Kommentar: Saudi-Arabien als Strategischer Partner

Nr. 114 | April 2016
Das außenpolit ische J o ur n al
Schachbrett
Syrien
Perspektiven für Frieden
Syrien seit der Unabhängigkeit
Konfessionalisierung des Konflikts
Kurdische Alternativen
WeltBlick
Brasilien: Wege aus der Krise
Aserbaidschan als Energiegigant
Forum: Fortsetzung EU-Debatte
Beiträge von Jürgen Trittin u. a.
Kommentar von Rolf Mützenich
Was tun mit Saudi-Arabien?
ISSN 0944-8101 | 4,80 €
Inhalt
4
WeltBlick
4
Brasilien sucht nach Auswegen
Achim Wahl
9
Energiepolitik Deutschland – Aserbaidschan
Matthias Dornfeldt und Sona Maharramowa
14
Briefe aus …
Rio und München
18
Zwischenruf: Deutsche Außenpolitik – Neue Verantwortung
Hubert Thielicke
20
Thema: Schachbrett Syrien
22
Syriens sozioökonomische Entwicklung
Salam Said
27
Die Konfessionalisierung des Konfliktes
Friederike Stolleis
32
Kurden in Syrien
Songül Karabulut
37
Hat Syrien eine Zukunft?
Salim Ibrahim
42
Syrien und Genf III
Karin Kulow
48
Geschichte Syriens – Eine Zeittafel
Anne Klinnert
WeltTrends • Das außenpolitische Journal • 100 • Januar/Februar 2015 • 23. Jahrgang • S. 2–3
Historie: Das Sykes-Picot-Abkommen von 1916
50
Adrian de Souza Martins
Forum: EU am Ende?
54
Jürgen Trittin, Helmut Scholz, Reinhard Rode, Wilhelm Ersil
Politik im Bilde: Wir und die Anderen
63
Anne Klinnert
Buch des Monats
66
Sascha Arnautović
Briefe an die Redaktion
68
Impressum
69
Kommentar: Saudi-Arabien als Partner?
70
Rolf Mützenich
Wort und Strich
72
Kommentar
Saudi-Arabien – „Strategischer Partner“
oder Schurkenstaat?
Rolf Mützenich
D
eutsche Politik und Öffentlichkeit streiten wieder einmal über den
richtigen Umgang mit Saudi-Arabien. Die einen sehen im wahhabitischen Königshaus nach wie vor einen unverzichtbaren Partner, der zur
Regelung von Regionalkonflikten und zur Stabilisierung in der Region
gebraucht wird und mit dem man zudem lukrative (Rüstungs-)Geschäfte
machen kann. Die anderen sehen in Riad einen gefährlichen Exporteur
ultrakonservativer islamischer Ideologie, der die Menschenrechte mit
Füßen tritt und maßgebliche Mitschuld an der Destabilisierung der Region
trägt. Die Herrscher in Riad wiederum fühlen sich, umringt von Kriegen und Krisenherden, existenziell bedroht. Keiner weiß, wie viele Saudis tatsächlich mit dem „Islamischen Staat“ und dessen radikaler Ideologie
sympathisieren, die sich nur unwesentlich von der saudischen Staatsdoktrin des Wahhabismus unterscheidet. Nun rächt sich, dass das saudische
Königshaus jeden Konflikt in der Region primär unter dem iranisch-saudischen Machtkampf betrachtet. Die damit verbundene Sorge, dass sich
der „schiitische Halbmond“ in einen Vollmond verwandeln könnte, führt
dazu, dass der Aufschwung radikaler islamistischer Gruppen in Stellvertreterkriegen aller Art billigend in Kauf genommen wird. Der Rückzug
der USA aus der Region unter Obama wird von den saudischen Eliten als
Verrat empfunden. Hinzu kommt, dass die Vereinigten Staaten aufgrund
der Schieferölrevolution vom Importeur zum Exporteur von Rohöl wurden. Der damit einhergehende aggressive Preiskrieg hat zu einem radikalen
Ölpreisverfall geführt, der auch Riad zu schaffen macht.
Zu allem Überfluss drängt nach dem iranischen Atomabkommen nun
auch Teheran als Ölanbieter wieder auf die Märkte. Nicht nur die deutsche Wirtschaft ist in froher Erwartung angesichts von anstehenden Milliardengeschäften. Bei allen berechtigten politischen und wirtschaftlichen
Interessen darf jedoch auch die Menschenrechtslage in Iran nicht verschwiegen werden, der allein 2015 über 700 Menschen hinrichten ließ.
Von Saudi-Arabien wird der Iran – nicht ganz zu Unrecht – als expansive Macht und großer strategischer Gewinner des vergangenen Jahrzehnts empfunden. Saudi-Arabien handelt also nicht aus einer Position
WeltTrends • Das außenpolitische Journal • 114 • April 2016 • 24. Jahrgang • S. 70–71
Kommentar
wirtschaftlicher und politischer Stärke heraus, sondern aus einer Position
der Schwäche. Dies wiederum macht das Regime am Golf noch unberechenbarer und gefährlicher.
Macht Deutschland angesichts der Menschenrechtslage in Saudi-Arabien
zu viele Geschäfte mit einem Unrechtsstaat? Diese Frage lässt sich nicht
ohne Weiteres mit einem Ja oder Nein beantworten. Im Gegensatz zu unseren Partnern Frankreich, Großbritannien und den USA, die sich in Riad die
Klinke in die Hand geben, ist Deutschland durchaus zurückhaltend und
spart auch nicht mit Kritik. Dennoch ist es notwendig, die Politik gegenüber Riad auf den Prüfstand zu stellen. Wir können nicht länger die Augen
davor verschließen, dass Saudi-Arabien ein schwieriger Partner ist, der maßgeblich für die weltweite Verbreitung radikalislamischen Gedankenguts in
Form des Wahhabismus mit verantwortlich ist. Saudi-Arabien ist nur noch
insofern ein „Stabilitätsanker“, als ein Zusammenbruch des saudischen
Königshauses für die Region und für Europa unübersehbare Folgen hätte.
Das Land ist ebenso Teil der Lösung wie Teil des Problems – genauso wie
der Iran, Russland und die Türkei. Sie alle sind „schwierige Partner“, die
man gleichwohl zur Befriedung des mörderischen Krieges in Syrien braucht.
Deshalb muss man mit ihnen reden – und zwar im Sinne von kritisch auseinandersetzen und nicht nach dem Mund reden. Langfristiges Ziel des
Westens muss es sein, im Nahen und Mittleren Osten demokratisch orientierte zivilgesellschaftliche Kräfte zu fördern – die selbst in Saudi-Arabien in
Nischen vorhanden sind – und den Aufbau legitimer und funktionierender
staatlicher Strukturen zu unterstützen. Diese Aufgabe wird voraussichtlich
Jahrzehnte in Anspruch nehmen und immer wieder durch Rückschläge
gekennzeichnet und bedroht sein. Doch die Alternativen des Nahen und
Mittleren Ostens heißen nicht sunnitischer oder schiitischer Islam, sondern
Unterdrückung oder demokratische Selbstbestimmung.
Dr. Rolf Mützenich
geb. 1959, MdB, stellv. Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion für die
Bereiche Außenpolitik, Verteidigung und Menschenrechte
[email protected]
71