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Die Welt am Sonntag, 10.01.2016
Die Karawane zieht weiter
Der Nahe Osten brennt und Berlin denkt um: Der alte Partner Saudi-Arabien
wird plötzlich kritischer gesehen - auch weil man sich neue Geschäfte mit dem
Iran verspricht
VON ROBIN ALEXANDER
Saudi-Arabien ist kein Land, in dem man sich leicht amüsieren kann: Alkohol, Tanz
und Theater sind in dem streng islamischen Königreich verboten. Umso sehnlicher wird der 3. Februar erwartet: Dann beginnt das DschanadriyahFestival. Drei Wochen lang bietet das größte Kulturfest der Region mit spektakulären
Kamelrennen und prächtigen Jagdfalken-Shows Wüstenromantik pur. Auf eineinhalb
Quadratkilometern wurde für viel Geld jede saudische Provinz nachgebaut - aber
auch eine Straße deutscher Fachwerkhäuser und ein mittelalterliches Stadttor samt
Wassergraben. Denn neben den drei Millionen heimischen Besuchern wird auch ein
Gast aus Deutschland erwartet: Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD).
Ein heikler Termin für Deutschlands Chefdiplomaten. Denn das autoritäre Königreich
hat Anfang des Jahres 47 Menschen hingerichtet, so viele wie seit zwei Jahrzehnten
nicht mehr. Eine grausame Tat - und eine, die den Nahen Osten vollends ins Chaos
stürzen könnte. Das sunnitische Regime ließ nicht nur Terroristen exekutieren,
sondern auch den schiitischen Geistlichen Nimr al-Nimr. Der Krieg der islamischen
Konfessionen zerstört schon Syrien - und droht nun auf die ganze Region
überzuschwappen. Die schiitische Schutzmacht Iran ließ am nächsten Tag zu, dass
in Teheran ein wütender Mob die saudische Botschaft in Teheran stürmte. SaudiArabien brach daraufhin die diplomatischen Beziehungen zum Iran ab und soll im
Nachbarland Jemen die iranische Botschaft bombardiert haben. Der UNGeneralsekretär Ban Ki-moon erklärte, er habe Informationen über den Einsatz von
Streubomben im Jemen, der als Kriegsverbrechen gewertet werden könne.
Und in dieser Situation soll der deutsche Außenminister mit König Salman ein
Wüstenfest besuchen? Das Auswärtige Amt bestätigt nichts, aber der deutsche
Botschafter hat den Besuch schon im Dezember in Riad angekündigt. Steinmeier
wird fahren. Das stößt beim Koalitionspartner auf Kritik: "Angesichts der
Massenhinrichtungen in den letzten Tagen ist es für deutsche Minister
unangemessen, mit dem Regime in Riad in der Wüste lustige Feste zu feiern“, sagt
der stellvertretende CDU-Vorsitzende Armin Laschet: "Der militante ,Islamische
Staat“ konnte sich nur durch saudische Unterstützung in Syrien ausbreiten.“ Auch der
Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen (CDU),
kritisiert die geplante Reise: "Angesichts von Massenexekutionen halte ich die
Teilnahme an einem Kulturfestival für unangebracht. Gleichzeitig ist der Dialog mit
Riad unverzichtbar. Hierbei müssen wir die europäische Erfahrung eines Ausgleichs
zwischen rivalisierenden Staaten ebenso einbringen wie verstehen lernen, dass Saudi-Arabien
seine Sicherheit von innen und außen bedroht sieht.“
Die Opposition stimmt ein: "Bei aller Notwendigkeit der Kooperation mit SaudiArabien wäre es falsch, das Königreich für die Massenexekutionen auch noch mit
dem Vorgaukeln der Normalität eines Kulturfestivals zu belohnen. Deshalb muss
Steinmeier seine Reise zum Dschanadriyah-Festival absagen“, fordert der
außenpolitische Sprecher der Grünen, Omid Nouripour. Und Dietmar Bartsch,
Fraktionsvorsitzender der Linken, klagt: "Es ist inakzeptabel, dass der Außenminister
in dieser Lage nach Saudi-Arabien reist. Das Königreich hat in einer hochexplosiven
Lage in der Region völlig unverantwortlich weiter eskaliert. Das richtige Signal wäre
jetzt, diese Reise abzusagen.“
Im Auswärtigen Amt argumentiert man aus der Defensive. Das Festival gelte als
Gradmesser des gesellschaftlichen Fortschritts, heißt es dort, und sei eine der
wenigen Möglichkeiten zum direkten Austausch mit der Bevölkerung. Dafür hat man
Geld in die Hand genommen: 2,5 Millionen Euro haben die Diplomaten für die
Errichtung und den Betrieb des "Deutschen Pavillon“ eingeplant, dazu kommen
weitere Gelder von Unternehmen wie Airbus, Herrenknecht oder Volkswagen, die
sich dort präsentieren. Ebenfalls prominent vertreten ist ausgerechnet das einzige
von einem grünen Ministerpräsidenten regierte Bundesland: Baden-Württemberg.
50.000 Euro hat das Wirtschaftsministerium des Ländles in seinen Auftritt auf dem
Wüsten-Fest investiert, dessen offizieller Veranstalter die saudische Nationalgarde
ist. Diese Elite-Einheit beendete mit ihren Panzern 2011 den arabischen Frühling im
Nachbarland Bahrain. Für das Kulturprogramm im deutschen Pavillon lässt das
Goethe-Institut deutsche Hip-Hopper und bayerische Tanzgruppen einfliegen. Aber
auch die Saudis pflegen ein ganz spezielles Kulturprogramm: 2014 besuchte Prinz
Charles das Wüstenfestival. Der Brite kleidete sich in der "Thobe“, einer traditionellen
saudischen Uniform, und führte gemeinsam mit Mitgliedern des Königshauses und
den Spitzen der Geheimdienste den traditionellen Schwerttanz auf. .
Steinmeier dürfte bei seiner Reise wohl in kein Gewand schlüpfen und tanzen. Doch
eine Brüskierung der Saudis will er gerade jetzt auch nicht riskieren. Denn SaudiArabien wird zur Eindämmung des syrischen Bürgerkrieges gebraucht. An diesem
Mittwoch trafen sich in Riad die Rebellen, die sowohl gegen den Diktator Assad als
auch gegen den "Islamischen Staat“ kämpfen wollen.
Der Außenminister hat einfach Pech mit dem Timing gehabt. Seine Reise war
ursprünglich für 2015 geplant. Dann aber verstarb der alte König Abdullah, der von
einer Öffnung seines Landes immerhin gelegentlich sprach. Das Festival - und damit
auch der deutsche Auftritt - wurde verschoben. Doch nun regiert ein neuer Herrscher:
Der 80-jährige König Salman und dessen Sohn, Muhammad bin Salman, 30,
konsolidieren ihre Macht, indem sie Krieg führen und im Inneren auf Repression
setzen. Die Massenhinrichtung vom Jahresanfang könnten mm ein vorübergehender
Höhepunkt sein: Auch der Neffe von Nimr al-Nimr ist zum Tode verurteilt, weil er als
17-Jähriger 2012 an einer Demonstration teilnahm. Steinmeier versucht diese
Hinrichtung zu verhindern, indem er hinter den Kulissen auf die Saudis einwirkt. Der
Außenminister glaubt, dass jeder Versuch, öffentlich Druck zu machen,
kontraproduktiv wirkt - sogar im Falle des iranischen Bloggers Raif Badawi. Das
sehen einige in Berlin freilich ganz anders, allen voran Bundespräsident Joachim
Gauck. Sein Amtschef David Gill schrieb im Januar 2015 einen Brief an den
saudischen Botschafter, in dem er seine Bestürzung über eine Auspeitschung
Badawis ausdrückte.
Die aktuelle heftige Kritik an Steinmeiers geplanter Reise hat dennoch etwas
Paradoxes: Bisher stand gerade dieser Außenminister nicht im Verdacht, ein
besonderer Saudi-Freund zu sein. Im Gegenteil, der Sozialdemokrat gilt als einer der
Architekten des Iran-Deals - ein Abkommen, gegen das die Saudis erbitterten
Widerstand geleistet hatten. Mit dem Deal sollen die Wirtschaftssanktionen gegen
den Mullah-Staat ausgesetzt werden, wenn der nicht mehr an Nuklearwaffen arbeitet.
Linke und Grüne kritisieren die deutsche Zusammenarbeit mit Riad schon lange besonders die Waffenlieferungen. SPD-Chef Sigmar Gabriel stoppte als
Wirtschaftsminister wichtige Rüstungsexporte. Doch warum stimmt jetzt
ausgerechnet die Union in den Chor der Kritiker ein?
Es war immerhin Angela Merkel, die Saudi-Arabien einst als "strategischen Partner“
und "Stabilitätsanker“ in der Region ausmachte, den es zu ertüchtigen gelte. Der
Waffenverkauf stieg, der geheim tagende Bundessicherheitsrat genehmigte damals
offenbar sogar eine
Panzerlieferung. 2010 tourte Merkel mit Wirtschaftsführern durch mehrere Golfländer
und speiste im Palast von König Abdullah vor einer mit Wasser gefüllten Wand, in
der ein lebender Hai schwamm. Schon 2009 wurde eine "strategische Partnerschaft
im Sicherheitsbereich“ vereinbart: Der saudische Grenzschutz wird seitdem von der
deutschen Bundespolizei trainiert.
Merkels ehemaliger Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) wechselte vom
Kabinettstisch als Präsident zur dubiosen deutsch-arabischen Handelsvereinigung
"Ghorfa“. Die wird von jüdischen Organisationen kritisiert, sie stelle Dokumente aus,
mit denen Unternehmen belegen könnten, dass sie keinen Handel mit Israel trieben.
Ramsauer lehnte einen Kommentar dazu ab.
Doch dreht sich der Wind: Auch CSU-Politiker wie Hans-Peter Uhl sagen jetzt, "in der
Vergangenheit“ sei Saudi-Arabien sicher ein "Stabilitätsfaktor“ gewesen, nun aber
müsse man "neu nachdenken“. Auch der stellvertretende Vorsitzende der
Unionsfraktion, Michael Fuchs (CDU), meint: "Ich bin nicht prinzipiell gegen
Waffenexporte, schon aus Rücksicht auf die Arbeitsplätze in Deutschland. Aber im
Falle Saudi-Arabiens zwingen die aktuellen Entwicklungen zu höchster Vorsicht!“
Fuchs fragt sich, wie berechenbar Riad noch ist: "Die Hinrichtung eines schiitischen
Geistlichen in dieser Situation gleicht einem Amoklauf!“ Der Bundesnachrichtendienst
beurteilt die Lage im Königreich sehr skeptisch - und machte das mit Genehmigung
des Kanzleramtes sogar öffentlich. Die Wirtschaft hat als Erste reagiert: Konzerne
und Mittelständler sind so scharf auf Geschäfte mit dem Iran, dass Merkel in kleiner
Runde einmal klagte, die Israelfeindschaft der Mullahs scheine überhaupt niemanden
mehr zu interessieren.
Auch der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jürgen Hardt, definiert die
Rollen Riads und Teherans neu: "Früher haben wir von Saudi-Arabien als unserem
strategischem Partner gesprochen, aber für den Frieden im Nahen Osten sind Iran
und Saudi-Arabien gleichermaßen wichtig,“
In der Konsequenz schwenkt die Union auf die Linie ein, die sich in der SPD schon
länger durchgesetzt hat. "Saudi-Arabien muss ein wichtiger Akteur in der Region
genannt werden - genau wie Iran“, sagte der außenpolitische Sprecher der SPD-
Fraktion, Rolf Mützenich: "Ich freue mich, dass es auch in der Union mittlerweile eine
veränderte Haltung zu Saudi-Arabien gibt.“
Das Timing für eine neue Gewichtung der Beziehungen im Nahen Osten ist freilich
nicht schlecht: In wenigen Wochen dürfte der Iran die Bedingungen erfüllt haben,
damit die Aussetzung der Sanktionen beginnen kann. Die Bundesregierung ist
vorbereitet: Im Juli flog Vizekanzler Gabriel mit einer Wirtschaftsdelegation nach
Teheran - als erster westlicher Besucher nach der Atom-Einigung. Sogar der
Albtraum der Saudis ist vorstellbar geworden. Ein Gang des iranischen Präsidenten
Rohani über den roten Teppich ins Berliner Kanzleramt. So weit ist es noch nicht: Ein
Besuch des Iraners in Berlin ist aktuell nicht geplant. Genauso wenig wie eine neue
Reise der Kanzlerin an den saudischen Golf.
Gute Geschäfte mit zweifelhafter Kundschaft
Größte Abnehmer deutscher Waren und Dienstleistungen sind die USA, Frankreich
und Großbritannien - immer noch. Die Wirtschaft liefert aber auch in großem Stil an
Länder, in denen es keine Demokratie gibt, keinen Rechtsstaat und bestenfalls
eingeschränkte Bürgerrechte.
Die internationale Nichtregierungsorganisation "Freedom House" etwa klassifiziert in
ihrer jüngsten Untersuchung weltweit 51 Länder als "unfrei". In diese Länder
exportierte Deutschland 2014 nach Berechnungen der "Welt am Sonntag" Waren
und Dienstleistungen im Wert von knapp 151 Milliarden Euro. Fast jeder siebte Euro
(13,4 Prozent), der im Exportgeschäft verdient wurde, stammt somit aus
Unrechtsstaaten.
Die Exporte in unfreie Länder sind in den vergangenen 25 Jahren überproportional
gestiegen. 1990 waren es noch 14 Milliarden Euro gewesen, im Jahr 2000 gut 24
Milliarden. Im zurückliegenden Jahr dürften die Ausfuhren in unfreie Länder etwas
rückläufig gewesen sein; auf Basis der Werte für die Monate Januar bis Oktober lässt
sich für 2015 ein Exportvolumen von rund 143 Milliarden Euro hochrechnen. Ein
wichtiger Grund für den dramatischen Anstieg ist das florierende Geschäft mit dem
als "unfrei" klassifizierten China. Aber auch die Ausfuhren in die anderen unfreien
Länder haben sich vervielfacht - von zwölf Milliarden Euro 1990 auf schätzungsweise
72 Milliarden Euro 2015.