MONTAG, 26. OKTOBER 2015, SEITE 23 Kultur & Freizeit Bibelwort „Gott hat mein Elend und meine Mühe angesehen.“ 1. Mose 31,42 Seit dem „Jahr der Bibel“ 2003 erscheinen an dieser Stelle Texte aus dem Alten und Neuen Testament. Entnommen wird dieser Spruch für den jeweiligen Tag den „Losungsbüchern“ der Herrnhuter Brüdergemeine. www.losungen.de NACHRICHTEN „Tagesschau“-Sprecher zum ersten Mal mit Beinen HAMBURG. Teresa Carrar (Birgit Lenz) weigert sich, die Gewehre ihres Mannes herauszugeben, auch wenn das ihr Bruder Pedro (Reiko Rölz, links) und ihr Sohn José (Martin Puhl) noch so sehr möchten. FOTO: FRANK WILHELM Raushalten geht nicht: Eine Mutter zwischen den Fronten Von Matthias Diekhoff Nicht viel zu lachen gab es bei der jüngsten Premiere im Anklamer Theater. Aber dafür hat Bertolt Brecht „Die Gewehre der Frau Carrar“ auch nicht geschrieben. Fast jedes Kind, das in der DDR zur Schule ging, musste irgendwann das Lied „Spaniens Himmel“ lernen. Die meisten Kinder von damals können den Text – zumindest teilweise – bis heute. Hängen geblieben ist vielleicht auch noch, dass es sich dabei um das Lied der sogenannten Thälmann-Kolonne handelte, die im spanischen Bürgerkrieg der 30er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts gegen die Franco-Faschisten kämpfte. Vor diesem Hintergrund spielt auch das Stück „Die Gewehre der Frau Carrar“ von Bertold Brecht, das am Sonnabend im Anklamer Theater Premiere feierte. Am Ende gab ANKLAM. es viel Applaus, auch wenn Regisseur Wolfgang Bordel darauf verzichtet hatte, ein paar aktuelle Anspielungen einzubauen, was ihm sonst immer große Freude macht. Gelacht wurde diesmal also nicht, was bei diesem Stück von Brecht aber auch nicht anders zu erwarten war. Teresa Carrar (Birgit Lenz) lebt mit ihren Söhnen Juan und José in einem kleinen Fischerhaus in Andalusien. Ihren Mann hat sie bereits durch einen Lungenschuss verloren. Darum möchte sie auch nicht, dass ihre Kinder an die Front gehen, schließlich seien die beiden „kein Schlachtvieh“. Auch ihr Bruder Pedro (Reiko Rölz), der vorgibt, sie eher zufällig zu besuchen, kann sie nicht vom Gegenteil überzeugen. Schon gar nicht davon, die Gewehre ihres Mannes herauszurücken. Denn: „Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen“, sagt sie. Diesen Ansatz vertritt eigentlich auch der Padre (Johannes Langer), auch wenn er weiß, dass die Franco-Anhänger schon etliche Priester getötet haben. Pedro aber fragt, ob das Gebot „Du sollst nicht töten“ auch für jemanden gelte, der sein Leben verteidigen muss und tötet, um nicht getötet zu werden. Revolutionäre Verwegenheit im Stil eines Che Guevara All diese Fragen werden schließlich beantwortet. Und zwar von den Faschisten selbst, indem sie den älteren Sohn Juan erschießen, obwohl er nur ein Fischer ist. Am Ende zieht Teresa Carrar mit ihrem verbliebenen Sohn und den Gewehren ihres Mannes in den Krieg. Und auch der Padre geht mit. Keine leichte Kost also, dafür aber eine klare Botschaft von Bertolt Brecht: Niemand kann sich aus den politischen Entwicklungen seiner Zeit heraushalten. Denn auch wer das versucht, kann früher oder später betroffen sein. Und vielleicht schlimmer noch, mit seinem Zögern „dem Bösen“ helfen – auch wenn man eigentlich einer von „den Guten“ ist. Das die Botschaft im Anklamer Theater so klar rüberkam, lag natürlich auch an den Schauspielern, die durchweg eine sehr gute Leistung ablieferten. Allen voran vielleicht Birgit Lenz als bis zum Schluss mit sich ringender Teresa Carrar. Unbedingt zu erwähnen aber auch Reiko Rölz, der ihrem Bruder Pedro eine revolutionäre Verwegenheit im Stil eines Che Guevara mitgab. Weitere Vorstellungen: Am 27.10. und 17.11. in der Blechbüchse Zinnowitz sowie am 5.12. auf der Boddenbühne Barth. Kontakt zum Autor [email protected] Zum ersten Mal in mehr als 60 Jahren „Tagesschau“-Geschichte war ein Nachrichtensprecher in der Sendung für ein paar Augenblicke von Kopf bis Fuß zu sehen. Jan Hofer machte am Sonntagabend in der 20-Uhr-Ausgabe den Auftakt für die neue Präsentation. Nach dem Wetterbericht stehen die Sprecher künftig seitlich am Tisch und kündigen die Schwerpunkte der „Tagesthemen“ an. Dadurch können großformatige Fotos auf der Medienwand die Themen illustrieren. Bisher waren die Sprecher in der gesamten Sendung zur Hälfte vom Pult verdeckt. „Es wird daran deutlich, dass die ‚Tagesschau‘ Der Screenshot zeigt Jan Hofer bei der Abmoderation der Sendung. FOTO: TAGESSCHAU.DE sich über die vielen Jahre optisch und inhaltlich stets weiterentwickelt“, sagte der Erste Chefredakteur von ARD-aktuell, Kai Gniff ke, in einem „Tagesspiegel“-Interview über die Neuerung. Hollywood-Diva O‘Hara ist tot NEW YORK. Die US-Schauspielerin Maureen O‘Hara, eine der letzten Legenden Hollywoods, ist tot. O‘Hara sei am Samstag im Alter von 95 Jahren in ihrem Haus in Boise im US-Bundesstaat Idaho gestorben, sagte ihr Manager Johnny Nicoletti. „Maureen war unsere liebevolle Mutter, Großmutter, Urgroßmutter und Freundin“, hieß es in einer Mitteilung der Familie. „Sie starb friedlich im Kreis ihrer Familie“ Die in Irland geborene O‘Hara hatte schon als Kind geschauspielert, dann erste Theaterrollen und schließlich erste Filmrollen be- Schauspielerin Maureen O‘Hara FOTO: TANYA WARREN kommen. 1939 feierte sie mit der Hauptrolle in „Der Glöckner von Notre Dame“ ihren Hollywood-Durchbruch. Später drehte sie viel mit Regisseur John Ford, unter anderem 1941 den mit fünf Oscars gekrönten Film „Schlagende Wetter“. Rasantes Tempo und viel Witz zwischen zwei Kletterwänden Von Frank Wilhelm 13 Figuren und nur vier Darsteller – wie geht das denn? Sehr gut, wie die Inszenierung von „Tschick“ im Schauspielhaus Neubrandenburg zeigt. NEUBRANDENBURG. Fieberhaft arbeitete Wolfgang Herrndorf im Frühjahr 2010 an seinem Jugendroman „Tschick“. Er wusste, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb. Im Februar des gleichen Jahres hatten die Ärzte einen bösartigen Hirntumor festgestellt. Schon mit 45 Jahren stand für ihn fest, dass sein Leben in naher Zukunft zu Ende gehen wird. Die Inszenierung der Theaterfassung, geschrieben von Robert Koall, die am Freitagabend im Neubrandenburger Schauspielhaus eine glänzende Premiere feierte, nimmt das rasante Schreib- tempo Herrndorfs auf. Als Tschick seinen von den Ferien gelangweilten Klassenkameraden Maik Klingenberg mit dem geklauten Lada abholt, beginnt ein klassisches Roadmovie. Im Roman geht es quer durch Deutschland Richtung Walachei. Auf der Bühne spielt sich die Tour zwischen den sparsam eingesetzten Requisiten ab. Links und rechts hat Ausstatter Jörg Masser eine Art Kletterwand aufgebaut. In der Mitte steht eine drehbare Skater-Rampe, die abwechselnd als Pool, Müllhalde oder Auto dient. Tschick (Sven Jenkel) und Maik (Fabian Quast) „fahren“ auf einem riesigen Ghettoblaster von Abenteuer zu Abenteuer. Die beiden tragen die Handlung, die keinen Stillstand kennt. Maik gibt noch dazu den Erzähler. Hut ab vor der Leistung von Fabian Quast. In den eineinhalb zeigt schon jetzt eine bewundernswerte Souveränität auf der Bühne. Giulia Weis brilliert vor allem als Isa, in die sich Tschick natürlich prompt verliebt. FOTO: TOM SCHWEERS Stunden – ohne Pause – muss er nicht nur eine riesige Textmenge bewältigen, was er in einer Mischung von jugendlicher Ernsthaftigkeit und Komik auch außerordentlich hervorragend tut. Quast ist außerdem unablässig in Bewegung. Sogar einen tadellosen Salto vom Pool-Rand liefert er ab. Sein Pendant Sven Jenkel alias Tschick alias Andrej Tschichatschow steht ihm kaum nach. Sehr unterhaltsam seine mit russischem Akzent durchsetzte Rede und seine Lässigkeit. Der junge Jenkel, der erst vor einem Jahr die Theaterakademie Zinnowitz absolviert hat, Zwei Schauspieler mimen elf Rollen Und die restlichen elf Figuren? Die werden allesamt von Giulia Weis und Thomas Pötzsch dargestellt. Die 24-Jährige, ebenfalls ein Gewächs der Theaterakademie, beeindruckt als Isa, dem schnoddrig-frechen Mädchen, dem Maik und Tschick auf ihrem Trip begegnen. Außerdem brilliert sie als Maiks alkoholsüchtige Mutter und in drei weiteren Rollen. Thomas Pötzsch schlüpft gleich in sechs Figuren – insbesondere sein kleiner, Roller fahrender Schlaumeier Friedemann mit zugeklebtem Brillenglas sorgt für Lacher. Die Reise von Maik und Tschick verläuft rasant, mit viel Tempo und Witz. Es ist ein Roadmovie durch das aktuelle Seelenleben deutscher Jugendlicher, deren Leben spätestens ab der Grundschule vorgezeichnet scheint. Schon lange sah man in einer Premiere des Theaters Neubrandenburg/Neustrelitz nicht mehr so viele junge Leute. Ihr Applaus beweist, dass Herrndorf und Urs-Alexander Schleiff als Regisseur der Neubrandenburger Inszenierung ihren Nerv treffen. Das Stück hat das Zeug, zum Renner der Saison zu werden. Und: Wer als Deutschlehrer seine Schüler partout nicht für Dramatik begeistern kann, dem sei ein Besuch von „Tschick“ empfohlen. Nächste Aufführungen: Schauspielhaus Neubrandenburg, 31.10., 14.11. (19.30 Uhr)/ 18.11. (10 Uhr) Kontakt zum Autor [email protected]
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