Haftbeschwerde gegen die Fortdauer von

OLG Nürnberg, Beschluss v. 12.05.2015 – 1 Ws 141 - 143/15, 1 Ws 141/15, 1 Ws 142/15, 1 Ws 143/15
Titel:
(Haftbeschwerde gegen die Fortdauer von Untersuchungshaft: Anforderungen an die
Terminierungsdichte in Umfangverfahren)
Normenketten:
§ 112
§ 304
Art 5 Abs 3
Leitsätze:
Zu den Anforderungen an die Terminierungsdichte in Umfangsverfahren bei Vollzug von
Untersuchungshaft.
Orientierungsätze:
1. Befinden sich die Angeklagten in einem umfangreichen Strafverfahren wegen bandenmäßigen
Einschleusens von Ausländern in Untersuchungshaft, ist die Fortdauer der Untersuchungshaft über
sechs Monate hinaus nicht unverhältnismäßig, wenn keine Verfahrensverzögerungen festzustellen
sind und insbesondere die Terminierung der bisher 18 Hauptverhandlungstage sowie der in
Aussicht genommenen weiteren Verhandlungstage hinsichtlich der Terminierungsdichte nicht zu
beanstanden ist.
2. Es gibt keinen allgemeinen Grundsatz des Inhalts, dass ein Verstoß gegen das
Beschleunigungsgebot schematisch an die Durchschnittszahl der Sitzungstage pro Woche anknüpft
und bereits dann vorliegt, wenn in Haftsachen an durchschnittlich weniger als zwei Tagen in der
Woche eine Hauptverhandlung stattfindet (Festhaltung OLG Nürnberg, 22. Mai 2014, 1 Ws 153/14 154/14, StRR 2014, 282).
3. Gerade der Verlauf eines sog. Umfangverfahrens, d.h. eines absehbar umfangreichen Verfahrens,
hängt von einer Vielzahl festzustellender Parameter ab, die bei der Bewertung der Beschleunigung
des Verfahrens zu berücksichtigen sind. So kann es geboten sein, zu Beginn eines Verfahrens
weiträumiger zu terminieren, weil etwa der Verlauf angekündigter Verständigungsgespräche oder
die Entwicklung der Verteidigungsstrategie mehrerer Verteidiger und das Einlassungsverhalten der
Angeklagten nicht absehbar ist. Nach Durchführung komprimierter Hauptverhandlungssequenzen
kann ein Zeitraum erforderlich werden, um im Rück- und Ausblick den Fortgang des Verfahrens zu
überprüfen und die weitere Gestaltung zu planen, etwa auch um Fristen für weitere Beweisanträge
zu setzen (vergleiche BVerfG, 6. Oktober 2009, 2 BvR 2580/08, NJW 2010, 592). Relevant ist auch die
Auslastung der Kammer durch - insbesondere bereits laufende - Haftverfahren. Andererseits kann
es auch geboten sein, im Laufe des Verfahrens eine ursprünglich weitläufigere Terminierung zu
verdichten. Das Haftgericht ist daher gehalten, während laufender Hauptverhandlung die
Verfahrensentwicklung kontrollierend im Auge zu behalten und die Terminierungsdichte laufend
dynamisch an die aktuelle Prozesslage - unter Beachtung der Dauer der bereits vollzogenen
Untersuchungshaft - anzupassen.
Schlagworte:
1 Tag, 2 Tage, 6 Monate, aktuelle Prozesslage, Beschleunigungsgebot, Beschleunigungsgrundsatz,
Durchschnittsfrequenz, EG, EU, Feiertag, Ferienzeit, Fortdauer, Gemeinschaftsrecht,
Haftbeschwerde, Haftgericht, Haftprüfung, Haftsache, Haftverfahren, Hauptverhandlungsfrequenz,
Hauptverhandlungsplanung, Hauptverhandlungstermin, inhaftierter Angeklagter, Jahreswechsel,
konkreter Verfahrensverlauf, laufende Hauptverhandlung, Menschenrechtsverletzung,
Sechsmonatsfrist, Sitzungsfrequenz, Sitzungstag, Tatgericht, Tatrichter, Terminfrequenz,
Terminierungsdichte, Terminierungspraxis, umfangreiche Strafsache, umfangreiches
Strafverfahren, Umfangverfahren, Untersuchungshaft, Unverhältnismäßigkeit, Urlaubszeit,
Verfahrensfehler, Verfahrensmangel, Verfahrensverzögerung, Weihnachten, Wochenturnus,
Zeitraum, Überprüfungspflicht
Vorinstanz:
LG Weiden vom 23.02.20151 KLs 23 Js 4222/13
Tenor
Die Beschwerden des Angeklagten A... I... vom 25.02.2015, des Angeklagten M... R... vom 27.02.2015
und des Angeklagten M... I... vom 02.03.2015 15 gegen den Beschluss der 1. Großen Strafkammer
des Landgerichts Weiden i.d.OPf. vom 23.02.2015 werden auf ihre Kosten als unbegründet
verworfen.
Gründe
I.
1
Mit Beschluss vom 23.02.2015 hat es die 1. Große Strafkammer des Landgerichts Weiden i.d.Opf.
abgelehnt, die gegen die Angeklagten bestehenden Haftbefehle aufzuheben.
2
Gegen diesen Beschluss richten sich die Beschwerden der Angeklagten vom 25.02.2015, vom
27.02.2015 und vom 02.03.2015.
3
Die Strafkammer hat den Beschwerden mit Beschlüssen vom 02.03.2015 und vom 03.03.2015 nicht
abgeholfen.
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Die Angeklagten rügen, dass gegen den in Haftsachen geltenden Beschleunigungsgrundsatz
verstoßen worden und die Fortdauer der Untersuchungshaft deshalb unverhältnismäßig sei.
5
Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die Inhalte der vorgenannten Gerichtsbeschlüsse und
Verteidigerschriftsätze Bezug genommen.
II.
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Die zulässigen Beschwerden sind nicht begründet, da die Haftvoraussetzungen des § 112 StPO
weiterhin gegeben sind und auch die Fortdauer der Untersuchungshaft nicht unverhältnismäßig ist.
Insbesondere liegt auch mit Blick auf die sich aus dem Grundgesetz und der Europäischen
Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten ergebenden Anforderungen ein
Verstoß gegen das in Haftsachen geltende Beschleunigungsgebot nicht vor.
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1. Dringender Tatverdacht und Haftgrund sind nach wie vor gegeben und werden von den
Angeklagten und ihren Verteidigern auch nicht in Frage gestellt. Dabei unterliegt nach herrschender
Rechtsprechung (vgl. BGH, NStZ-RR 2013, 86 m.w.N.) die Bewertung des dringenden Tatverdachts
während laufender Hauptverhandlung im Haftbeschwerdeverfahren ohnehin nur in eingeschränktem
Umfang der Nachprüfung durch das Beschwerdegericht.
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2. Ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot ist nicht ersichtlich.
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a) Der Senat hat bereits mit Beschlüssen vom 07.08.2014 (Az. 1 Ws 322/14 H - 1 Ws 325/14 H), vom
22.08.2014 (Az. 1 Ws 322/14 H - 1 Ws 325/14 H) und vom 26.11.2014 (Az. 1 Ws 490/14 H - 1 Ws 493/14
H) festgestellt, dass bis zu diesen Zeitpunkten keine Verfahrensverzögerung vorliegt. Auf die
genannten Beschlüsse nimmt der Senat Bezug. Das jetzige Vorbringen rechtfertigt keine andere
Beurteilung.
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b) Auch in der Folgezeit bei Durchführung der Hauptverhandlung ist es nicht zu vermeidbaren
Verfahrensverzögerungen gekommen.
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(1) Der Vorsitzende der Strafkammer hat am 13.11.2014 nach vorheriger Absprache mit den
Verteidigern (insgesamt 14 für insgesamt 5 Angeklagte) Termin zur Durchführung der
Hauptverhandlung bestimmt auf 18 Verhandlungstage, und zwar 17.12.2014, 19.12.2014, 09.01.2015
(später verlegt auf 08.01.2015), 15.01.2015, 16.01.2015, 02.02.2015, 05.02.2015, 09.02.2015,
12.02.2015, 16.02.2015, 19.02.2015, 23.02.2015, 26.02.2015, 02.03.2015, 05.03.2015, 09.03.2015,
12.03.2015 und 16.03.2015. In Absprache mit den Verteidigern wurden mit Verfügung vom 19.01.2015
als (zunächst) weitere Verhandlungstage bestimmt: 23.03.2015, 26.03.2015, 30.03.2015, 02.04.2015,
09.04.2015, 13.04.2015, 16.04.2015, 04.05.2015, 07.05.2015, 11.05.2015, 18.05.2015 und 21.05.2015,
sowie mit Verfügung vom 07.04.2015: 09.06.2015, 01.07.2015, 02.07.2015, 08.07.2015, 10.07.2015,
15.07.2015, 17.07.2015, 21.07.2015, 22.07.2015 und 23.07.2015.
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Diese Terminierungsdichte ist nicht zu beanstanden.
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(aa) Der Senat hat dazu im Beschluss vom 22.05.2014 (Az. 1 Ws 153/14 - 1 Ws 154/14) ausgeführt:
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„Es gibt auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keinen
allgemeinen Grundsatz des Inhalts, dass ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot
schematisch an die Durchschnittszahl der Sitzungstage pro Woche anknüpft und bereits dann
vorliegt, wenn in Haftsachen an durchschnittlich weniger als zwei Tagen in der Woche eine
Hauptverhandlung stattfindet.
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Das Beschleunigungsgebot in Haftsachen gebietet zunächst bei absehbar umfangreichen Verfahren,
bei denen sich der Angeklagte in Untersuchungshaft befindet, stets eine vorausschauende, auch
größere Zeiträume umgreifende Hauptverhandlungsplanung mit mehr als nur einem
durchschnittlichen Hauptverhandlungstag pro Woche (BVerfG, StV 2008, 198 m. w. N.). Die reine
Durchschnittsfrequenz ist aber nur der Ausgangspunkt der Bewertung der Einhaltung des
Beschleunigungsgrundsatzes. Dabei bleiben Unterbrechungszeiten wegen Urlaubs zunächst
unberücksichtigt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.01.2008, Az. 2 BvR 2652/07, Rn. 53 - zitiert nach
juris; BVerfG, StV 2013, 640). Der Verlauf eines sog. Umfangverfahrens hängt von einer Vielzahl
festzustellender Parameter ab, die bei der Bewertung der Beschleunigung des Verfahrens zu
berücksichtigen sind.
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So kann es geboten sein, zu Beginn eines Verfahrens weiträumiger zu terminieren, weil etwa der
Verlauf angekündigter Verständigungsgespräche oder die Entwicklung der Verteidigungsstrategie
mehrerer Verteidiger und das Einlassungsverhalten der Angeklagten nicht absehbar ist. Nach
Durchführung komprimierter Hauptverhandlungssequenzen kann ein Zeitraum erforderlich werden,
um im Rück- und Ausblick den Fortgang des Verfahrens zu überprüfen und die weitere Gestaltung
zu planen, etwa auch um Fristen für weitere Beweisanträge zu setzen (vgl. BGHSt 51, 333, 344 f.;
BGH, NStZ 2007, 716; BGHSt 52, 355, 361; BGH, NStZ 2010, 161 f.; s. auch BVerfG, NJW 2010, 592 ff.,
2036 f.). Relevant ist auch die Auslastung der Kammer durch - insbesondere bereits laufende Haftverfahren. Andererseits kann es auch geboten sein, im Laufe des Verfahrens eine ursprünglich
weitläufigere Terminierung zu verdichten.
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Das Haftgericht ist daher gehalten, während laufender Hauptverhandlung die Verfahrensentwicklung
kontrollierend im Auge zu behalten und die Terminierungsdichte laufend dynamisch an die aktuelle
Prozesslage - unter Beachtung der Dauer der bereits vollzogenen Untersuchungshaft anzupassen.“
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(bb) Für das vorliegende Verfahren folgt aus der Anwendung dieser Grundsätze, dass keine
Verstöße gegen das Beschleunigungsgebot vorliegen.
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Die Strafkammer hatte zwar ab Beginn der Hauptverhandlung am 17.12.2014 bis Ende Januar 2015
nur an 5 Tagen Hauptverhandlungstermine angesetzt. Für eine weniger eng gestaffelte Terminierung
zu Beginn der Hauptverhandlung aber gab es triftige Gründe. Vor Beginn der Hauptverhandlung
waren nämlich weder die Entwicklung der Verteidigungsstrategie der Vielzahl der Verteidiger noch
das Einlassungsverhalten der Angeklagten absehbar. Die Strafkammer musste die Möglichkeit
haben, ohne Terminsdruck darauf flexibel zu reagieren. Zudem lag die Zeit zwischen Weihnachten
und Neujahr dazwischen, in der üblicherweise wegen regelmäßiger Verhinderung eines oder
mehrerer Prozessbeteiligter keine Sitzungen anberaumt werden.
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Die weitere Terminierung ab Februar 2015 zeigt jedoch, dass monatlich vier und teilweise deutlich
mehr Verhandlungen durchgeführt wurden bzw. vorgesehen sind, also eine dichtere Terminierung
im Verlauf der Fortsetzung der Hauptverhandlung erreicht wird. Eine Ausnahme bildet lediglich der
Juni 2015 mit nur einem einzigen Sitzungstag. Der Grund dafür ist darin zu sehen, dass im März
2015 die Durchführung der Hauptverhandlung umgestellt werden musste (dazu unten (4)) und den
nunmehr tätigen Übersetzern ausreichend Zeit für die in sehr großem Umfang anfallenden Arbeiten
zur Verfügung stehen muss. Als Ausgleich werden im Juli 2015 dann sogar 9 Termine stattfinden.
Allgemein muss berücksichtigt werden, dass sich die Terminsfindung wegen der Vielzahl beteiligter
und teilweise wegen anderweitiger Termine verhinderter Rechtsanwälte ohnehin schwierig gestaltet.
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In einer Gesamtschau wird die Terminierungsdichte den verfassungsrechtlichen Anforderungen
damit gerecht.
22
(2) Auch der Umstand, dass einzelne Sitzungstage nicht in voller Länge für die Durchführung der
Hauptverhandlung genutzt wurden, rechtfertigt keine andere Bewertung.
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Dass sich die Angeklagten in der Hauptverhandlung nicht zur Sache einlassen werden, haben die
Verteidiger im Vorfeld der Strafkammer nicht mitgeteilt, so dass sich die Strafkammer nicht
entsprechend darauf einstellen und die Terminsplanung nicht noch rechtzeitig ändern konnte.
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Eine reine Nettobetrachtung der Verhandlungsdauer hat vorliegend ferner deshalb zu unterbleiben,
da die Verteidiger eine Vielzahl von (Beweis-)Anträgen gestellt haben (etwa am 17.12.2014: 1 Antrag;
am 19.12.2014: 13 Anträge; am 08.01.2015: 4 Anträge; am 16.01.2015: 1 Antrag; am 02.02.2015: 5
Anträge), die das Gericht jeweils vor dem Fortgang der Verhandlung zu beraten und verbescheiden
hatte.
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Auf den Ausfall der Übersetzungsanlage am 17.12.2014 hatte das Gericht keinen Einfluss, es liegt
also auch insoweit keine dem Gericht zuzurechnende Verfahrensverzögerung vor.
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Soweit schließlich Sitzungspausen dadurch bedingt waren, dass einzelne Zeugen nicht erschienen
sind oder von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht haben, ist auch dies nicht dem
Gericht anzulasten. Diese Umstände waren für die Strafkammer nicht sicher vorhersehbar. Für ein
vorgezogenes Verlesen von Urkunden wie etwa Vernehmungsniederschriften lagen zum jeweiligen
Zeitpunkt die dafür erforderlichen Voraussetzungen noch nicht vor, unabhängig davon, dass es dem
Vorsitzenden überlassen bleiben muss, unter welchen taktischen Überlegungen er wann und wie die
einzelnen Beweismittel in die Hauptverhandlung einführt.
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(3) Die Hauptverhandlungstermine am 08.01.2015 und am 16.01.2015 mussten wegen einer
Verletzung des Berichterstatters auf eine Dauer von 2 bis 3 Stunden verkürzt werden, der
Hauptverhandlungstermin am 15.01.2015 deswegen sogar ganz abgesetzt werden. Die
krankheitsbedingten Verhinderungen des Berichterstatters waren jedoch nicht vorhersehbar,
deshalb für das Gericht nicht vermeidbar. Nicht bei jedem umfangreichen Verfahren ist, ohne dass
konkrete vorhersehbare Anhaltspunkte wie etwa bei bestehender Schwangerschaft oder
bevorstehender Versetzung, Beförderung oder Eintritt eines Richters in den Ruhestand, die
Zuziehung eines Ergänzungsrichters angezeigt. Ein Ermessensfehlgebrauch im Rahmen von § 192
Abs. 2 GVG ist somit nicht ersichtlich. Entscheidend ist stets eine ex-ante-Betrachtung; danach war
geplant, die Hauptverhandlung in einem überschaubaren Zeitraum von ca. 3 Monaten
durchzuführen.
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Das gleiche gilt für den aus demselben Grund eintretenden Umstand, dass die
Hauptverhandlungstermine am 23. und 26.03.2015 wieder aufgehoben werden mussten und am
30.03.2015 nur vormittags verhandelt werden konnte.
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Die Verhinderung eines Schöffen am 07.05.2015 mit der Folge, dass auch dieser Termin wieder
abgesetzt werden musste, ist in gleicher Weise zu beurteilen.
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(4) Eine erhebliche Verlängerung des Verfahrens tritt durch die Entbindung der ursprünglich
eingesetzten Dolmetscherin und den Übergang zu schriftlicher Übersetzung der
Telekommunikationsüberwachungsprotokolle ein. Dies stellt jedoch keine vom Gericht zu
vertretende Verfahrensverzögerung dar. Wie der Vorsitzende in seiner Verfügung vom 02.03.2015
und die Strafkammer im Beschluss vom 16.03.2015 nachvollziehbar dargelegt haben, musste die in
der Hauptverhandlung zunächst tätige Dolmetscherin wegen Gefahr für Leib und Leben von ihrer
Aufgabe entbunden werden, nachdem sowohl sie als auch ihr Mann von Dritten massiv bedroht
worden waren. Diese unmittelbare Einflussnahme auf das Verfahren erfolgte nahe liegender Weise
aus dem Umfeld der Angeklagten, um deren Verurteilung zu vereiteln. Da die Angeklagten im
dringenden Verdacht stehen, in diese kriminellen Strukturen eingebunden zu sein, ist diese massive
Bedrohung allein ihrer Sphäre zuzurechnen.
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Unter diesen Umständen hat die Strafkammer zu Recht davon Abstand genommen, weitere
Dolmetscher für Übersetzungen in der Hauptverhandlung heranzuziehen und diese damit der
gleichen Gefahr auszusetzen. Hinzu kommt, dass ausweislich des Vermerks des Vorsitzenden vom
10.04.2015 andere Dolmetscher nur bei Zusicherung von Vertraulichkeit zur Verfügung stehen
würden. Übersetzungen konnten nach unter diesen Umständen nachvollziehbarer Einschätzung nur
dann mit ausreichender Sicherheit reibungslos und ohne weitere Verfahrensverlängerung erfolgen,
wenn die Übersetzer überhaupt nicht mehr in der Hauptverhandlung auftreten müssen und ihnen für
ihre schriftliche Tätigkeit volle Anonymität zugesichert wird. Allein ein Verzicht auf Offenlegung der
Identität des vor Gericht auftretenden Dolmetschers genügt bei Straftaten, die offensichtlich im
Bereich der organisierten Kriminalität verankert sind, nicht, da bei seinem persönlichen Erscheinen
in der Hauptverhandlung ein Wiedererkennen ebenso jederzeit möglich ist wie ein Verfolgen nach
Verlassen des Gerichtsgebäudes.
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Die von der nunmehr von der Polizei herangezogenen Übersetzer sind keine Erfüllungsgehilfen des
Gerichts, so dass ein etwaiges Fehlverhalten dieser Übersetzer (Kopieren bereits vorhandener
Übersetzungen anstelle selbst zu fertigender Wortprotokolle) mit einer Verfahrensverzögerung als
Folge nicht dem Gericht zugerechnet werden kann. Erforderlich, aber auch ausreichend ist deren
sorgfältige Überwachung. Nachdem der Vorsitzende konkrete Anhaltspunkte für eine etwaig
fehlerhafte Verfahrensweise erfahren hatte, hat er mit Anordnung vom 13.04.2015 sofort reagiert. Die
fehlerhafte Verfahrensweise wurde daraufhin ausweislich eines Vermerks der Staatsanwaltschaft
vom 20.04.2015 umgehend abgestellt.
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c) Eine zusammenfassende Bewertung der vorstehenden Gesichtspunkte ergibt, dass trotz der
erheblichen Dauer der bislang bereits vollzogenen Untersuchungshaft den Anforderungen des
Beschleunigungsgebotes Genüge getan ist.
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Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft verstößt im Hinblick auf die zu erwartende Strafe und
unter Berücksichtigung einer etwaigen Aussetzung zur Vollstreckung nach teilweiser Vollstreckung
unter Anrechnung der Untersuchungshaft auch im Übrigen nicht gegen den Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit.
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3. Kosten: § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.