Big Data treibt Connected Car

Use Cases aus dem chinesichen Automobilmarkt
Big Data treibt Connected Car
Connected Car generiert ein Datenvolumen, aus dem ­Hersteller
mit Hilfe von Big Data wertvolle Beiträge für maßgeschneiderte Kundenlösungen ableiten können. Zwei Use Cases z­ eigen
Anwendungsmöglichkeiten im chinesischen Automobilmarkt.
Moderne Fahrzeuge kommunizieren bereits heute miteinander und mit ihrer Umwelt.
Nach einer Schätzung der Deutschen Telekom steigt die Anzahl der übermittelten Daten
pro Monat in kurzer Zeit von vier MB auf fünf GB1. Seit Jahren werden Autos kontinuierlich mit IT ausgestattet und verfügen nun über eine Rechenleistung, die dem Vielfachen von derzeitig handelsüblichen PCs entspricht. Bis 2016 wird die Anzahl der vernetzten Fahrzeuge 210 Millionen erreichen.2 Fahrzeughersteller planen, die Bedienung und
­Wartung des Fahrzeugs durch modernste Sensorik und Internetanbindung zu verbessern
und eine neue Form der Fahrerfahrung zu kreieren.
China ist Vorreiter in Sachen Mobilisierung – ein idealer Markt
Das Datenvolumen wird in Zukunft also weiter steigen. Durch das Einbringen neuer
­Services innerhalb der Fahrzeuge, beispielsweise Internetanbindung, Telematiks oder die
Nutzung von Applikationen wie Parkplatzsuche, kommen völlig neue Datenformen und
-quellen hinzu. Um das Potenzial dieser neuen Services bestmöglich auszuschöpfen und
stetig weiter zu verbessern, ist es notwendig, Analysemethoden zu entwickeln und zu implementieren. Diese Form der Analyse – Big Data genannt – kann helfen, große Datenmengen strukturiert zu verarbeiten und daraus einen Beitrag abzuleiten, der das Serviceangebot maßgeblich erweitert.
In kaum einer Region der Welt ist dieser Trend der stetigen Mobilisierung so allgegenwärtig
wie in Asien. Speziell in China sind die Anzahl genutzter Fahrzeuge, Smartphones und die
allgemeine Verfügbarkeit von Daten immens. Darüber hinaus sorgt die rasante Urbanisierung und Modernisierung des Landes dafür, dass in den chinesischen Megacities wie
Peking und Shanghai hochmoderne Verkehrsleitsysteme zum Einsatz kommen. Diese
bieten in der Kommunikation mit Connected Cars ganz neue Möglichkeiten. Daher ist
China der ideale Markt, um aufzuzeigen, wie Big Data dabei helfen kann, die f­ ortlaufende
Vernetzung von Fahrzeugen mit ihrer Umwelt voranzutreiben und welche Mehrwerte für
die Automobilindustrie geschaffen werden können. Unsere gesammelten Erfahrungen
­präsentieren wir in zwei Use Cases.
1http://www.telekom.com/media/media-kits/179806.
2 Im Jahr 2011 lag die Anzahl von vernetzten Fahrzeugen bei 45 Millionen. Dies entspricht einer jähr-
lichen Wachstumsrate von 36%. Quelle: Statista.
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Direct Parking
Chinas Städte sind durch zwei Faktoren geprägt: Größe und Wachstum. Bis 2030 werden
über eine Milliarde Menschen in Städten leben. Es wird über 220 Millionenstädte geben.3
Die Kombination des Städtewachstums mit einem großen Bedarf an Fahrzeugen führt
in China zu einer Vielzahl von Herausforderungen. Luftverschmutzung, Staus und fehlende Parkmöglichkeiten bringen die städtische Verkehrsinfrastruktur an den Rand eines
­Kollaps. Da in China das Auto weiterhin als Statussymbol gesehen wird, steigt die Zahl der
Fahrzeuge in den Städten weiter an. Die Ausbaumöglichkeiten des Straßennetzes sind in
den dicht besiedelten Städten jedoch stark begrenzt. Somit bleibt nur die Möglichkeit der
Effizienzsteigerung durch moderne Technologien, um die Probleme des städtischen Verkehrs zu verringern.
Die Applikation Direct Parking nimmt sich diesen skizzierten Problemen an. Es geht
um die Erleichterung des Parkens im städtischen Gebiet. Ein zentrales Navigationssystem von Direct Parking, das auf die fahrzeuginterne Navigation zugreift, navigiert die
einzelnen Fahrzeuge dynamisch zu den verfügbaren Parkplätzen in der Stadt. Darüber
hinaus vollzieht die App eine kurzzeitige Reservierung des jeweiligen Parkplatzes im Parkhaus oder an digitalen Parkuhren, die mit dem Verkehrsleitsystem der Stadt ­verbunden
sind, und regelt durch ein integriertes Bezahlsystem anfallende Parkgebühren. Der Fahrer muss lediglich seine finale Destination in sein Navigationssystem eintragen und die
Direct Parking Applikation im Fahrzeug aktivieren. Neben den applikationseigenen
Datenströmen bedient sich das System der großen Echtzeit-Verkehrsdaten der Städte. Das
Verkehrsleitsystem der Stadt wird somit dezentraler organisiert, reagiert dynamisch und ist
effizienter in der Zuteilung von Parkplätzen.
Das hochmoderne System koordiniert nicht nur die Parkplatzzuweisung, sondern ist auch
in der Lage, frühzeitig Gebiete in der Stadt zu erkennen, in denen es eine hohe Nachfrage
nach Parkplätzen gibt. Das dynamische Routing setzt dort an, um die Nutzer effizient
umzuleiten. Weiterhin wird durch Predictive Analytics festgestellt, in welchen Gebieten
die nächsten Parkplätze frei werden. Wichtig ist die Verknüpfung von großen Mengen an
Echtzeitdaten aus dem gesamten Stadtgebiet – Direct Parking Application und Verkehrsleitsystem – mit den gesammelten historischen Verkehrsdaten der jeweiligen Stadt sowie
Daten aus Social-Media-Kanälen und Informationen zu bevorstehenden Großevents.
Durch diese Kombination lassen sich sehr genaue Annahmen treffen, wie sich der Verkehr
in jedem Stadtgebiet zu jeder Uhrzeit verhalten wird.
3http://www.zeit.de/wirtschaft/2011-03/china-urbanisierung/seite-2.
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360° Customer Relationship Management
Die Größe Chinas als zusammenhängender Binnenmarkt ist weltweit einzigartig. Über
1,3 Milliarden Konsumenten beherbergen ein ungeheueres wirtschaftliches Potenzial – ein
Eldorado für die Nutzung von Big Data zur Analyse großer Kundendaten. Insbesondere die
Fähigkeit von Big Data, nicht nur große Datenmengen in Echtzeit zu verarbeiten, sondern
Muster und Strukturen in diesen Datenmengen zu erkennen, ist für die Analyse von Kunden überaus interessant. Die zunehmende Anzahl von Fahrzeugen, die mit telematischen
Systemen ausgestattet sind, bedeutet eine noch ungenutzte Menge an kundenspezifischen
Daten, die durch diese Fahrzeuge gesammelt werden.
360° Customer Relationship Management (360° CRM) ist ein Konzept zur Nutzung
­dieser Kundendaten in der Automobilindustrie. Im Kern geht es darum, den Fahrer b­ esser
kennen und verstehen zu lernen und ein individualisiertes Serviceangebot abzuleiten. Die
Welt durch die Augen des Kunden zu sehen, schafft einen klaren Wettbewerbsvorteil.
In den vergangenen Jahren, in denen im Automobilmarkt exorbitante Wachstumsraten
erzielt werden konnten, bestand offensichtlich keine Notwendigkeit für ein umfassendes,
strukturiertes und innovatives CRM, wie Gespräche mit unseren Kunden vor Ort belegen.
Die aktuellen Zahlen belegen jedoch, dass hohe zweistellige Wachstumsraten in den kommenden Jahren nicht mehr realisiert werden können, da der chinesische Automobilmarkt
sättigende ­Tendenzen zeigt. Insbesondere in China stehen strukturiert gemanagte Kundenbeziehungen deshalb immer stärker im Fokus.
Der chinesische Kunde ist im Allgemeinen sehr wechselfreudig und zeigt keine große
Markenloyalität in seinen Kaufentscheidungen. In diesem Marktumfeld gilt es nun,
Systeme und Maßnahmen zu implementieren, die Kundenloyalität erzeugen und bewahren. Eine große Rolle bei der Schaffung von Kundenloyalität werden innovative Serviceangebote, China-spezifische Produktanpassungen und personalisiertes Marketing in Kombination mit dem Fahrzeug spielen.
360° CRM hat das Ziel, ein vollumfängliches Bild über die Kundenerwartungen zu generieren. Automobilhersteller können reagieren, noch bevor der Kunde diese Erwartungen
selbst äußert. Die Kundenbetreuung verändert sich von einer reaktiven zu einer proaktiven
Aufgabe. Um diese proaktive Kommunikation effizient leisten zu können, bedarf es des
Einsatzes modernster Technologie. Die Qualität der digitalen Kundenbeziehung wird zum
zentralen Wettbewerbsfaktor. Die zentrale Frage in der Zukunft wird daher nicht sein, wie
man an die Kundendaten gelangt, sondern wie sie genutzt werden.
360° CRM baut auf bestehenden CRM-Systemen auf und nutzt die bereits hier generierten Daten. Die Besonderheit liegt in der intelligenten Nutzung dieser durch Connected
Cars generierten Daten. Die Daten beziehen sich nicht nur auf den aktuellen und bisherigen Zustand des Fahrzeugs, sondern auch auf die Wahrscheinlichkeit in Zukunft eintretender Ereignisse. Insbesondere Predictive Analytics erlaubt es, bei entsprechend verbauter
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S­ ensorik im Fahrzeug frühzeitige Schäden oder außerplanmäßige Reparaturen mit Wahrscheinlichkeiten zu belegen und ab einem entsprechenden Schwellwert als Automobilhersteller darauf zu reagieren und den Kunden zu informieren. Einen Schritt weiter geht die
Verknüpfung zwischen den Sensorikdaten und den unterschiedlichen Fahrerprofilen, die
über die Fahrer des jeweiligen Fahrzeugs angelegt werden. Anhand dieser Fahrerprofile und
des Umgangs des Fahrers mit dem Fahrzeug kann noch genauer ermittelt werden, welche
außerplanmäßigen Defekte auftreten werden. Die Fähigkeit der Fahrzeughersteller, solche
Annahmen zu treffen, ermöglicht es, eine neue Form der Servicequalität hinzuzufügen,
indem der Fahrer vor einem eintretenden Defekt über ein außerplanmäßiges Wartungsfenster informiert wird. In den Augen des Kunden wird aus einer Reparatur eine proaktive
Wartung!
Aus den Fahrerprofilen ergeben sich weitere innovative Anwendungsfälle. Die große
Anzahl der gesammelten und an die Automobilhersteller übertragenen Profile kann mithilfe von Big Data analysiert und kategorisiert werden, damit Fahrer nicht nur anhand ihrer
demographischen Zuordnung und finanziellen Möglichkeiten eingeordnet werden, sondern direkt über den selbst praktizierten Fahrstil. Hersteller können auf die individuellen
Fahrstile reagieren und dem Kunden über das Connected Car maßgeschneiderte Fahrzeugeinstellungen zur Verfügung stellen, die das Fahrzeug selbstständig herunterlädt und
implementiert. Dem Kunden wird ein tatsächlich individualisiertes Fahrgefühl p­ räsentiert
– ohne zusätzliche Werkstattbesuche und mechanische Einstellungen am Fahrzeug. Die
neu gewonnenen Kundendaten finden auch Eingang in die Spezifikation zukünftiger
Modellpaletten und ihre Anpassung an analysierte Kundengruppen. Koppelt man die
erhobenen Kundendaten aus 360° CRM mit Feedbacks aus weiteren Kanälen wie Suchmaschinen, direkten Kundenfeedbacks und Social-Media-Kanälen, wird ein schärferes
Profil der Kundenstruktur sowie der Kundenwünsche in China gezeichnet. Dies sind für
Automobilhersteller essenzielle Daten, um chinaspezifische Produktanpassungen zu ermitteln und in neue Modelle einfließen zu lassen. Auch hierbei spielt die Kombination von
­digitalen Eingangskanälen und Big Data eine entscheidende Rolle.
Diese technischen Möglichkeiten schaffen neue Wege für das Fahrzeugmarketing sowie
für die allgemeine Kundeninteraktion. Damit einher gehen aber auch neue Herausforderungen für die Hersteller. Die Integration der Big-Data- und CRM-Systeme, die den
hier skizzierten Anforderungen entsprechen, sind sehr komplexe Unterfangen. Darüber hinaus gilt es, diese Systeme hoch performant zu designen, um eine reibungslose Interaktion
mit dem Kunden sicherzustellen. Der Erfolg eines 360° CRM beruht auf der scheinbaren
Einfachheit und Unsichtbarkeit, mit dem der Kunde angesprochen wird. Darüber hinaus
müssen Unternehmen ihre Marketingmaßnahmen an die neuen Möglichkeiten anpassen.
Fahrzeugmarketing muss in gewissen Dimensionen neu gedacht werden.
Florian Müller ist seit 2011 in Peking und München als Managing Consultant tätig. Seine Beratungstätigkeit
für internationale Kunden der Automobilindustrie beinhaltet sowohl die Konzeption als auch in der Implementierung und Steuerung von innovativen, IT-nahen Projekten.
Marcel Plaschke ist seit 2011 in München und Peking als Senior Consultant tätig. Er berät Kunden in der
Automobilindustrie zu Strategien und Marketingansätzen im Bereich neuer und innovativer Mobilitätsdienstleistungen vom Konzept bis hin zur Markteinführung.
Philipp Pytel ist seit 2013 in Peking und Köln als Consultant tätig. Seine Kunden berät er schwerpunktmäßig
in den Themengebieten ICT Innovationen und neuen Geschäftsmodellen.
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