen mit genitivischem van
Konstruktion mit Verb
Nomen mit einer anderen Präposition
Apposition
Genitivkonstruktion
Konstruktion mit Relativsatz
Weglassung
Pronominalisierung
Ad-hoc
(Campe)
(Campe)
(De Bock)
(De Bock)
45%
55%
45,45%
54,54%
40%
60%
41,67%
58,33%
54,85%
45,15%
47,66%
52,34%
45,54%
23,23%
15,19%
5,37%
4,44%
2,67%
1,78%
0,89%
0,89%
0%
54,01%
45,99%
34,86%
65,14%
15,49%
49,30%
18,33%
1,40%
12,68%
1,40%
1,40%
0%
0%
0%
Tabelle 7: Übersetzung von festen und Ad-hoc-Komposita (Quelle: Campe (2008))
Da wir auch die verschiedenen Arten von anderen Konstruktionen in die Behandlung dieser
Teilfrage aufgenommen haben, sind auch diese Date in Tabelle 7 eingetragen. Wir stellen
fest, dass bei der Übersetzung von festen Komposita mehr Komposita und Simplizia
auftreten, während die Ad-hoc-Komposita viel mehr anhand von Paraphrasierungen (vor
allem Adjektivkonstruktionen) übersetzt werden. Dieses Ergebnis war zu erwarten, weil
Übersetzer für die Ad-hoc-Übersetzungen keine Standardübersetzung im Wörterbuch finden
und deshalb das Kompositum in der Zielsprache öfter paraphrasieren.
9.6 Werden Komposita die häufig vorkommen anders übersetzt als Komposita die nur
ein- oder zweimal vorkommen?
Frau De Metsenaere hat mich darauf hingewiesen, dass Komposita die viel vorkommen in der
Kompositaliste vielleicht anders übersetzt werden als Komposita die nur wenig vorkommen.
Deshalb wurden die Übersetzungen der Komposita die ein- oder zweimal vorkommen
verglichen mit den Übersetzungen der Komposita die mehr als dreimal vorkommen. 54 der
400 Typen (13,5%) kommen mehr als dreimal vor und 346 der 400 Typen (86,5%) nur einoder zweimal. Bei der Interpretation der Zahlen muss damit gerechnet werden, dass dieses
Verhältnis ungleich ist: es gibt viel mehr Komposita die wenig vorkommen als Komposita
38
diehäufig vorkommen. Tabelle 8 verschafft uns eine Übersicht über die Übersetzung von den
häufig bzw. nicht-häufig vorkommenden Komposita.
Übersetzung von häufig und nicht-häufig vorkommenden Komposita
1-2 Mal
>3 Mal
Zahl
%
Zahl
%
Identifizierung
369
78,68%
221
91,32%
Unverzweigtes Kompositum
326
69,51%
201
83,06%
Verzweigtes Kompositum
1
0,21%
0
0%
Simplex/Derivat
42
8,96%
20
8,26%
Paraphrasierung
99
21,11%
21
8,68%
Adjektivkonstruktion
47
10,02%
14
5,79%
Nomen mit genitivischem van
26
5,55%
4
1,65%
Nomen mit einer anderen Präposition 13
2,77%
1
0,41%
Konstruktion mit Verb
5
1,07%
2
0,83%
Apposition
4
0,85%
0
0%
Genitivkonstruktion
3
0,64%
0
0%
Konstruktion mit Relativsatz
1
0,21%
0
0%
Pronominalisierung
0
0%
0
0%
Weglassung
1
0,21%
0
0%
Insgesamt
469
100%
242
100%
Tabelle 8: Übersetzung von häufig und nicht-häufig vorkommenden Komposita
Diagramm 8 stellt die Daten der Hauptübersetzungstypen aus Tabelle 8 visuell anhand eines
Kreisdiagramms vor.
Frequenz der Übersetzungspaare
Ein- oder zweimal
0%
Mehr als dreimal
0,21%
0%
8,68%
21,11%
78,68%




Diagramm 8: Frequenz der Übersetzungspaare
Identifizierung
Paraphrasierung
Pronominalisierung
Weglassung
91,32%
0%
39
Wir stellen sofort fest, dass es bedeutend mehr Paraphrasierungen gibt bei den Komposita die
nicht häufig vorkommen in der Kompositaliste, während es bei den häufig vorkommenden
Komposita mehr Identifizierungen gibt. Für diese Tendenz sind verschiedene Erklärungen
möglich. Vielleicht hat es damit zu tun, dass die Komposita, die viel vorkommen im Buch,
auch Wörter sind, die in der deutschen Standardsprache und deshalb auch in der
niederländischen Standardsprache ziemlich häufig vorkommen. Für Standardwörter ist also
die Chance auf eine geläufige niederländische Übersetzung größer. Eine andere mögliche
Erklärung ist der stilistische Aspekt: der Übersetzer wählt die stilistisch bessere Konstruktion
und persönliche Intuition spielt dabei eine Rolle. Eine dritte Erklärung ist das ungleiches
Verhältnis, von dem oben die Rede ist. Um herauszufinden, welche anderen Faktoren einen
Einfluss auf diesen Unterschied ausüben, sind weitere Forschungen notwendig.
9.7 Welches Verhältnis gibt es zwischen den formalen Unterschieden?
Die fünf verschiedenen formalen Unterschiede sind in der Kompositaliste analysiert worden.
Wie diese Kategorien abgegrenzt sind, wird in 7.1 erklärt. Das Verhältnis zwischen den
formalen Unterschieden ist in Tabelle 9 angegeben.
Formale Unterschiede
Absolute Zahlen
Kein formaler Unterschied
503
Explizierung
120
Implizierung
62
Andere Wortart im Erstglied des Kompositums
25
Weglassung
1
Insgesamt
711
Tabelle 9: Formale Unterschiede
Prozentsatz
70,74%
16,88%
8,72%
3,52%
0,14%
100%
40
Die Prozentsätze der formalen Unterschiede aus Tabelle 9 werden in Diagramm 9 anhand
eines Kreisdiagramms visuell dargestellt.
Formaler Unterschied
8,72%
3,52%
0,14%
Kein formaler Unterschied
Explizierung
16,88%
Implizierung
Andere Wortart im Erstglied
70,74%
Weglassung
Diagramm 9: Formaler Unterschied
Wir konkludieren, dass in den meisten Fällen (70,74%) kein formaler Unterschied auftritt. In
16,88% der Übersetzungspaare taucht Explizierung auf. Implizierung erscheint in 8,72% der
Kombinationen. Der vierte Formunterschied (3,52%) sind die Komposita die zwar als
Kompositum übersetzt werden, aber dessen Erstglied einer anderen Wortart angehört. Zum
Schluss, gibt es nur einen einzigen Fall (0,14%) in der Kompositaliste mit formaler
Weglassung.
9.8 Welches Verhältnis gibt es zwischen den semantischen Unterschieden?
Bei dieser Teilfrage wird die Zahl der verschiedenen semantischen Unterschiede in der
Kompositaliste untersucht. Die fünf verschiedenen semantischen Unterschiede wurden in 7.2
behandelt.
De Metsenaere & Van de Velde (2013) haben diese Untersuchungsfrage schon in einer
Pilotstudie anhand eines Korpus Deutsch-Niederländisch untersucht. Dabei wurde ein
aligniertes Korpus von drei deutschen Romanen und ihren Übersetzungen benutzt. Aus diesen
drei Romanen wurden jeweils die vierhundert ersten Nominalkomposita mit einem nominalen
oder verbalen Erstglied selektiert und analysiert. De Metsenaere & Van de Velde (2013)
konkludierten aus ihrer Forschung, dass in der Übersetzung meistens kein semantischer
41
Unterschied (75,17%) auftritt, aber wenn doch, dann in dieser Folge, nach Häufigkeit sortiert:
erstens Explizierung (12,75%), gefolgt von Implizierung (5,92%), Substitution (5,17%),
Weglassung (0,92%) und Hinzufügung (0,08%).
Wir haben in unserer Kompositaliste auch die semantischen Unterschiede zwischen dem
Kompositum und ihrer Übersetzung untersucht. Die Ergebnisse sind in Tabelle 10 gesammelt.
Semantische Unterschiede
Absolute Zahlen
Kein semantischer Unterschied
627
Substitution
34
Implizierung
24
Weglassung
14
Hinzufügung
10
Explizierung
2
Insgesamt
711
Prozentsätze
88,19%
4,78%
3,37%
1,97%
1,41%
0,28%
100%
Tabelle 10: Semantische Unterschiede
In Diagramm 10 werden die Prozentsätze der semantischen Unterschiede aus Tabelle 10
anhand eines Kreisdiagramms visuell dargestellt.
Semantischer Unterschied
3,37% 1,97%
1,41% 0,28%
Kein semantischer Unterschied
4,78%
Substitution
Implizierung
Weglassung
88,19%
Hinzufügung
Explizierung
Diagramm 10: Semantischer Unterschied
42
In den weitaus meisten Fällen (88,19%) tritt kein semantischer Unterschied auf, die
zweithäufigste Form ist Substitution (4,78%), auf dem dritten Platz kommt Implizierung
(3,37%), an vierter Stelle gibt es Weglassung (1,97%). Zum Schluss kommen Hinzufügung
(1,41%) und Explizierung (0,28%) an die Reihe.
Der Unterschied mit den Ergebnissen von De Metsenaere & Van de Velde (2013) wird in
Tabelle 11 deutlich.
Semantische Unterschiede: ein Vergleich
De Metsenaere & Van de
De Bock (2015)
Velde (2013)
Kein semantischer Unterschied
75,17%
88,19%
Explizierung
12,75%
0,28%
Implizierung
5,92%
3,37%
Substitution
5,17%
4,78%
Weglassung
0,92%
1,97%
Hinzufügung
0,08%
1,41%
Tabelle 11: Semantische Unterschiede: ein Vergleich (Quelle: De Metsenaere & Van de Velde (2013))
Wir stellen große Unterschiede mit den Ergebnissen von De Metsenaere & Van de Velde
(2013) fest. Erstens haben wir im Allgemeinen weniger Bedeutungsunterschiede detektiert als
De Metsenaere & Van de Velde. Zweitens fällt auf, dass in ihrer Studie Explizierung der am
häufigsten vorkommende Bedeutungsunterschied ist, während Explizierung in unserer
Forschung gerade am mindesten vorkommt. Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass De
Metsenaere & Van de Velde (2013) nur die NN- und VN-Komposita in Betracht genommen
haben.
9.9 Vergrößert die Anwesenheit eines formalen Unterschiedes die Chance auf einen
semantischen Unterschied?
Oben werden die formalen und semantischen Unterschiede einzeln besprochen. Im folgenden
Absatz werden beide Unterschiede kombiniert und wird untersucht in wieweit sie sich
beeinflussen. Erforscht wird, ob die Anwesenheit eines formalen Unterschiedes die Chance
43
auf einen semantischen Unterschied vergrößert. Die Antwort auf diese Frage kann nur
statistisch untersucht werden.
Zuerst wurde kalkuliert, wie groß die Chance ist, einen semantischen Unterschied anzutreffen
wenn es keinen formalen Unterschied gibt. Es hat sich herausgestellt, dass 29 von den 503
Begriffen ohne formalen Unterschied einen semantischen Unterschied aufweisen. Mit anderen
Worten, die Chance liegt bei 5,77%, dass ein semantischer Unterschied auftritt wenn es
keinen formalen Unterschied gibt. Zweitens wurden dieselben Berechnungen durchgeführt
um die Chance auf einen semantischen Unterschied, wenn es auch einen formalen
Unterschied gibt, zu berechnen. Das Ergebnis: 55 von den 208 Übersetzungen mit einem
formalen Unterschied in der Kompositaliste wiesen auch einen semantischen Unterschied auf.
Das bedeutet, dass die Chance bei 26,44% liegt, dass ein semantischer Unterschied auftritt,
wenn es schon einen formalen Unterschied gibt.
Auf den ersten Blick ist die Antwort auf unsere Untersuchungsfrage, ob die Anwesenheit
eines formalen Unterschiedes die Chance auf einen semantischen Unterschied vergrößert, also
positiv. Aber um herauszufinden, ob diese Tendenz signifikant, d.h. verallgemeinbar und kein
Zufall, ist, wurde der Chi-Quadrat-Test nach Pearson durchgeführt. Dabei hat sich ein
Signifikanzwert oder p-Wert von 2,08828E-17 herausgestellt. In der Statistik wird allgemein
angenommen, dass die Nullhypothese verworfen wird und das Ergebnis demzufolge
signifikant ist, wenn der p-Wert weniger als 1 ist. Die Nullhypothese kann in diesem Fall also
verworfen werden und die obige Untersuchungsfrage kann signifikant positiv beantwortet
werden: die Anwesenheit eines formalen Unterschiedes vergrößert tatsächlich die Chance auf
einen semantischen Unterschied.
9.10
Können die Explizierungs- und Asymmetriehypothese bestätigt werden?
Die Explizierungs- und Asymmetriehypothese wurden ausführlich in Kapitel 8 behandelt.
Die Explizierungshypothese von Blum-Kulka (1986) kann anhand der Zahlen in unserer
Kompositaliste nicht kontrolliert werden, da die Explizierungshypothese sich nur auf die
optionalen Explizierungen bezieht und wir in der Analyse keinen Unterschied gemacht haben
zwischen obligatorischer und optionaler Explizierung.
44
Da bei der Asymmetriehypothese von Becher (2011) kein Unterschied zwischen
obligatorischer und optionaler Implizierung/Explizierung gemacht wird, kann diese
Hypothese schon auf die Daten von Liza Boogmans (2015) und mir getestet werden. In
Tabelle 12 sind die Explizierungs- und Implizierungszahlen aus der Kompositaliste ND von
Liza Boogmans und unserer Kompositaliste DN in absoluten Zahlen vorgestellt.
Explizierung
Implizierung
Implizierung und Explizierung ND und DN
ND (Boogmans (2015)
DN
27
2
43
24
Tabelle 12: Implizierung und Explizierung ND und DN (Boogmans (2015) und De Bock(2015))
Für die Richtung ND trifft die Asymmetriehypothese zu, aber für die umgekehrte
Übersetzungsrichtung
nicht.
Wir
können
aus
unseren
Korpora
also
dieselben
Schlussfolgerungen ziehen als Van de Velde (2011): die Hypothese von Becher (2011) ist
nicht allgemeingültig für das Übersetzungspaar Niederländisch-Deutsch.
9.11
Welche Unterschiede und Ähnlichkeiten gibt es mit den Ergebnissen von Liza
Boogmans (2015)?
Liza Boogmans (2015) schreibt ihre Masterarbeit über dasselbe Thema, mit dem einzigen
Unterschied, dass sie die umgekehrte Übersetzungsrichtung, nämlich Niederländisch-Deutsch,
untersucht. Es schien uns interessant, uns die Unterschiede und Ähnlichkeiten zwischen
beiden Masterarbeiten anzuschauen.
Zuerst
vergleichen
wir
die
Arten
von
Nominalkomposita
in
den
beiden
Übersetzungsrichtungen. Im Voraus wurden die Ergebnisse angeglichen, da Liza Boogmans
extra Kategorien von Komposita aufgenommen hat, zum Beispiel die intern verzweigten
Komposita und die Nomen-Letter Komposita. Das Verhältnis zwischen den beiden
Übersetzungsrichtungen wird in Diagramm 11 vorgestellt.
45
Arten von Nominalkomposita: ein Vergleich
Niederländisch(–Deutsch)
Deutsch(–Niederländisch)
(Boogmans, 2015)
(De Bock, 2015)
1,05%
8,09%
4,96%
0,26%
0%
1,25%
0,26%
1%
0,75% 0,25%
5,25%
0%
7,25%
11,49%
73,89




NN
VN
AN
PräpN
84,25%




AdvN
PräfixN
NumN
Satz-Nomen
Diagramm 11: Arten von Nominalkomposita: ein Vergleich (Quelle: Boogmans (2015))
Im Allgemeinen sehen die Diagramme ziemlich gleich aus. Trotzdem gibt es einige
Unterschiede: im Deutschen gibt es mehr NN-Komposita, während das Niederländische über
mehr VN- und PräpN-Komposita verfügt.
Zweitens haben wir die Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den formalen und
semantischen Unterschieden in unserer Kompositaliste und der Kompositaliste von Liza
Boogmans (2015) untersucht.
Wir fangen mit einem Vergleich der Ergebnisse der formalen Unterschiede in beiden
Übersetzungsrichtungen an. Damit die Ergebnisse vergleichbar sind, wurden sie angeglichen,
da Liza Boogmans (2015) andere Label benutzt hat für die Klassifizierung. Die Ergebnisse
findet man in Diagramm 12.
46
Formale Unterschiede: ein Vergleich
Niederländisch-Deutsch
Deutsch-Niederländisch
(Boogmans, 2015)
(De Bock, 2015)
2,67%
3,52%
0,14%
8,72%
16,33%
13,19%
16,88%
54,94%
70,74%
12,87%





Kein formaler Unterschied
Explizierung
Implizierung
Andere Wortart im Erstglied
Weglassung
Diagramm 12: Formale Unterschiede: ein Vergleich (Quelle: Boogmans (2015))
Auf den ersten Blick stellen wir große Unterschiede fest zwischen den beiden
Übersetzungsrichtungen, was die formalen Unterschiede angeht. In der Richtung
Niederländisch-Deutsch gibt es im Allgemeinen mehr formale Unterschiede als in der
umgekehrten Richtung. In dieser Übersetzungsrichtung (ND) gibt es prozentuell mehr
Implizierungen, Weglassungen und Komposita die mittels eines Kompositums mit einem
anderen Erstglied übersetzt werden. In der Deutsch-Niederländischen Kompositaliste wurden
hingegen mehr Explizierungen angetroffen.
Anschließend werden die semantischen Unterschiede verglichen zwischen den beiden
Übersetzungsrichtungen. In Diagramm 13 wird dieser Vergleich visuell dargestellt.
47
Semantische Unterschiede: ein Vergleich
Niederländisch-Deutsch
Deutsch-Niederländisch
(Boogmans, 2015)
(De Bock, 2015)
2,67%
0%
4,24%
1,97%
1,41%
0,28%
3,37%
4,78%
6,75%
6,75%
79,59%
88,19%
 Kein semantischer  Weglassung
 Hinzufügung
Unterschied
 Explizierung
 Substitution
 Implizierung
Diagramm 13: Semantische Unterschiede: ein Vergleich (Quelle: Boogmans (2015))
Beim Vergleich dieser Diagramme werden wiederum Unterschiede entdeckt, obwohl sie
geringer sind als beim Vergleich der formalen Unterschiede. Im Allgemeinen gibt es auch
diesmal mehr semantische Unterschiede in der Richtung Niederländisch-Deutsch. Es gibt vor
allem mehr Substitutionen, Implizierungen, Weglassungen und Explizierungen in dieser
Richtung. In der Richtung Deutsch-Niederländisch hingegen gibt es mehr Hinzufügungen.
10 QUALITATIVE ANALYSE
Mit der qualitativen Analyse, in der wir uns auf De Metsenaere et al. (2014) stützen,
versuchen wir die zwölfte Teilfrage zu beantworten. Untersucht wird also, welche formalen
und semantischen Eigenschaften des Kompositums die Wahl des Übersetzungstyps
beeinflussen. Dazu werden die semantischen und formalen Eigenschaften der Komposita pro
Übersetzungstyp (siehe Kapitel 6) analysiert.
48
i.
Identifizierung
Unverzweigtes Kompositum
74,12% der in Betracht genommenen deutschen Nominalkomposita werden mit einem
unverzweigten Nominalkompositum übersetzt, z.B. Atemzug - ademteug. Dieser hohe
Prozentsatz ist eine logische Konsequenz der vielen etymologischen Ähnlichkeiten zwischen
dem Deutschen und dem Niederländischen.
Simplex/Derivat
In 8,72% der Übersetzungen tritt ein Simplex oder Derivat auf. Die Kategorie
Simplex/Derivat wird von De Metsenaere et al. (2014: 73) weiter in drei verschiedene
Übersetzungstypen eingeteilt:
1) Das Simplex/Derivat enthält in sich die gesamte Bedeutung des deutschen
Kompositums, z.B. Blutgerüst – schavot.
2) Das Simplex/Derivat ist lediglich die Übersetzung des Erstglieds des Kompositums,
z.B. Toreinfahrt – poort. Die Bedeutung lässt sich in diesem Fall aus der zugehörigen
Präposition erschließen, z.B. ze verdwenen door de poort.
3) Das Simplex/Derivat ist lediglich die Übersetzung des Zweitglieds des Kompositums,
z.B. Atemzug – teug. Die Bedeutung ergibt sich in diesem Fall aus dem Kontext, z.B.
hij (…) snoof met een diepe teug de geur (…) op.
Verzweigtes Kompositum
In der Kompositaliste wurde nur ein einziges verzweigtes Kompositum (0,14%) gefunden als
Übersetzung der deutschen Komposita. Einer der Gründe für diese niedrige Zahl ist, dass wir
bei den Auswahlkriterien der deutschen Komposita beschlossen haben, die deutschen
verzweigten Komposita in einer Restkategorie unterzubringen und außer Betracht zu lassen in
der Analyse. Insgesamt wurden 19 intern verzweigte Komposita in diese Restkategorie
aufgenommen und nur 5 dieser 19 Komposita wurden ins Niederländisch anhand eines
verzweigten Kompositums übersetzt. Obenstehendes stimmt überein mit der Annahme von
Hüning & Schlücker (2010: 9), dass intern verzweigte Komposita im Deutschen häufiger
vorkommen als im Niederländischen.
49
ii.
Paraphrasierung
Adjektivkonstruktion
In 8,58% der Fälle werden die deutschen Nominalkomposita ins Niederländische mit einer
Adjektivkonstruktion übersetzt. Eine Pilotstudie von De Metsenaere & Van de Velde (2013)
hat für die Übersetzungsrichtung Deutsch-Niederländisch schon ein qualitatives Ergebnis
bezüglich der Adjektivkonstruktionen nachgewiesen. Sie haben entdeckt, dass Komposita
dessen
Erstglied
eine
Eigenschaft
des
Zweitglieds
enthält,
oft
anhand
einer
Adjektivkonstruktion übersetzt werden. Diese Feststellung wird in unserer Kompositaliste
bestätigt, z.B. Dauergesängen – onafgebroken gezang.
Laut De Metsenaere et al. (2014: 73), wird die Adjektivkonstruktion in zwei Situationen als
Übersetzung eines Kompositums angewendet:
1) Wenn es eine materiale Relation gibt zwischen den beiden Kompositumgliedern.
Fleischer & Barz (2012: 142) definieren eine materiale Relation als eine semantische
Relation zwischen dem Erst- und Zweitglied, bei der das Zweitglied aus dem Erstglied
besteht, z.B. Eichenbrettern – eiken planken. Campe (2008) bestätigt diesen Gebrauch:
“It is known that the Dutch language does not favour compounds with a first
component that relates to the material the referent of the second noun is made of.” (S.
4).
2) Wenn das Erstglied des deutschen Kompositums ein Präsensstamm (z.B.
Wanderarbeiter
–
rondtrekkende
arbeiders)
oder
Präteritalstamm
(z.B.
Zwangsadoption – verplichte adoptie, Beispiel aus De Metsenaere et al. (2014: 73))
ist.
Nomen mit genitivischem van
4,22% der Übersetzungen in der Kompositaliste sind Konstruktionen mit genitivischem van.
Diese Übersetzungsform kommt laut De Metsenaere et al. (2014: 73-74) in zwei Situationen
vor:
1) Wenn das Erst- und Zweitglied sich in einer semantisch partitiven Relation gegenüber
stehen, d.h. das Zweitglied ist Teil des Erstglieds, z.B. Straßenecke – hoek van een
straat.
50
2) Wenn das Erstglied des Kompositums ein Eigenname ist. In diesem Fall gibt es zwei
Möglichkeiten:
a. Es handelt sich um eine „agentive Relation“ (Fleischer & Barz, 2012: 141).
Eine agentive Relation wird von Fleischer & Barz (2012) umschrieben als eine
semantische Relation bei der das Erstglied Agens des Geschehens im
Zweitglied ist, z.B. Palmers-Produkte – produkten (sic) van Palmers (Beispiel
aus De Metsenaere et al., 2014: 73).
b. Es handelt sich um eine „kommemorative Relation“ (Ortner et al., 1991: 572573). Eine kommemoratieve Relation ist laut Ortner et al. (1991: 572) eine
semantische Relation bei der das Zweitglied nach dem Erstglied benannt ist,
z.B. Shakespeare-Preis (Beispiel aus Ortner et al., 1991: 572).
Campe (2008: 4) stellt fest, dass bei diesen Konstruktionen mit genitivischem van meistens
auch eine wörtliche Übersetzung anhand eines Kompositums möglich ist, wie z.B.
Kniekehlen – binnenkant van zijn knieën (das wörtliche knieholten ist auch möglich). Daraus
leiten wir ab, dass die Wahl für eine Konstruktion mit genitivischem van oft eine stilistische
Wahl des Übersetzers ist.
Nomen mit einer anderen Präposition
1,97% der Komposita in der Kompositaliste wurde als eine Konstruktion mit einer anderen
Präposition als van übersetzt. Diese Konstruktionen treten laut De Metsenaere et al. (2014:
74) bei einer lokalen oder thematischen Relation zwischen den beiden Kompositumgliedern
auf.
-
Bei einer lokalen Relation unterscheiden Fleischer & Barz (2012: 141) vier
Kategorien, bei denen A für das Erstglied und B für das Zweitglied des Kompositums
steht.
1) „B befindet sich in A“, z.B. Gartenbeet – bed in de tuin (S. 141)
2) „B vollzieht sich in A“, z.B. Büroarbeit – werk op kantoor (S. 141)
3) „B stammt von A“, z.B. Seewind – wind vanuit de zee (S. 141)
4) „B führt zu A“, z.B. Kellertreppe – trap naar de kelder (S. 141)
Abhängig von der Art der lokalen Relation, wird eine andere Präposition gewählt.
51
-
Bei einer thematischen Relation „wird A von B hervorgebracht bzw. ist von der
Handlung in B betroffen“ (Fleischer & Barz, 2012: 141), z.B. Experimentierwut –
verwoede neiging tot experimenteren.
Konstruktion mit Verb
In 0,99% der Übersetzungen in der Kompositaliste wurde eine Konstruktion mit Verb
angetroffen, z.B. Blütenwechsels – bloemen te verwisselen. Weitere Studien sind notwendig,
um herauszufinden, welche Eigenschaften die Komposita haben die anhand einer
Konstruktion mit Verb übersetzt werden.
Apposition
In 0,56% der in Betracht genommenen Komposita in unserer Kompositaliste ist die
Übersetzung eine Apposition, z.B. Formelsammlung – verzameling formules. Eine
Apposition ist laut De Metsenaere et al. (2014) eine Kombination von zwei Nomina, bei der
die Reihenfolge umgekehrt ist als beim deutschen Kompositum, d.h. die Übersetzung von
‚Formalsammlung‘ ist ‚verzameling formules‘ statt ‚formules verzameling‘. Obwohl das
Kompositum und ihre Übersetzung auf den ersten Blick umgekehrte Konstruktionen
aufweisen, ähneln die Konstruktionen sich: im deutschen Kompositum bestimmt das Erstglied
das Zweitglied näher und bei der niederländischen Apposition bestimmt das rechte Nomen
das linke näher. Laut De Metsenaere et al. (2014) ist eine Apposition oft die Übersetzung
eines Kompositums mit einer „konstitutionalen Relation“ (Fleischer & Barz, 2010: 142)
zwischen den beiden Kompositumgliedern, d.h. das Erstglied ist Bestandteil vom Zweitglied,
z.B. Blütenhaufen – hoop bloemen.
De Metsenaere und Van de Velde (2013) stellen in ihrer Pilotstudie anhand eines Korpus
Deutsch-Niederländisch fest, dass Appositionen in der Übersetzung oft vorkommen, wenn das
Zweitglied des Kompositums eine Form, eine Menge oder ein Volumen enthält. Diese
Tendenz wird in unserer Kompositaliste bestätigt, z.B. Blütenhaufen – hoop bloemen.
52
Genitivkonstruktion
In 0,42% der Übersetzungen treffen wir eine Genitivkonstruktion an, z.B. Universitätsgarten –
tuin der Universiteit. Wir bemerken, dass dieser Übersetzungstyp vor allem vorkommt als
Übersetzung eines Kompositums mit einer semantisch partitiven Relation, wobei das
Zweitglied Teil des Erstglieds ist, zwischen den beiden Kompositumgliedern. Außerdem
stellen wir fest, dass bei diesen Konstruktionen eine identische Übersetzung meistens auch
möglich ist, z.B. Universitätsgarten – tuin der Universiteit (universiteitstuin ist auch möglich).
Daraus leiten wir ab, dass die Intuition des Übersetzers auch eine Rolle spielt.
Konstruktion mit Relativsatz
In 0,14% der Fälle gibt es in der Übersetzung eine Konstruktion mit Relativsatz, z.B.
Ausgangsstoffen – stoffen waar hij van uitging. Weitere Studien sind notwendig, um
herauszufinden, welche Eigenschaften die Komposita haben die anhand einer Konstruktion
mit Relativsatz übersetzt werden.
iii.
Weglassung
In 0,14% der Übersetzungen wurde Weglassung als Übersetzungsstrategie benutzt, z.B. mit
der Rückseite über Tisch und Stühle - over tafel en stoelen. Es ist nicht deutlich, in welchen
Situationen Weglassung als Übersetzungsstrategie verwendet wird. Weitere Studien sind hier
notwendig.
iv.
Pronominalisierung
In keinem Fall wurde Pronominalisierung detektiert in der Kompositaliste. Ein Beispiel von
Pronominalisierung aus De Metsenaere et al. (2014) ist ‚legte die Wattebäusche in eine gerade
Reihe‘ – ‚legde die in een rechte rij‘. Diese Übersetzungsstrategie wird angewendet, um
Wiederholung zu vermeiden. Meistens wird Pronominalisierung verwendet, wenn das
Kompositum ein zweites oder drittes Mal übersetzt wird.
53
11 WEITERE STUDIEN
Im Bereich der Übersetzung von Komposita, wie in allen spezifischen Forschungsbereichen
der Übersetzungswissenschaft, sind weitere Studien möglich und notwendig. Je mehr Korpora
und Daten analysiert werden, desto mehr zuverlässige Schlussfolgerungen gezogen werden
können. In diesem Kapitel werden Vorschläge für weitere Forschungen gemacht. Erstens
könnte das Verhältnis zwischen der Zahl von Nominalkomposita und allen Wörtern im Buch
verglichen
werden,
um
herauszufinden,
wie
groß
der
Bereich
der
Kategorie
‚Nominalkomposita‘ ist. Zweitens können weitere Untersuchungen nach der Gültigkeit der
Explizierungshypothese von Blum-Kulka (1986) und der Asymmetriehypothese von Becher
(2011) durchgeführt werden. Drittens kann untersucht werden, welche Eigenschaften des
Kompositums den großen Variationsunterschied erklären zwischen der Zahl der
verschiedenen Arten von Übersetzungstypen die vorkommen bei den NN-Komposita bzw. bei
den anderen Arten von Nominalkomposita. Viertens kann genauer erforscht werden, welche
weiteren Faktoren einen Einfluss ausüben auf die Unterschiede zwischen den Übersetzungen
von häufig bzw. nicht-häufig vorkommenden Komposita. Zum Schluss, könnte im großen
Maßstab untersucht werden, welche Faktoren die Wahl für einen bestimmten Übersetzungstyp
beeinflussen, neben den Faktoren, die schon in unserer qualitativen Analyse erwähnt wurden.
12 SCHLUSSFOLGERUNG
Das Hauptziel dieser Masterarbeit war, anhand einer Korpusstudie herauszufinden, wie die
vierhundert getesteten deutschen Nominalkomposita ins Niederländische übersetzt werden
und welche formalen und semantischen Unterschiede mit diesem Übersetzungsprozess
verbunden sind. In diesem Kapitel wird Ihnen eine Übersicht über die wichtigsten Ergebnisse
verschafft.
In unserer Kompositaliste sind die NN-, VN- und AN-Komposita, mit beziehungsweise
84,25%, 7,25% und 5,25%, die Arten von Nominalkomposita die am häufigsten vorkommen.
Damit wird die Annahme von Hüning & Schlücker (2010: 9), dass die NN-Komposita am
häufigsten vorkommen, bestätigt.
54
Die Analyse der Übersetzungstypen bracht folgendes Verhältnis zwischen den vier
Hauptübersetzungstypen ans Licht: 82,98% Identifizierungen, 16,88% Paraphrasierungen,
0,14% Weglassungen und keine Pronominalisierungen. Die Unterkategorie die bei den
Identifizierungen am häufigsten vorkommt, ist in unserer Forschung das unverzweigte
Kompositum und bei den Paraphrasierungen die Adjektivkonstruktion. Bei allen Arten von
Nominalkomposita, außer bei den AN- und PräfixN-Komposita, schien die Identifizierung die
am häufigsten verwendete Übersetzungsform. Auch hat es sich herausgestellt, dass bei den
NN-Komposita viel mehr Arten von Übersetzungstypen vorkommen als bei allen anderen
Arten von Nominalkomposita.
In unserer Kompositaliste wurde 55% der Komposita identisch übersetzt und 45% nichtidentisch, wovon 43% anhand eines nicht-identischen Kompositums und 57% anhand einer
anderen Konstruktion. Wir können aus der Liste auch erschließen, dass 74% der
Übersetzungen die Form eines Kompositums und 26% die Form einer anderen Konstruktion
hat.
Unsere Ergebnisse bestätigen die Anwesenheit eines Unterschiedes zwischen den
Übersetzungen von festen und den Ad-hoc-Komposita. Die Ad-hoc-Komposita werden
nämlich
mehr
nicht-identisch
und
anhand
anderer
Konstruktionen
(vor
allem
Adjektivkonstruktionen) übersetzt als die festen Komposita.
Außerdem haben wir entdeckt, dass häufig vorkommende Komposita in unserer
Kompositaliste anders übersetzt werden als nicht-häufig vorkommende Komposita. Die
Tendenz ist, dass Komposita die nur ein- oder zweimal in der Liste vorkommen, mehr
paraphrasiert werden, und Komposita die mehr als dreimal vorkommen, mehr identifiziert.
In der Regel wurden in den Übersetzungen (70,74%) in unserer Liste keine formale
Unterschiede aufgedeckt. Wenn doch, dann ist dieser Unterschied eine Explizierung
(16,88%), eine Implizierung (8,72%), ein Kompositum mit einer anderen Wortart im Erstglied
(3,52%) oder eine Weglassung (0,14%). In der Mehrheit der Übersetzungspaare (88,19%)
wurde ebenfalls kein semantischer Unterschied entdeckt, aber wenn doch, dann ist dieser
Unterschied eine Substitution (4,78%), eine Implizierung (3,37%), eine Weglassung (1,97%),
eine Hinzufügung (1,41%) oder eine Explizierung (0,28%). Anhand unserer Daten konnte
ebenfalls bestätigt werden, dass die Anwesenheit eines formalen Unterschiedes die Chance
55
auf einen semantischen Unterschied tatsächlich vergrößert. Außerdem konnte konkludiert
werden, dass die Asymmetriehypothese von Becher (2011) in unserer Kompositaliste nicht
allgemeingültig ist für das Übersetzungspaar Niederländisch-Deutsch.
56
13 LITERATURVERZEICHNIS
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