Auch wenn es das Beste wäre, wär es nichts als ein - HS-OWL

EIN SOMMERNACHTSTRAUM-ZU STÜCK UND INSZENIERUNG
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"Auch wenn es das Beste wäre,
wär es nichts als ein Schatten"
VON KEKKE SCHMIDT
Stellen wir uns vor, ein Superreicher von der Upper Eastside hätte
aus Gründen vielfacher Verbindlichkeiten Interesse, seine Tochter
mit dem Sohn eines Geschäftspartners zu verheiraten, mit dem er
einen Riesendeal am Laufen hat. Die Tochter, nennen wir sie Hermia, hätte natürlich ihren eigenen Willen und wäre in jemand anders verliebt. Ein noch Mächtigerer, selbst kurz vor der prominenten
Hochzeit, redet ihr ins Gewissen und zitiert überkommene patriarchalische Gesetze von Entsagung und Tod. Der Geliebte der Tochter,
Lysander, spinnt Ausbruchsfantasien, und schon finden die beiden
sich des Nachts im Central Park wieder, mit nichts als einer Decke
und einer Gitarre. Allerdings sind sie nicht allein: Helena, Hermias
beste Freundin, verrät dem verlassenen Bräutigam Demetrius ihre
Flucht, um ihn dann in masochistischer Lust hinterher zu rennen.
Im Park treibt sich nächtliches Gelichter herum, ein abgehalfterter
Freak namens Puck, Prostituierte, Junkies. Und ein exzentrisches
Künstlerehepaar, nennen wir sie mythologisch Titania und Oberon
-in wieder anderer Zeit hätten sie vielleichtlohn Lennon und Yoko
Ono geheißen -, munitioniert hier den täglichen Beziehungskampf
zweiernarzisstischer Persönlichkeiten, die nicht miteinander, noch
weniger aber ohne einander können. Schließlich hätte eine Gruppe
arbeitslos gewordener Investmentbanker die Idee, bei besagter Glamourhochzeit des Finanzbosses eine Art Laienspiel aufzuführen,
nicht nur um aus dem depressiven Loch zu kommen, auch um durch
kreative Initiative positiv auf sich aufmerksam zu machen. Und es
wäre Mittsommernacht, Drogen wären im Spiel, Endorphine und
Hormone- und schon könnte auch in dieser "Übersetzung" eine
ähnliche Geschichte losgehen, wie Shakespeare sie vor über vierhundert Jahren in seinem "Sommernachstraum" imaginierte.
Seit über vierhundert Jahren hält sich dieses Stück auf den Bühnen,
und der beste Beweis für seine Unsterblichkeit ist genau die "Übersetzbarkeit" in andere Kontexte. Es wurde romantisiert und wieder
entromantisiert, verkitscht und auf die brutalen sexuellen Fakten
ernüchtert, aber stets blieb es reicher als jede einzelne Interpretation. Sein Reichtum liegt unter anderem daran, dass es selbst eine
Montage aus unterschiedlichen Themensträngen darstellt: die Rahmenhandlung der Fürstenhochzeit in Athen, der Plot der Liebenden
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EIN SOMMERNACHTSTRAUM - ZU STÜCK UND INSZENIERUNG
Im harmonisch-disharmonischen Konzert des
Dramas vereinen sich vier
Tonarten, vier Modi der
Darstellung, die jeweils
einer Gruppe von Figuren
zugeordnet sind: Theseus
und Hippolyta aus der
klassisch-antiken Legende;
die vier jungen Liebesleute
aus der Welt des Überall
und jederzeit; Bottom (Zettel, in unserer Inszenierung
Jonathan- K.Sch.) und
seine ländlich englischen
Kumpane; die Elfenwesen,
die sich aus einer wilden
Vielfalt von Traditionen
speisen (mit dem Namen
Titania bezeichnet Ovid
bisweilen Diana, Oberon
entstammt dem Dunstkreis
des Artusromans, Puck
alias Robin Goodfellow hat
Wurzeln in der englischen
Folklore) .
und ihre Verwirrungen, die nächtlichen Geister gleichsam als unbewusste Trieb- und Schattenseite der höfischen Tagwelt, und das Motiv des Theaters im Theater anhand der ein Stück einstudierenden
Handwerker - wobei die Wahl dieses Stückes wiederum signifikant
ist: die tragische Liebesgeschichte von Pyramus und Thisbe. Nicht
nur variieren alle diese Stränge das Thema der Liebe auf unterschiedliche Weise, auch spiegeln und kommentieren sie sich wechselseitig
und finden sich alle in der Metaebene des Spiels im Spiel noch einmal reflektiert. Man kann dies bewusst wahrnehmen, und das steigert sicher das intellektuelle Vergnügen am "Sommernachtstraum",
man kann sich aber auch einfach mitnehmen lassen auf die Reise
und wird genauso verzaubert sein
EIN SOMMERNACHTSTRAUM- SHAKESPEARE
Der Größte
VON PETER KÜMMEL
Das unerbittlich Theaterhafte des Londoner Lebens ist in Shakespeares Werk enthalten. Seine Welt ist blutrünstig, und seine Figuren
sind prall von Witz, Neugier und Anmaßung, als wüssten sie, wie
begrenzt ihre Zeit ist. Sie leben auf eigene Rechnung und in eigener Verantwortung. Sie sind auf der Hut wie Tiere, die mit Angriffen rechnen. Ihre Welt, um Harnlet zu zitieren, ist aus den Fugen.
Der Anglist Klaus Reichert hat einen pragmatischen Grund für den
Selbstbehauptungsübermut dieser Figuren genannt. Shakespeare
hätte ein äußerst amorphes Volk zu unterhalten. Sein Publikum
bestand aus den "Gründlingen" (Handwerkern, Lehrlingen) auf
den billigen Plätzen und den Bürgern und Edelleuten auf den Galerien und Rängen. Um sie alle zu fesseln, arbeitete Shakespeare mit
wirkungsvollen Mitteln: Überdruck und Überwältigung. Er feuerte
ganze Breitseiten an "Material" aufs zuhörende Volk ab, so dass er
sie alle erwischte, die einfachen Leute, die begierig die Zote, die Kriminalhandlung, den grellen Spaß aufschnappten, und den feinen
Mann, der die vertrackte Sprache und die philosophische Essenz genoss. Voltaire, ans Gleichmaß des französischen Dramas gewöhnt,
fand diese Methode indiskutabel; er verglich Shakepeare mit einem
"betrunkenen Wilden". Herder hingegen, im Namen vieler deutscher Dichter, nannte Shakespeare den "Dolmetscher der Natur in
all ihren Zungen". ( ...)
Theater war ein hartes und lukratives Geschäft. Es war von der Zensur bedroht, deren Zwängen Shakespeare allerdings mit Mitteln entkam, die keiner je wieder so grandios angewendet hat: Das obszöne
Wortspiel, die Metapher, die Verschachtelungstechnik des "Spiels
im Spiel" öffneten ihm Freiheiten, die es im öffentlichen Leben eigentlich nicht gab. Er war, auf engstem semantischem Raum, ein
Entfesselungskünstler der verbotenen Wahrheiten. Die Ambiguität
seiner Texte bewirkt, dass sie sozusagen hinter dem Rücken der Leser
bis heute ihr eigenes Leben führen: Mit jeder Lektüre entdeckt man
neue Feinheiten; seine Dialoge stülpen beim Wiederlesen, wie Kippfiguren, ihren Sinn immer wieder um. ( ...)
Shakespeares Stücke sind voller Ortswechsel, aber die Bühne ist leer,
und sie wird überspannt von einem hellen NachmittagshimmeL
Alle Schauplätze und Wetterlagen, alle räumlich-zeitlichen Verwandlungen werden rhetorisch hergestellt und beglaubigt. Shakespeares Figuren holen im Monolog ihre Welt auf die leere Bühne, und
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EIN SOMMERNACHTSTRAUM- SHAKESPEARE
das erklärt die Wucht, die Vitalität selbst der kleinsten Rollen: Jede
Gestalt, so könnte man sagen, schlägt wie ein eigensinniger Blitz in
die Bühnenverhältnisse ein. Anders hätte sie sich auch keine Aufmerksamkeit verschafft. Denn das Globe Theatre war, nach heutigen Maßstäben, riesig: Es fasste 2000 Zuschauer.( ... )
Seine Imaginationskraft, so der Literaturhistoriker George Steiner,
habe die "leidenschaftslose Neutralität des Sonnenlichts oder des
Windes". Tatsächlich, Shakespeare schuf die besten und die fürchterlichsten Figuren, ohne sich Urteile über sie zu erlauben, er spielt
Nullsummenspiele mit ihnen. Sie heben sich gegenseitig auf, am
Ende bleibt kein ideeller Mehrwert, sondern eine große, fette Null,
durch die die Aaskäfer krabbeln.
EIN SOMMERNACHTSTRAUM-WELTBILD
Welt- und Menschenbild
in der frühen Neuzeit
VON BERNHARD KLEIN
Nicht alle Zeitgenossen glaubten an übernatürliche Kräfte, aber die
Grenzlinie zwischen Magie und Wissenschaft war noch lange keine
selbstverständliche. In Shakespeares Stücken tummeln sich Geister,
sprechende Tote, Feen und Hexen, gleichzeitig sind sie Dokumente
einer sich verändernden modernen Welt, bevölkert mit machiavellistischen Politstrategen und kühl berechnenden Kaufmännern. In
der Frühen Neuzeit konnten Dinge scheinbar problemlos zusammengedacht werden, die uns heute als unvereinbar erscheinen. Einer der angesehensten zeitgenössischen Gelehrten Englands, John
Dee, war Magier, Mathematiker und Machttheoretiker in einer
Person; selbst der Begründer der modernen Physik, lsaac Newton,
sah Ende des 17. Jh.s noch einen wichtigen Sinn seiner Arbeit darin, den Hexen endgültig das Handwerk zu legen. Auf einer höheren
intellektuellen Ebene korrespondierte zur Magie die Astrologie, die
Lehre vom Einfluss der Himmelskörper (deren Bewegungsgesetze die
Astronomie erforschte) auf die menschliche Lebenswelt Die "sublunare" Welt- der unter der Mondsphäre liegende Bereich der Erde
-war geprägt von Vergänglichkeit, Kontingenz, Zerfall; der Himmel
dagegen von Regelmäßigkeit, Konstanz, kosmischer Harmonie. ( ... )
Im anthropozentrischen Denken der Epoche ist der Mensch in Analogie zum Makrokosmos selber ein kleiner Kosmos - ein Mikrokosmos -, und als rational denkendes und erkennendes Wesen besetzt
er die höchste Stufe einer Rangleiter, die vom Mineralreich, wo es
nur die bloße Existenz gibt, über das Pflanzenreich, wo das Leben
hinzutritt, über das Reich der Tiere, die schon zu Gefühl und Bewegung fähig sind, zum Menschen führt. Ausgestattet mit einer unsterblichen Seele verbindet er die sensible und die intelligible Welt,
bildet eine Brücke zwischen Materie und Geist; beide Bereiche sind
noch nicht, wie später in der Philosophie von Rene Descartes, in einem essentiell gedachten Dualismus voneinander getrennt. ( ... )
Beständig mit der Wahl zwischen gut und böse konfrontiert, hat der
Mensch das Potential zum Engel wie zum Tier, d. h. gegensätzliche
Kräfte sind in ihm angelegt und immer gleichzeitig präsent. Den
richtigen Weg zu wählen, ist ihm selber aufgegeben; er ist nicht länger Sklave Fortunas oder der göttlichen Vorsehung.
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EIN SOMMERNACHTSTRAUM-LIEBE
Im Wald wechseln die Parchen. Vier junge Leute irren umher, suchen ihr
Glück, finden, verfolgen, versammeln, verlieben, entlieben. befreunden,
entfreunden, verlieren und verfluchen sielt: dir ständig wechselnden Konstellationm, in denen sie hier Beziehungen eingehen, auflösen, herbeiwünschen
oder abbrechen, könnten sich aufkeinem Social Network unserer Zeit rasan ter abspielen, jede Beleidigungstirade ein Shit Storm, jeder Zaubersaft ein
Mausklick, mit dem die Welt plötzlich ganz anders aussieht - oder täuscht
der Eindruck? ist das virtuelle Spiel am Ende nichtig? bleibt uns davon was
erhalten? diirfen wir ihm jemals trauen?
Tobias Döritig
Verliebtheit wird in vielen Kulturen als Krankheit angesehen. Dieser
Zustand hat in der Tat mit der Stressreaktion vieles gemein, nämlich
Schlaflosigkeit, Unruhr, Schweißausbriiche, trockener Mund, Hände- und
Kniczittern, Eintrübung der Gcdankm und Konzentrationsschwäche.
Verliebtheit wird weitgehend von unbewusst wirkenden Reizen bestimmt,
wozu Achselschweiß als Pheromon, die emotionale Tönung der Stimme, das
AliSsehen, die Korperhaltung, Augen und Blick gehören. Wesentlich an der
Verarbeitung dieser Reize beteiligt ist die mediale Amygdala. Dort sitzen
Pheromon - ebenso wie Sexualstoffrezeptoren. Es ist deshalb kein Zufall, dass
Verliebtsein ,.krankhafte" Ziige trägt.
Gerhard Roth
EIN SOMMERNACHTSTRAUM -LIEBE
"] eder kriegt, was ihm gehört."
VON HAROLD BLOOM
Spielt es überhaupt eine Rolle, wer am Ende wen kriegt? Aus der dramatischen Praxis Shakespeares lässt sich die Antwort ableiten: Keine
große, und das gilt für alle seine Komödien gleichermaßen; alle Ehen,
die dort zu Stande kommen, werden sich unglücklich entwickeln.
Was die Wahl des Liebesobjekts angeht, so scheint Shakespeare eine
"Blackbox"-Theorie zu vertreten. Wenn ein Flugzeug abstürzt, sucht
man dessen Blackbox in der Hoffnung, dass sie Aufschlüsse über die
Ursachen des Unglücks geben kann, aber unsere Blackboxes sind unauffindbar, und unsere Ehekatastrophen sind ebenso unerklärlich
zufällig wie das Gelingen. Vielleicht sollte man ja diese undurchschaubaren Mechanismen ganz einfach auf ein "Pucksches Gesetz"
zurückführen: Wer könnte sagen ob Demetrius-Helena oder Lysander-Hermia sich als die bessere Paarbeziehung erweist.
EIN SOMMERNACHTSTRAUM- UEBE
Wahrheit und Liebe sind,
was man dafür hält
VON KLAUS REICHERT
Wahre Liebe? Die romantisch Liebenden schwören sich unverbrüchliche Treue, in Wendungen, wie das dabei so üblich ist, mit denen
sie sich übernehmen, und fliehen in den Wald. Der von Hermia verschmähte Demetrius läuft hinterher, und die von diesem wiederum
verschmähte Helena läuft hinter ihm her: Liebe als Verfolgungsjagd
und alles andere als romantisch. An beiden unglücklich Verliebten
führt Shakespeare vor, welche ungeheuerlichen Triebenergien die
Liebe und ihr schwarzer Bruder, der Hass, entfesseln können. Kein
Hauch von Selbstachtung ist mehr in Helena, wenn sie wie ein Hund,
getreten und verachtet, in seiner, des Demetrius Nähe zu sein begehrt,
der ihr .,die ganze Welt" bedeutet. Umgekehrt wird es ihm schlecht
bei ihrem schieren Anblick, verabscheut er sie aus ganzer Seele, will
er sie den wilden Bestien zum Fraß überlassen. Und so steigern sich
Selbsterniedrigung und Selbsthass (.,ich bin nicht schön") auf der
einen Seite, Sadismus, Hohn, Verachtung auf der anderen in einem
Duett strindbergscher Zerfleischung. Solche Sprache wäre in Athen,
der Stadt des zivilen Gehorsams, unerhört - sie bricht heraus, haltlos, unzensiert, als die von ihr ausgelösten, freigesetzten Traumatisierungen. Aber wir sind inzwischen ja auch im Wald, dem Anderen der
Ordnung der Dinge.
Die postmoderne Lage
der Liebe ist charakterisiert durch die ironische
Wahrnehmung, dass
man nur das wiederholen
kann, was bereits gesagt
wurde, und dass man nur
als Schauspieler einem
anonymen und stereotypen
Stück agieren kann. Selbst
Hollywood kann keine
unbewussten Formeln für
romantische Plots mehr
verbreiten und ist sich
selbstreflexiver Weise
der Klischees des Genres
bewusst.
Eva lllouz
in
in
Der Wald ist ein Ort des Schreckens für die Elisabethaner. Wie die
Nacht. Die Gesetze von Raum und Zeit sind auf den Kopf, aus dem die
Träume kommen, gestellt. Hier herrschen Elementargeister und Dämonen, bedrohlich, abgründig, unberechenbar, unerkannte Mächte,
die für die Elisabethaner ebenso real waren wie für die Heutigen das
Unbewusste, erfahrbar an den Wirkungen, deren Ursachen sich im
Dunkeln verlieren. So sind die Athener in Nacht und Wald Getriebene von Mächten, die sie nicht kennen.( ... )
Hermia und Lysander haben sich ewige Liebe geschworen; Helena liebt
Demetrius, und der wiederum liebt Hermia. Aber mit einem Schlag ist
alles anders, nachdem Puck den beiden Herrchen das Liebesadrenalin
in die Augen geträufelt hat. Jetzt verfolgen sie die verachtete Helena
mit ihren Schwüren, jetzt erst- sagen sie, ,wissen' sie- haben sie die
wahre Liebe gefunden, die frühere war Trug, Wahn und Verblendung,
und nur der Zuschauer- wie Puck und Oberon ein Voyeur - ,weiß',
dass das eine Illusion ist. Aber ist es eine? Was Shakespeare hier vor14
EIN SOMMERNACHTSTRAUM-LIEBE
führt, lässt sich kaum als Komödie der Irrungen leichthändig entwirren. Denn die Sprache der Liebhaber ist jetzt ebenso falsch wie sie es
vorher war - oder aber ebenso wahr. Die ,Wahrheit', nach ,Liebe' das
häufigste Wort im Stück, ist eben, was einer dafür hält. Im Augenblick. Denn nachher ist alles wieder ganz anders. Im Exhibitanismus
der Gefühle kommt Liebe als der brutale Egoismus derer, die sie zu
empfinden vermeinen, zum Ausdruck. Die Andere, das geliebte Wesen, spielt dabei keine Rolle, oder nur in der Erniedrigungsform des
Lustobjekts . .,Wer bist du?" ist keine Frage, sie sich stellt. Und ebenso
unmäßig, wie sie Helena verhimmeln, schlagen die Herrchen verbal
auf die eben noch geliebte Hermia ein, in einer hassverzerrten Wut,
die einen das Fürchten lehrt über die Abgründe der liebenden Seelen.
Und die Frauen? Sie sind gleichermaßen entsetzt von den Sprachen
der Liebe wie des Hasses. Sie fühlen sich verhöhnt, misshandelt und
setzen sich zur Wehr mit einer Vehemenz, die zeigt, welche ungeheuren Energien bis hin zur Tätlichkeit wie Furien aus ihnen ausbrechen
können.( ... )
bkllilll•
Rein äußerlich ist der
Grund für Lysanders UmDie zärtlichsten Liebesworte auf der Bühne findet Titania - unver- fall der Versuch Oberons,
stellt, ohne weibliche Scham, ohne den Lustaufschub der Liebesrhetorik- für einen Esel. Hier sind alle Spannungen gelöst, das Hässlichste
verwandelt sich unterm Blick der Liebe zum Schönsten, Tierlaute werden als mendelssohnsche Musik vernommen und das Paar vereinigt
sich in holdem Selbstverständnis. Und diese einzige ,echte' Liebesszene im Stück ist ihre eigene Parodie, die bösartige Zurschaustellung der
Gefühle einer verblendeten Frau durch einen in seinen Besitzansprüeben nicht befriedigten Ehemann. Nur: Was durch diese bestialische
Vermischung hindurchscheint, ist der aufs Animalische reduzierte
Sexualtrieb, der in den Träumen jede Grenze überschwemmt, sogar
. Augen
. d er G attungen. Al s der b"ose zau ber en dl'IC h von T'1tamas
dJe
genommen ist, glaubt sie geträumt zu haben: .,What visions I have
seen". Aber Oberon zeigt nur auf den schlafenden Bottom: .,Da liegt
deine Liebe", was heißen soll: es war kein Traumgespinst, sondern war
(und ist) so real wie der, der da liegt, dieses Bild für die inneren Urwälder. Der andere Blick ist der verleugnete eigene.
Schon rein neurologisch gilt: Langeweile ist der Feind des Ge/ums. Deshalb
brauchen wir Sport, Hobbies, Sex, Drogen und Musik. Und von der Neurologie zu Soziologie ist es dann nur ein Schritt: Die Grunddynamik des
modernen Lebens ist die Flucht vor der Langeweile ( ... )Mit dem raschen
Wechsel der Moden kompensiert unsere Kultur mangelnde Varietät. Ähnlich
versuchen manche, der Monotonie der Monogamie durch Kettenehen zu
entgehen. Das Neue (oder eben: die Neue) ersetzt das Wesentliche. Deshalb
kann nur noch das Neue (oder eben: die Neue) für wesentlich gehalten
werden. Sein ist Erregtsein.
Norbert Bolz
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~r~:!:~~~~nv~~;r;.:n,
was durch Pucks ebenso
emsige wie u.nbedachte
Befehlsausführung zu der
Beträufelung Lysanders,
also des Falschen, fü hrt.
Nun bewirken aber
unnatürliche Eiemente Drama- wie
der realistischen Kunst
überhaupt - nichts,
was nicht auch ohne sie
wahrscheinlich oder möglieh wäre. Wunder sind
verdichtete Wirklichkeit in
einem Stück, sie steigern
im
in
::e':s~~~~~;;·n~~~~~~en
innerer Vernunft.
Andre Müller
EIN SOMMERNACHTSTRAUM-THEATER
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Gedankenflug und Erdverbundenheit:
Shakespeares Handwerkertheater als Theater im Theater
VON STEPHEN GREENBLATT
Nahezu der gesamte letzte Akt des Sommernachtstraums ist einer
Parodie solcher von Amateuren aufgeführten Theatervorstellungen
gewidmet, die wegen ihrer schwerfälligen Unbeholfenheit, ihrer
Naivität und ihres Unvermögens, eine überzeugende Illusion durchzuhalten, der Lächerlichkeit preisgegeben wurden. ( ... )
1595 war sich Shakespeare ganz offenkundig darüber im Klaren,
dass seine Karriere auf einem Triumph der professionellen Londoner
Unterhaltungsindustrie über traditionelle Amateurvorstellungen
basierte. Seine große Komödie war eine persönliche Verherrlichung
des Entkommens ebenso wie der Meisterschaft. Welches waren die
Dinge, denen er entkommen war? Es waren unsensible Stücke wie
Thomas Prestons .,Cambises: A Lamentable Tragedy Mixed Full of
Pieasant Mirth" , deren lahmen Titel Shakespeare parodierte; grobe
Sprache, eintöniges Metrum und ein Schwulst, der sich als Leidenschaft ausgab; Amateurschauspieler, die zu schwachköpfig waren,
um ihre Verse zu behalten, zu ungeschickt, um anmutig zu spielen,
zu schüchtern, um energisch aufzutreten, oder, was das Schlimmste war, zu aufgeblasen in ihrer Eitelkeit, um etwas anderes als ihre
groteske Selbstgefälligkeit auszustellen. Die Handwerkertruppe, die
"Pyramus und Thisbe" aufführt- der Weber Klaus Zettel (bei uns
Jonathan- K. Sch.), der Bälgenflicker Franz Flaut (James), der Kesselflicker Thomas Schnauz (Jim), der Schreiner Schnock (Jack), der
Schneider Matz Schlucker (Jerry) und ihr Regisseur, der Zimmermann Peter Squenz (John) -, stellt als Gruppe eine Anthologie theatralischer Katastrophen dar.
Das Lachen im 5. Akt des "Sommernachtstraums" - und hier haben wir eine der nachhaltig komischsten Szenen vor uns, die Shakespeare je geschrieben hat - beruht auf einem Gefühl der Überlegenheit in Intelligenz, Ausbildung, Kultiviertheit und Können. Das
Publikum wird eingeladen, sich dem vom Glück gesegneten Kreis
der Oberklasse-Spötterauf der Bühne hinzuzugesellen. Dieser Spott
verkündet den definitiven Übergang des jungen Dramatikers von
Naivität und hausgemachtem Dilettantenturn hin zu kultiviertem
Geschmack und professionellem Können. Das Lachen, zu dem die
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.,Solange die Musik spielt,
tanzen wir, timingist
alles, ich weiß, wann die
Melodie zu Ende ist, gehe
rechtzeitig raus, gehe short,
wette, dass das Ding den
Bach runter geht. Setze die
richtigen Gerüchte in die
Welt, man muss wissen,
wem man was streut und
wenn's in einem Club ist,
du machst weiter, triffst
die richtigen Leute, am
nächsten Tag versendet
sich's bei Bloomberg, und
dann bin ich schon draußen. Das sind kleine Flirts
mit Mephisto, keine Frage,
am Anfang arbeitest du mit
ein paar Millionen, dann
kommt 'ne Null ran und
dann noch eine und auch
bei den Gehaltszulagen
kommt plötzlich 'ne Null
ran, wo ist der Punkt und
wo das Komma, dann soll
ich 10 Millionen handeln,
dann 100 Millionen,
dann 11,7 Milliarden ...
das ist nicht Regionalliga,
du stehst vor einem Deal,
Du kriegst was mit, was
die anderen nicht wissen,
setzt auf .. , der spinnt,
und am Abend hast du 400
Millionen für die Bank
gemacht, was bleibt da, am
Ende eines Tages, am Ende
eines Jahres? Was sind 60
Milliarden?
Ehemaliger Investmentbanker
(aus: Andres Veiel, Das
Himbeerreich)
EIN SOMMERNACHTSTRAUM-THEATER
Wenn ichjemand
eingestellt habe, habe ich
nicht nach dem vorhandenen Wissen auf seinem
Fachgebiet gefragt, das
setze ich voraus, sonst
würden sie ja nicht hier
sitzen, das wäre ja eine
Dreistigkeit sondergleichen,
wenn die kommen und
kein Fachwissen haben. Ich
habe gefragt: Was machen
Sie denn, wenn sie dieses
Wissen nicht anwenden? Dann sagt einer, Sport. -ja
welcher?- Tennis ... -Und
im Winter ... frag ich ihn?
-Skilauf. .. -ja, aber was
machen Sie, wenn Sie nicht
Tennis spielen und nicht
Ski fahren, oder wenden Sie
dann immer nur Ihr Fachwissen an?- Lesen. Ich
lese gerne. - Was haben
Sie denn gelesen? -In den
letzten vier Wochen bin
ich dazu nicht gekommen.
- Da wusste ich, den will
ich nicht. jeder hat eine
Chance, aber nur einmal.
Banker im Ruhestand
(aus: Andres Veiel, Das
Himbeerreich)
Szene auffordert, ist dennoch seltsam zärtlich und sogar liebevoll.
Was die Szene davor bewahrt, dass die Lächerlichkeit allzu schmerzlich wird - was sie vielmehr ergötzlich hält -, ist die Selbstbeherrschung der Handwerker. Angesichts von offener Verspottung bleiben
sie die Ruhe selbst. Shakespeare erzielte so einen zweifachen Effekt.
Einerseits machte er sich über die Amateure lustig, die die grundlegendsten Theaterkonventionen nicht begreifen, wonach sie in der
Rolle bleiben und so tun sollen, als könnten sie ihr Publikum nicht
sehen oder hören. Andererseits verlieh er Zettel und seinen Gefährten eine eigenartige, unerwartete Würde, eine Würde, die sich vorteilhaft von der hämischen Grobheit der aristokratischen Zuschauer abhebt.
Noch während er die Aufmerksamkeit auf die Distanz zwischen sich
und den ländlichen Schauspielern lenkte, machte Shakespeare also
eine Kehrtwendung und signalisierte eine Anwandlung von Sympathie und Solidarität. Wie bei den alten Moralitäten und der volkstümlichen Kultur verstand er, dass er etwas ganz anderes machte
und gleichzeitig in einer Schuld stand. Die Berufe, die er den athenischen Handwerkern zuschrieb, waren nicht zufällig ausgewählt Shakespeares Londoner Theatertruppe war von Schreinern und Webern, von Zimmerleuten und Schneidern abhängig -, und die von
ihnen aufgeführte Tragödie, in der es um unglückliche Liebende,
schicksalhafte Irrtümer und Selbstmorde geht, ist eine, an der der
Dramatiker selbst ein starkes Interesse hatte. In der Zeit, in der er die
Parodie "Pyramus und Thisbe" schrieb, arbeitete Shakespeare auch
an dem frappierend ähnlichen Stück "Romeo und Julia", und es ist
durchaus möglich, dass beide zu gleicher Zeit auf seinem Schreibpult lagen. Ein defensiverer Künstler hätte nachhaltiger gefeilt, um
diese Zeichen der Verwandtschaft nach Möglichkeit zu tilgen, aber
Shakespeares Gelächter war keine Form der Entsagung oder des
Verhehlens. "Dies ist das einfältigste Zeug, das ich jemals hörte",
kommentiert Hippolyta, und darauf entgegnet Theseus: "Das Beste
in dieser Art ist nur Schattenspiel, und das Schlechteste ist nichts
Schlechteres, wenn die Einbildungskraft nachhilft." - "Das muss
denn Eure Einbildungskraft tun, und nicht die ihrige", lautet ihre
Antwort- die Phantasie der Zuschauer und nicht die der Schauspieler-, aber genau das ist der entscheidende Punkt: Der Unterschied
zwischen dem Berufsschauspieler und dem Amateurschauspieler ist
letztlich nicht die entscheidende Frage. Beide stützen sich auf die
Phantasie der Zuschauer. Und wie um den Streit zu entscheiden,
empfindet Hippolyta einen Augenblick später bei der lächerlichen
Selbstmordrede des Pyramus ( ... ) eine unerklärliche Rührung: "Bei
meiner Seele, ich bedaure den Mann."
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EIN SOMMERNACHTSTRAUM-THEATER
Als der dreißigjährige Shakespeare im "Sommernachtstraum" unter intensivem Rückgriff auf seine eigenen Erfahrungen über seine
Profession nachdachte, spaltete er das Theater auf in ein magisches,
gleichsam nichtmenschliches Element, das er mit der Macht der
Phantasie verknüpfte, sich den Zwängen der Wirklichkeit zu entheben, und in ein allzumenschliches Element, das er mit dem Gewerbe
der Handwerker verknüpfte, die tatsächlich die materiellen Strukturen - Gebäude, Bühnenplattformen, Kostüme, Musikinstrumente und dergleichen - schufen, die der Phantasie Namen und festen
Wohnsitz gaben. Er verstand, und er wollte, dass auch das Publikum
verstehen sollte, dass das Theater beides haben musste, sowohl den
visionären Gedankenflug als auch die solide, alltägliche Erdverbundenheit