Abiturrede des Schulleiters Horst Pfadenhauer, OStD am Markgraf-Georg-Friedrich-Gymnasium zu Kulmbach Abiturjahrgang 2015 26. Juni 2015 Es gilt das gesprochene Wort! „Sapere aude!“ Wer kennt ihn nicht, diesen Leitspruch der Aufklärung? „Sapere aude“ – Die meisten von uns, vor allem natürlich unsere Abiturientinnen und Abiturienten - heute auf dem strahlenden Zenit ihres Allgemeinwissens -, können ihn sofort und ohne viel nachzudenken eindeutig dem Philosophen zuordnen, durch den er Bekanntheit erlangte, nämlich Immanuel Kant. Und auch seine Auslegung kommt den meisten von uns sofort wieder ins Gedächtnis: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ Welcher Wahlspruch passt wohl besser zu einer Abiturverabschiedung als dieser? Liebe Abiturientinnen und Abiturienten, sehr geehrter Herr Landrat, liebe Eltern, Freunde und Familienangehörige unserer Absolventen, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Vorsitzende des Elternbeirats und des Fördererverbandes, verehrte Ehrengäste aus Kirche und Politik, meine Damen und Herren, viele Schulleiter in den letzten sechs Jahrhunderten unserer ehrwürdigen Institution des Markgraf-Georg-Friedrich-Gymnasiums haben ihre Abiturrede mit einem lateinischen Zitat begonnen. Da wir uns in der Tradition der alten Lateinschule im 622. Jahr ihres Bestehens befinden, sei es mir erlaubt, mich einzureihen und diese schöne Gepflogenheit fortzuführen. Heute ist Euer Tag, liebe Abiturientinnen und Abiturienten, ein Tag, an den Ihr hoffentlich auch später immer gern zurückdenken werdet. Ein Tag der Freude nach bestandenen Mühen, ein Tag der Erinnerung an erlebte Zeit in einer Gemeinschaft, die aus einer meist willkürlichen Zusammensetztung, sich nach einiger Zeit in eine für Euch hoffentlich liebgewonnene gewandelt hat. Wir freuen uns mit Euch und es ist mir eine ganz besondere Ehre, Euch, – liebe Abiturientinnen und Abiturienten – zu sagen, dass wir vom MGF, alle Kollegen und Mitarbeiter, sehr stolz auf Euch sind. Stolz auf das, 1 was Ihr (mit uns) gemeinsam, aber in erster Linie für euch selber erreicht habt. Ich betone diesen Satz gerade in Zeiten massiver Nivellierungsversuche in unserer Bildungslandschaft: Ihr habt den höchsten Abschluss innerhalb der schulischen Bildung erreicht, nämlich das Abitur, die Allgemeine Hochschulreife und das noch dazu an einem bayerischen Gymnasium. Dazu im Namen unserer Schulfamilie die allerherzlichste Gratulation! - - Einige unter Ihnen, werte Festcorona, werden natürlich wissen, dass das Eröffnungs-Zitat nicht unmittelbar aus der Feder von Kant stammt. Vielmehr geht es zurück auf die antike Wurzel des römischen Schriftstellers Horaz. Und – meine geschätzten Lateinkollegen – ich weiß es genau – einige von Ihnen haben vorhin die Luft angehalten, dass ich so schmallippig und einseitig in der Interpretation daher kam: Deshalb jetzt meine Ergänzung! Die Übertragung durch Kant birgt natürlich Unschärfen in sich: „Habe Mut, dich deines Verstandes zu bedienen!“, diese Transformation stimmt zwar sinngemäß, noch weitergehend aber wird sie, wenn man die lateinische Sentenz mit „Wage es, weise zu sein!“. Ich meine, dieser Transfer führt uns noch besser, als der erste Teil der Übersetzung, zum Kern der dahinter stehenden Intention: Und diese Intention, sie hat die Jahrhunderte mit ihrer Weisheit überdauert, sie ist damals – wie heute – gültig, vielleicht gültiger denn je. Ja, sie kann sogar eine direkte Botschaft an Euch, liebe Abiturientinnen und Abiturienten, sein. - - - Und als solche will ich sie heute an Eurem Ehrentag auch wissen: Wagt es, weise zu sein! Habt Mut, auch einmal querzudenken. Traut Euch, auch einmal gegen den Strom zu schwimmen. Wer, wenn nicht Ihr? Nutzt Euren Verstand, nutzt Euer Wissen, das Ihr hier am MGF erworben habt, nutzt die vielen Fertigkeiten und Talente, baut sie aus und setzt sie in Eurem Leben, das in voller Breite und in aller Perspektivität vor Euch liegt, auch um. Das wünsche ich mir für Euch! Ich weiß, dass jede und jeder unseres Abiturjahrgangs 2015 diesen „besonderen Auftrag“ auf ganz eigene, individuelle Weise für sich umsetzen wird. „Sapere aude!“ – Habt Mut, traut Euch! Welche noch tiefere Bedeutung in diesem Ausspruchs liegt, wird uns klar, wenn wir einen Blick auf den Ursprungstext von Horaz werfen. Dieser ist nämlich den „Episteln“ des Dichters entnommen und datiert auf das Jahr 20 v. Chr. In den Briefgedichten ist dieser knappe Auszug in 2 einen vielsagenderen längeren Satz eingebunden: „Dimidium facti, qui coepit, habet; sapere aude, incipe.“ Der erste Teil ist in den vergangenen Jahrhunderten selbst zu einem Sprichwort geworden und lässt sich am besten mit „Die Hälfte der Tat hat geleistet, wer begonnen hat“ übersetzen. Was heißt das für uns heute? Was bedeutet das für Euch heute? „Frisch gewagt ist halb gewonnen“ könnte man angestaubt sagen. Oder: Lasst Euch nicht unnütz treiben, sondern packt aktiv Euer Leben und die vor Euch liegenden Aufgaben an. Seid Aktivisten im positiven Sinne des Wortes, nicht passive Spielbälle angeblich gegebener Rahmenbedingungen. Wartet nicht lange ab, richtet euch nicht erst gemütlich in einer angeblichen Zufriedenheit ein, sondern packt an, macht mit, bringt euch ein, in die Gesellschaft, auf unterschiedlichsten Ebenen! Dann, das kann ich aus eigener Lebenserfahrung sagen, dann seid ihr sehr schnell auf der gestaltenden, aktiven Schiene und ihr macht genau das nicht, was wir leider viel zu viel in unserem Gemeinwesen haben: jammern. Wenn ihr aktiv seid, dann braucht ihr auch nicht zu klagen, dass die Welt so schlecht ist und keine Perspektiven bereit hielte. Das alles kann uns dieser erste Teil des lateinischen Spruches sagen. Aber er geht ja noch weiter: Denn jetzt kommt unser „sapere aude“. Dieser zweite Teil lässt sich, wie bereits beschreiben, in etwa mit „Wage es, weise zu sein“ übersetzen. Hier ist „aude“ der Imperativ von audere (lt. wagen, wollen, aber auch: begierig sein!), wobei sapere im Infinitiv steht. Das Wort „sapere“ bedeutet eigentlich „schmecken“ und lässt sich nur in einem übertragenen Sinne mit „verstehen“ oder auch „Weisheit erlangen“ übersetzen. Ich persönlich finde, dass gerade dieses „schmecken“ für uns heute sehr wohl eine Ebene trifft, die wir auch in unserem modernen Sprachgebrauch gut einbauen können. „Schmecken“ oder „in etwas hineinschmecken“, Erfahrungen machen, vielleicht auch leidige, auf jeden Fall aber wertvolle, das ist es, liebe Abiturientinnen und Abiturienten, was vor Euch liegt. Nur wer sich nicht zu bequem ist, auch etwas Neues erfahren zu wollen, sich auf etwas einzulassen, also im guten fränkischen Sinne „in etwas hineinzuschmecken“, der wird auch über den Tellerrand trister Befindlichkeit und Nabelschau hinauskommen. Auch das will uns dieses Sprüchlein sagen. Und nun - ich komme zur Erleichterung vieler – zum Schluss: Es fehlt noch das Wörtchen „incipe“. „Incipe“, wieder ein Imperativ, heißt ganz einfach: „Fang an!“ Deutlicher kann eine Aufforderung an uns eigentlich nicht sein. 3 „Fang an!“ impliziert: „Zögere nicht!“, „zögere Entscheidungen“, die du in deinem tiefsten Inneren als richtig erkannt hast, nicht hinaus. Stehe zu deinen Zielen, lass dich nicht von ihnen abbringen und vertrete sie offensiv, aber rücksichtsvoll. „Die Hälfte der Tat hat geleistet, wer begonnen hat; wage es, weise zu sein, fang an!“ So lautet also unser Wahlspruch in seiner vollen Länge. Ich würde mich sehr freuen, wenn dieser Wahlspruch der Aufklärung, der seit Mai diesen Jahres wie in der Aufklärung wieder der zentrale Handlungskern unseres neuen Leitbildes am MGF ist, auch für Euch, liebe Absolventen des Jahres 2015, euer ganz persönlicher Motivationskick werden könnte. - - „Wagt es, weise zu sein!“ Zur Weisheit, so hoffen wir Lehrer zumindest etwas beigetragen zu haben. Ob unsere Arbeit immer von Erfolg geprägt war, das müssen Sie selber entscheiden. Für meine Lehrerschaft muss ich jedoch das Gleiche reklamieren, wie es die Redner Ihres Abiturjahrgangs vorhin indirekt selber getan haben: Wir haben uns redlich Mühe gegeben. Und dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen möchte ich es nicht versäumen, mich auch ganz persönlich bei Ihnen für die geleistete Arbeit hier und heute zu bedanken. Ein ganz besonderes Dankeschön an dieser Stelle an unsere beiden Oberstufenkoodinatoren Herrn Axtner und heuer speziell für euren Jahrgang als Direktbetreuer zuständig – Herrn Stübinger. Wenn wir jetzt auseinandergehen, dann darf ich Euch, liebe Abiturientinnen und Abiturienten, um ein besonderes, persönliches Anliegen bitten: Bleibt Eurer Schule auch in Zukunft verbunden. Sie war ein Teil Eures Lebens und wir hoffen natürlich alle, dass Ihr mit ihr auch in irgendeiner Weise in Kontakt blieben. Möglichkeiten dafür gibt es bei uns eine ganze Reihe. Ich denke da an unseren Fördererverband, von dem - wie Baronin von Künßberg-Schmitt angekündigt hat - ein Anschreiben in Eurem Zeugnisumschlag, beiliegt. Ich denken an die Ausrichtung unserer Ehemaligen-Treffen, die ab dem 10. Jahrestag des Abiturs alle Fünferjahrgänge einlädt oder ich denke an unsere Absolvia, unsere Schülerverbindung, die sich aus der Tradition unserer Schule heraus gegründet hat. Ganz aktuell unternimmt unser MGF große Anstrengungen eine Kontaktbörse für Studienanfänger und Berufseinsteiger zu entwickeln. 4 Deshalb darf ich Euch alle herzlich bitten: Tragt Euch mit eurer aktuellen e-mail-Adresse auf der gerade unter Euch umlaufenden Liste ein. Wir haben damit – wenn Ihr es wollt - , die Möglichkeit, Euch in ein Netzwerk aufzunehmen, das Euch ständig bzgl. unserer Schule auf dem Laufenden hält, aber Euch zusätzlich etwas bietet, das wir in Deutschland an nur wenigen Schulen bisher haben, nämlich Kontaktmöglichkeit für Euch Studien- oder Berufseinsteiger. Ihr sollt nämlich profitieren können vom Erfahrungsschatz ehemaliger MGFler, die sich beruflich in unserer Region wieder niedergelassen haben, also selber nach dem Abschluss des Studiums zurückgekehrt sind. Im Konkreten könnte sich dies beispielsweise bei der Vermittlung von Praktikumsplätze und Betreuungsangeboten während des Studiums zum künftigen Berufsfeld handeln. Gute Tipps für Studium und Beruf könnten direkt von Praktikern vor Ort an Euch weitergegeben werden. Was für mich dabei aber auch sehr wichtig ist: Ihr hättet trotz aller Weltläufigkeit im Studium immer den Kontakt zur oberfränkischen Region. Bleibt mit uns verbunden, damit wir Verbindungen knüpfen können für Euch in unsere liebenswerte Region. Unseren Landkreis als liebenswert und schön zu empfinden, das erfahren vielleicht viele von Euch erst so richtig, wenn sie einmal draußen in der großen weiten Welt gewesen sind, vielleicht an Unis oder im Ausland studiert haben und weit weg gewesen sind. Umso mehr lernt man die Vorteile unserer Region zu schätzen, aber ich will nicht die Rede unseres Landrats vorwegnehmen. Unser Alumni-Kontakt-Netz, das wir für Euch aufbauen wollen, soll dazu beitragen, gerade auch unsere Abiturienten mit exzellenter Ausbildung und Studium für unsere Region, zurückzugewinnen. Das ist unser ganz besonderer Beitrag für eine Gemeinschaft, die wir am MGF über Jahre gelebt und lebendig praktiziert haben. An dieser Stelle geht mein Dank aber auch an die politischen Entscheidungsträger, von denen viele, wie z.B. unser anwesende Landrat Klaus Peter Söllner, am MGF selber Abitur gemacht haben. Ich weiß nur zu gut, was Sie alle für unser MGF in den letzten Jahren für Weichenstellungen getroffen haben. Und so freuen wir uns, dass jetzt endlich – nach einer viel zu langen Pause – die Bagger fahren und wir unsere Pausenhalle gebaut bekommen. Dass unmittelbar an diesen Bauabschnitt die Sanierung unseres Hauptbaus folgen wird, wurde mir vor einem Jahr in der Bauausschusssitzung schon mündlich versprochen. Jetzt müssen noch die Beschlüsse folgen. Doch ich bin zuversichtlich. „Sapere aude!“ und vor allem „Incipe“! Wie schön, doch unser Abiturmotto auch für die beschließenden Kreisgremien passt! 5 Und Ihr, liebe Abiturientinnen und Abiturienten geht in die Welt hinaus, macht was aus Euren Grundlagen, aber: Vergessten uns in der Region nicht und vielleicht, nein hoffentlich kommen recht viele von Euch - auch nach Abschluss des Studiums – wieder. Wir haben eine vielfältige, wunderschöne und lebenswerte Region mit wirklich sehr guten Anstellungschancen, auch und gerade für Hochqualifizierte. Haltet Kontakt zu uns, mit uns Daheimgebliebenen oder wieder Zurückgekehrten. Und bleibt uns „erhalten“, auch wenn Ihr jetzt bald weit weggeht. Noch einige ganz persönliche Worte zum Schluss: Ihr wart für mich ein ganz besonderer Jahrgang. Der zweite zwar erst, aber dafür – wie jeder – einmalig und erinnerungswürdig. Automatisch kommen mir einige Schlaglichter ins Gedächtnis: - als unsere intern gegründete Band Praystation mit leuchtenden Augen bei mir auf dem schwarzen Sofa saß und mir zum ersten Mal begeisternd von ihrem Projekt erzählte, - als führende Köpfe eures Jahrgangs im Schulforum unser neues Leitbild aktiv mitdiskutierten, - als ich unseren volljährig gewordenen ersten Musenabijahrgang bei unserem “Piratenprojekt“ verabschieden durfte. - Dann wieder auch ruhige Momente, als ich mit einigen von Euch sehr hellsichtig und vorausschauend über die Gestaltung und auch Weiterentwicklung unserer Schule diskutieren konnte, - und manchmal auch ganz leise Augenblicke, wenn ich an nicht wenige Probleme zurückdenke, bei denen gerade Ihr Großen mir sehr geholfen habt, ohne dass Ihr Euch dessen vielleicht damals bewusst gewesen seid. Dafür danke ich Euch als Lehrer und Mensch, aber natürlich auch als Direktor unserer Schule. Ihr ward und seid wirklich ein ganz besonderer Jahrgang. Euch alles Gute, Glück, Gesundheit, Gottes reichen Segen und natürlich auch Erfolg und vor allem Erfüllung. Das wünsche ich Euch von ganzem Herzen! Unserer Schule und heute an diesem Tag Euch ganz besonders ein kräftiges „Vivat, crescat, floreat! Markgraf-Georg-Friedrich-Gymnasium Kulmbach. Ad multos annos!“ --6
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