Internationale Besteuerung

Kapitel 6
Internationale Besteuerung
6.1
Einleitung
Die bisherige Analyse der Unternehmensbesteuerung blieb beschränkt auf die geschlossene Volkswirtschaft. In den zurückliegenden Jahren sind jedoch auch in Deutschland die
internationalen Aspekte der Besteuerung immer mehr in den Vordergrund gerückt. Homburg (2000b) nennt dafür die folgenden Gründe. Erstens sinkt seit Jahren hierzulande
des Aufkommen aus Körperschaftsteuern, was die Öffentlichkeit u.a. auf internationalen Steuerwettbewerb und dadurch sinkende Steuersätze zurückführt. Zweitens erscheint
Deutschland zunehmend als Hochsteuerland, dem durch steuerlich induzierte Standortverlagerungen in das Ausland sowohl die steuerliche Bemessungsgrundlage als auch realwirtschaftliche Arbeitsplätze verloren gehen. Drittens ergeben sich aufgrund von technischen
Neuerungen (z.B. Internethandel u.ä.) neuartige internationale Besteuerungsprobleme.
Viertens liefert die fortschreitende europäische Integration wichtige Impulse für die Reform der Unternehmensbesteuerung.
In diesem Kapitel sollen zunächst die grundlegenden Prinzipien und institutionellen Regelungen für die internationale Besteuerung eingeführt werden. Der Abschnitt orientiert
sich an Kapitel 7 in Homburg (2000a). Daran anschließend werden auf Basis von Homburg
(1999) die zentralen normativen Erkenntnisse zur internationalen Besteuerung erläutert.
Diese dienen als Grundlage für die Analyse von Detailproblemen in den folgenden Kapiteln.
6.2
Grundzüge des internationalen Steuerrechts
Das internationale Steuerrecht definiert sich als Summe aller Rechtsvorschriften (Normen, Urteile, Richtlinien), die der Abgrenzung der Steuergewalt eines Staates gegenüber
dem Ausland dienen. Ein Auslandsbezug liegt dann vor, wenn sich entweder der Steuerpflichtige und das Steuergut in unterschiedlichen Hoheitsgebieten befinden, oder mehrere
Hoheitsträger auf denselben Steuerpflichtigen oder dasselbe Steuergut zugreifen (Homburg, 2000a, 242). Die Rechtsquellen des internationalen Steuerrechts kann man wie folgt
unterteilen:
1. originäres nationales Steuerrecht,
2. Doppelbesteuerungsrecht (DBR),
59
3. innerstaatliches Außensteuerrecht,
4. supranationales und ausländisches Steuerrecht.
6.2.1 Nationales Steuerrecht
Das originäre nationale Steuerrecht regelt die persönliche und sachliche Steuerpflicht
im Inland. So sind etwa nach §1 EStG alle natürlichen Personen, die in Deutschland
einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben unbeschränkt einkommensteuerpflichtig, d.h. sie müssen gem §2 EStG ihr gesamtes Welteinkommen in Deutschland
versteuern. Umgekehrt sind natürliche Personen ohne Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland nur beschränkt steuerpflichtig, d.h. nur bestimmte inländische
Einkünfte unterliegen der deutschen Steuer.
Grundsätzlich kommen in Bezug auf die persönliche Steuerpflicht drei Besteuerungsformen in Betracht. Nach dem Wohnsitzlandprinzip (residence principle) ist eine (natürliche
oder juristische) Person in dem Land steuerpflichtig, in dem es seinen Wohnsitz oder
gewöhnlichen Aufenthalt hat. Nach dem Nationalitätsprinzip besteht eine Steuerplicht
in dem Land, dessen Staatsangehörigkeit man besitzt. Nach dem Quellenprinzip (source
principle) ist eine (natürliche oder juristische) Person schließlich in dem Land steuerpflichtig, in dem sie ihr Einkommen bezieht. Wie die meisten Staaten besteuert Deutschland
sowohl nach dem Wohnsitz- und Quellenprinzip. In einigen Staaten wird nur nach dem
Quellenprinzip besteuert, andere Staaten (z.B. USA) besteuern auch auf Basis des Nationalitäsprinzips.
In Hinblick auf die sachliche Steuerpflicht unterscheidet man international zwei Prinzipien.
Nach dem Welteinkommensprinzip wird der Steuerpflichtige mit seinem Welteinkommen
veranlagt. Nach dem Territorialprinzip wird nur das Einkommen besteuert, das auf dem
Territorium des betreffenden Staates erwirtschaftet wird. Damit besteuert Deutschland
Inländer nach dem Wohnsitzprinzip und dem Welteinkommensprinzip. Ausländer werden dagegen nach dem Quellenprinzip und dem Territorialprinzip besteuert. Obwohl
dies nicht ganz korrekt ist, werden wir künftig die beiden Begriffspaare Wohnsitz- und
Welteinkommensprinzip sowie das Quellen- und Territorialprinzip synonym verwenden.
Sofern alle Länder nur eines der drei Prinzipien und überdies alle dasselbe Prinzip anwenden würden, käme es nur in Ausnahmefällen (z.B. mehrere Wohnsitze oder Staatsbürgerschaften) zu Doppelbesteuerungen. Gerade bei der Einkommensteuer ist jedoch ein Nebeneinander der verschiedenen Prinzipien üblich, deshalb kommt es zu Doppelbesteuerungen bzw. Nullbesteuerung bei der grenzüberschreitenden Einkommenserzielung, vgl.
Tabelle 6.1.
Mit dem Doppelbesteuerungsrecht (DBR) soll dann der Grundsatz der Einmalbesteuerung
durchgesetzt werden. Die Länder einigen sich, so dass nur einem von ihnen das Besteuerungsrecht zusteht und am Ende wieder das Wohnsitz- oder Quellenprinzip verwirklicht
wird. Zur Vermeidung von Doppel- und Nullbesteuerung kommen drei unterschiedliche
Verfahren zum Einsatz.
Die Anrechnungsmethode (credit method) wird in der Praxis vom Wohnsitzland vorgenommen. Die im Quellenland gezahlten Steuern werden dabei auf die inländische Steuerschuld
angerechnet. Zu unterscheiden ist dabei die Vollanrechnung und die Teilanrechnung. Erstere führt zu einer Belastung der ausländischen Einkünfte nach dem inländischen Tarif,
60
Tabelle 6.1: Internationale Besteuerungskombinationen
Quellenstaat
besteuert
Quellenstaat
besteuert nicht
Wohnsitzstaat
besteuert
Wohnsitzstaat
besteuert nicht
Doppelbesteuerung
Quellenprinzip
Wohnsitzprinzip
Nullbesteuerung
letztere bewirkt eine Belastung mit dem jeweils höchsten Steuersatz. Bei der Teilanrechnung kann der Wohnsitzstaat darüber hinaus den Höchstbetrag auf jeden einzelnen
Quellenstaat beziehen (per country limitation) oder auf die ausländischen Einkünfte insgesamt (overall limitation). Das folgende Zahlenbeispiel verdeutlicht den Unterschied
(vgl. Homburg, 2000a, 248):
Tabelle 6.2: Rechenbeispiel zu Besteuerungsverfahren
Wohnsitzstaat
Einkommen (in e)
Steuerzahlung (vor DBR)
Steuerzahlung (nach DBR)
Vollanrechnung
Teilanrechnung (overall limitation)
Teilanrechnung (per country limitation)
Freistellung (vollständig)
Freistellung (mit Progressionsvorbehalt)
Abzugsmethode
50.000
28.000
Quellen- Quellenstaat 1
staat 2
10.000
1.000
40.000
25.000
2.0000
14.000
15.800
10.000
14.000
18.640
Angenommen die Welteinkünfte eines Steuerpflichtigen betragen 100.000 e, wobei die
Hälfte im Wohnsitzstaat und jeweils 10.000 e bzw. 40.000 e in zwei Quellenländern
erzielt wurden. Im Wohnsitzstaat werden für das Welteinkommen 28.000 e fällig, wobei
die Stufentariffunktion
20 für Y ≤ 50.000,
T (Y ) =
36
sonst
unterstellt wird. In den beiden Quellenländern wurden jedoch bereits 1.000 bzw. 25.000
e abgeführt. Nach dem Vollanrechnungsverfahren dürfte der Steuerpflichtige beide Beträge voll zum Abzug bringen, so dass er zwar mit dem Steuersatz des Wohnsitzstaates
belastet wird, aber dem Wohnsitzstaat nur ein Aufkommen von (28.000-1.000-25.000)
2.000 e verbleibt. Sofern eine Teilanrechnung in Form der overall limitation zulässig ist,
wird (maximal) von den Steuern im Wohnsitzstaat nur derjenige Anteil angerechnet, der
61
aus ausländischen Einkünften stammt. Im Beispiel beträgt der maximale Anrechnungsbetrag dann (50.000/100.000) × 28.000 e. Im Wohnsitzstaat werden folglich (28.00014.000=) 14.000 e fällig, so dass die Gesamtbelastung des Steuerpflichtigen auf 40.000
e ansteigt. Die begrenzte Anrechnung wird also - soweit sie bindet - die individuelle
Steuerbelastung erhöhen. Bei der Teilanrechnung nach der per country limitation wird
der Anrechnungsanteil für jedes einzelne Quellenland getrennt ermittelt. Im Quellenland
1 wäre der anrechenbare Steueranteil danach (10.000/100.000) × 28.000 =2.800 e. Weil
die tatsächliche Quellensteuerzahlung geringer ausfällt, ist dieser Anrechnungsbetrag nicht
bindend. Im Quellenland 2 beträgt der anrechenbare Steueranteil dann (40.000/100.000)
× 28.000 =11.200 e. Dieser Betrag wird auch tatsächlich angerechnet, so das die Steuerbelastung im Wohnsitzland nun (28.000-1.000-11.800) 15.800 e beträgt. Insgesamt ergibt
sich damit eine persönliche Steuerbelastung von 41.800 e.
Man erkennt aus diesem Beispiel, dass Vollanrechnung und Teilanrechnung äquivalent
sind, wenn das Wohnsitzland vergleichsweise hoch besteuert. Zu unterscheiden sind auch
noch zwei Sonderformen der Anrechnungsmethode. Mit der indirekten Anrechnung kann
eine Muttergesellschaft mit Sitz im Inland die von ihrer Tochter im Ausland gezahlten
Steuern anrechnen lassen. Mit der fiktiven Anrechnung können (um etwa Investitionen in
bestimmten Ländern zu fördern) im Ausland nicht gezahlte Steuern auf die inländische
Bemessungsgrundlage angerechnet werden.
Die Freistellungsmethode kann grundsätzlich im Wohnsitz- und im Quellenstaat angewandt werden. Allerdings ist die Freistellung im Wohnsitzstaat üblich. Sofern das Territorialprinzip angewandt wird, kommt es sowieso zu einer verdeckten Freistellung, weil
das ausländische Einkommen im Wohnsitzstaat nicht steuerbar ist. Ansonsten bewirkt
die Freistellung, dass das ausländische Einkommen im Wohnsitzstaat nicht steuerpflichtig
ist, wobei allerdings vorausgesetzt wird, dass der Quellenstaat das Einkommen besteuert
( subject to tax clause“). Ohne diesen Vorbehalt käme es zu einer Nullbesteuerung. Die
”
Freistellung kann entweder unbeschränkt (vollständige Freistellung) oder unter Progressionsvorbehalt (Freistellung mit Progressionsvorbehalt) erfolgen. Bei vollständiger Freistellung sind in Tabelle 6.2 nur die inländischen Einkommen steuerpflichtig, so dass ein
Steuerbetrag von 10.000 e fällig wird. Bei Progressionsvorbehalt sind die ausländischen
Einkünfte zwar steuerfrei, sie werden aber bei der Ermittlung des Durchschnittssteuersatzes berücksichtigt1 . In Tabelle 6.2 wird deshalb der Durchschnittsteuersatz von 28 v.H.
auf die steuerpflichtigen Einkünfte von 50.000 e angewandt.
Schließlich sei noch die Abzugsmethode genannt, bei der der Wohnsitzstaat den Abzug der
im Quellenstaat gezahlten Steuer von der inländischen Bemessungsgrundlage erlaubt. In
Tabelle 6.2 ergibt sich dann ein zu versteuerndes Einkommen von 74.000 e was zu einer
Steuerzahlung von 18.640 e führt.
Welche Rechtsvorschriften gelten nun in der Bundesrepublik? Sofern mit einem Quellenstaat kein DBA abgeschlossen wurde, besteuert die Bundesrepublik ausländisches Einkommen nach §34c EStG:
§34c[Steuerermäßigung bei ausländischen Einkünften] (1) 1 Bei unbeschränkt Steuerpflichtigen, die mit ausländischen Einkünften in dem Staat,
1
Der Progressionsvorbehalt gilt auch für eine Reihe von Transferzahlungen (Arbeitslosengelt u.a.).
62
aus dem die Einkünfte stammen, zu einer der deutschen Einkommensteuer
entsprechenden Steuer herangezogen werden, ist die festgesetzte und gezahlte und keinem Ermäßigungsanspruch mehr unterliegende ausländische Steuer auf die deutsche Einkommensteuer anzurechnen, die auf die Einkünfte
aus diesem Staat entfällt. 2 Die auf diese ausländischen Einkünfte entfallende deutsche Einkommensteuer ist in der Weise zu ermitteln, dass die sich
bei der Veranlagung des zu versteuernden Einkommens - einschließlich der
ausländischen Einkünfte - nach den §§32a, 32b, 34 und 34b ergebende deutsche Einkommensteuer im Verhältnis dieser ausländischen Einkünfte zur Summe der Einkünfte aufgeteilt wird. 3 Bei der Ermittlung der ausländischen
Einkünfte sind die ausländischen Einkünfte nicht zu berücksichtigen, die in
dem Staat, aus dem sie stammen, nach dessen Recht nicht besteuert werden.
4
Gehören ausländische Einkünfte der in §34d Nr. 3, 4, 6, 7 und 8 Buchstabe
c genannten Art zum Gewinn eines inländischen Betriebes, sind bei ihrer Ermittlung Betriebsausgaben und Betriebsvermögensminderungen abzuziehen,
die mit den diesen Einkünften zugrunde liegenden Einnahmen in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen. 5 Die ausländischen Steuern sind nur insoweit
anzurechnen, als sie auf die im Veranlagungszeitraum bezogenen Einkünfte
entfallen.
In Deutschland wird also eine Teilanrechnung mit per country limitation vorgenommen.
Ganz ähnlich sind die Vorschriften für Kapitalgesellschaften in §26 KSt geregelt.
6.2.2 Doppelbesteuerungsrecht
Die obigen Rechtsvorschriften greifen nur dann, wenn kein Doppelbesteuerungsabkommen vorliegt. Alleine bei der Einkommensteuer hat Deutschland jedoch über 70 solcher
DBAs vereinbart, hinzu kommen noch Abkommen zur Erbschafts- und Schenkungssteuer. Bei einem DBA handelt es sich um einen völkerrechtlichen bilateralen Vertrag, dessen
Vorschriften das nationale Recht verdrängen, soweit nicht ausdrücklich das später erlassene nationale Recht das DBA konterkariert. Falls also ein DBA eine Freistellung oder
Anrechnung anordnet, bewirkt die Vorschrift eine unmittelbare Steuerermäßigung nach
nationalem Recht, ohne dass hierzu besondere nationale Gesetze nötig werden.
Um Doppelbesteuerungen grundsätzlich zu vermeiden, müssten eigentlich in einer Welt
mit n Staaten für jede Steuerart (n2 − n)/2 Doppelbesteuerungsabkommen abgeschlossen werden, mit denen die zentralen steuerlichen Schlüsselbegriffe wie etwa begünstigte
Person, Ansässigkeit und Betriebsstätte geregelt werden. Es gibt zwar weit weniger
DBAs, aber um die dennoch zahlreichen Abkommen zu vereinfachen, wird in der Regel als Verhandlungsbasis entweder das OECD-Musterabkommen (OECD-MA) (bei Industrieländern) oder das von den Vereinten Nationen verabschiedete Musterabkommen
(UN-MA) zugrunde gelegt. Personen, die aus einem Abkommen Vorteile ziehen können,
sind i.d.R. nur natürliche Personen, Gesellschaften und Personenvereinigungen. Nach
dem sog. Ansässigkeitsprinzip kann eine Person zwar in verschiedenen Staaten einen
Wohnsitz haben, sie kann aber nur in einem Staat ansässig sein. Letzteres richte sich (in
dieser Reihenfolge) nach dem ständigen Wohnsitz, nach dem Mittelpunkt der Lebensinteressen, dem gewöhnlichen Aufenthalt, der Staatsangehörigkeit oder einer Vereinbarung
63
der Vertragspartner. Eine Betriebsstätte ist eine feste Einrichtung, in der die Tätigkeit
des Unternehmens ganz oder teilweise ausgeübt wird. Die Musterabkommen regeln auch
für jede Einkunftsart getrennt das Besteuerungsrecht der Quellenstaaten. Wichtige Einkunftsarten sind danach Vermögens-, Unternehmens-, Dividenden- und Lizenzeinkünfte,
Veräußerungsgewinne sowie Einkünfte aus selbständiger und unselbständiger Arbeit. Der
Ansässigkeitsstaat hat in der Regel zwei Alternativen zur Auswahl: Entweder werden
Steuern auf Dividenden und Zinsen angerechnet und die übrigen Einkunftsarten freigestellt, oder alle Einkünfte werden nach dem Anrechnungsverfahren behandelt. Hinsichtlich der internationalen Unternehmensbesteuerung darf der Gewinn eines Unternehmens
grundsätzlich nur dort besteuert werden, wo das Unternehmen ansässig ist. Wenn allerdings eine ausländische Betriebsstätte besteht, darf deren Gewinn nur im Ausland besteuert werden. Wo das Unternehmen ansässig ist wird dann der Betriebsstättengewinn
entweder freigestellt oder die im Ausland gezahlte Gewinnsteuer auf die inländische Steuerschuld des Unternehmens angerechnet. Im Vergleich zum OECD-MA betont das UNMA stärker die Besteuerungsrechte der Quellenstaaten. Außerdem kann es sein, dass sich
die Einkunftsermittlung bei OECD und UN unterscheidet (Brutto- vs. Nettoprinzip).
6.2.3 Außensteuerrecht
Mit dem Außensteuerrecht (ASR) werden Maßnahmen erfasst, welche das Doppelbesteuerungsrecht wieder einschränken und damit den inländischen Steueranspruch erweitern.
Das Außensteuerrecht richtet sich einerseits gegen den Mißbrauch des Doppelbesteuerungsrechts und versucht andererseits die Besteuerung von Einkommen durchzusetzen,
welches in sog. Steueroasen (tax havens) erzielt wurde. Weil das Außensteuerrecht bereits Bestandteil eines DBA sein kann, ist der Übergang vom DBR zum ASR fließend.
Das Außensteuergesetz (AStG) gliedert sich im Wesentlichen in vier Tatbestände:
1. Dealing at arm’s length clause (§1 AStG)
Damit soll eine Gewinnverlagerung über Verrechnungspreise (transfer prices) zwischen verbundenen Unternehmen in das (niedrig besteuerte) Ausland verhindert
werden. Wenn also Geschäftsbeziehungen zwischen Inländern und nahestehenden
ausländischen Personen zu Konditionen stattfinden, welche zwischen unabhängigen
Dritten nicht vereinbart worden wären, so werden die inländischen Einkünfte so ermittelt, als ob mit einem unabhängigen Dritten der Vertrag abgeschlossen worden
wäre ( mit dem man auf Armeslänge verhandelt hätte“). Die Gewinnverlagerung
”
in das Ausland ist vor allem dann interessant, wenn die im Ausland angefallenen
Gewinne im Inland freigestellt werden.
2. Erweiterte beschränkte Steuerpflicht (§2 bis 5 AStG)
Hier handelt es sich um eine Abwehrvorschrift gegen Steuerausweichung durch Wohnsitzwechsel. Sie richtet sich in der Praxis vor allem gegen Sportler und Künstler
(Boris Becker!) und trifft natürliche Personen, die in den letzten 10 Jahren mindestens fünf Jahre im Inland unbeschränkt steuerpflichtig waren, ihren Wohnsitz
in eine Niedrigsteuerland verlegen und weiterhin wesentliche wirtschaftliche Interessen im Inland haben. Diese Personen unterliegen nicht nur mit ihrem inländischen
64
Einkünften der deutschen Steuerpflicht, sondern mit allen Einkünften, die nicht
ausländische Einkünfte i.S.d. §§34c und 34d EStG sind.
3. Steuerentstrickung, Wegzugsbesteuerung
Steuerentstrickung bezeichnet das Ausscheiden aus der inländischen Steuerhoheit.
Man unterscheidet persönliche (bei Wegzug ins Ausland, Begründung eines zweiten Wohnsitzes) und sachliche Steuerentstrickung (bei Verbringung von Betriebsvermögen ins Ausland). Das zentrale Problem ist hier, wie die stillen Reserven
erfasst werden können, die während der inländischen Steuerpflicht gebildet wurden.
Normalerweise werden derartige Veräußerungsgewinne erst im Zeitpunkt der Gewinnrealisation besteuert. Weil dies entsprechend auch bei einer Betriebsaufgabe
gilt, wird die persönliche Steuerentstrickung wie eine Betriebsaufgabe und die sachliche Steuerentstrickung wie eine Entnahme aus dem Betriebsvermögen behandelt.
Folglich kommt es zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus der deutschen Steuerhoheit
zu einer fiktiven Gewinnrealisation welche die Besteuerung begründet.
4. Hinzurechnungsbesteuerung (§§7-14 AStG)
Hier geht es um das Problem der sog. Abschirmwirkung“ der Kapitalgesellschaft.
”
Letztere wird im internationalen Steuerrecht als eigenständiges Steuersubjekt behandelt, selbst wenn zwei Unternehmen wirtschaftlich und rechtlich eng miteinander
verflochten sind. Für die inländischen Gesellschafter einer ausländischen Kapitalgesellschaft entfaltet sich daraus die Abschirmwirkung vor dem heimischen Fiskus
wie folgt: Die im Ausland erzielten Gewinne bleiben solange im Inland steuerfrei,
wie sie im Ausland thesauriert werden. Wenn dann die Gewinne zu einem späteren
Zeitpunkt an die inländischen Gesellschafter ausgeschüttet werden, ergibt sich der
Vorteil durch den Steueraufschub (tax deferral). Diese Abschirmwirkung wird in
den folgenden Fällen durchbrochen:
(a) Befindet sich die Geschäftsleitung im Inland ( Briefkastenfirma“) unterliegt die
”
Kapitalgesellschaft der unbeschränkten deutschen Steuerpflicht.
(b) Wenn für die Gründung einer ausländischen Kapitalgesellschaft wirtschaftliche
oder sonstige Gründe fehlen wird ein Gestaltungsmissbrauch unterstellt, der
zu einer Durchgriffsbesteuerung führt. Damit wird die ausländische Kapitalgesellschaft als nicht vorhanden angesehen.
(c) Wenn weder eine Briefkastenfirma noch Gestaltungsmissbrauch vorliegt, kommt
es unter bestimmten Voraussetzungen (z.B. mehr als 50 v.H. in deutscher Hand,
Einkünfte aus Finanzkapital, Ansässigkeit in Niedrigsteuerland) zu einer Hinzurechnungsbesteuerung (Zugriffsbesteuerung). Damit werden die im Ausland
thesaurierten Gewinne dem inländischen Anteilseigner so zugerechnet, als ob
sie an ihn ausgeschüttet worden wären. Der Vorteil des Steueraufschubs geht
damit verloren.
Ein aktuelles Beispiel für die Anwendung des Außensteuerrechts sind die Dublin
Docks, ein Gebiet in dem den dort ansässigen Firmen enorme Steuerprivilegien
gewährt werden, um Kapital aus Staaten wie Deutschland, die Betriebsstättengewinne
65
freistellen, anzuziehen. Deutschland reagiert darauf mit zwei Abwehrinstrumenten:
Der schon erwähnten subject to tax clause und der sog. switch-over clause. Nach
der letzteren geht Deutschland vom Freistellungs- zum Anrechnungsverfahren über,
wenn im Quellenstaat eine mangelnde Besteuerung der Gewinne erfolgt.
Trotz all dieser Abwehrmaßnahmen der Wohnsitzstaaten bleibt das internationale
Steuerrecht eine Spielwiese für Steuersparmodelle. Homburg (2000a, 258) nennt als
Beispiele das sog rule shopping und treaty shopping. Ersteres bezeichnet die Umqualifizierung einer Einkunftsart um Steuern im Wohnsitz- und/oder im Quellenstaat zu
sparen. Letzteres bezeichnet die Zwischenschaltung abkommensberechtigter Rechtsträger durch nicht abkommenberechtigte Personen, die damit in den Genuss eines
DBAs kommen.
Beispiel: Der Wohnsitzstaat W besteuert nach dem Territorialprinzip. Im Quellenstaat Q wird auf Zinsen eine Abzugssteuer von 30 v.H. erhoben. Q hat mit Land
D eine DBA, dass die Freistellung von dieser Steuer regelt, sofern der Zinsgläubiger
in D ansässig ist. Im Land D werden Zinseinkünfte von Finanzierungsgesellschaften
mit 10 v.H. besteuert. Folge: Sofern ein in W ansässiger Steuerpflichtiger in D eine
Finanzierungsgesellschaft gründet kann er die Steuerbelastung von 30 auf 10 v.H.
reduzieren.
6.2.4 Ausländisches Steuerecht
Es sollte klar sein, dass das ausländische Steuerrecht in vielfältiger Weise auf die inländische
Bemessungsgrundlage und das Steueraufkommen einwirkt. Bei gegenseitiger Anrechnung
ist dies offensichtlich. Sofern in diesem Fall der Quellenstaat die Steuern senkt, steigt
das Aufkommen im Wohnsitzstaat unmittelbar an. Besondere Probleme ergeben sich,
wenn die beteiligten Staaten bestimmte Einkünfte zu unterschiedlichen Einkunftsarten
zählen (Qualifikationskonflikte). Dann kann es sein, dass entweder das Einkommen in
beiden Staaten freigestellt wird, oder dass eine Doppelbesteuerung nicht verhindert werden kann. Noch schwieriger sind international abweichende Auslegungsgrundsätze. Auch
dafür könnte man interessante Beispiele geben, aber das würde viel zu weit führen.
6.3
Fallbeispiele zur internationalen Unternehmensbesteuerung
In diesem Abschnitt sollen die Probleme der internationalen Besteuerung anhand einiger
vereinfachter Fallbeispiele erläutert werden. An derartigen Fallbeispielen orientieren sich
in der Regel die BWL-Veranstaltungen zur internationalen Steuerlehre, vgl. etwa das
Lehrbuch von Djanani und Brähler (2003). Bei finanzwissenschaftlichen Analysen steht
die modelltheoretische Betrachtung im Mittelpunkt, bei der zwar vielfältige Vereinfachungen im Vergleich zur Praxis vorgenommen werden, aber dafür die Anreizwirkungen der
Steuersysteme klarer herausgearbeitet werden.
Für die Beurteilung der steuerlichen Anreize von Auslandsinvestitionen ist zunächst zu
klären,
• wer im Ausland investiert (Personengesellschaft, Kapitalgesellschaft),
• welche Art von Investition durchgeführt wird (Betriebsstätte, Tochtergesellschaft),
66
• ob in einem DBA-Land oder einem Nicht-DBA-Land investiert wird.
Wir betrachten zunächtst die Beteuerung einer Betriebsstätte und wenden uns dann der
Tochtergesellschaft zu. Dabei wird jeweils im Ausland ein Körperschftsteuersatz von 20
v.H. unterstellt. Der entsprechende inländische Körperschft- bzw. Einkommensteuersatz
sei 25 bzw. 50 v.H.
6.3.1 Inländische vs. ausländische Betriebsstätte
Tabelle 6.3: Vorteilhaftigkeitsvergleich bei Betriebsstätte einer PG/KG
Inland
Gewinn vor Steuer
Ausland KSt (20 v.H)
Inland
ESt (50 v.H.)/ KSt (25 v.H.)
abzgl. Anrechnung
ESt / KSt nach Anrechnung
Gewinn nach Steuer
100
50/25
50/25
50/75
Investition im
DBA-Land Nicht-DBA-Land
100
20
0
0
0
80
100
20
50/25
20/20
30/5
50/75
Die Betriebsstätte ist im Ausland körperschaftsteuerpflichtig. Sofern die Betriebsstätte
in einem DBA-Land ansässig ist, sind die Gewinne im Inland steuerlich freigestellt. Falls
sie in einem Nicht-DBA-Land ansässig ist, werden die ausländischen Körperschaftsteuern
angerechnet. Wegen des niedrigen ausländischen Satzes kommt es zu einer Heraufschleusung der Belastung auf das inländische Niveau. Das Beispiel zeigt den deutlichen Anreiz
für Personen- und Kapitalgesellschaften, Betriebsstätten in DBA-Ländern zu errichten
bzw. Gewinne in Betriebsstätten von DBA-Ländern zu verschieben.
Im Zahlenbeispiel wurde die deutsche Gewerbesteuer nicht berücksichtigt. Auch die Gewerbesteuer verstärkt den Anreiz im Ausland zu investieren, weil dann keine Gewerbesteuer fällig wird. Letzteres gilt unabhängig davon, ob es sich um ein DBA-Land handelt
oder nicht.
Das Beispiel suggeriert, dass Kapitalgesellschaften (KG) besser gestellt würden als Personengesellschaften (PG). Zu beachten aber, dass die ausländischen Gewinne erst noch an
den inländischen Anteilseigner ausgeschüttet werden müssen. Nach dem Halbeinkünfteverfahren müssen Dividenden zur Hälfte versteuert werden, so dass der Anteilseigner noch
20 bzw. 18.75 GE an den Staat abführen muss. Der steuerliche Vorteil der Kapitalgesellschaft ist damit nahezu aufgezerrt. Alternativ kann die inländische Gesellschaft die
Gewinne aus der ausländischen Betriebsstätte nicht ausschütten, sondern thesaurieren
und z.B. Finanzanlagen kaufen. Dieser sog. Siemens-Effekt“ erklärt, warum deutsche
”
Kapitalgesellschaften häufig in großem Umfang Finanzanlagen halten.
67
6.3.2 Ausländische Tochtergesellschaften
Bei ausländischen Tochtergesellschaften sind vor allem drei Zusammenhänge zu beachten. Erstens handelt es sich bei der Tochtergesellschaft um ein eigenständiges Steuersubjekt. Deshalb kann nun die ausländische Körperschaftsteuer nicht mehr auf Seiten der
inländischen Gesellschafter angerechnet werden. Angerechnet werden können nur noch
ausländische Quellensteuern, die im Zusammenhang mit der Ausschüttung im Ausland
erhoben werden. Zweitens werden seit der Steuerreform 2001 nahezu alle ausländischen
Dividendeneinkünfte und Veräußerungsgewinne von der Besteuerung in Deutschland freigestellt. Lediglich 5 v.H. der Bruttodividenden gelten gem. §8b Abs. 5 KStG als fiktive Betriebsausgaben und sind damit im Inland steuerpflichtig. Insgesamt wurde also die Anwendung der Freistellungsmethode, welche bisher auf DBA-Länder beschränkt
blieb, in dramatischer Weise ausgeweitet. Künftig wird in Doppelbesteuerungsabkommen nur noch die Höhe der Quellensteuer auf 15 v.H. beschränkt. Drittens reduziert
sich die Quellensteuer bei Ausschüttungen an ausländische Kapitalgesellschaften, die in
EU-Mitgliedsstaaten ansässig sind auf Null (§43b EStG, Mutter-Tochter Richtlinie).
Tabelle 6.4: Vorteilhaftigkeitsvergleich bei Tochtergesellschaft
Inland
Gewinn vor Steuer
Ausland KSt (20 v.H)
Ausschüttung
Quellensteuer
Inland
KSt (25 v.H.)
BMG ESt/KSt
Anrechnung
ESt nach Anrechnung
Gewinn nach Steuer
Investition im
DBA-Land Nicht-DBA-Land EU-Land
100
100
20
80
12
40/4
12/0
8/1
60/67
25
37.5
0
18.75
56.25
100
20
80
16
40/4
16/0
4/1
60/63
100
20
80
0
40/4
0/0
20/1
60/79
Das Zahlenbeispiel in Tabelle 6.4 vergleicht die Investition in eine inländische und eine ausländische Tochtergesellschaft. Der Anteilseigner kann sowohl eine natürliche Person als auch eine Kapitalgesellschaft sein. Im Nicht-EU-Ausland wird nun neben der
Körperschaftsteuer auch eine Quellensteuer auf die Ausschüttung erhoben. Im DBA-Land
ist letztere auf 15 v.H. beschränkt, im Nicht-DBA-Land beträgt der Quellensteuersatz 20
v.H. Zu beachten ist, dass die ausländische Quellensteuer für die Kapitalgesellschaft eine
Definitivbelastung darstellt, während die ausländischen Dividenden zu 95 v.H. von der
Besteuerung freigestellt sind, soweit sie bei einer inländischen Kapitalgesellschaft anfallen.
Zusammenfassend sei darauf hingewiesen, dass die Beurteilung der internationalen Implikationen des Übergangs zum Halbeinkünfteverfahren in der Literatur heftig umstritten
ist. Während Homburg (2000a, 360f.) darin neue Schlupflöcher für internationale Steuersparmodelle erkennt, kommen etwa Fuest und Huber (2000) sowie Dickescheid (2002)
68
zu einer durchaus positiven Beurteilung. Sie verweisen vor allem auf die Vorteilhaftigkeit der künftigen Gleichbehandlung von grenzüberschreitenden Dividendeneinkünften.
Unter dem Vollanrechnungsverfahren bekam lediglich der Steuerinländer eine Steuergutschrift für Dividenden inländischer Unternehmen. Weder wurde bei inländischen Steuerpflichtigen eine Erstattung ausländischer Körperschaftsteuern in Deutschland vorgenommen, noch wurde Ausländern eine Körperschaftsteuergutschrift für Anteile an deutschen
Unternehmen gewährt. Folglich wurden ausländische Investoren in Deutschland steuerlich gegenüber deutschen Investoren diskriminiert, was u.a. die starke Konzentration
der inländischen Anteilseigner bei deutschen Kapitalgesellschaften erklärt. Das Halbeinkünfteverfahren behandelt dagegen inländische und ausländische Dividenden gleich.
Dadurch erhofft man sich eine verbesserte internationale Diversivizierung der inländischen
Investoren.
Weil eine eindeutige Beurteilung ziemlich schwierig zu sein scheint, wenden wir uns lieber
neuen Fragestellungen zu.
Literatur
Dickescheid, T. (2002): Die Unternehmenssteuerrefom 2001 und der Übergang zum Halbeinkünfteverfahren, Steuer und Wirtschaft, Heft 2, S. 126-134.
Djanani, C. und G. Brähler (2003): Internationales Steuerrecht, München.
Fuest, C. und B. Huber (2000): Das Vollanrechnungsverfahren ist nicht mehr zeitgemäß,
Wirtschaftsdienst, Heft 11, 351-355.
Homburg, S. (2000a): Allgemeine Steuerlehre, 2. Auflage, München.
Homburg, S. (2000b): Perspektiven der internationalen Unternehmensbesteuerung, in:
N. Andel (Hrsg.), Probleme der Besteuerung III, S. 9-61, Berlin
69