12 Basen, Dimension und Rang

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II. Lineare Gleichungssysteme
Basen, Dimension und Rang
12.1 Definition. Ein Vektorraum V über K = Q , R oder C ist eine Menge V
mit einer Addition + : V × V 7→ V und einer Skalarmultiplikation · : K × V 7→ V ,
so daß die in 10.4 formulierten Axiome gelten.
12.2 Beispiele. a) Kn und Kn×m sind Vektorräume über K .
b) Für eine Menge M ist die Menge F (M, K) aller Funktionen von M nach K ein
Vektorraum unter den punktweisen Operationen aus 3.5.
12.3 Unterräume. a) Es sei V ein Vektorraum über K . Wie in 10.6 b) heißt eine
Menge U ⊆ V Unterraum von V , falls sie unter Addition und Skalarmultiplikation
abgeschlossen ist, d. h:
x, y ∈ U ⇒ x + y ∈ U
und x ∈ U ⇒ λx ∈ U
für λ ∈ K .
(1)
b) Unterräume von F (R, R) sind etwa
B(R, R)
C(R, R)
R[x]
Rm [x]
:=
:=
:=
:=
{f : R 7→ R | f beschränkt} ,
{f : R 7→ R | f stetig} ,
{P : R 7→ R | P Polynom} ,
{P ∈ R[x] | deg P ≤ m} , m ∈ N0 .
12.4 Linearkombinationen. a) Es sei V ein Vektorraum über K . Für Vektoren
v1 , . . . , vk ∈ V und λ1 , . . . , λk ∈ K heißt
v =
k
P
j=1
λj vj ∈ V
(2)
Linearkombination der Vektoren v1 , . . . , vk .
b) Die Menge aller Linearkombinationen
[v1 , . . . , vk ] = {
k
P
j=1
λj vj | λ1 , . . . , λk ∈ K}
(3)
heißt lineare Hülle der Vektoren v1 , . . . , vk . Sie ist stets ein Unterraum von V .
c) Ein Vektorraum V heißt endlich erzeugt oder endlichdimensional, falls es Vektoren v1 , . . . , vk ∈ V gibt mit V = [v1 , . . . , vk ] .
12.5 Definition. a) Vektoren v1 , . . . , vk ∈ V heißen linear unabhängig, falls für
alle λ1 , . . . , λk ∈ K gilt:
k
P
j=1
λj vj = 0 ⇒ λ1 = . . . = λk = 0 .
(4)
b) Eine Menge {v1 , . . . , vn } ⊆ V heißt Basis von V , falls die Vektoren v1 , . . . , vn
linear unabhängig sind und V = [v1 , . . . , vn ] gilt.
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12.6 Bemerkungen. a) Vektoren v1 , . . . , vk ∈ V sind genau dann linear unabhängig, falls für alle j ∈ {1, . . . , k} gilt
vj 6∈ [v1 , . . . , vj−1, vj+1 , . . . , vk ] .
b) Es ist {v1 , . . . , vn } ⊆ V genau dann eine Basis von V , falls jeder Vektor v ∈ V
die Form v =
n
P
j=1
λj vj mit eindeutig bestimmten λ1 , . . . , λn ∈ K hat.
c) Jeder endlich erzeugte Vektorraum V = [v1 , . . . , vk ] hat eine Basis. Dazu läßt
man in der Menge {v1 , . . . , vk } überflüssige“ Vektoren einfach weg.
”
12.7 Beispiele. a) Die Einheitsvektoren {e1 , . . . , en } aus (10.7) bilden eine Basis
von Kn .
b) Nach Satz 11.9 bilden die Vektoren {ur+1 , . . . , un } eine Basis des Kerns N(C)
der Matrix C ∈ Kn×m , die durch die Umformung von A ∈ Kn×m in reduzierte
Stufenform entsteht. Durch Umnumerierung der Variablen erhält man eine entsprechende Basis von N(A) .
c) Eine Basis von Km [z] := {P ∈ K[z] | deg P ≤ m} ist gegeben durch die Monome
{1, z, z 2 , . . . , z m } , eine andere für festes a ∈ K durch {1, z−a, (z−a)2 , . . . , (z−a)m } .
Die anderen Vektorräume in Beispiel 12.2 b) sind nicht endlich erzeugt.
d) Die Vektoren v1 = (1, 4, 5)⊤ , v2 = (0, 1, −2)⊤ und v3 = (0, 0, −5)⊤ sind linear
unabhängig in K3 .
e) Die Vektoren w1 = (2, −3, 16)⊤ , w2 = (−5, 6, −34)⊤ und w3 = (3, 2, −2)⊤ sind
linear abhängig in K3 . Dies folgt aus Beispiel 11.3.
12.8 Satz. Es sei {v1 , . . . , vn } eine Basis von V . Für k > n sind dann Vektoren
w1 , . . . , wk ∈ V stets linear abhängig.
Beweis. Nach 12.6 b) hat man wj =
Für x1 , . . . , xk ∈ K gilt
k
P
j=1
xj wj =
k
P
j=1
xj
n
P
i=1
aij vi =
n
P
i=1
aij vi mit eindeutig bestimmten aij ∈ K .
n P
k
P
i=1 j=1
aij xj vi ,
und daraus folgt
k
P
j=1
xj wj = 0 ⇔
k
P
j=1
aij xj = 0 für alle i = 1, . . . , n .
Dies ist ein lineares System von n Gleichungen für k > n Unbekannte, hat also nach
Satz 11.5 eine nichttriviale Lösung.
12.9 Folgerung. Sind {v1 , . . . , vn } und {w1 , . . . , wk } Basen von V , so ist k = n .
12.10 Definition. Die Dimension dim V eines endlich erzeugten Vektorraums V
ist die Anzahl der Vektoren einer Basis von V . Man setzt noch dim{0} = 0 und
dim V = ∞ , falls V nicht endlich erzeugt ist.
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II. Lineare Gleichungssysteme
12.11 Beispiele und Bemerkungen. a) Man hat dim Kn = n und entsprechend
dim Kn×m = n · m .
b) Es ist dim Km [z] = m + 1 und dim K[z] = ∞ .
c) Für V = [v1 , . . . , vk ] ist dim V die Maximalzahl linear unabhängiger Vektoren in
der Menge {v1 , . . . , vk } .
d) Es seien dim V = n und w1 , . . . , wn linear unabhängige Vektoren in V . Dann
ist {w1 , . . . , wn } eine Basis von V .
e) Die Vektoren v1 = (1, 4, 5)⊤ , v2 = (0, 1, −2)⊤ und v3 = (0, 0, −5)⊤ aus Beispiel
12.7 d) bilden also eine Basis von K3 .
12.12 Rang von Matrizen. a) Für A ∈ Kn×m gilt nach 12.7 b)
dim N(A) = dim N(C) = n − r ,
wobei C die reduzierte Stufenmatrix von A gemäß 11.2 ist. Folglich hängt
rk A := r = n − dim N(A)
(5)
nur von A und nicht von einer speziellen Durchführung des Gaußschen Algorithmus
ab.
b) Es ist
Z
rk A = r = dim [C1Z , . . . , Cm
] = dim [AZ1 , . . . , AZm ]
nach 12.11 c) die Maximalzahl linear unabhängiger Zeilen von A , da dieser Raum
und diese Zahl durch elementare Zeilenumformungen nicht geändert werden.
c) Nach b) ist
rk A⊤ = dim [AS1 , . . . , ASn ] = dim R(A)
die Maximalzahl linear unabhängiger Spalten von A ; nach (10.11) stimmt diese Zahl
mit der Dimension des Bildes von A überein.
12.13 Satz. Es seien dim V < ∞ , W ⊆ V ein Unterraum von V und w1 , . . . , wℓ
linear unabhängige Vektoren in W . Dann gibt es wℓ+1 , . . . , wm ∈ W , so daß die
Menge {w1 , . . . , wℓ , wℓ+1 , . . . , wm } eine Basis von W ist.
Beweis. Ist [w1 , . . . , wℓ ] 6= W , so wählt man wℓ+1 ∈ W \[w1 , . . . , wℓ ] . Ist noch
[w1 , . . . , wℓ+1 ] 6= W , so wählt man wℓ+2 ∈ W \[w1 , . . . , wℓ+1] . Man fährt so fort,
und wegen dim V < ∞ ist nach endlich vielen Schritten [w1 , . . . , wm ] = W .
12.14 Folgerung. Es seien dim V < ∞ und W ⊆ V ein Unterraum von V . Dann
gilt dim W ≤ dim V < ∞ .
12.15 Satz. Für A ∈ Kn×m gilt die Dimensionsformel
dim R(A) = n − dim N(A)
und somit rk A⊤ = rk A .
(6)
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Beweis. Es sei {v1 , . . . , vℓ } eine Basis von N(A) . Nach 12.13 gibt es vℓ+1 , . . . , vn ∈ Kn ,
so daß die Menge {v1 , . . . , vℓ , vℓ+1 , . . . , vn } eine Basis von Kn ist. Dann ist die Menge
{Avℓ+1 , . . . , Avn } eine Basis von R(A) .
12.16 Folgerungen. a) Für A ∈ Kn×m kann man zur Berechnung von rk A auch
elementare Spaltenumformungen verwenden.
b) Vektoren v1 , . . . , vr in Kn sind genau dann linear unabhängig, wenn die Matrix
(v1 . . . vr ) ∈ Kr×n den Rang r hat.
c) Für A ∈ Kn×m und b ∈ Km gilt
Ax = b lösbar ⇔ b ∈ R(A) = [AS1 , . . . , ASn ] ⇔ rk(A b) = rk A .