53/2015 Alkoholfahrten unter 1,6 Promille

Mitteilungen der Juristischen Zentrale
REGIONALCLUB
Nr. 53/2015
14.12.2015 Kö
Alkoholfahrten unter 1,6 Promille
– Neue Rechtsprechung in Bayern und NRW –
Sehr geehrte Damen und Herren,
der Juristischen Zentrale wird von Mitgliedern, denen die Fahrerlaubnis erstmals wegen Fahrens unter Alkohol entzogen wurde, häufiger die Frage gestellt, ob eine medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) droht. Während früher Ersttäter davon ausgehen konnten,
dass eine MPU-Anordnung erst bei einer Trunkenheitsfahrt ab 1,6 Promille droht, ist seit
2013 die Rechtslage bei Promillewerten unter 1,6 Promille aufgrund unterschiedlicher
Rechtsprechung und Behördenpraxis unklar.
Seit ca. 2 Jahren wird die zwingende MPU-Anordnung unter dem Schwellenwert 1,6 ‰ ohne
Zusatztatsachen in Baden-Württemberg, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein – richterlich bestätigt – praktiziert. In den anderen Bundesländern erfolgte keine Festlegung bzw. wurde bisher an dem Grenzwert von 1,6 ‰ festgehalten. Nun gibt es
neue Entscheidungen in Bayern und Nordrhein-Westfalen.
Bayern
Der VGH München hat sich mit Urteil vom 17.11.2015 (Az. 11 BV 14.2738) erstmals den
Gerichten angeschlossen, die eine zwingende MPU-Anordnung unter 1,6 ‰ nach strafgerichtlicher Entziehung bejahen. Die bisherige Rechtsauffassung wird ausdrücklich aufgegeben.
Im zugrunde liegenden Fall führte die Fahrerlaubnisinhaberin nach dem vormittäglichen
Konsum von Melissengeist ein Kraftfahrzeug über eine Kurzstrecke mit 1,28 ‰ ohne Ausfallerscheinungen. Das Strafgericht hatte die Fahrerlaubnis entzogen. Da die Betroffene der
späteren MPU-Anordnung im Wiedererteilungsverfahren nicht nachkam, lehnte die Fahrerlaubnisbehörde den Antrag ab. Das wurde vom VG Regensburg und dann auch im Berufungsverfahren vom VHG München bestätigt.
Bei einer Entziehung nach einer Trunkenheitsfahrt sei die MPU – ohne Ermessen der
Behörde – erforderlich. Auf die Höhe der Blutalkoholkonzentration bei der Verkehrsteilnahme
komme es nicht an. Allein durch den Ablauf der Sperrzeit sei die Fahreignung nicht wiedergewonnen, Eignungszweifel bestehen weiter.
Der VGH München hat die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung zugelassen.
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Inzwischen liegt eine Reaktion des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Bau
und Verkehr vor. Die bayerischen Fahrerlaubnisbehörden wurden darüber informiert, dass
an der bisherigen Praxisempfehlung festgehalten wird. Das bedeutet bei einer erstmaligen
Trunkenheitsfahrt mit strafgerichtlicher Entziehung für das Wiedererteilungsverfahren:
‒
Bei einer BAK von 1,6 Promille oder mehr erfolgt stets die Anordnung einer MPU
‒
Bei einer BAK von mindestens 1,1 Promille (absolute Fahruntüchtigkeit) und weniger als
1,6 Promille ist die Beibringung einer MPU nur dann anzuordnen, wenn im Einzelfall
o aus der strafgerichtlichen Entscheidung
o über den Promillewert hinaus weitere Anhaltspunkte hinzutreten,
o welche die Annahme einer Alkoholproblematik begründen.
Nordrhein-Westfalen
Auch in NRW gibt es ein neues Urteil. Das VG Düsseldorf hat mit Urteil vom 18.11.2015
(Az. 14 K 4226/15) eine MPU-Anordnung nach Trunkenheitsfahrt unter 1,6 ‰ bestätigt.
Bei dem zugrunde liegenden Fall fuhr der Fahrerlaubnisinhaber einen PKW mit 1,55 ‰ und
verursachte nachmittags einen Bagatellschaden; es wurden nur geringe alkoholbedingte
Auffälligkeiten festgestellt. Nach Entziehung der Fahrerlaubnis forderte die Behörde ein
MPU-Gutachten, das nicht vorgelegt wurde. Dass die Behörde daraufhin den Wiedererteilungsantrag ablehnte, ist aus Sicht der Richter rechtens.
Aufgrund des Strafbefehls und zur Klärung, ob Alkoholmissbrauch nicht mehr besteht sei ein
MPU-Gutachten erforderlich. Nach der Alkoholforschung könne i. d. R. ab 1,3 ‰ auf eine
besondere Trinkfestigkeit geschlossen werden. Chronischer Alkoholkonsum mit besonderer
Gewöhnung und Verlust der kritischen Einschätzung des Verkehrsrisikos sei bei ca. 1,5 ‰
anzunehmen. Dann liege i. d. R. ein Alkoholproblem vor, das die Gefahr weiterer Alkoholauffälligkeit im Straßenverkehr bedeute. Bei 1,55 ‰ und kaum Ausfallerscheinungen wurde eine
Wiederholungsgefahr angenommen.
Auf dem nächsten Verkehrsgerichtstag vom 27. bis 29.01.2016 werden sich im Arbeitskreis
II Experten mit dem Thema befassen. Schnellstmöglich sollte der Gesetzgeber die schwelenden Unklarheiten und Wertungswidersprüche durch Änderungen bzw. Klarstellungen beheben, damit Rechtssicherheit besteht.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Markus Schäpe
Leitung Juristische Zentrale