Oberbürgermeister Thomas Hunsteger

Oberbürgermeister Thomas Hunsteger-Petermann
Abiturrede
Liebe Abiturientinnen und Abiturienten!
Liebe Lehrerinnen und Lehrer!
„Ich denke einen langen Schlaf zu tun, denn dieser letzten Tage Qual war groß.“ Könnten Sie sich
vorstellen, Freunden und Verwandten solch eine Karte zu schreiben? Mit Schiller-Zitat aus dem
„Wallenstein“. In den 50er-Jahren hat man das gemacht. So hat man seinen Abiturerwerb verkündet
und gefeiert – wenn man da von „Feiern“ sprechen kann. In den 60er und 70er-Jahren hat man dann
gleich jeden Ausdruck der Freude vermieden – und sich das Abiturzeugnis in einem schmucklosen
Brief mit der Post zuschicken lassen. Das wäre zurzeit wohl nicht so optimal. Viele müssten dann wohl
länger auf ihr Zeugnis warten. Oder die Lehrkräfte müssten ihnen das Zeugnis persönlich
vorbeibringen.
Aber heute wird ohnehin anders Abitur gefeiert! In den letzten zwanzig Jahren haben sich Bräuche
entwickelt,
die
immer
pompöser
und
ausgefeilter
wurden.
Die
Abizeitungen
sind
keine
zusammengehefteten Blattsammlungen mehr, sondern fast schon professionelle Magazine. Die
Abistreiche werden jedes Jahr ausgefallener und durchorganisierter. Für ausschweifende Abibälle mit
allen Drum und Dran wird inzwischen an manchen Schulen ein kleines Vermögen ausgegeben. Ein
Freiburger Volkskundler hat die Abiturbräuche im Wandel der Zeit untersucht – und kommt in seinem
Buch zu der These: Je stärker das Abitur entwertet wird, desto größer und wichtiger werden die
Bräuche für die frischgebackenen Abiturienten.
Liebe Abiturientinnen und Abiturienten!
Liebe Lehrerinnen und Lehrer!
Ich teile die These nicht, dass das Abitur immer einfacher – und dadurch entwertet wird. Schon allein,
weil ich bekannt dafür bin, Hamm niemals schlecht zu reden. Und schon gar nicht die fast 1.000
Hammer Abiturientinnen und Abiturienten! Ich denke, die Ursache dafür, dass Abiturienten wie Sie
heute so viel wert auf Bräuche und Rituale legen, ist ein anderer: Noch nie war das Leben nach dem
Schulabschluss so unübersichtlich wie heute: Es gibt über 2.000 Berufe. Alleine der Ingenieurberuf
gliedert sich in 169 einzelne Fachrichtungen auf. Im Wintersemester 2014/2015 gab es in Deutschland
– von Süd nach Nord, von Ost nach West – insgesamt 17.437 Studiengänge. Und über jeden dieser
Studiengänge kann man heute im Internet mit ein paar Klicks alles erfahren – vom
Studienverlaufsplan über die Mensa-Qualität bis zu den Erstsemesterpartys. Entdecken Sie die
Möglichkeiten! Was für ein Kontrast zum Schulalltag! Mit festen Zeiten für Lernen, Pause, Essen – mit
Verhaltensregeln und Lernzielen. Der Schulabschluss markiert den Übergang zum Erwachsenenleben
– mit neuen Erfahrungen, aber auch mit neuer Verantwortung! Mit den Abiturfeierlichkeiten feiern Sie
auch eine Gemeinschaft, die es so in dieser Form nicht mehr geben wird. Mit dem Abistreich lassen
Sie ein Zeichen zurück, das sagt: Was nun auch noch kommen mag, wir waren hier – und an uns soll
man sich erinnern!
Liebe Abiturienten!
Ich kann Ihnen nur die folgenden Ratschläge geben: Zelebrieren Sie Ihren Abschluss, feiern Sie! Sie
haben es sich verdient – mit ihren Leistungen in den letzten Jahren. Und dann nutzen Sie ihre
Freiheit! Freiheit bedeutet in diesem Sinne auch: Machen Sie sich frei von den Erwartungen anderer.
In Deutschland ist beim Small Talk spätestens die zweite oder dritte Frage: „Und was machen Sie
beruflich?“ Und ob nach der Antwort auf diese Frage ein zustimmendes „Ahhhh“ oder ein betretenes
Schweigen kommt, ist nicht ganz unwesentlich für das Wohlbefinden. Dennoch: Entscheiden Sie sich
nicht aufgrund einer „gefühlten Akzeptanz“ für einen Berufsweg. Gehen Sie ihren eigenen Weg!
Finden Sie heraus, wo ihre Neigungen und Fähigkeiten liegen! Und folgen sie diesen dann: Wenn sie
wissen, was sie wollen, sind sie motivierter als andere – und können auch große Herausforderungen
meistern.
Ob der für Sie richtige Weg ein Studium, ein duales Studium oder eine klassische Ausbildung ist,
müssen Sie selbst entscheiden. Lassen Sie sich von Eltern, Bekannten und Freunden da nur beraten,
aber niemals bevormunden. Und – das ist mir ein persönliches Anliegen – geben Sie den
Möglichkeiten in Hamm eine Chance. Wir sind eine Stadt im Wandel, die viele interessante
Ausbildungsplätze in den verschiedensten Branchen bietet – und mit der SRH und der HSHL zwei
ausgezeichnete Hochschulen hat. Hamm entwickelt sich Schritt für Schritt in Richtung Studienstadt.
Der markante HSHL-Campus an der Marker Allee bietet modernste Gebäude und Einrichtungen, tolle
Studienbedingungen und ein innovatives Studienangebot im Bereich der Ingenieurswissenschaften.
Besonderen Wert legt die Hochschule auf interdisziplinäre Ausrichtung, Marktorientierung und hohen
Praxisbezug in der Lehre.
Sehr geehrte Damen und Herren!
Ich möchte Ihnen nochmals gratulieren und alles Gute für die Zukunft wünschen! Dann möchte ich Sie
aber auch nicht weiter aufhalten. Schließlich stellten Kulturwissenschaftler des Landschaftsverbands
Westfalen Lippe kürzlich zu den Abiturbräuchen fest: So wie heute wurde noch nie gefeiert! Denken
Sie also daran: Sie haben einen Ruf zu verteidigen! Vielen Dank!