62 12 II. Lineare Gleichungssysteme Basen, Dimension und Rang 12.1 Definition. Ein Vektorraum V über K = Q , R oder C ist eine Menge V mit einer Addition + : V × V 7→ V und einer Skalarmultiplikation · : K × V 7→ V , so daß die in 10.4 formulierten Axiome gelten. 12.2 Beispiele. a) Kn und Kn×m sind Vektorräume über K . b) Für eine Menge M ist die Menge F (M, K) aller Funktionen von M nach K ein Vektorraum unter den punktweisen Operationen aus 3.5. 12.3 Unterräume. a) Es sei V ein Vektorraum über K . Wie in 10.6 b) heißt eine Menge U ⊆ V Unterraum von V , falls sie unter Addition und Skalarmultiplikation abgeschlossen ist, d. h: x, y ∈ U ⇒ x + y ∈ U und x ∈ U ⇒ λx ∈ U für λ ∈ K . (1) b) Unterräume von F (R, R) sind etwa B(R, R) C(R, R) R[x] Rm [x] := := := := {f : R 7→ R | f beschränkt} , {f : R 7→ R | f stetig} , {P : R 7→ R | P Polynom} , {P ∈ R[x] | deg P ≤ m} , m ∈ N0 . 12.4 Linearkombinationen. a) Es sei V ein Vektorraum über K . Für Vektoren v1 , . . . , vk ∈ V und λ1 , . . . , λk ∈ K heißt v = k P j=1 λj vj ∈ V (2) Linearkombination der Vektoren v1 , . . . , vk . b) Die Menge aller Linearkombinationen [v1 , . . . , vk ] = { k P j=1 λj vj | λ1 , . . . , λk ∈ K} (3) heißt lineare Hülle der Vektoren v1 , . . . , vk . Sie ist stets ein Unterraum von V . c) Ein Vektorraum V heißt endlich erzeugt oder endlichdimensional, falls es Vektoren v1 , . . . , vk ∈ V gibt mit V = [v1 , . . . , vk ] . 12.5 Definition. a) Vektoren v1 , . . . , vk ∈ V heißen linear unabhängig, falls für alle λ1 , . . . , λk ∈ K gilt: k P j=1 λj vj = 0 ⇒ λ1 = . . . = λk = 0 . (4) b) Eine Menge {v1 , . . . , vn } ⊆ V heißt Basis von V , falls die Vektoren v1 , . . . , vn linear unabhängig sind und V = [v1 , . . . , vn ] gilt. 12 Basen, Dimension und Rang 63 12.6 Bemerkungen. a) Vektoren v1 , . . . , vk ∈ V sind genau dann linear unabhängig, falls für alle j ∈ {1, . . . , k} gilt vj 6∈ [v1 , . . . , vj−1, vj+1 , . . . , vk ] . b) Es ist {v1 , . . . , vn } ⊆ V genau dann eine Basis von V , falls jeder Vektor v ∈ V die Form v = n P j=1 λj vj mit eindeutig bestimmten λ1 , . . . , λn ∈ K hat. c) Jeder endlich erzeugte Vektorraum V = [v1 , . . . , vk ] hat eine Basis. Dazu läßt man in der Menge {v1 , . . . , vk } überflüssige“ Vektoren einfach weg. ” 12.7 Beispiele. a) Die Einheitsvektoren {e1 , . . . , en } aus (10.7) bilden eine Basis von Kn . b) Nach Satz 11.9 bilden die Vektoren {ur+1 , . . . , un } eine Basis des Kerns N(C) der Matrix C ∈ Kn×m , die durch die Umformung von A ∈ Kn×m in reduzierte Stufenform entsteht. Durch Umnumerierung der Variablen erhält man eine entsprechende Basis von N(A) . c) Eine Basis von Km [z] := {P ∈ K[z] | deg P ≤ m} ist gegeben durch die Monome {1, z, z 2 , . . . , z m } , eine andere für festes a ∈ K durch {1, z−a, (z−a)2 , . . . , (z−a)m } . Die anderen Vektorräume in Beispiel 12.2 b) sind nicht endlich erzeugt. d) Die Vektoren v1 = (1, 4, 5)⊤ , v2 = (0, 1, −2)⊤ und v3 = (0, 0, −5)⊤ sind linear unabhängig in K3 . e) Die Vektoren w1 = (2, −3, 16)⊤ , w2 = (−5, 6, −34)⊤ und w3 = (3, 2, −2)⊤ sind linear abhängig in K3 . Dies folgt aus Beispiel 11.3. 12.8 Satz. Es sei {v1 , . . . , vn } eine Basis von V . Für k > n sind dann Vektoren w1 , . . . , wk ∈ V stets linear abhängig. Beweis. Nach 12.6 b) hat man wj = Für x1 , . . . , xk ∈ K gilt k P j=1 xj wj = k P j=1 xj n P i=1 aij vi = n P i=1 aij vi mit eindeutig bestimmten aij ∈ K . n P k P i=1 j=1 aij xj vi , und daraus folgt k P j=1 xj wj = 0 ⇔ k P j=1 aij xj = 0 für alle i = 1, . . . , n . Dies ist ein lineares System von n Gleichungen für k > n Unbekannte, hat also nach Satz 11.5 eine nichttriviale Lösung. 12.9 Folgerung. Sind {v1 , . . . , vn } und {w1 , . . . , wk } Basen von V , so ist k = n . 12.10 Definition. Die Dimension dim V eines endlich erzeugten Vektorraums V ist die Anzahl der Vektoren einer Basis von V . Man setzt noch dim{0} = 0 und dim V = ∞ , falls V nicht endlich erzeugt ist. 64 II. Lineare Gleichungssysteme 12.11 Beispiele und Bemerkungen. a) Man hat dim Kn = n und entsprechend dim Kn×m = n · m . b) Es ist dim Km [z] = m + 1 und dim K[z] = ∞ . c) Für V = [v1 , . . . , vk ] ist dim V die Maximalzahl linear unabhängiger Vektoren in der Menge {v1 , . . . , vk } . d) Es seien dim V = n und w1 , . . . , wn linear unabhängige Vektoren in V . Dann ist {w1 , . . . , wn } eine Basis von V . e) Die Vektoren v1 = (1, 4, 5)⊤ , v2 = (0, 1, −2)⊤ und v3 = (0, 0, −5)⊤ aus Beispiel 12.7 d) bilden also eine Basis von K3 . 12.12 Rang von Matrizen. a) Für A ∈ Kn×m gilt nach 12.7 b) dim N(A) = dim N(C) = n − r , wobei C die reduzierte Stufenmatrix von A gemäß 11.2 ist. Folglich hängt rk A := r = n − dim N(A) (5) nur von A und nicht von einer speziellen Durchführung des Gaußschen Algorithmus ab. b) Es ist Z rk A = r = dim [C1Z , . . . , Cm ] = dim [AZ1 , . . . , AZm ] nach 12.11 c) die Maximalzahl linear unabhängiger Zeilen von A , da dieser Raum und diese Zahl durch elementare Zeilenumformungen nicht geändert werden. c) Nach b) ist rk A⊤ = dim [AS1 , . . . , ASn ] = dim R(A) die Maximalzahl linear unabhängiger Spalten von A ; nach (10.11) stimmt diese Zahl mit der Dimension des Bildes von A überein. 12.13 Satz. Es seien dim V < ∞ , W ⊆ V ein Unterraum von V und w1 , . . . , wℓ linear unabhängige Vektoren in W . Dann gibt es wℓ+1 , . . . , wm ∈ W , so daß die Menge {w1 , . . . , wℓ , wℓ+1 , . . . , wm } eine Basis von W ist. Beweis. Ist [w1 , . . . , wℓ ] 6= W , so wählt man wℓ+1 ∈ W \[w1 , . . . , wℓ ] . Ist noch [w1 , . . . , wℓ+1 ] 6= W , so wählt man wℓ+2 ∈ W \[w1 , . . . , wℓ+1] . Man fährt so fort, und wegen dim V < ∞ ist nach endlich vielen Schritten [w1 , . . . , wm ] = W . 12.14 Folgerung. Es seien dim V < ∞ und W ⊆ V ein Unterraum von V . Dann gilt dim W ≤ dim V < ∞ . 12.15 Satz. Für A ∈ Kn×m gilt die Dimensionsformel dim R(A) = n − dim N(A) und somit rk A⊤ = rk A . (6) 12 Basen, Dimension und Rang 65 Beweis. Es sei {v1 , . . . , vℓ } eine Basis von N(A) . Nach 12.13 gibt es vℓ+1 , . . . , vn ∈ Kn , so daß die Menge {v1 , . . . , vℓ , vℓ+1 , . . . , vn } eine Basis von Kn ist. Dann ist die Menge {Avℓ+1 , . . . , Avn } eine Basis von R(A) . 12.16 Folgerungen. a) Für A ∈ Kn×m kann man zur Berechnung von rk A auch elementare Spaltenumformungen verwenden. b) Vektoren v1 , . . . , vr in Kn sind genau dann linear unabhängig, wenn die Matrix (v1 . . . vr ) ∈ Kr×n den Rang r hat. c) Für A ∈ Kn×m und b ∈ Km gilt Ax = b lösbar ⇔ b ∈ R(A) = [AS1 , . . . , ASn ] ⇔ rk(A b) = rk A .
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