Thema. | Samstag, 2. Januar 2016 | Seite 3 Anscheinend soll Syngenta an die Chinesen verkauft werden. Es wäre ein Desaster. Man muss es verhindern Blinde Verzweiflung Von Markus Somm Was trägt sich hinter den Kulissen bei Syngenta zu? Von aussen ist es schwer zu beurteilen, was man aber erkennt, stimmt nachdenk lich. In letzter Minute sozu sagen, kurz bevor sich die Mit arbeiter der Basler Firma vor den Weihnachtsbaum setzten, um mit ihren Familien zu feiern, hatte Michel Demaré, Verwaltungsratspräsident der Syngenta, in der Finanz und Wirtschaft ein Interview gege ben, das so beunruhigend, das so sensationell, das aber auch so hilflos erschien, dass wohl der eine oder andere Angestellte der Syngenta am liebsten für einmal auf Weihnachten verzichtet hätte. Viel leicht zerstampfte er immerhin eine Weihnachts kugel. Auf die Frage des Wirtschaftsblattes, ob ein Alleingang für die Firma keine Option mehr sei, antwortete Demaré: «Sagen wir es so: Wenn mehr Geduld da wäre, um auf einen Zyklusaufschwung zu warten, dann schon. Doch entsprechend dem, was die Aktionäre in Bezug auf die nächsten zwölf Monate erwarten, ist ein Alleingang kaum mög lich.» Einige Zeilen weiter unten liess Demaré durchblicken, dass man in «recht fortgeschritte nen, formellen und intensiven Verhandlungen» stecke. «Die Dinge bewegen sich, es kann jederzeit etwas passieren.» Unter anderem, auch das ging aus Demarés Verlautbarungen hervor, könnte «passieren», dass ein chinesischer Staatskonzern namens ChemChina die Basler Firma kauft. O du fröhliche am Rhein. Kurzes Gedächtnis Demarés Aussagen waren in mancherlei Hinsicht beunruhigend – und erstaunlich. Hat nicht die gleiche Unternehmensführung noch im vergangenen Sommer das Gegenteil behauptet, nachdem sie mehrere Übernahmeangebote der amerikanischen Firma Monsanto abgelehnt hatte? Man setze nun umso mehr auf den Alleingang, hiess es, und in der Region wurde das mit einer Mischung von patriotischer Genugtuung und Zuversicht aufgenommen. Wer hätte schon Monsanto vorgezogen, dieses ungeliebte Monster aus den USA? Auch wenige Wochen später klang Demaré immer noch selbstbewusst, wenn nicht blasiert: «Unser Ziel ist klar. Wir wollen Nummer eins oder Nummer zwei der Branche sein», sagte er im Tages-Anzeiger. «Wir wollen nicht in einigen Jahren bedauernd zurückblicken und realisieren, dass wir Chancen verpasst haben und auf Platz drei oder vier abgerutscht sind.» Von diesem Selbstbewusstsein ist nicht mehr viel zu spüren. Es ist verflogen. Was ist in Demaré gefahren? Obwohl die Zeiten hart sind für Agrarkonzerne wie die Syngenta, ist schwer vorstellbar, dass sich objektiv die Umstände dermassen rasch verändert haben, dass Demaré seine Meinung derart radikal revidieren musste. Mag sein, dass ihm schwer zu denken gab, dass in der Zwischenzeit die beiden amerikanischen Chemiekonzerne DuPont und Dow Chemical eine Fusion angekündigt hatten. Es war ein offenes Geheimnis, dass das Management von Syngenta viel lieber mit DuPont kooperiert hätte als mit Monsanto. Das war nun nicht mehr möglich. Dennoch mutet es etwas seltsam an, dass ein Management so einseitig auf eine Lösung setzt, für die, wenn sie sich zerschlägt, keine Alternative vorhanden zu sein scheint. Denn, diesen Anschein machte Demaré, plötzlich ist alles möglich. Rette sich, wer kann. Man rede mit allen, auch mit Monsanto, wird versichert, dem Monster, das man partout vom Rhein fernhalten wollte, oder eben auch mit einem mächtigen Vertreter der chinesi schen Planwirtschaft. Mit anderen Worten, mit der chinesischen KP. Die Eigentümerbeschimpfung Vieles irritiert. Wenn ein Verwaltungsrats präsident sich öffentlich darüber beklagt, dass seine Aktionäre ihm keine Zeit geben, um Erfolg zu haben, wenn er also die Aktionäre für inkompe tent erklärt, dann fragt man sich: Hat dieser Mann seine Rolle verstanden? Er ist Angestellter und redet über seine Chefs, die Eigentümer. Ganz gleich, wie ungeduldig sie sein mögen, er hat zu tun, was diese von ihm erwarten. Wenn ihm das nicht behagt, kann er jederzeit kündigen. Was aber nicht in Ordnung geht, ist diese Art von Eigentümerbeschimpfung, die auch politisch betrachtet unverantwortlich ist. Gewöhnlich klingen so die Juso. Ebenso macht es einen ver heerenden Eindruck, wenn ein Verwaltungsrats präsident behauptet, sozusagen unter Zwang seinen Konzern verkaufen zu müssen. Kann man so gut verhandeln? Der ganzen Welt, jedem Konkurrenten, hat Demaré nun mitgeteilt: Wir sind verzweifelt, wir wissen nicht mehr ein noch aus, wir sind um jeden Preis zu haben. Syngenta im Status des Ramsches. Es handelt sich um eine indirekte Verstaatlichung, was wir aus einer liberalen Sicht ohnehin bekämpfen müssten. Das hat diese glänzende Firma nicht verdient. Sie ist eine der besten der Schweiz, auch wenn ihre Performance in der jüngsten Vergangenheit suboptimal verlief. Hervorgegangen aus dem Agrargeschäft der Novartis, also der CibaGeigy und der Sandoz, und der britischen Zeneca, ist der Konzern heute weltweit Marktführer im Pflanzen schutz und liegt auf Rang drei in der Herstellung von Saatgut. Erst vor Kurzem ergab eine Analyse der Beratungsfirma Ernst & Young, das sie zu den 500 wertvollsten Unternehmen der Welt gehört: Rang 286. Es hat etwas Surreales, es hat etwas Bezauberndes: Ausgerechnet aus der Schweiz, diesem landwirtschaftlich immer benachteiligten Land, weil es mehr Hügel und Felsen hat als fruchtbaren Boden, ausgerechnet aus diesem miserablen Ackerland und stotzigen Kuhparadies, werden nun intelligente Produkte geliefert, die die Hat dieser Mann seine Rolle verstanden? Michel Demaré, Präsident des Verwaltungsrats des Schweizer agrochemiekonzerns Syngenta. Foto Swiss-image/andy Mettler Menschen der halben Welt ernähren. Darauf darf man stolz sein. Wer das Hauptquartier der Syngenta in Basel besucht, betritt vielleicht auch den wunderschönen, beeindruckenden Bau aus den Dreissigerjahren, wo einst die Geigy ihren Hauptsitz unterhielt. Carl Koechlin, Chef der Geigy und einer der legendären Wirtschaftsführer unseres Landes, der jahrelang als Vorortspräsi dent die Wirtschaftspolitik segensreich prägte, sass hier an seinem Pult. Soll das nun alles nach Peking verscherbelt werden? Keine Übernahme wie jede andere Denn das ist die wahre Tragödie. Das gilt es zu verhindern. Im Kapitalismus gehen Firmen unter und steigen andere auf, es wird übernommen, es wird verkauft, man geht bankrott. Das tut oft weh, gehört aber zu den «schöpferischen und zerstöre rischen» Eigenheiten dieser besten Produktions weise aller Zeiten, wie es der grosse österreichi sche Ökonom Joseph Schumpeter einst beschrieb. So gesehen, wäre auch eine Übernahme durch Monsanto für die Schweiz und insbesondere für Basel schmerzlich gewesen, aber völlig in Ord nung. Ein Kapitalist schluckt den anderen. Was aber stört, ist wenn ein Staat, und dann noch ein solcher wie China, sich eine schweizerische Firma aneignet. Es handelt sich um eine indirekte Verstaatlichung, was wir aus einer liberalen Sicht ohnehin bekämpfen müssten, ja, womöglich widerspricht es sogar der in unserer Verfassung garantierten Handels und Gewerbefreiheit: Der Staat, auch ein fremder, hat in unserer Wirtschaft nichts verloren, – was leider selbst unsere Politiker nicht immer mehr ganz begreifen. Bedenklicher aber ist, dass China kein harm loser Staat ist. Nichts gegen die Chinesen im All gemeinen, aber ihr Staat wird nach wie vor von der Kommunistischen Partei beherrscht. Wenn diese Partei Wohlstand schafft, dann nicht, weil sie ihre Untertanen schätzt, sondern weil sie selber an der Macht bleiben will. Zweitens schickt sich China an, eine Supermacht dieser Welt zu werden. Was chinesische Staatskonzerne tun oder unterlassen: Es ist immer geprägt von einer globa len, imperialen Strategie des chinesischen Polit büros, sei es nun in Südamerika oder Afrika, wo sich der chinesische Staat vor allem Rohstoffe und Nahrungsmittel sichert, indem er sich nicht nur von dortigen Firmen beliefern lässt, sondern meistens sie lieber verschlingt. Sicher ist sicher. Seit Kürzerem beobachtet man chinesische Staatskonzerne auch in Europa, wo sie vor allem technisches Knowhow einzukaufen versuchen. Will die Schweiz, dass eine hier ansässige Firma ins chinesische Imperium eingegliedert wird? Wenn Syngenta dem chinesischen Staat gehört, dann soll diese Firma und alle ihre klugen Forscher und tüchtigen Arbeiter dem chinesischen Reich dienen. Politische Erwägungen werden wirtschaftliche oder betriebswirtschaftliche Über legungen immer übertrumpfen. Mit anderen Worten, was immer die Chinesen den Managern der Syngenta derzeit versprechen: Die Zukunft dieser Firma und ihrer Arbeitsplätze wäre alles andere als sicher. Politisch dominierte Firmen haben noch nie reüssiert. Steckt gar ein Imperium dahinter, ist mit dem Schlimmsten zu rechnen. Wenn man Michel Demaré in seiner Ver zweiflung und Ratlosigkeit so hört, erhält man den Eindruck, er favorisiere die chinesische Lösung. Das ist fatal. Langfristig wäre sie für unser Land und für Basel ein Desaster. [email protected] anzeige Die BaZ-E-Paper-App – jetzt im App-Store laden und die BaZ täglich auch digital auf Ihrem Smartphone oder Tablet lesen. Sind Sie bereits Abonnent? Dann können Sie bei unserem Abo-Service Ihre Zugangsdaten verlangen und sich registrieren. Sind Sie nicht Abonnent, möchten aber dennoch die BaZ digital lesen? 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