SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Musikstunde „Gut gebrüllt, Löwe!“ – William Shakespeare zum 400. Todestag William Shakespeare und seine Zeit (3) Von Jasmin Bachmann Sendung: Mittwoch, 25. Mai 2016 Redaktion: Ulla Zierau 9.05 – 10.00 Uhr Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Musik sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für € 12,50 erhältlich. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert.Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2 2 SWR2 Musikstunde mit Jasmin Bachmann „Gut gebrüllt, Löwe!“ – William Shakespeare zum 400. Todestag William Shakespeare und seine Zeit (3) Tragische Helden, fiese Bösewichte, strake Frauen, doppelbödige Komödianten und berühmte Liebespaare Jingle Weiter geht es in der Zubereitung unseres Grundrezeptes für die berühmten Shakespeare-Klassiker, speziell den Sommernachtstraum. Der zeitgeschichtliche Rahmen und die theatralischen Möglichkeiten sind bereits angerichtet, gewürzt mit dem Hauch von Fantasy Dank Feen, Hexen, Geistern und anderem Zauberhaften. Heute nun geht es ans Eingemachte mit: Tragischen Helden, fiesen Bösewichten, straken Frauen, doppelbödigen Komödianten und berühmten Liebespaaren. Dazu begrüßt Sie ganz herzlich: Jasmin Bachmann. Musik-Intro „Jede Epoche findet bei ihm, wonach sie selbst sucht und was sie sehen will.“, so der polnische Autor Jan Kott über William Shakespeare: Gut gegen Böse, Liebe die alle Schranken überwindet oder an ihnen zerbricht, Sex and Crime und eine gute Portion Humor. Shakespeares Figuren weisen ein derartiges Repertoire an Gefühlen auf, das die ganze Bandbreite und Vielfalt des Menschlichen repräsentiert. Betrachtet man Shakespeares Werke, so ist stets am Anfang die Welt aus den Fugen, mehrere Handlungsstränge laufen parallel und am Ende werden sie zusammengeführt und die „Ordnung“ wiederhergestellt. Die Frage ist nur: um welchen Preis. Kein Charakter gleicht dem anderen und das ist der Unterscheid, der jedes Shakespeare Stück zu einem Unikum macht. Wir wollen daher heute lediglich eine Einteilung in Kategorien erwägen, in der sich lauter Individuen tummeln; gemäß dem Zitat aus Shakespeares „Perikles“: „Man irrt sich oft, wenn man zu kennen meint Den Mann, so wie er äußerlich erscheint.“ (Perikles) Kategorie Nummer Eins: die tragischen Helden. Die Renaissance machte es möglich: das Individuum wurde entdeckt, die Zeit für große Helden, die über den Konflikt von „Sein oder Nichtsein“ eine psychologische Entwicklung durchlaufen, war gekommen. 3 Sie sind die Titelhelden, Figuren, die sich im Netz aus Intrigen und Leidenschaften verfangen; weder Machtwille noch Liebeswunsch werden erfüllt und am Ende zieht die Todesspirale den Tragischen in das schwarze Loch von Tod oder Verzweiflung. Ihr schwacher Punkt, ihre Tragik macht sie zu Archetypen menschlicher Regungen: wir sind machtgierig wie Macbeth, Richard III oder Heinrich V, melancholisch wie Hamlet, verliebt wie Romeo, eifersüchtig wie Othello, der Oberbefehlshaber der venezianischen Flotte. Er bekommt seine Tragik bereits in die Wiege gelegt: er ist ein Mohr, besser gesagt ein Maure mit brauner Hautfarbe und afrikanischem Herkunftsland. Als Farbiger lebt er in der vornehmen weißen Gesellschaft Venedigs und heiratet sogar heimlich die „weiße“ Venezianerin Desdemona. Konflikte mit rassistischen Hintergrund und Machtkämpfe um die militärische Führung sind somit vorprogrammiert. Am Ende fällt der leidenschaftlich Liebende und genauso leidenschaftlich eifersüchtige Feldherr einer Intrige zum Opfer. Als ihm die Augen aufgehen, ist es zu spät. Er hat seine Frau Desdemona mit dem Kissen erstickt, er hat sich somit selbst das Liebste auf der Welt genommen und begeht Selbstmord. Giuseppe Verdi Otello. Dramma lirico in 4 Akten 1. Szene: Esultate!... (Otello, Chor) Placido Domingo,Tenor/Othello Coro del Teatro alla Scala di Milano Einstudierung: Giulio Bertola Orchestra del Teatro alla Scala di Milano Dirigent: Lorin Maazel M0430341 / 002 (2:19‘ / früher raus) Begeistert begrüßt das Volk seinen erfolgreichen Feldherren Othello, bevor die Intrigen ihren Lauf nehmen. In der Rolle des Othello hörten Sie Placido Domingo gemeinsam mit Chor und Orchester der Mailänder Scala. Der Dirigent war Lorin Maazel. Bei Macbeth stellt sich die Frage: zählt man ihn zu den tragischen Titelhelden – sein Schicksal ist von Anfang an besiegelt mit glorreichem Aufstieg und tödlichem Ende, gegen das er sich aufbäumt - oder gehört er schon zu den fiesen Bösewichten? – schließlich bringt er den König um und beauftragt Morde von ganzen, unschuldigen Familien. Bei Jago hingegen, stell sich diese Zwitterfrage nicht. Aufgrund einer nicht erhaltenen Beförderung spinnt er eine Intrige aus gekränkter Eitelkeit gegen seinen Vorgesetzten Othello. Der Fähnrich Jago ist ein brillanter, wortgewandter aber ebenso eitler Intrigant, der jeder Figur des Stücks Mitleid oder geheuchelte 4 Treue vorspielt. Er ist sich seines berechnenden Handelns 100% bewusst und genießt seinen Triumph, der zu drei Toten führt: Cassio, Desdemona und Othello. Uri Caine The Othello Syndrome Iago's web Uri Caine Ensemble M0258474 / 008 (3:55‘) In Anlehnung an Verdis „Othello“ komponierte der amerikanische Pianist Uri Caine sein „Othello Syndrome“. Sie hörten daraus „Iago’s web“ mit Uri Caine und seinem Ensemble. Die tragischen und fiesen Herren der Shakespeare-Schöpfung haben wir nun exemplarisch durch, kommen wir zu den starken Frauen. Sie stoßen bei ihren männlichen Gegenübern nicht unbedingt auf Akzeptanz: „Zwei Frauen zusammengesetzt macht kalt Wetter“, so der Lord Kämmerer in Heinrich VIII und Othello wird zu der Überzeugung gebracht: „Könnte die Erde sich von Weibertränen schwängern, Aus jedem Tropfen wüchs’ ein Krokodil“ - Und zwar ein bissiges. „Lieber höre ich meinen Hund nach einer Krähe bellen, als einen Mann um Liebe winseln.“, so eifert Beatrice in „Viel Lärm um nichts“. Betrachtet man allgemein das Frauenbild zu dieser Zeit, so erfreuten sich die Engländerinnen größerer Freiheiten als die Damen auf dem europäischen Festland. Sie durften ohne männliche Begleitung ausgehen, sich im Theater neben Männer setzen und sie sogar ansprechen. England genoss den Ruf eines „Paradies für Ehefrauen“. „Schwachheit, dein Name ist Weib.“, dieses Vorurteil von Hamlet trifft bei Shakespeare maximal zur Hälfte zu. Bei ihm haben aber die stillsten Wasser den tiefsten Grund. Seine Frauenfiguren sind mit viel Selbstbewusstsein ausgestattet, können eigenständig denken, fühlen und handeln. Sie wählen wie Desdemona oder Julia selbst ihren Ehemann aus, sie lassen wie die lustigen Weiber von Windsor unliebsame Werber abblitzen oder werben stattdessen wie Helena selbst um ihren Traummann. Moderne emanzipatorische Dimensionen in historischem Gewand also. Der Mann wird zum inhaltleeren Sprücheklopfer degradiert. 5 Schlagen wir hierzu nochmals bei „Viel Lärm um nichts“ nach, da heißt es: „Männer sind Waschlappen, man kann sie auswringen, bis das Schmalz tropft, nur im Anpöbeln und Süßholzraspeln sind sie stark. Wer kräftig angibt, kann sich die Heldentaten sparen.“ Doch so stark, so voller Tatendrang, so selbstbewusst, so voller Liebe Shakespeares Frauenfiguren sind, am Ende weiß man oft nicht recht, ob sie jetzt gewonnen oder verloren haben. Die widerspenstige Kate wird gezähmt und wirft alle emanzipatorischen Ansichten über Bord, Julia heiratet zwar ihren geliebten Romeo, aber alles nur heimlich und die irdische Zweisamkeit ist nur von kurzer Dauer und Lady Macbeth wird durch ihren eigenen Ehrgeiz wahnsinnig. Die Beschreibung „stark“ ist auch nicht unbedingt positiv belegt. Stark bedeutet auch stark im Beeinflussen: Cleopatra lenkt durch ihre marionettenartigen Lover die politische Lage, im King Lear steht das Weibliche für die indirekte Anzettelung zum Krieg und Lady Macbeth wird durch ihre Überredungskunst zur Mittäterin beim Königsmord. Josef Bohuslav Foerster Shakespeare, Suite für Orchester, op. 76 Nr.4 Lady Macbeth: Andante sostunto Prague Symphony Orchestra Dirigent: Václav Smetácek M0268096 / 004 (6:26‘) Lady Macbeth in der vertonung des tschechischen Komponisten Josef Bohuslav Foerster. Es spielte das Prager Sinfonieorchester unter der Leitung von Václav Smetácek. Nach all der Tragik von Mann und Frau kommen wir nun zu den Komödianten. Wobei, Komödie hießt damals alles, was raffinierte Verwicklungen, ein Happy End und einen leichteren, eingängigeren Ton hatte. Für alles Inhaltliche dazwischen hatte der Autor freie Hand und so konnten Komödien gewaltreich, komplex, eine Farce oder mit der Parodie eines Happy Ends schließen, sprich dem Scheitern der Figuren. Sie konnten sogar ganz ohne Komik auskommen, was uns die Komödie „Der Kaufmann von Venedig“ bestens beweist. Die Ausführenden der Komik, die Komödianten, sind also auch keine reinen Spaßmacher, sondern Diener der Handlung, die die Fäden in Händen halten. Shakespeares Narren und Clowns sind die heimlichen Philosophen, sie kommentieren von einer höheren, ihnen unbewussten Warte aus. So bemerkt der Narr in „Was ihr wollt“ sarkastisch 6 „Gut gehängt ist besser als schlecht verheiratet.“ Im „Hamlet“ heben zwei Clowns von Totengräbern Ophelias Grab aus und stoßen dabei auf den Schädel Yorricks, des ehemaligen Hofnarren. Der Tod bekommt ein Gesicht, das des Clowns. Auch in allen Tragödien Shakespeares kommen die Clowns zum Zuge. Außer bei Julius Cäsar. Das hatte aber einen pragmatischen Grund: der Clown der Schauspieltruppe war ausgefallen und damit fiel auch die Rolle an sich aus. Gemeinsam mit den Verwechslungsspielen, den Maskeraden und dem Kunstgriff des „Spiels im Spiel“ milderten die Komödianten die Tragik der Werke, oder sorgten durch ihre Improvisationskunst für Situationskomik und zusätzliche Unterhaltung. Bei Kommentare wie „Man reiche ihm einen neuen Witz, sein letzter war faul.“ waren Lachsaven vorprogrammiert. Die Komiker waren die wahren Stars auf den Theaterbühnen. Man liebte ihren bizarren Humor; einen Humor, vergleichbar mit dem der Gruppe Monty Python. Eine der Lieblings-Shakespeare-Figuren beim Publikum des auslaufenden 16. Jahrhunderts war Sir John Falstaff, aus der Historie Heinrich der IV. Ein feister Aristokrat, der vor allem Alkohol, Prügeleien, Feste und Frauen liebte und jederzeit zu derben Sprüchen und Späßen aufgelegt war. Seine Rolle war es, zwischen all dem Krieg, den Intrigen, dem Verrat und Tod das Publikum zum Lachen zu bringen. Das war wichtig, denn schließlich diente ein Theaterbesuch damals nicht der Bildung, sondern dem Vergnügen. Auch Königin Elisabeth I war Fan des dicken Falstaff. Angeblich auf ihr Drängen hin – er, Shakespeare möge doch bitte „a Play of Sir John Falstaff in Love“ verfassen – daraufhin soll Shakespeare die Komödie „Die lustigen Weiber von Windsor“ in nur 2 Wochen geschrieben haben. Eine Art Fortsetzung der Heinrich-Historie, nur eben ohne Heinrich und ohne Krieg, dafür aber genauso feist und dreist. Sir John Falstaff, ein verarmter, wohlbeleibter Edelmann liebt mal wieder zwei Frauen gleichzeitig bzw. das Geld derer Gatten. Und so schreibt er beiden den gleichen Liebesbrief. Was er jedoch nicht weiß: die beiden Damen sind bestens befreundet und lesen sich natürlich solche Briefe gegenseitig vor. Und schmieden ihre Rachepläne. Otto Nicolai Die lustigen Weiber von Windsor, Komisch-phantastische Oper in 3 Akten „Nun eilt herbei“ Rezitativ und Arie der Frau Fluth (1. Akt) Inga Lisa Lehr, Sopran Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern Dirigent: Enrico Delamboye M0248136 / 002 (4:14‘) 7 „Die Männer sind so schlecht, dass man sie nicht genug quälen kann!“, das ist das Motto der Frau Fluth in Otto Nicolais komischer Oper „Die lustigen Weiber von Windsor“. Sie hörten die Rachepläne der Frau Fluth mit Inga Lisa Lehr, der Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern und dem Dirigenten Enrico Delamboye. Komik erzielte Shakespeare auch durch die Liebespärchen in seine Komödien. „Weise sein und lieben vermag kein Mensch.“, so schreibt Shakespeare in seinem Drama „Troilus und Cressida“. Und daher sind seine Liebespärchen nie neutral und rational; sie sind der komödiantische oder tragische Mittelpunkt der Geschichte. Als Komödianten sind sie mit sich, ihren unterschiedlichen Auffassungen oder ihrer Eifersucht beschäftigt. Als tragisches Liebespaar werden sie von anderen Personen oder Gesetzen an ihrer offiziellen, anerkannten Verbindung gehindert. Shakespeares berühmtestes und tragischstes Liebespaar, das ist und bleibt wohl unangefochten das Veroneser Traumpaar Romeo Montague und Julia Capulet. Mit einer schicksalshaften Begegnung auf dem Ball der Capulets begann die Liebesfreud und das Liebesleid. Sergej Prokofjew Romeo und Julia Suite für Orchester Nr. 1, op. 64a Nr.1 Die Montagues und Capulets, op. 64b Nr. 1 New York Philharmonic Orchestra Dirigent: Kurt Masur M0043782 / 005 (2:10‘) Die Montagues und Capulets aus Sergej Prokofjews Ballettsuite „Romeo und Julia“ waren das mit dem New York Philharmonic Orchestra. Der Dirigent war Kurt Masur. Zur selben Zeit wie Romeo und Julia, um 1595, entstand auch „Ein Sommernachtstraum“. Shakespeare folgte hier dem Trend seiner Zeit, griechische Liebeskomödien neu zu bearbeiten und als Merkmale Figurenvielfalt und verwirrende Haupt- und Nebenhandlungen herauszustellen. Der „Sommernachtstraum“ ist ein Musterbeispiel hierfür. Eigentlich müsste er den Titel „Komödie der Irrungen“ tragen. Wir befinden uns in Athen. Um weitere kriegerische Auseinandersetzungen zu vermeiden, steht eine politische Ehe zwischen dem Athener Herzog Theseus und der kriegsgefangenen Amazonenkönigin Hippolyta an. Nach dem Werben mit Waffengewalt vermählt die beiden nun eine andere Tonart mit Pomp, Triumph und großem Festgelage; der Meinung ist jedenfalls Theseus. Er besitzt alle Eigenschaften des englischen Lords: liebt die Jagd und seine Hunde, feiert gerne höfische Feste, möchte ein volksnahes, populäres Staatsoberhaupt sein. Theseus, 8 das Symbol für Stabilität, Ordnung und Rationalität. Hippolyta ist die Abwartende, die ihre Meinung kurz und knapp auf den Punkt bringt, die ihr eheliches Schicksal akzeptiert. Vier Tage vor der Hochzeit kommt eine Streitsache zwischen jung Verliebten vor dem reifen, lebenserfahrenen, königlichen Paar zur Entscheidung: Hermia soll auf Wunsch ihres Vaters Egeus, eines alten, vornehmen Atheners, Demetrius heiraten, liebt aber Lysander. Durch ihren Mut, ihre Extrovertiertheit hat sie es geschafft, den Fall vor den Herzog zu bringen, denn ihrer gefühlvollen, empfindsamen Ader widerstrebt eine Zwangsheirat mit Demetrius. Dieser wird zwar als jung und edel gepriesen, zeigt aber auch Züge eines Stalkers. Außerdem ist er als Liebhaber eine Witzfigur. Was auch immer ihn geritten haben muss, zuerst macht er Hermias bester Freundin Helena seine Aufwartung, dann interessiert er sich plötzlich für Hermia. Seine Entscheidungen scheinen nicht emotional gesteuert, aber was er sich in den Kopf gesetzt hat, das will er durchziehen. Das Problem, Hermias Vater Egeus ist weit mehr vom Zyniker Demetrius angetan, als vom Romantiker Lysander. Dieser habe mit Versen und nächtlichen Ständchen seine kleine, unerfahrene Hermia verhext. Ein listiger Verführungskünstler sei Lysander. Dieser strotzt tatsächlich vor Selbstbewusstsein. Den Anwesenden macht er unmissverständlich klar, dass er die Rolle des adligen Liebhabers viel besser zu spielen weiß, als sein Rivale. Der Hauptunterschied zu Demetrius: sein Werben geschieht voll und ganz aus edlen Zügen; abgesehen davon, dass Hermia auf ihn steht. Diese steht aber nun vor dem Herzog und Richter von Athen, der ihr gerne helfen würde, aber an ein uraltes Gesetz gebunden ist. Darin heißt es: Ungehorsam, darunter fällt auch jene Heiratsunwilligkeit von Hermia, wird mit der Verbannung in ein Kloster oder dem Tod bestraft. Der Richterspruch lautet vorerst: vier Tage Bedenkzeit und dann soll die Entscheidung zwischen Heirat, Nonne oder Tod fallen. Hermia und Lysander nutzen die Zeit zur Flucht. Doch Hermias beste Freundin Helena ist immer noch abgöttisch in Demetrius verliebt, der sie ja momentan nicht mal mit dem Allerwertesten ansieht. Um in Demetrius Gunst wieder zu steigen, verrät sie ihm die Fluchtpläne des Paares. Doch der Schuss geht nach hinten los. Demetrius eilt den Flüchtigen hinterher und Helena bleibt nichts anders übrig, als Demetrius hinterher zu laufen. Nicht nur, dass sie durch ihre Selbstzweifel, ihre Unsicherheit, ihren Minderwertigkeitskomplex das charakterliche Gegenstück zu Hermia ist, so macht die Liebe sie nun auch zur erbitterten Konkurrentin. 9 Felix Mendelssohn Bartholdy „Ein Sommernachtstraum“ Musik zu Shakespeares Komödie Ouvertüre op.21 (Auszug) Boston Symphony Orchestra Dirigent: Seiji Ozawa M0384237 / 001 (5:40‘) Ein Auszug aus der Ouvetüre zum “Sommernachtstraum” von Felix Mendelssohn Bartholdy, in der bereits alle Charaktere und Handlungsstränge vorgestellt werden: der Athener Hof, die Liebenden, der Wald und die Handwerker. Das Boston Symphony Orchestra spielte unter der Leitung von Seiji Ozawa. Der Ort der Zuflucht für die vier Liebenden, das ist der Athener Wald; Symbol der Gefahr und der Hoffnung. Die Dunkelheit lässt die Konturen der Realität verschwimmen und gibt Raum für Verzauberung und Verwandlung. Es ist das göttliche Reich der Feen und Elfen, die aber gerade sehr menschliche Züge annehmen. Als Spiegelbild des menschlichen Anfangskonfliktes zwischen Egeus und seiner Tochter Hermia und der ehelichen Annäherung zwischen Theseus und Hippolyta, ist im Reich der Elfen ein Rosenkrieg zwischen dem königlichen Ehepaar Oberon und Titania entbrannt. Es geht um die Frage: Wer ist der Herr im Haus? Anlass der Zwistigkeiten ist ein indischer Junge, das Kind von Titanias Menschenfreundin, die bei der Geburt gestorben war. Oberon beharrt als Oberhaupt des Waldes darauf, dass das Kind ihm unterstellt werde. Titania hingegen verweist auf ihre persönliche Beziehung und ihre Fürsorgepflicht für das Kind. Die Zwistigkeiten bringen alte Nebenschauplätze der Ehe wiederhervor: Oberons Affäre mit Hippolyta und Titanias amouröse Beziehung zu Theseus. Im Streit geht, fliegt, schwebt man auseinander. Oberon sucht Zerstreuung bei seinem Gehilfen Puck, da laufen ihm die vier Athener mit ihren Liebesproblemen über den Weg. Er hat Mitleid mit Helena und will Demetrius für seine Grobheiten mit Liebestollheit zur Verschmähten bestrafen. Doch so edel die Absicht anfangs klingt, eins ist klar: wie Prospero und Ariel, so halten Oberon und Puck die Fäden in der Hand. Die Liebenden können sich nicht frei entfalten. Sie werden von Oberon und Puck gesteuert, ab dem Moment, wo sie den Wald, den Ort der Hoffnung, betreten haben. Doch dann passiert Puck das Missgeschick. Er verzaubert mit den Liebestropfen den Falschen und das Verwechslungsspiel kann beginnen. Der Höhepunkt: alle lieben Helena, die sich von allen verhöhnt sieht. Die beiden Jungs stehen kurz vor dem Duell und zwischen der blonden, hellhäutigen Helena und der kleinen, dunkelhaarigen Hermia entspannt sich ein Zickenkrieg. Auf Befehl Oberons zieht Puck die Reißleine: aufkommender Dunkelheit macht den Athener Wald zum Liebes-Labyrinth, in dem Puck mit verstellter Stimme die Liebeskranken hin und 10 her an der Nase herumführt, bis er sie schließlich in einen tiefen Schlummer fallen lässt. Klangcollage des Puck Till Schneidenbach, Sprecher Felix Mendelssohn Bartholdy Bearbeitung: Hendrik Schnöke „Ein Sommernachtstraum“ Schauspielmusik, op. 61, Bearbeitung für 4 Saxophone und Klavier Nr. 7: Notturno. Con moto tranquillo Jang-Eun Bae, Klavier Alliage Quartett M0083341 / 010 (4:30) Das Alliage Saxophon Quartett mit der Pianistin Jang-Eun Bae und dem Notturno aus dem „Sommernachtstraum“ von Felix Mendelssohn Bartholdy. Und davor mimte der Schauspieler Till Schneidenbach den lockenden Kobold Puck. Ihn können Sie übrigens in Shakespeares und Mendelssohns „Sommernachtstraum“ heute Abend live in Stuttgart erleben. Dazu später mehr. Der von Eitelkeit gekränkte Oberon verzaubert nun auch seine Gemahlin höchst persönlich. Ein kleines, unterhaltsames Rachespielchen soll es werden. Das Ergebnis: die Königin liebt ein Ungeheuer. Genauer gesagt, einen der spaßigen Handwerker, die sich auch im Athener Wald gesammelt haben, um das Hochzeitsspiel für Theseus und Hippolyta einzustudieren. Diese ungleiche Liebelei wäre aber noch nicht so schlimm gewesen, wenn nicht Puck aus Langeweile und Schabernack-Drang diesem Handwerker namens Zettel einen Eselskopf gezaubert hätte. Eine bizarre Szenerie: ein Mann mit Eselskopf, der als Engel vergöttert und wie ein König gebettet wird, umworben von einer liebestrunkenen Feenkönigin. Aus Mitleid und Eifersucht beendet Oberon schließlich die Farce. Titania scheint dennoch wie verwandelt und tritt das indische Kind an ihren Gemahl ab. Wie die widerspenstige Käthe, so scheint auch sie durch den Zauber der Liebe zur Unterordnung bereit. Auch die jungen Liebespaare werden erlöst: Hans findet seine Grete und jeder Deckel seinen Topf. Lysander liebt wieder seine Hermia, Helena noch immer Demetrius, und Demetrius? Der bleibt durch die Blume „Lieb-im-Wahn“ verzaubert und wird so zur Liebe für Helena „gezwungen“. Das tut seiner Person aber keinen Schaden, denn sein innigster Wille wurde ja nicht gebrochen. Der Zauber kam ihm eher als Entscheidungshilfe in seiner Wankelmütigkeit entgegen. 11 Der einzige Betrogene ist Egeus. Da Demetrius freiwillig Hermia zugunsten von Helena abtritt, steht den beiden Liebespaaren nichts mehr im Wege. Auch Theseus Segen haben sie. Egeus hat nichts mehr zu melden. Es wird eine rauschende Trippelhochzeit gefeiert, bei der auch Oberon und Titania ihren Ehebund erneuern und die Brautpaare segnen. Felix Mendelssohn Bartholdy „Ein Sommernachtstraum“ Schauspielmusik, op. 61 Nr. 9: Hochzeitsmarsch (gekürzte Fassung) Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR Dirigent: Mihkel Kütson M0328765 / 010 (1:00‘) Bei den Hochzeitsfeierlichkeiten – hier in gekürzter Fassung mit dem RadioSinfonieorchester Stuttgart des SWR unter Mihkel Kütson erklungen - kommt dann endlich das Festtagsspiel der Handwerker zur Aufführung; wieder ein Spiel im Spiel. Statt freudiger Unterhaltung steht die tragische, Ovidsche Geschichte von Pyramus und Thisbe auf dem Programm. Doch statt Tränen der Trauer gibt es Tränen durch Lachanfälle. Am Ende kommentiert das erheiterte Publikum das Spiel mit den Zurufen: „Gut gebrüllt, Löwe! Gut gelaufen, Thisbe! Gut geschienen, Mond!“ Auf die Frage der handwerklichen Schauspieler, ob man noch den Epilog hören oder lieber einen Bergamasker Tanz sehen möchte, sind sich alle einig: „Euren Bergomasker Tanz! Den Epilog lasst laufen.“ Benjamin Britten A midsummer night's dream. Oper in 3 Akten, op. 64 Come, your Bergomask John Shirley-Quirk, Bass – Theseus London Symphony Orchestra Dirigent: Benjamin Britten M0053070 / 040 ( bis 2:13‘) Der Bergomasker-Tanz der Handwerker, von und am Dirigentenpult mit Benjamin Britten. John Shirley-Quirk sang die Partie des Theseus und es spielte das London Symphony Orchestra. Auf vier Ebenen spielt sich der „Sommernachtstraum“ ab: die Vernunftebene von Theseus und Hippolytha, die gemeinsam mit der Bevölkerung ihre Hochzeit feiern 12 wollen; dann der Irrgarten der Liebe mit Hermia und Lysander, Helena und Demetrius; die Machtspiele zwischen Oberin und Titania; und die Ebene der Schlichtheit, und Leidenschaft der Handwerker. Als einziges wirklich tragisches Element, bei dem es die Shakespeare üblichen Quoten-Toten gibt, ließe sich als fünfte Ebene die Tragödie von Pyramus und Thisbe beschreiben. Und geht man sämtliche Pärchen-Konstellationen von Männlein und Weiblein durch, so kommt man im „Sommernachtstraum“ auf acht. Schließt man alle Beziehungsebenen der Hauptakteure mit ein, so kommt man gar auf zwölf. Und wie steht es um unsere heutige Analyse in Sachen tragische Helden, fiese Bösewichte, starke Frauen, doppelbödige Komödianten und berühmte Liebespaare? Die tragischen Figuren sind Pyramus und Thisbe, die durch ein Missverständnis, wie Romeo und Julia, ihre Vereinigung nur im Tod durch Selbstmord finden. Dann natürlich Egeus, dessen Schwiegersohn-Ambitionen einfach übergangen werden, der am Ende nichts mehr zu melden hat und nicht mehr auftaucht. Ob er wohl überhaupt bei der Hochzeit war? In der Szenenregie taucht er jedenfalls nicht auf. Und auch Demetrius erhält eine tragische Note. Zuerst bekommt er nicht die Frau, die er sich in den Kopf gesetzt hat und dann wird er in der Verzauberung gelassen; ist also nicht mehr Herr seiner selbst, sondern Spielball von Puck und Helena. Den wirklich fiesen Bösewicht, den scheint es nicht zu geben. Am ehesten noch Egeus, der sich als Spielverderber den Liebenden in den Weg stellt und sogar den möglichen Tod seiner eigenen Tochter riskiert. Stärke beinhalten eigentlich alle Frauenfiguren des Stücks: Hippolyta durch ihre Bedachtheit, mit der sie Thesues auf Missstände aufmerksam macht und so einen großen Einfluss auf die Ereignisse hat, auch wenn sie sich der politischen Ehe fügt. Titania durch ihre königliche Kämpfernatur, auch wenn sie am Ende klein beigibt. Die beiden Gewinnerinnen aber sind Hermia und Helena: Hermia, die durch den Glauben an die wahre Liebe ihren Traummann erhält, der sie genauso innig liebt. Und Helena, die durch das beharrliche Hinterherlaufen am Ende ihr Objekt der Begierde serviert bekommt. Ob gezwungener, verzauberter Maßen oder nicht, egal, sie hat ihr Ziel erreicht. Die Doppelbödigkeit der Komödianten ist hier besonders schön in der Figur des Zettels zu sehen. Sein englischer Originalname „Bottom“ steht einerseits für den Allerwertesten, andererseits für den Erdboden oder die fest eingespannten Fäden in einem Webstuhl. „Ist es schon Tollheit, so hat es doch Methode“ könnte man auch zu ihm sagen. Gegenüber dem exotischen und zwiespältigen Gaukler und Narren Puck ist er der bodenständige, gutmütige Spaßmacher. Auch wenn seine Handwerkskollegen einen Esel aus ihm machen wollen, so ist er dennoch nicht dumm. Mit seinem geringen Bildungsstand ist er pfiffig, selbstsicher, beredsam und schlagfertig. Durch seinen theatralen Ehrgeiz kann er sich aber auch in Nebensächlichkeiten verzetteln, so dass er einem fast Leid tut. Umso mehr gönnt man dem menschlichen Chaoten 13 das Liebesabendteuer mit Titania, das ihn auch berühmt gemacht hat, weit mehr als die Athener Liebespärchen. Nur ein Traumpaar schwebt unerreichbar über allen: Oberon und Titania. Felix Mendelssohn Bartholdy „Ein Sommernachtstraum“ Schauspielmusik, op. 61 Elfenmarsch. Allegro vivace Boston Symphony Orchestra Dirigent: Seiji Ozawa M0384237 / 004 (bis 1:00‘) Der Elfenmarsch aus Felix Mendelssohn Bartholdys Bühnenmusik zum „Sommernachtstraum“ mit dem Boston Symphony Orchestra und Seiji Ozawa. Möchten auch Sie in die magische Welt des „Sommernachtstraumes“ eintauchen, dann haben Sie heute Abend Gelegenheit dazu. Das RadioSinfonieorchester Stuttgart des SWR präsentiert ab 19:30 Uhr im Stuttgarter Theaterhaus eine musikalische Vielfalt rund um den Sommernachtstraum. Im Mittelpunkt wird Felix Mendelssohn Bartholdys Bühnenmusik stehen. Als frecher, dämonischer und chaotische Kobold Puck wird Till Schneidenbach zu erleben sein und der Sprachpoet Tobias Gralke lädt mit seiner modernen Lyrik dazu ein, die antiken Geschehnisse neu zu interpretieren. Karten gibt es noch an der Abendkasse. Herzliche Einladung an dieser Stelle zu diesem einzigartigen, sommernächtlichen Live-Erlebnis. Mein Name ist Jasmin Bachmann und wir hören uns am Freitag wieder. Dann wird es in der vierten Shakespeare-Musikstunde um die Sprache von Liebe, Verrat und Mystik gehen. Wer nicht so lange warten will, der kann die letzten Sendungen unter ..... nachhören, oder eben ins Konzert gehen. Wir schließen diese Sendung mit dem „Willow Song“, den Desdemona singt. Eine traditionelle, leichte Weise mit tragischem Inhalt. Und dazu ein Zitat des verliebten Feldherren Antonius: „Gebt mir Musik; schwermütige Nahrung für uns verliebtes Volk.“ Willow song. Für Singstimme und Instrumentalensemble Dorothee Mields, Sopran Lautten Compagney Dirigent: Wolfgang Katschner M0308905 /025 (3:32‘)
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