HERZLICH WILLKOMMEN zum FACHTAG TRAUMAPÄGAGOGIK Zertifizierungskurs Traumapädagogik März 2016 – Juni 2018 in Basel Vorname Name, Datum Funktion, Abteilung Gliederung: Was erwartet Sie heute? Keine Angst nicht schon wieder… Gleicher Inhalt, aber anderer Vortrag! Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15. September 2015 | 2 Gliederung: Was erwartet Sie heute? Aber doch ein Überblick über den MV Traumapädagogik › Was ist ein Trauma? › Traumapädagogik braucht es, weil… › Eine Auswahl von traumapädagogischen Thesen › Der Modellversuch und seine Ziele › Projektbestandteile › Evaluation (Studienzentrum Ulm) › Ausblick: Abschlussveranstaltung Juni 2016 Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15. September 2015 | 3 Was ist ein Trauma? Traumatisches Lebensereignis Extreme physiologische Erregung Flucht Freeze Fight Traumasymptome Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15. September 2015 | 4 Bei einer Traumatisierung laufen parallel zwei unterschiedliche physiologische Prozesse ab Übererregungs-Kontinuum Dissoziatives-Kontinuum Fight oder Flight › Alarmzustand Wachsamkeit › Angst/Schrecken › Adrenalin-System wird aktiviert – Erregung › Serotonerges System verändert sich – Impulsivität, Affektivität, Aggressivität Freeze – ohnmächtige / passive Reaktion › Gefühlslosigkeit / Nachgiebigkeit › Dissoziation › Opioid-System wird aktiviert Euphorie, Betäubung › Veränderung der Sinnes-, Körperwahrnehmung (Ort, Zeit, etc.) Physiologisch › Blutdruck (Pulsrate ) › Atmung › Muskeltonus › Schmerzwahrnehmung Physiologisch › Pulsrate Blutdruck › Atmung › Muskeltonus › Schmerzwahrnehmung Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15. September 2015 | 5 Traumatypologie nach L. Terr (1991) Typ – I - Trauma › Einzelnes, unerwartetes, traumatisches Erlebnis von kurzer Dauer. › z.B. Verkehrsunfälle, Opfer/Zeuge von Gewalttaten, Naturkatastrophen. › Öffentlich, besprechbar Typ – II - Trauma › Serie miteinander verknüpfter Ereignisse oder lang andauernde, sich wiederholende traumatische Erlebnisse. › Körperliche sexuelle Misshandlungen in der Kindheit, überdauernde zwischenmenschliche Gewalterfahrungen. Nicht öffentlich Symptome: Meist klare, sehr lebendige Wiedererinnerungen Vollbild der PTSD Hauptemotion = Angst Eher gute Behandlungsprognose Symptome: › Nur diffuse Wiedererinnerungen, starke Dissoziationstendenz, Bindungsstörungen Hohe Komorbidität, komplexe PTSD Sekundäremotionen (z.B. Scham, Ekel). Schwerer zu behandeln Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15. September 2015 | 6 Biologische Faktoren Genetik, prä- und perinatale Risikofaktoren Soziale Wahrnehmung weniger soziale Kompetenzen PTSD: Hyperarousal, Intrusionen, Vermeidung Störungen der Empathiefähigkeit Mentalisierung Bindungsstörung Störungen der Interaktion Störung der Impulskontrolle Selbstregulation Stresstoleranz Invalidierende, vernachlässigende Umgebung Typ-II-Traumata Selbstwert, Gefühl d. Selbstunwirksamkeit kognitive Schemata Dissoziationsneigung/ Sinneswahrnehmung Schmid (2008) Störung der Emotionsregulation Störungen des Körperselbst Körperwahrnehmung Somatisierung Störung der exekutiven, kognitiven Funktionen | 7 Traumapädagogik? Eine Traumapädagogik braucht es, weil… Ebene der Fachpolitik › Viele Abbrüche und Diskontinuität in der Hilfeplanung belasten das System. › Gesellschaftliche Aufwertung der Heimerziehung. › Konzeptionelle Begründung für einen gezielten Einsatz von mehr Ressourcen. › Verbesserung Kooperation zwischen JH und KJPP – Stärkung der Pädagogik in dieser Kooperation. Ebene der Mitarbeiter › Selbstwirksamkeit der Fachkräfte bei schwierigen Fällen stärken. › Bessere Versorgung/Schutz der Mitarbeiter (Sekundär-Trauma, etc.) › Heimerziehung ist mehr als ein Durchgangsberuf – Arbeitszufriedenheit der Fachkräfte erhöhen › Schutz vor Grenzverletzungen Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15. September 2015 | 8 Traumapädagogik? Eine Traumapädagogik braucht es, weil… Ebene der Kinder und Jugendlichen › Schutz vor Beziehungsabbrüchen und Grenzverletzungen. › Die Mehrzahl der fremdplatzierten Kinder ist traumatisiert. › Traumatisierte Menschen haben ein besonders hohes Risiko auf Verschiebebahnhöfen zu landen. › Traumatisierte Menschen weisen einen spezifischen pädagogischen Bedarf auf – benötigen andere Beziehungsangebote. › Spezifische Förderung. Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15. September 2015 | 9 Grundidee zur Analyse von Problemverhalten Vom Du zum Wir – Überspitzt das klassische Modell Erziehungsmassnahmen zur Veränderung Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15. September 2015 | 10 Eine Traumapädagogik braucht es, weil… Zwei zentrale Herausforderungen an die Pädagogik › Die traumatisierten Kinder/Klienten gehen mit pädagogischen Bezugspersonen keine ausreichend vertrauensvolle Beziehung ein, so dass klassische pädagogische Interventionen nicht gut gesetzt werden und ihre Wirkung kaum entfalten können. › Traumatisierte Kinder/Klienten konnten die notwendigen Fähigkeiten zu Selbstregulation in ihren belastenden, vernachlässigenden und misshandelnden Beziehungen gar nicht oder nur bedingt entwickeln und scheitern deshalb häufig in Situationen, in denen diese Fertigkeiten der Selbstregulation gefragt sind. Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15. September 2015 | 11 Eine Traumapädagogik braucht es, weil… Ein pädagogisches Dilemma Gehen kaum Beziehungen ein Brauchen Unterstützung bei der Selbstregulation Dilemma: Klienten brauchen Beziehung, um Selbstregulation erlernen zu können – können aber noch keine normalen Beziehungen eingehen Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15. September 2015 | 12 Grundidee zur Analyse von Problemverhalten Vom Du zum Wir – Überspitzt das klassische Modell Kind muss sich verändern Erziehungsmassnahmen zur Veränderung Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15. September 2015 | 13 Grundidee zur Analyse von Problemverhalten Vom Du zum Wir Die Beziehung und Beziehungsfähigkeit soll sich verbessern Interaktion pädagogische Begegnung Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15. September 2015 | 14 Übertragung von Anspannung in Interaktionen Anspannung Jugendliche Anspannung Unsicherheit Pädagogen Geringere pädagogische Präsenz Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15. September 2015 | 15 Gliederung Traumapädagogisches Konzept „Man ist dort zu Hause, wo man verstanden wird.“ Indianisches Sprichwort Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15. September 2015 | 16 Traumapädagogik: Korrigierende Beziehungserfahrung Traumapädagogische Haltung Traumatisierendes Umfeld Traumapädagogisches Milieu › Unberechenbarkeit › Transparenz /Berechenbarkeit › Einsamkeit › Beziehungsangebote › Nicht gesehen/gehört werden › Beachtet werden/wichtig sein › Geringschätzung › Wertschätzung (Besonderheit) › Bedürfnisse missachtet › Bedürfnisorientierung › Ausgeliefert sein – andere bestimmen absolut über mich › Mitbestimmen können Partizipation › Leid › Freude Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15. September 2015 | 17 Mitarbeiter als Teil des pädagogischen Konzeptes › Traumatisierte Kinder lösen bei professionellen Helfern intensivste Gefühle aus - Phänomen der sekundären Traumatisierung. › Letztlich ist für die Frage, ob ein Kind nach einer Eskalation auf einer Wohngruppe verbleiben und gehalten werden kann, nicht das Problemverhalten, sondern die Tragfähigkeit des pädagogischen Teams ist entscheidend. › Nur „stabile, sichere Mitarbeiter“ können in Krisensituationen stabilisieren und deeskalieren. › Mitarbeiter benötigen in Krisensituationen ähnliche innerpsychische Fertigkeiten (natürlich auf viel höherem Niveau) wie die Kinder (Emotionsregulation, Resilienzfaktoren). › Sowohl die Heranwachsenden als auch die Mitarbeiter brauchen letztlich einen sicheren Ort, an dem sie sich selbstwirksam erleben. Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15. September 2015 | 18 Haltung Sicherer Ort Sicherer Ort = Äussere Sicherheit Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15. September 2015 + Innere Sicherheit | 19 Schmid (2010/2011) Institution Leitung „Versorger„ „Fachdienst“ „Gruppenpädagogen“ Kind Externe Hilfen: Kollegiale Intervision/ Supervision/ Coaching/ Verband Traumapädagogische Thesen Spezifischer pädagogischer Bedarf › Traumatisierte Menschen haben einen besonderen pädagogischen Bedarf, sind in ihrer gesellschaftlichen Teilhabe extrem gefährdet und brauchen daher in vielen Lebensbereichen ganz konkrete Unterstützung – dem Entwicklungsstand der Klienten entsprechend zukunfts-, verhaltens-, lösungs- und ressourcenorientiert, rechtzeitig, niederschwellig und ausreichend intensiv. Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15. September 2015 | 21 Traumapädagogische Thesen Sicherer Ort als Ziel der Pädagogik › Traumatisierte Menschen (und Menschen, die mit ihnen arbeiten) brauchen sichere Orte, um ihre erlernten Defensivreaktionen aufzugeben, bzw. überwinden zu können – ein sicherer Ort ist in pädagogischen Settings ein hehres, nicht immer zu haltendes Ziel. Es ist aber unabdingbar, dieses Ziel anzustreben und nicht vor der Gewalt zu kapitulieren! Wird der sichere Ort verletzt, sollte er mit den Beteiligten möglichst wieder rekonstruiert werden. „Eines ist sicher, dass nichts sicher ist. Selbst das nicht.“ Joachim Ringelnatz Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15. September 2015 | 22 Traumapädagogische Thesen Reinszenierung von Beziehungserfahrung als Herausforderung und Chance › Die traumatischen Beziehungserfahrungen prägen das aktuelle Interaktionsverhalten mit all seinen Facetten – jede Interaktion, insbesondere die schwierigen (und gerade die mit den pädagogischen und therapeutischen Fachkräften), wird von der psychosozialen Lerngeschichte und den Bindungsrepräsentationen des Klienten beeinflusst – dies ist eine besondere Herausforderung, aber auch eine grosse Chance für die pädagogische Arbeit mit diesen Klienten. „Nicht lachen, nicht jammern, nicht urteilen, sondern verstehen.“ Baruch Spinoza, Philosoph, 17. Jhdt. Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15. September 2015 | 23 Traumapädagogische Thesen Korrigierende Beziehungserfahrungen › Korrigierende Beziehungserfahrungen und die pädagogische Präsenz sind das was wirkt und gar nicht so selten sogar heilt. Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15. September 2015 | 24 Traumapädagogische Thesen Mitarbeiter sind ein Teil des Konzepts › Um korrigierende Beziehungserfahrungen und pädagogische Präsenz anbieten zu können, braucht es gut versorgte, stabile und sichere Mitarbeiter – d.h. ausreichend Raum für Psychohygiene und spezifische, auf die Selbstwirksamkeit der sozialpädagogischen und psychotherapeutischen Fachkräfte abzielende Fallbesprechung sowie ausreichend Raum zur kritischen Fall- und Selbstreflektion. Solche Besprechungszeiten müssen strukturell im pädagogischen Konzept der Einrichtung verankert sein. „Erkenne dich selbst, bevor du Kinder zu erkennen trachtest.“ Janusz Korczak Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15. September 2015 | 25 Traumapädagogische Thesen Individualisierung „Jeder Mensch ist ein Sonderfall – jeder Mensch ist durch seine alleinige und einzigartige Lebensgeschichte geprägt.“ Zitat von Joseph Weizenbaum › Ein gutes und tragfähiges pädagogisches Konzept sollte versuchen, den Bedürfnissen jedes Sonderfalls so gerecht wie möglich zu werden. › Individuelle Bedürfnisse und Lösung werden gesucht – die Individualität und Unterschiedlichkeit der Menschen wird auch in der Gruppenpädagogik genutzt und durch diese unterstützt. Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15. September 2015 | 26 Traumapädagogische Thesen Spezifische Förderung unterentwickelter Fertigkeiten › Traumatisierte Klienten konnten in ihren Herkunftssystemen bestimmte wichtige Fertigkeiten nicht erlernen, diese müssen mit ihnen im Rahmen der Traumapädagogik spezifisch gefördert werden. › Sinnes- und Körperwahrnehmung › Emotionsregulation › Resilienzfaktoren › Selbstwirksamkeit › Stresstoleranz › Bindung und Mentalisierung › Soziale Kompetenz › Resilienz Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15. September 2015 | 27 Traumapädagogische Thesen Verstehen des «guten Grundes» für jedes Verhalten › Symptome und Fehlverhalten von Klienten haben immer einen „guten Grund“ – diesen zu verstehen, wertzuschätzen und daran anzusetzen bedeutet aber nicht, mit dem Problemverhalten einverstanden zu sein. „Wer ein Warum fürs Leben hat, erträgt fast jedes Wie.“ Friedrich Nietzsche Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15. September 2015 | 28 Traumapädagogische Thesen Wider der Alternativlosigkeit › Traumatische Erlebnisse sind Erfahrungen der Ausweglosigkeit und des Ausgeliefertseins, die mit Gefühlen der Ohnmacht und Hoffnungslosigkeit einhergehen. Diese Gefühle der Alternativlosigkeit können sich leicht auch auf das Helfersystem übertragen – deshalb ist es wichtig, stets noch einen Plan „B“ zu haben und sich nie unnötig in seiner Handlungsfreiheit einzuschränken. Biete traumatisierten Klienten immer Wahlmöglichkeiten an, wenn Du etwas Unangenehmes von ihnen verlangst. „Handle stets so, dass sich die Zahl deiner Wahlmöglichkeiten grösser wird“. Heinz von Förster Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15. September 2015 | 29 Traumapädagogische Thesen Strukturen, die Anspannung reduzieren › Problemverhalten wird oft durch Unsicherheit und Übererregung ausgelöst – weshalb es wichtig ist, eine Umwelt zu schaffen, die möglichst viel Sicherheit, Ruhe, Geborgenheit, Wertschätzung und Freude (Ästhetik, Freizeitangebote) vermittelt und die Möglichkeit zur Partizipation bietet. Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15. September 2015 | 30 Traumapädagogische Thesen Freude an der Arbeit mit den Kindern haben › Je mehr Spass und Freude wir mit unseren Klienten im pädagogischen Alltag erleben – desto besser und erfolgreicher ist unsere Arbeit. „Humor ist auch eine Form von nachsichtiger Nächstenliebe.“ Gerhard Uhlenbrock Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15. September 2015 | 31 Traumapädagogische Thesen Personalisierung von Regeln - Absprachen › Persönliche Absprachen sind viel wirkungsvoller als institutionelle Regeln. Mitarbeiter sollen sich nicht hinter institutionellen Regeln verstecken, sondern sagen, warum ihnen dieses Verhalten wichtig ist und wie dieses die Beziehung beeinflusst. › Gruppenpädagogen sollten sich auf ihr Gefühl verlassen und nie eine für sie zu strenge Konsequenz nur aus institutionellem Druck heraus mit einem schlechten Gewissen aussprechen. › Regeln und Abläufe dürfen und sollen ständig hinterfragt werden. Nur so können Regeln und dahinterstehende Werte und Haltungen von Jugendlichen und Mitarbeitern verinnerlicht werden. Menschen tun aus Pflichtgefühl gegenüber Autoritäten Dinge, die sie gar nicht tun wollen. Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15. September 2015 | 32 Traumapädagogische Thesen Deeskalation hat Vorrang › Deeskalation hat Vorrang - es macht keinen Sinn, mit traumatisierten Klienten im hoch erregten oder dissoziierten Zustand zu diskutieren. Dies bedeutet keinesfalls immer nachzugeben, sondern die Themen in einer ruhigen Situation wieder aufzugreifen. „Der reissende Fluss wird gewalttätig genannt. Warum nicht das Flussbett, welches ihn einengt?“ Bertolt Brecht Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15. September 2015 | 33 Traumapädagogische Thesen Geduld - Vertrauen in die Selbstheilungskräfte „Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.“ Afrikanisches Sprichwort › Die direkten und schnellen Einfluss- und Veränderungsmöglichkeiten sind begrenzt. In der traumapädagogischen Begleitung von Menschen geht es oft vor allem darum, günstige Voraussetzung für eine positive Entwicklung der Klienten zu schaffen. Um im Bild zu bleiben, wenn das Gras optimal gedeihen soll, sollte der Gärtner nicht daran ziehen, sondern darauf achten, dass es ihm an nichts fehlt, es gut düngen, bewässern, hegen und pflegen. Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15. September 2015 | 34 Traumapädagogische Thesen Hilfe anbieten und in Anspruch nehmen › You never walk alone! Anderen Hilfe geben und selbst um Hilfe bitten. Dies gilt sowohl für die Mitarbeiter im Team, die Institution und ihre Kooperationspartner als auch für die Kinder. Gerade für schwer belastete Kinder kann es eine gute Erfahrung sein, selbst anderen zu helfen, die andere Probleme haben. Es macht als Wohngruppe auch Sinn, sich für andere Menschen, die Hunger leiden, geflüchtet sind etc. zu engagieren, um für die eigenen Ressourcen zu sensibilisieren (vgl. Brendtro, Brokenleg und Van Bockern, z.B. 2009). Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15. September 2015 | 35 Traumapädagogische Thesen Nutze und beachte das Modelllernen › Traumapädagogische Fach- und insbesondere Leitungskräfte sind mit ihrem Verhalten ein wichtiges Modell – die traumapädagogischen Grundhaltungen sollten daher das Milieu der gesamten Einrichtung und seine Kooperationsbeziehung prägen. „Erziehung bedeutet vorleben. Alles andere ist Dressur.“ Oswald Bumke Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15. September 2015 | 36 Traumapädagogische Thesen Beachte die Ressourcen und die Überlebensleistung › Wertschätze und achte die Überlebensleistung, Ressourcen und Resilienz der Klienten! › Erarbeite ein Narrativ, in dem die Betroffenen nicht im „Vollopferstatus“ bleiben, sondern eine Herausforderung tapfer annehmen. „Man muss daran glauben, dass das Kind nicht dreckig, sondern nur beschmutzt sein kann.“ Janusz Korczak „Worauf man schaut, das wird mehr!“ Wolfgang Burr Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15. September 2015 | 37 Traumapädagogische Thesen Balance zwischen Loyalitätsbindung und erneuten Täterkontakten › Beachte einerseits die Loyalitätsbindungen der Klienten zu ihrem Herkunftssystem und schütze diese andererseits wirksam vor Retraumatisierungen und maladaptiven Einflüssen des Herkunftssystems – nehme eine Mehrgenerationenperspektive ein, um den Eltern mit der notwendigen Wertschätzung und Empathie begegnen zu können. „Wir können Kinder aus Familien nehmen, aber die Familien nicht aus den Kindern.“ Ried Portengen Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15. September 2015 | 38 Traumapädagogische Thesen Förderung der Autonomie › Fördere die Autonomie des Klienten seinem Entwicklungsstand entsprechend – verstehe deine Hilfe als „Hilfe zur Selbsthilfe“. Jede/r professionelle HelferIn sollte sich stets vergegenwärtigen, dass unsere Hilfe lediglich einen Übergang darstellt und den Klienten mittelfristig ein selbständiges Leben oder ein Leben mit weniger intensiven Hilfen ermöglichen soll. Es ist daher wichtig, Hilfen auch vom Ende her zu denken, Übergänge rechtzeitig vorzubereiten und diese gut zu begleiten. „Man kann den Menschen nicht auf Dauer helfen, wenn man für sie tut, was sie selbst tun können und sollten.“ Abraham Lincoln Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15. September 2015 | 39 Traumapädagogische Thesen Weiterentwicklung durch Qualitätssicherung und Evaluation › Traumapädagogische Konzepte entwickeln sich durch kontinuierliche Evaluation und stetige Qualitätssicherung immer weiter – weshalb die Wirkung der (trauma-) pädagogischen Interventionen auf individueller und institutioneller Ebene regelmässig überprüft werden sollte. Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15. September 2015 | 40 Traumapädagogische Thesen Veränderungsprozesse in Institutionen brauchen Zeit und Ressourcen – Schulungen und Prozessbegleitungen › Entscheid auf allen institutionellen Ebenen – Welcher Nutzen hat wer von Traumapädagogik? Warum möchte eine Institution etwas verändern? › Ausreichend Zeit für die Wissensvermittlung (Psychotraumatologie, etc.). › Etablierung einer Versorgungskette in den Institutionen. › Sicherung der Ressourcen im pädagogischen Alltag – Veränderungsprozesse brauchen viele wertvolle und knappe Ressourcen an der Schnittstelle Leitung/Team. › Erfolgreiche Veränderungsprozesse brauchen einen „sicheren Ort“. › Idee: Begleitung des Schulungs- und Umsetzungsprozesses im Rahmen eines Modellversuchs. „Wer nicht mehr danach strebt besser zu werden, hört auf gut zu sein.“ Philip Rosenthal (Deutscher Unternehmer) Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15. September 2015 | 41 Unser Modellversuch Ziele des Modellversuchs › Implementierung von traumapädagogischen Konzepten in verschiedenen sozialpädagogischen Wohngruppen der Deutschschweiz. › Institutionen für Mädchen, Jungen und co-edukative Wohngruppen › Unterschiedliche Altersgruppen › Kantonale Streuung › Übertrag der traumapädagogischen Konzepte auf die Spezifika des Schweizer Rechts- und Jugendhilfesystems. › Anwendung von traumapädagogischen Konzepten auf delinquente Heranwachsende. › Erneute Überprüfung der Wirkung von Traumapädagogik auf Mitarbeiter, Klienten und Institutionen. › Aufbau einer zertifizierten traumapädagogischen Ausbildung. › Erfahrung mit der Übertragung von Changeprozessen in der Jugendhilfe im Allgemeinen und der Einführung von traumapädagogischen Konzepten im Besonderen sammeln. Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15. September 2015 | 42 Projektbestandteile Fachwissen Selbststudium Funktionsträger spezifische Seminare Erfahrungswissen Eng angeleiteter und unterstützter interner Umsetzungsprozess (Klausurtage/Prozessbegleitung) Traumapädagogisches Konzept Ressourcen Institutionsinterne Ressourcen & Erfahrungen Vernetzung mit anderen Institutionen & Arbeitsgemeinschaften Reflektion Erkenntnisse aus der Evaluation Wer nimmt am Modellversuch teil? Modell- und Spiegelinstitutionen Modellinstitution Spiegelinstitution Jugendstation Alltag Trimmis/GR Stiftung Juvenat Flüeli-Ranft/OW Bürgerliches Waisenhaus Basel/BS Burghof Pestalozzi-Jugendstätte Dielsdorf/ZH Sozialpädagogische Wohngruppe Rose Heiden/AR Schulheim Sommerau Rümlingen/BL Wohnheim Varnbüel St. Gallen/SG Kleinheim Hirzel Hirzel/ZH Landheim Brüttisellen Bassersdorf/ZH Gfellergut Zürich/ZH Wohngruppen Sennwald Sennwald/SG Schlössli Basel/BS Schulheim Friedeck Schaffhausen/SH Kinder- und Jugendheim Maiezyt Wabern/BE Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15. September 2015 44 Die Bausteine und ihr Zusammenspiel Ton - Verarbeitung - Unterschiedliche Endprodukte Schulungen Prozessbegleitung Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15. September 2015 Umsetzung | 45 Erfahrungen aus der Umsetzung von traumapädagogischen Konzepten Funktionsträgerspezifische Aufgaben bezüglich der Pädagogik des sicheren Ortes – bedeutsam für Umsetzungsprozess. Prozess braucht ausreichend Zeit und muss engmaschig begleitet werden! Vermittlung von traumapädagogischen Methoden und Haltungen an die Fachkräfte im Gruppendienst Leitung, Beratung, Unterstützung («Versorgung») der Mitarbeiter und Aufbau von förderlichen Strukturen in der Institution Mindestens vierjähriges traumapädagogisches Qualifizierungskonzept mit Leitungs-/Versorgerebene Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15. September 2015 | 46 Funktionsträgerspezifische Weiterbildung – zwei Termine für Teams Vorteile: Nachteile: 1. Gezielte Vermittlung von funktionsträgerspezifischen Kompetenzen und Haltungen (Gesprächsführung). 1. Austausch über Funktionsträger hinweg in den Seminaren nicht möglich. 2. Zeitgewinn, um Einrichtungsstrukturen anpassen zu können. 3. Gewisser Wissensvorsprung für Leitungsebene und Beratungsebene. 4. Gezielter Einsatz der Zeit in den Seminaren (Konzeption, detaillierte Interventionen). 5. Peergruppe - grössere Offenheit. 6. Praktische Erwägung (gute Gruppengrössen, Gruppendienste, Ersatztermine, zwei Orte, Zeit etc.) 2. Sensibilisierung für Nöte und Aufgabenbereiche der Ebenen kann „nur“ vermittelt werden. 3. Institutionsebene fehlt - interne Klausurtage als ökonomischere und intensivere Alternative. 4. Umsetzung kann in den Seminaren nicht zu Ende diskutiert werden. 5. Etwas höherer Organisationsaufwand für die Tagungen. 6. Spannungsbogen muss länger gehalten werden. 7. Die Organisation der Klausurtage obliegt nicht allein dem MV-Team. Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15. September 2015 | 47 Prozess in den Institutionen Prozessbegleitung und Klausurtage › Die Begleitung institutionsinterner Prozesse sind zentraler Bestandteil und wichtige Wirkfaktoren des Gesamtprojektes. › Nach den Teamschulungen wird gemeinsam mit der Leitungs- und Versorgungsebene die konkrete institutionelle Umsetzung in diesen Klausurtagen reflektiert, diskutiert und realisiert. › Die Klausurtage werden von den Prozessbegleiterinnen und den Prozessverantwortlichen gemeinsam vor- und nachbereitet. › Diese Klausurtage werden von den Prozessbegleiterinnen moderiert und dokumentiert. › Problem: Klausurtage brauchen die eh schon knappen Ressourcen der Teams und der Leitung. Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15. September 2015 | 48 Gliederung Evaluation zur Überprüfung und Optimierung › Forschung sollte möglichst direkt der Implementierung zugutekommen (Action Research). › Forschung sollte Change-Prozesse in pädagogischen Institutionen abbilden. › Die Datenerhebung sollte in den pädagogischen Alltag gut integrierbar sein. › Forschung sollte auf individueller Ebene dem Fallverständnis dienen. › Synthese aus klassischen medizinischpsychotherapeutischen und sozialpädagogischen Forschungsmethoden . http://www.service-by-paul.de/images/erfolg.jpg Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15. September 2015 | 49 DANKE FÜR IHRE AUFMERKSAMKEIT „Haltung ist eine kleine Sache, die einen grossen Unterschied macht.“ Sir Winston Churchill Ich übergebe an Claudia http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:C hurchill_V_sign_HU_55521.jpg&filetimestamp=2 0080414235020 Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15. September 2015 | 50
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