Ausgabe 10/2015 – 24. November 2015 ZEIT FÜR DIE HELIKOPTER? Seit Jahren kämpft die Geldpolitik erfolglos gegen das Mini-Wachstum und Deflationsgefahren. Für manche ist es Zeit, etwas Neues zu probieren. Der alte Vorschlag vom Geld aus dem Helikopter verspricht Staatsausgaben ohne Schulden und einen Ausweg aus der Misere. Wir erkl ären, was dahinter steckt und warum die Zeit für die Helikopter noch nicht gekommen ist. SUCHE NACH DEM FEHLENDEN WACHSTUM Sieben Jahre sind seit dem Ende der Finanzund Wirtschaftskrise vergangen. Zu ihrer Bekämpfung wurden Geld- und Fiskalpolitik aufgeboten. Heute sind die Leitzinsen bei Null, die Notenbankbilanzen aufgebläht, die Staatsverschuldungen angestiegen. Trotzdem reicht es in den Industrieländern nur für ein MiniWachstum, die Inflationsraten sind von ihren Zielwerten weit entfernt. Sollten daher die Notenbanken ihre Geldschleusen noch weiter öffnen? Bräuchte es mehr Strukturreformen? Mehr Konjunkturprogramme? Um diese Fragen zu beantworten, ist etwas Ursachenforschung nötig. Schon seit Längerem entschleunigt sich das Potentialwachstum der Volkswirtschaften. Zwei Faktoren stehen hinter diesem Trend. Das abnehmende Wachstum der Zahl der Erwerbstätigen und die abnehmende Produktivität. Hinzu kommt, dass ein Teil des Wachstums auf einer Spekulationsblase im Immobiliensektor und übermäßiger Verschuldung aufgebaut war. Folglich ist nicht zu erwarten, dass Wachstumsraten wie in der Vorkrisenzeit nachhaltig erwirtschaftet werden können. Schaut man auf den Arbeitsmarkt, könnte man eigentlich zufrieden sein. Trotz geringer Zuwächse beim Bruttoinlandsprodukt sind die Arbeitslosenraten in den letzten Jahren sehr deutlich gesunken. Dass trotzdem die Inflationsziele verfehlt werden, hat auch viel mit dem dramatischen Verfall der Rohstoffpreise zu tun. Daran kann die Geldpolitik aber wenig ändern. In seinem jüngsten Jahresgutachten warnt der Sachverständigenrat daher vor einer zu expansiven Geldpolitik. Er fordert, die Anleihekäufe im Euro-Raum zu verlangsamen und stattdessen die Reformen zu beschleunigen. Doch nicht alle Marktteilnehmer sehen das so. Im Gegenteil, für viele leidet die Wirtschaft unter mangelnder Nachfrage. Haushalte und Unternehmen wollen sich entschulden. Daher wird trotz geringer Zinsen kaum investiert, die Volkswirtschaften verharren in „säkularer Stagnation“ weit unterhalb ihres wirtschaftlichen Potentials. Statt auf die wirkungslos gewordene Geldpolitik zu setzen, sollen lieber die Staatsausgaben stark ausgeweitet werden. Diese Empfehlung ist problematisch. Wenn Konjunkturprogramme mit Schulden bezahlt werden, könnte bald wieder die Frage der Schuldentragbarkeit gestellt werden. ZEIT, ETWAS NEUES ZU PROBIEREN? Es gibt einen Vorschlag, der Staatsausgaben ohne neue Schulden verspricht und aus der säkularen Stagnation herausführt: das „Helikopter-Geld.“ Die im Grunde recht alte Idee wurde bereits von Keynes in den 1930er Jahren diskutiert. Er fragte sich, was der Staat tun könnte, um Geld in die Wirtschaft zu bringen. Der berühmte Ökonom schlug vor, alte Flaschen mit Banknoten zu füllen, diese zu vergraben und dann Arbeiter zu bezahlen, die sie wieder ausgraben würden. Die auf den ersten Blick kuriose Idee zur Ankurbelung des Geldflusses griff Jahrzehnte später Milton Friedman auf. Der Vater des Monetarismus beschrieb 1969 in seinem Werk „The Optimum Quantity of Money“, welche volkswirtschaftlichen Effekte es haben würde, wenn eines Tages ein Hubschrauber vorbeikäme und Banknoten vom Himmel regnen ließe. Wieder Jahrzehnte später, 2002, hielt der spätere FED-Chef Ben Bernanke seine berühmte Rede „Deflation: Making Sure "It" Doesn't Happen Here“. Dort beschrieb er die Helikopter-Überlegungen als eine mögliche Waffe im Kampf gegen Deflation. WIE DAS HELIKOPTER-GELD FUNKTIONIERT Die Idee vom Geld aus dem Helikopter ist natürlich nicht wörtlich zu verstehen. Herr Draghi oder Frau Yellen werden nicht Hubschrauber anmieten und über Frankfurt oder New York kreisen lassen. Volkswirtschaftlich betrachtet geht es darum, die umlaufende Geldmenge dauerhaft auszuweiten. Dies ist der zentrale Unterschied zur bisherigen Praxis der Wertpapierkaufprogramme. Diese werden irgendwann beendet, die Geldmengenausweitung wieder zurückgefahren. Bewerkstelligt wird Helikopter-Geld, indem der Staat Geld ausgibt oder die Steuern senkt – ganz so, wie es die Befürworter der These von der „säkularen Stagnation“ fordern. Finanziert werden diese Ausgaben über die Notenbankpresse, so dass technisch gesehen keine neuen Schulden entstehen. Die Frage der Schuldentragfähigkeit stellt sich damit nicht. Die Geldmengenausweitung lässt die Inflationserwartungen ansteigen. Dadurch sinkt der für Investitionen und Konsum entscheidende Realzins. Trotz aller Vorteile gibt es Fragezeichen. Helikopter-Geld beendet die Trennung von Geldund Fiskalpolitik und gefährdet damit die Unabhängigkeit der Notenbanken. Weniger unabhängige Geldpolitiker sind eher bereit, bei Inflationsgefahren ein Auge zuzudrücken. Heute wäre etwas mehr Inflation vielleicht willkommen, aber auf lange Sicht schadet die Geldentwertung den Bürgern. Und wie würde die Infla- tion auf das Helikopter-Geld reagieren? Sind die Inflationserwartungen fest bei 2 Prozent verankert, wird es schwierig, die Öffentlichkeit glaubhaft zu überzeugen, dass man höhere Inflationsraten anstrebt. Wenn aber die Erwartungen da bleiben, wo sie heute sind, dann verpufft die Wirkung des Helikopter-Geldes. Und wenn die Bürger von ansteigender Inflation ausgingen, könnte eine Inflationsspirale drohen. Ob es später gelänge, die Inflationserwartungen wieder auf das 2-Prozent-Ziel einzuschwören, wäre keineswegs sicher. JEDE IDEE HAT IHRE ZEIT – FÜR DIE HELIKOPTER IST ES NOCH ZU FRÜH Die Tatsache, dass sich trotz jahrzehntelangen Überlegungen keine Notenbank an das Instrument Helikopter-Geld gewagt hat, spricht Bände. Vermutlich ist in Notenbankkreisen der Glaube an die Vorteilhaftigkeit von „Helicopter-Money“ nicht sehr ausgeprägt; die Nachteile werden als schwerwiegender angesehen. Dies muss nicht für immer so bleiben. Der Aufschwung in den USA ist mittlerweile schon sieben Jahre alt. Sollte eine Rezession drohen, obwohl die Leitzinsen noch tief, die Inflation niedrig und die Handlungsfähigkeit des Staats aufgrund seiner Verschuldung begrenzt ist, dann könnte auch die Zeit für extremere Schritte wie Helikopter-Geld kommen. Selbst in Europa, wo ein gesetzliches Verbot der Staatsfinanzierung existiert, würde man Wege finden, dieses Verbot „pragmatisch“ auszuhebeln. An den Aktienmärkten würde das Helikopter-Geld wohl begrüßt werden. Es würde all denen, die den Glauben an die realwirtschaftliche Wirksamkeit der Geldpolitik verloren haben, signalisieren, dass die Notenbanken das Risiko einer säkularen Stagnation „endlich“ ernsthaft angehen. Staatsanleihen wären der große Verlierer, sofern ihr Wert „weginflationiert“ wird. Wir allerdings halten Helikopter-Geld für ein Experiment mit ungewissem Ausgang. Insofern ist zu hoffen, dass die FED sich genug Handlungsspielraum zurückerobert, um für kommende Gefahren gerüstet zu sein – ohne, dass die Helikopter starten müssen. DISCLAIMER Die Informationen in diesem Dokument wurden ausschließlich zu Informationszwecken für den Empfänger erstellt. Sie stellen keine Finanzanalyse i.S. des § 34b WpHG dar. Daher genügen sie nicht allen gesetzlichen Anforderungen zur Gewährleistung der Unvoreingenommenheit von Finanzanalysen und unterliegen nicht dem Verbot des Handelns vor der Veröffentlichung von Finanzanalysen. Alle Angaben erfolgen unverbindlich und stellen weder eine Anlageberatung noch eine Aufforderung zum Kauf oder Verkauf eines Finanzinstruments dar. Die Informationen wurden sorgfältig recherchiert. Dabei wurde zum Teil auf Informationen Dritter zurückgegriffen. Einzelne Angaben können sich insbesondere durch Zeitablauf oder infolge von gesetzlichen Änderungen als nicht mehr zutreffend erweisen. Für die Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität sämtlicher Angaben wird daher keine Gewähr übernommen. Alle Meinungsaussagen geben die aktuelle Einschätzung der Verfasser wieder und stellen nicht notwendigerweise die Meinung der Hauck & Aufhäuser Privatbankiers KGaA oder deren assoziierter Unternehmen dar. Sofern Aussagen über Renditen, Kursgewinne oder sonstige Vermögenszuwächse getätigt werden, stellen diese lediglich Prognosen dar, für deren Eintritt keine Haftung übernommen wird.
© Copyright 2024 ExpyDoc