ermittlung im Zusammenhang mit Erbbaurechten

Abhandlungen
Seitz, Fehlerquelle bei Verkehrswertermittlung im Zusammenhang mit Erbbaurechten
Die typische Fehlerquelle bei der Verkehrswertermittlung im Zusammenhang mit Erbbaurechten:
Der Erbbauzins
Albert M. Seitz, Köln
Mit den Beiträgen »Verkehrswertermittlung im Zusammenhang mit
Erbbaurechten« hat Tillmann in GuG 3/20091 und GuG 5/20092 die
Thematik an abstrakten Beispielen und Ausschnitten aus Gutachtentexten zum Verkehrswert des Erbbaurechts nach BauGB einerseits und
nach ZVG andererseits vollumfänglich behandelt.
Stützend auf die Abhandlungen von Tillmann konzentrieren sich die
nachstehenden Ausführungen auf typische Fehler bei der Verkehrswertermittlung3 im Zusammenhang mit Erbbaurechten, wobei der
Schwerpunkt diesbezüglich auf der Ableitung des vertraglich und gesetzlich erzielbaren Erbbauzinses liegt.
1 Vorbemerkung
Die ersten Fehlerquellen bei der Verkehrswertermittlung im
Allgemeinen als auch bei der Ermittlung im Zusammenhang
mit Erbbaurechten sind bereits bei der Beschaffung aller hierzu erforderlichen Erkenntnisquellen zu finden. Bei der Verkehrswertermittlung im Zusammenhang mit Erbbaurechten
betrifft dies zunächst insbesondere den Erbbaurechtsvertrag
einschließlich aller Nachträge.
Anstatt dass der Sachverständige alle zugänglichen Erkenntnisquellen auswertet und zur Entscheidungsfindung heranzieht, werden Gutachten häufig auf Mutmaßungen gestützt.
Hier ergeben sich nicht unerhebliche Kosten- und auch Zeitvorteile. Sachverständige, die sich bei der Erstellung von
Gutachten einer umfassenden und in sich nachvollziehbaren
Darstellung des Erkenntnis- und Werteprozesses verschrieben haben, dürften hier – und dies gilt nicht nur für die Verkehrswertermittlung im Zusammenhang mit Erbbaurechten
– bei der Eingangsfrage des potenziellen Auftraggebers nach
den Honorarvorstellungen bei der Auftragsvergabe chancenlos sein. Dementsprechend kann Unzufriedenheit bei den
gewissenhaft arbeitenden Sachverständigen festgestellt werden.
Unzufriedenheit kann aber auch bei den Verbrauchern festgestellt werden, wenn eine Überprüfung des Gutachtens ergibt,
dass dieses nicht den formalen und sachlichen Anforderungen
genügt.
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GuG 1
j
2016
2 Die typischen Fehler bei der Verkehrswertermittlung allgemein
Die typischen Fehler in Verkehrswertgutachten im Allgemeinen resultieren häufig aus:
j Informationsdefiziten infolge von mangelnder Sachver-
haltsaufklärung
(z.B. Mietflächen wurden vom Auftraggeber, aus der Bauakte, Teilungserklärung, Mietverträgen o.ä. ungeprüft übernommen – dabei
wird das Gutachten mit den üblichen Floskeln »Es wird unterstellt,
dass . . .« geschmückt),
j dem nicht zutreffenden Erfassen von Sachverhalten
(z.B. das Stammgrundstück beim Überbau oder die selbstständig
nutzbare/verwertbare Teilfläche wird nicht erkannt)
j und fehlerhaften methodischen Ansätzen
(z.B. bei der Auswahl der Wertermittlungsverfahren wird dem Vergleichswertverfahren trotz der »zur Verfügung stehenden Daten«
(Vergleichspreise) keine Priorität eingeräumt4).
Es bestehen keine gesetzlichen Regelungen zu den Anforderungen an ein Gutachten. Zur Gutachtenerstattung haben sich
aber in der Rechtsprechung und in der einschlägigen Litera1 Tillmann, H.G., »Verkehrswertermittlung im Zusammenhang mit Erbbaurechten
– Besonderheiten im Zwangsversteigerungsverfahren«, GuG 2009, 136–146
(Heft 3).
2 Tillmann, H.G., »Verkehrswertermittlung im Zusammenhang mit Erbbaurechten
– Besonderheiten im Zwangsversteigerungsverfahren«, GuG 2009, 266–279
(Heft 5).
3 Hier: Verkehrswert im Sinne des § 194 BauGB (Baugesetzbuch).
4 Vgl. hierzu auch Vogel, R., »Zur sachgerechten Ableitung der Verkehrswerte von
Eigentumswohnungen«, GuG 2013, 1–15 (Heft 1).
Abhandlungen
Seitz, Fehlerquelle bei Verkehrswertermittlung im Zusammenhang mit Erbbaurechten
tur5 allgemeine Grundsätze entwickelt, an die sich auch die
Bestellungsvoraussetzungen der Kammern für die öffentliche
Bestellung anlehnen.
Hier wären zu nennen:
– Sachaufklärungsgebot
Ein Gutachten muss sich auf Tatsachen, nicht auf Mutmaßungen stützen (BGH, Urt. vom 02.11.1983 – IVa ZR 20/82 –).
Im Rahmen seiner Aufklärungspflicht hat der Gutachter alle seine
zugänglichen Erkenntnisquellen auszuwerten und zur Entscheidungsfindung heranzuziehen (BGH Urt. vom 04.03.1982 – III ZR 156/80).
Als »zugängliche Erkenntnisquellen« gelten solche, die verfügbar
und benutzbar sind.
Mündliche Auskünfte zum Planungsrecht sind nicht als Vertrauensgrundlage geeignet (BVerwG, Urt. vom 05.06.2003 – 4 BN 29/03 –).
Ein Gutachten ist mangelhaft, wenn es in nicht nachvollziehbarer
Weise nur das Ergebnis mitteilt (OLG Düsseldorf, Beschl. vom
21.08.1995 – 10 W 66/95 –).
– Kompetenzeinhaltungsgebot
Die fachliche Kompetenz des Sachverständigen bestimmt den Wert
des Gutachtens. Der Sachverständige muss deshalb einen Auftrag ablehnen, soweit seine fachliche Kompetenz dem nicht gewachsen ist,
d.h. ein Gutachter darf seine fachliche Kompetenz nicht überschreiten
(BGH, Urt. vom 10.07.2003 – VII ZR 329/02 –).
Wenn auftragsgemäß der Verkehrswert gemäß § 194 BauGB
zu ermitteln ist, kann der Verwendungszweck des Gutachtens
und die Bezeichnung des Gutachtens z.B. als »Kurzgutachten« die Bearbeitungstiefe nicht beeinflussen. Daraus resultiert: Immer wenn auftragsgemäß der Verkehrswert ausgewiesen wird, muss sich der Sachverständige alle Erkenntnisquellen verschaffen. Es besteht hier kein Interpretationsspielraum
für Mutmaßungen!
3 Die typischen Fehler bei der Verkehrswertermittlung im Zusammenhang mit
Erbbaurechten
Auch bei der Verkehrswertermittlung im Zusammenhang mit
Erbbaurechten ist es vielfach gängige Praxis, dass Sachverständige in Gutachten mit den üblichen Floskeln »Es wird unterstellt . . .«, »Es wird davon ausgegangen . . .« oder mit dem
Zusatz »Kurz« vor der Bezeichnung »Gutachten« sich von der
Sorgfaltspflicht entziehen, indem die zugänglichen, verfügbaren und benutzbaren Erkenntnisquellen für die Entscheidungsfindung nicht ausgewertet und herangezogen werden.
Hinzu kommen Eigenkreationen wie hier beispielsweise in
einem »Gutachten« (erstellt im Juni 2012 zum Wertermittlungsstichtag im Mai 2012):
66.375 E
Wertminderung durch Erbbaurecht:
Marktüblicher Jahreszins:
Errechnung des Rentenbarwertfaktors:
Bei einer Restlaufzeit des Erbbaurechts
von 96 Jahren und 4 % Zinsen errechnet
sich ein Vervielfältiger von 24,42
Differenz x Vervielfältiger6Wertfaktor =
–458 E624,4260,54 =
–6.010 E
Wertminderung durch das Erbbaurecht für
den Hausbesitzer
72.385 5
Hierbei wurden teils falsche, teils veraltete und teils selbst kreierte Begrifflichkeiten verwendet, zum Beispiel:
j Erbpachtzins
– Begründungsgebot
Grundwert des unbelasteten Grundstücks:
–457,80 E
Zinsdifferenz:
4%
4 % von 66.375 E
2.655,00 E
– zukünftiger jährlicher Erbpachtzins
(geschätzt)
3.112,80 E
Die Erbpacht war im Mittelalter eine gebräuchliche Form des Lehens.
Ein vollständiges Verbot der Erbpacht wurde erst im Jahr 1947 durch
die Aufhebung des Art. 63 Einführungsgesetz BGB erreicht.
Unterschied der gesetzlich verbotenen Erbpacht und dem Erbbaurecht:
Erbpacht – unbegrenzte Nutzung landwirtschaftlicher Flächen gegen
Zahlung eines Erbzinses
Erbbaurecht – zeitlich begrenztes Nutzungsrecht eines Grundstücks,
um auf diesem ein Bauwerk zu haben
j Wertfaktor
Bis zur Einführung der WertR06 sollten Wertfaktoren die sich für den
Erbbaurechtsnehmer und den Erbbaurechtsgeber ergebenden Vorund Nachteile aus dem Erbbaurechtsvertrag angemessen berücksichtigen. Durch die Neuerungen der WertR06 zum Erbbaurecht ist der
Wertfaktor entfallen – stattdessen wurde der Marktanpassungsfaktor
(vgl. Ziffer 4.3.2.2 WertR 06) eingeführt. Außerdem sind zusätzlich
die besonderen vertraglichen Vereinbarungen zu berücksichtigen
(vgl. Ziffer 4.3.1 WertR06).
Für den Verbraucher eines Sachverständigengutachtens, der
selbst nicht über die erforderliche Sachkunde verfügt, sind
diese Mängel nicht erkennbar.
Die Defizite bei dem Begriff »zukünftiger jährlicher Erbpachtzins (geschätzt)« liegen nicht nur, wie vorstehend ersichtlich, bei der falschen Begriffsdefinition – Erbpachtzins
– sondern auch in der Schätzung, durch die das erforderliche
Heranziehen und Auswerten der Erkenntnisquelle – hier: Erbbaurechtsvertrag – fahrlässigerweise entfällt. So entsteht
schon an dieser Schnittstelle für den Verfasser des »Gutachtens« ein enormer Zeitvorteil gegenüber dem gewissenhaft arbeitenden Sachverständigen. Das so erstattete Gutachten genügt nicht den formalen und sachlichen Anforderungen6.
4 Erbbauzinsbegriffe
Im Zusammenhang mit der Bewertung von Erbbaurechten
existieren verschiedene Erbbauzinsbegriffe, denen im Rahmen der Wertermittlung teils nur nachrichtliche und teils für
die Wertermittlung entscheidende Bedeutung zukommt.
5 Vgl. Kleiber, W., Verkehrswertermittlung von Grundstücken, Köln: Bundesanzeiger Verlag, 7. Aufl. 2014, hier: S. 168 ff.
6 Mehr zu den Anforderungen an Verkehrswertgutachten kann z.B. Kleiber, W.
(2014): a.a.O., hier: Kapitel 2 S. 168 ff entnommen werden.
GuG 1
j
2016
7
Abhandlungen
Seitz, Fehlerquelle bei Verkehrswertermittlung im Zusammenhang mit Erbbaurechten
Für die Verkehrswertermittlung sind der angemessene Erbbauzins sowie der vertraglich und gesetzlich erzielbare
Erbbauzins von Bedeutung,7 da sich aus einer möglichen Abweichung dieser Erbbauzinsen der Bodenwertanteil des Erbbaurechts ableitet:
j angemessener Erbbauzins8
Erbbauzins, der am Ort für die Grundstücksart und -nutzung zum
Stichtag üblich ist (»ortsüblicher Erbbauzins«). Gemäß Ziffer
4.3.2.2.1 der WertR 06 ist den Berechnungen in der Regel jeweils
der angemessene, nutzungstypische Liegenschaftszinssatz zugrunde
zu legen. Eine Ausnahme hiervon bildet der Fall, dass sich in der jeweiligen Region ein üblicher Erbbauzinssatz herausgebildet hat.
Grundstücks i.H.v. 200.000 E, einem Liegenschaftszinssatz
von 3 % und einer Restlaufzeit des Erbbaurechts von 50 Jahren bei einem vertraglich und gesetzlich erzielbaren Erbbauzins i.H.v. 6.000 E dargestellt.
Tabelle 1: Bodenwertanteil des Erbbaurechts und des Erbbaugrundstücks im Vergleich
Bodenwertanteil Erbbaurecht
Erbbauzins 6.000,00 5
Bodenwertanteil Erbbaugrundstück
Erbbauzins: 6.000,00 5
angemessener Verzinsungsbetrag
des Bodenwerts
unbelasteter
Bodenwert
3 % von
200.000,00 E =
j vertraglich und gesetzlich erzielbarer Erbbauzins9
Erzielbarer Erbbauzins, der im Erbbaurechtsvertrag vereinbart ist und
durch eine Anpassungsklausel (Wertsicherungsklausel) oder in sonstiger gesetzlich zulässiger Weise angepasst ist.
Der tatsächlich gezahlte Erbbauzins (Erbbauzins, der von
dem Erbbauberechtigten zum Wertermittlungsstichtag an
den Grundstückseigentümer tatsächlich gezahlt wird) hat für
die Verkehrswertermittlung im Zusammenhang mit Erbbaurechten nur nachrichtlichen Charakter; er ist keineswegs ungeprüft mit dem vertraglich und gesetzlich erzielbaren Erbbauzins gleichzusetzen und in den Rechengang der Wertermittlung einzuführen.
Aus der Praxis: In einem Zwangsversteigerungsverfahren
wurde im April 2015 für die Verkehrswertermittlung eines
Erbbaurechts von der Erbbaurechtsgeberin (Stadt XYZ) der
tatsächlich gezahlte Erbbauzins mit rd. 1.700 E p.a. angegeben; der vertraglich und gesetzlich erzielbare Erbbauzins wurde im Rahmen der Wertschätzung mit rd. 1.200 E p.a. ermittelt – der tatsächlich gezahlte Erbbauzins lag somit rd. 40 %
über dem vertraglich und gesetzlich erzielbaren Erbbauzins.
Recherchen des Sachverständigen ergaben, dass bei der ersten
Erbbauzinsanpassung im Jahr 1998 ein falscher Index herangezogen wurde und dadurch der tatsächlich erzielte Erbbauzins um rd. 500 E p.a. zu hoch ausgewiesen wurde. Die
Tatsache, dass die Erbbaurechtsgeberin das Zwangsversteigerungsverfahren aufgrund des dinglichen Anspruchs auf Erbbauzinsen betrieb, führte die Sache ad absurdum.
Hinweis: Ein Fehler in der Berechnung des vertraglich und
gesetzlich erzielbaren Erbbauzinses (DEZ) schlägt auf den
Bodenwertanteil des Erbbaurechts unmittelbar mit dem Faktor
des jeweiligen Vervielfältigers (Rentenbarwertfaktor) durch.
Es gilt: Je höher die Restlaufzeit und je geringer der Liegenschaftszinssatz, desto größer ist der Einfluss auf den finanzmathematischen Wert (vgl. hierzu Abbildung 4). Beim Sachwertverfahren kann der Fehler durch den Sachwertfaktor
entsprechend noch verstärkt (Sachwertfaktor 4 1) oder abgeschwächt (Sachwertfaktor 5 1) werden.
Die Auswirkungen des Erbbauzinses auf den Bodenwertanteil
des Erbbaurechts und den Bodenwertanteil des mit dem Erbbaurecht belasteten Grundstücks (Erbbaugrundstück) ist in
Tabelle 1 exemplarisch für einen Bodenwert des unbelasteten
8
GuG 1
j
2016
Abzinsungsfaktor
6.000,00 E (50 Jahre Restlaufzeit, 3 % Liegenschaftszinssatz)
abgezinster Bodenabzgl. vertraglich und
wert
gesetzlich erzielbarer
./. 6.000,00 E
Erbbauzins
200.000,00 E
x 0,2281
45.620,00 E
Differenz
vertraglich und gesetzlich erzielbarer
0,00 E Erbbauzins
6.000,00 E
Barwertfaktor
(50 Jahre Restlaufzeit, 3 % Liegenschaftszinssatz)
Barwertfaktor
(50 Jahre Restlaufzeit, 3 % Liegenx 25,73 schaftszinssatz)
x 25,73
Bodenwertanteil
des Erbbaurechts
Barwert des ver0,00 5 traglich u. gesetzlich erzielbaren
Erbbauzinses
154.380,00 E
finanzmathematischer Wert des
Erbbaugrundstücks
200.000,00 5
Der vertraglich und gesetzlich erzielbare Erbbauzins soll eine
angemessene Verzinsung des investierten Kapitals für Grund
und Boden gewährleisten;10 solange dies der Fall ist, gibt es
finanzmathematisch keinen Wert für das Erbbaurecht (vgl. Tabelle 1 und Abbildung 1, Fall A). Ist die Differenz 4 0,00 E
besteht für den Erbbaurechtsnehmer (EN) ein wirtschaftlicher
Vorteil und entsprechend für den Erbbaurechtsgeber (EG,
Grundstückseigentümer) ein wirtschaftlicher Nachteil: Es besteht für den EN ein Bodenwertanteil am Erbbaugrundstück
und für den EG (Grundstückseigentümer) entsprechend analog dem Bodenwertanteil des EN eine Wertminderung seines
Erbbaugrundstücks (vgl. Abb. 1, Fall B). Ein Sonderfall ist die
Belastung des Erbbaurechts, wenn der vertraglich und gesetzlich erzielbare Erbbauzins größer ist als der angemessene Bodenzins (wirtschaftlicher Nachteil für EN, wirtschaftlicher
Vorteil für EG; vgl. Abb. 1, Fall C).
7 Weitere Erbbauzinsbegriffe (u.a. dinglicher Erbbauzins, schuldrechtlich erhöhter Erbbauzins, etc.) sind in Tillmann, H.G., a.a.O., GuG 2009, 136 (139), Ziffer 3
umfassend dargestellt.
8 Vgl. Tillmann, H.G., GuG 2009, 136 (139), Ziffer 3.
9 Vgl. Tillmann, H.G.,(GuG 2009, 136 (139), Ziffer 3.
10 Eine empfehlenswerte Darstellung der Thematik »Erbbaurecht« findet man auch
in Hildebrandt, H., Grundstückswertermittlung – Aus der Praxis – für die Praxis,
Stuttgart: Konrad Wittwer Verlag, 1996, hier: Ziffer 4.3 S. 40 ff. Leider ist das
Buch mittlerweile nur noch im Antiquariat zu finden.
Seitz, Fehlerquelle bei Verkehrswertermittlung im Zusammenhang mit Erbbaurechten
Abhandlungen
wirtschaftlichen
Verhältnisse
stellt somit die Kappungsgrenze
K (Höchstgrenze) für die Erbbauzinsanpassung dar.
Mit der Überprüfung der Billigkeit sollen besondere Härten vermieden und das naturgegebene
Gerechtigkeitsempfinden zufriedengestellt werden. Hinzuweisen
sei, dass die Billigkeitsprüfung
das Ergebnis der vereinbarten Bemessungsgrundlage bestätigen
oder ermäßigen, nicht aber erhöhen kann.13
Unter »Vertragsabschluss« i.S.d.
§ 9a ErbbauRG ist nicht die aufgrund der Anpassungsklausel getroffene Erhöhungsvereinbarung
zu verstehen, sondern die Vereinbarung der Anpassungsklausel selbst. Wird die ursprüngliche Anpassungsklausel später geändert (z.B. grundlegende
Änderung der Anpassungsklausel, Änderung des Basisjahres,
Erweiterung auf weiteres Grundstück bei gleich bleibendem
Erbbauzins), so kann die spätere Vereinbarung zum zeitlich
maßgebenden Bezugspunkt werden14.
Abbildung 1: Einfluss der Höhe des vertraglich und gesetzlich erzielbaren Erbbauzinses (vg. EZ) auf den
Bodenwertanteil des Erbbaurechts und den Bodenwertanteil des Erbbaugrundstücks bei einem angemessenen Erbbauzins (ang. EZ) i.H.v. 6.000 5, einem Liegenschaftszinssatz von 3 % und einer Restlaufzeit des
Erbbaurechts von 50 Jahren
5 Ermittlung des vertraglich und gesetzlich
erzielbaren Erbbauzinses
Die vertraglich vereinbarte Höhe des an den Erbbaurechtsgeber zu zahlenden Erbbauzinses ist dem Erbbaurechtsvertrag
einschließlich aller Nachtragsbewilligungen zu entnehmen.
Dabei ist zu prüfen, ob der vereinbarte Erbbauzins an eine Anpassungsklausel (»Wertsicherungsklausel«) geknüpft ist oder
nicht.11
Der Verordnungsgeber hat mit § 9a ErbbauRG12 das Erhöhungsverlangen eingeschränkt, wenn das aufgrund eines Erbbaurechts errichtete Bauwerk zu Wohnzwecken dient:
j Ein Anspruch auf Erhöhung des Erbbauzinses darf frühes-
tens nach Ablauf von drei Jahren nach der jeweils letzten
Erhöhung des Erbbauzinses geltend gemacht werden
(3-Jahres-Frist).
j Ein Anspruch auf Erhöhung des Erbbauzinses besteht nur,
soweit die Änderung des Erbbauzinses unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nicht unbillig ist
(Billigkeitsprüfung).
Ziel dieser Vorschrift war die Sicherung der Sozialfunktion
des Erbbaurechts für Wohnzwecke.
Somit sind bei der Ableitung des vertraglich und gesetzlich
erzielbaren Erbbauzinses grundsätzlich zu berücksichtigen:
j die vertraglichen Vereinbarungen und
j die gesetzlichen Beschränkungen bei Erbbaurechten, die
zu Wohnzwecken dienen (gemäß § 9aErbbauRG).
5.1 Billigkeitsprüfung i.S.d. § 9a ErbbauRG
Eine Erhöhung des Erbbauzinses ist nach § 9a ErbbauRG als
unbillig anzusehen, wenn sie über die seit Vertragsabschluss
eingetretene Veränderung der allgemeinen wirtschaftlichen
Verhältnisse hinausgeht. Diese Veränderung der allgemeinen
Gemäß Rechtsprechung15 ist als Maßstab für den unbestimmten Begriff »Änderung der allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse« die im jeweiligen Bezugszeitraum eingetretene prozentuale Steigerung der Lebenshaltungskosten (Preisindex für
die Lebenshaltung) einerseits und der Einkommen (hier: Mittelwert aus Index der Bruttolöhne der Arbeiter und Index der
Bruttogehälter der Angestellten) andererseits anzusetzen. Dabei ist auf die maßgeblichen Monatsindexzahlen des Statistischen Bundesamtes abzustellen.
Die Rechtsprechung nimmt dabei Bezug auf Indexreihen die
im Jahr 2015 vom Statistischen Bundesamt in der Form nicht
mehr veröffentlicht werden: Mit dem Berichtsmonat Januar
2003 sind die verschiedenen Preisindizes für die Lebenshaltung (LHK) weggefallen; somit ist ein Umstieg auf den Verbraucherpreisindex für Deutschland (VPI) erforderlich. Dies
erfolgt mithilfe des Verkettungsmonats Dezember 1999 –
dies ist der Monat, in dem vom jeweils weggefallenen Index
auf den VPI übergegangen wird.16
Zudem ist bei den Indizes der Bruttoverdienste eine Trennung
in Indizes für Arbeiter und Angestellte entfallen, wobei der
nunmehr veröffentlichte »Index der Bruttomonatsverdienste
11 Vgl. Tillmann, H.G, a.a.O., GuG 2009, 136 (141), Ziffer 3.2.
12 Erbbaurechtsgesetz.
13 Vgl. hierzu Palandt/Bassenge, BGB, München: C.H. Beck Verlag,
74. Aufl.2015, § 9a ErbbauRG (S. 2953 ff)
14 Vgl. hierzu Erman/Grziwotz, Kommentar BGB, Köln: Dr. Otto Schmidt Verlag,
14. Aufl. 2014, S. 4052.
15 Vgl. hierzu: Palandt/Bassenge, a.a.O, § 9a ErbbauRG S. 2953 ff. Hier wird Bezug
genommen auf die BGH-Urteile: BGH, Urt. vom 04.07.1980 – V ZR 49/79 –; BGH,
Urt. vom 31.10.2008 – V ZR 71/08 – und BGH, Urt. vom 15.04.1983 – V ZR 9/82 –.
16 Auf die Thematik »Indexverkettung« wird in Kapitel 5.2 dieses Beitrags eingegangen.
GuG 1
j
2016
9
Abhandlungen
Seitz, Fehlerquelle bei Verkehrswertermittlung im Zusammenhang mit Erbbaurechten
vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer (ohne Sonderzahlungen)«
nur quartalsweise veröffentlicht wird. Von daher kann abweichend zu den BGH-Urteilen aus Gründen der Vergleichbarkeit
der Lebenshaltungskostenindex bzw. Verbraucherpreisindex
im entsprechenden Zeitraum als Mittelwert des Quartals ausgedrückt werden.17
Die Entwicklung der verschiedenen Indexreihen ist der Abbildung 2 zu entnehmen.
geben, eine automatische Anpassung erfolgt jedoch nicht. Dem Vertragspartner steht ein Ermessens-und Verhandlungsspielraum bei der
Änderung des Erbbauzinses zu. Reine Verhandlungsklausel.
Bei Erbbaurechten mit Bauwerken, die zu Wohnzwecken dienen, sind häufig Gleitklauseln anzutreffen, wobei die Indexveränderung zwischen zwei Daten (Verbraucherpreisindex,
vormals: Lebenshaltungskostenindex) entweder in Punkten,
in Prozenten oder seltener auch als Vielfaches des Ausgangswerts vereinbart wurden.19
Beispiel 1 »Prozente-Regelung« aus einem Erbbaurechtsvertrag von 1993:
Abbildung 2: Verfügbare Datensätze der vom Statistischen Bundesamt
veröffentlichten Indexreihen
Die Kappungsgrenze K als Höchstgrenze des vertraglich und
gesetzlich erzielbaren Erbbauzinses lässt sich demnach über
die folgende Formel berechnen:
(EZ0 . . . ursprünglich vereinbarter Erbbauzins, DVPIQ . . .
Änderung der Lebenshaltungskosten (Lebenshaltungskostenindex bzw. Verbraucherpreisindex) seit Vertragsabschluss als
Quartalsmittelwert, DVDIQ . . . Änderung der Einkommensverhältnisse seit Vertragsabschluss als Quartalsmittelwert)
5.2 Verträge mit Anpassungsklausel
Bei Verträgen mit Anpassungsklausel (Wertsicherungsklausel) ist zu unterscheiden zwischen:18
»Sollte sich der vom Statistischen Bundesamt in Wiesbaden
oder einer amtlichen Nachfolgeorganisation für das Basisjahr 1985 = 100 Punkte festgestellte Preisindex für die
Lebenshaltungskosten von vier-Personen-Haushalten von
Arbeitern und Angestellten mit mittlerem Einkommen gegenüber der für den Monat Januar 1993 noch zu veröffentlichenden Monatsindexzahl oder seit der letzten Anpassung
verändern, so erhöht oder ermäßigt sich der Erbbauzins in
demselben Verhältnis. Veränderungen des Indexes sollen
jedoch nur berücksichtigt werden, sofern sich die Indexzahl
um mindestens zehn 10 Prozent nach oben oder nach unten
verändert hat.«
Beispiel 2 »Punkte-Regelung« aus einem Erbbaurechtsvertrag von 1996:
»Steigt oder fällt der monatliche Gesamtlebenshaltungskostenindex des Statistischen Bundesamtes oder seines Nachfolgeinstitutes für alle privaten Haushalte auf der Basis
1991=100 gegenüber dem Stande, der jeweils für die letzte
Neufestsetzung maßgebend war, erstmals gegenüber dem
Stande des Indexes im Monat Januar 1998 um mehr als 10
Punkte (nicht 10 %), so verändert sich der Erbbauzins jeweils
im gleichen Verhältnis wie der Index.«
Dabei ist zu beachten, dass mit dem Berichtsmonat Januar
2003 die verschiedenen Preisindizes für die Lebenshaltung
entfallen sind und ein Umstieg auf den Verbraucherpreisindex
für Deutschland (VPI) mithilfe des Verkettungsmonats20 De-
– Gleitklauseln
Der erhöhte Erbbauzins kann nach Feststellung der vereinbarten Vergleichsgröße exakt berechnet werden; es besteht kein Ermessensoder Verhandlungsspielraum innerhalb dessen die Vertragsparteien
die Änderung des Erbbauzinses konkretisieren müssten.
z.B. prozentuale Erhöhung/Ermäßigung des Erbbauzinses
gebunden an einen Index (i.d.R. VPI)
– Spannungsklauseln
Es besteht ein Spannungsverhältnis zwischen zwei Leistungen; der
erhöhte Erbbauzins kann nach Feststellung exakt berechnet werden.
z.B. Erbbauzins in Relation zum im Gebäude erzielbaren
Mietzins soll über die Laufzeit gleich bleiben
– Leistungsvorbehaltsklauseln
Bei Erreichen der Veränderung eines festgelegten Anpassungsmaßstabs sind die Voraussetzungen zur Anpassung des Erbbauzinses ge-
10
GuG 1
j
2016
17 In Anlehnung an Gilich, T./Simon, Th., »Anpassung von Erbbauzinsen nach Einstellung der Indizes für Bruttomonatsverdienste für Angestellte und Arbeiter im
Produzierenden Gewerbe«, GuG 2008, 99–101 (Heft 2).
18 Vgl. hierzu auch Kleiber, W. (2014): a.a.O., hier: S. 2871 ff.
19 Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich ausschließlich auf die vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Preisindexreihen. In Wertsicherungsklauseln kann auch Bezug genommen werden auf Landesindex-Reihen, worauf bei
der Verkehrswertermittlung selbstredend zu achten ist.
20 Mit der Einführung der Basis 2000 = 100 im Januar 2003 sind alle Indizes, die
sich auf den Zeitraum Januar 2000 bis Dezember 2002 bezogen, rückwirkend
entfallen. Für diese Indizes gibt es ab Januar 2000 keine neuberechneten Werte.
Das Statistische Bundesamt stellt eine »Anleitung für die Berechnung von
Schwellenwerten und Veränderungsraten für Wertsicherungsklauseln« (Stand:
Februar 2013) zur Verfügung und bietet damit eine rein rechnerische Hilfestellung bei der Berechnung von Schwellenwerten und Veränderungsraten für Wertsicherungsklauseln, die auf Verbraucherpreisindizes basieren sowie beim Umstieg von weggefallenen Verbraucherpreisindizes für spezielle Haushaltstypen
und für die Gebietsstände »Früheres Bundesgebiet« und »Neue Länder und Berlin-Ost« auf den Verbraucherpreisindex für Deutschland.
Abhandlungen
Seitz, Fehlerquelle bei Verkehrswertermittlung im Zusammenhang mit Erbbaurechten
zember 1999 erforderlich ist (vgl. Abb. 2). Verkettet werden
muss nur dann, wenn die letzte Anpassung/Vertragsbeginn vor
Dezember 1999 war. War die letzte Anpassung/Vertragsbeginn im Zeitraum ab Dezember 1999, wird nur der VPI verwendet (vgl. beispielhaft Abb. 3).
a. Anpassung mit dem Preisindex für die Lebenshaltung
Zeitpunkt
Indexstand21
Veränderung
seit letzter
Anpassung
Anpassung
bei Indexstand
Erbbauzins
08/97
103,8
0%
103,8 * 1,1
$ 114,18
1.427,98 E
12/99
(Verkettungsmonat)
105,2
105,2 / 103,8
= 1,0135
= 1,35 %
$ 114,18
1.427,98 E
Nun muss der verbleibende Prozentsatz zur Ermittlung des
oberen Schwellenwertes (PO) berechnet werden:
PO = (1,1/1,0135x 100) – 100 = 8,53 %
Das heißt, ab Dezember 1999 muss sich der VPI noch um
8,53 % nach oben verändern, bevor eine Anpassung erfolgen
kann.
Abbildung 3: Indexverkettung Preisindex für die Lebenshaltung von
4-Personen-Haushalten von Arbeitern und Angestellten mit mittlerem
Einkommen, früheres Bundesgebiet (kurz; Lebenshaltungskostenindex,
LHK) – Verbraucherpreisindex (VPI) mittels des Verkettungsmonats
Dezember 1999
Zu Beispiel 1 »Prozente-Regelung«
Der Erbbaurechtsvertrag datiert vom 13.01.1993. Ursprünglich wurde ein Erbbauzins i.H.v. 2.532,07 DM (1.294,63 E)
p.a. vereinbart. Die letzte Erbbauzinsanpassung erfolgte mit
dem Indexstand August 1997. Der Erbbauzins beträgt seitdem
jährlich 2.792,89 DM (1.427,98 E). Das aufgrund des Erbbaurechts errichtete Bauwerk dient zu Wohnzwecken. Zu ermitteln ist der vertraglich und gesetzlich erzielbare Erbbauzins zum Wertermittlungsstichtag 18.03.2015.
Von August 1997 bis Dezember 1999 ist die Indexreihe des
Preisindex für die Lebenshaltung von 4-Personen-Haushalten
von Arbeitern und Angestellten mit mittlerem Einkommen
(Früheres Bundesgebiet) heranzuziehen. Ab Dezember 1999
(»Verkettungsmonat«) ist die Preisentwicklung des VPI (Verbraucherpreisindex) zu verfolgen (vgl. Abb. 3).
Der Einfachheit halber wird im Folgenden nur der Fall einer
10-prozentigen Erhöhung betrachtet.
Nachfolgende Berechnungen werden in Anlehnung an die
»Anleitung für die Berechnung von Schwellenwerten und Veränderungsraten für Wertsicherungsklauseln«, herausgegeben
vom Statistischen Bundesamt (Stand: Februar 2013), durchgeführt.
b. Anpassung mit dem Verbraucherpreisindex
Veränderung
seit letzter
Anpassung
Anpassung
bei Indexstand
Zeitpunkt
Indexstand22
12/99
(Verkettungsmonat)
85,0
1,35 %
06/05
92,3
105,2/103,8 * 92,3 * 1,1
92,3/85,0
$ 101,53
= 1,1005
= 10,05 %
1.427,98 E *
1,1005
= 1.571,49 5
03/11
101,9
101,9 / 92,3
= 1,1040
= 10,40 %
101,9 * 1,1
$ 112,09
1.571,49 E *
1,1040
= 1.734,92 5
02/15
106,5
106,5 / 101,9
= 1,0451
= 4,51 %
$ 112,09
1.734,92 E
Erbbauzins
85,0x 1,0853
$ 92,25
1.427,98 E
Der obere Schwellenwert wurde erstmals im Juni 2005 erreicht; eine Anpassung war möglich. Zudem konnte im März
2011 der Erbbauzins erneut angepasst werden. Eine weitere
Erhöhung ist zum Wertermittlungsstichtag im März 2015 aufgrund der Indexveränderung noch nicht gegeben, da die
10 %-Grenze noch nicht erreicht ist (hier: 4,51 %).
Der vertraglich erzielbare Erbbauzins ermittelt sich somit zum
Wertermittlungsstichtag 18.03.2015 zu 1.734,92 E. Der vertraglich erzielbare Erbbauzins ist einer Billigkeitsprüfung zu
unterziehen, um zum vertraglich und gesetzlich erzielbaren
Erbbauzins zu gelangen.
c. Billigkeitsprüfung
Zur Ermittlung der Kappungsgrenze ist die Veränderung der
Lebenshaltungskosten (DVPI) und die Veränderung der Ein21 Preisindex für die Lebenshaltung von 4-Personen-Haushalten von Arbeitern und
Angestellten mit mittlerem Einkommen (Früheres Bundesgebiet), Basis 1995 =
100
22 Verbraucherpreisindex, Basis 2010 = 100
GuG 1
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2016
11
Abhandlungen
Seitz, Fehlerquelle bei Verkehrswertermittlung im Zusammenhang mit Erbbaurechten
kommen (DVDI) seit Vertragsabschluss zu betrachten. Da der
Index der Bruttomonatsverdienste, der zur Ermittlung von
DVDI herangezogen wird, nur quartalsweise veröffentlicht
wird, ist der Verbraucherpreisindex bzw. Preisindex für die Lebenshaltung zur Berechnung von DVPI als Quartalsmittelwert
auszudrücken.
desamt veröffentlichten Tabelle »Preisindizes für den Berichtsmonat Dezember 1999 umbasiert auf alte Basisjahre«.24
Hiernach ergibt sich die umbasierte Punktezahl X2010 zu:
Im vorliegenden Fall ermittelt sich die Veränderung der Einkommen (DVDI) wie folgt:23
Die im Erbbaurechtsvertrag vom 29.11.1996 vereinbarten 10
Punkte (Basis 1991 = 100) »entsprechen« somit zum Wertermittlungsstichtag 7,0 Punkten (Basis 2010 = 100).
Bei der Berechnung der Veränderung der Lebenshaltungskosten (DVPI) ist neben der Quartalsmittelwertbildung auch die
Indexverkettung zu beachten:
Der Einfachheit halber wird im Folgenden nur der Fall einer
Erhöhung um 7,0 Punkte (Basis 2010 = 100) betrachtet.
Zeitpunkt
Indexstand25
Anmerkung: Da eine prozentuale Veränderung gesucht wird,
ist das Basisjahr kalkulatorisch unbedeutend.
Zu Beispiel 2 »Punkte-Regelung«
Der Erbbaurechtsvertrag datiert vom 29.11.1996. Ursprünglich wurde ein Erbbauzins für das Erbbaurecht i.H.v.
1.900 DM (bzw. 971,45 E) p.a. vereinbart. Das aufgrund des
Erbbaurechts errichtete Bauwerk dient zu Wohnzwecken. Zu
ermitteln ist der vertraglich und gesetzlich erzielbare Erbbauzins zum Wertermittlungsstichtag 18.03.2015.
Der »Gesamtlebenshaltungskostenindex des Statistischen
Bundesamtes für alle privaten Haushalte« trägt heute die Bezeichnung »Verbraucherpreisindex für Deutschland« (VPI).
Eine Indexverkettung entfällt somit. Dem VPI liegt zum
Wertermittlungsstichtag das Basisjahr 2010 = 100 zugrunde;
die Wertsicherungsklausel im Erbbaurechtsvertrag vom
29.11.1996 bezieht sich jedoch auf den Indexstand im Monat
Januar 1998 mit Basisjahr 1991 = 100. Daher ist eine Umbasierung der Punktezahl auf das Basisjahr 2010 = 100 notwendig.
Die Umbasierung der dem Vertrag zugrunde liegenden Punktezahl X1991 = 10 Punkte (Basisjahr 1991 = 100) auf das Basisjahr 2010 = 100 erfolgt mithilfe der vom Statistischen Bun-
12
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2016
Anpassung
bei Indexstand
Erbbauzins
01/98
83,7
0%
83,7 + 7,0
4 90,7
971,45 E
04/04
90,9
90,9 / 83,7
= 1,0860
= 8,60 %
90,9 + 7,0
4 97,9
971,45 E x
1,0860
= 1.054,99 5
03/08
98,3
98,3 / 90,9
= 1,0814
= 8,14 %
98,3 + 7,0
4 105,3
1.054,99x
1,0814
= 1.140,87 5
03/13
105,6
105,6 / 98,3
= 1,0743
= 7,43 %
105,6 + 7,0
4 112,6
1.140,87x
1,0743
= 1.225,64 5
02/15
106,5
106,5 / 105,6
= 1,0085
=0,85 %
4 112,6
Die Kappungsgrenze K berechnet sich hiernach zu:
Der vertraglich erzielbare Erbbauzins i.H.v. 1.734,92 E liegt
unter der Kappungsgrenze – eine Kappung ist somit nicht notwendig. Damit beträgt der vertraglich und gesetzlich erzielbare Erbbauzins zum Wertermittlungsstichtag 1.734,92 E p.a.
Veränderung
seit letzter
Anpassung
1.225,64 E
Der obere Schwellenwert wurde erstmals im April 2004 erreicht; eine Anpassung war möglich. Erneute Anpassungen
konnten im März 2008 und März 2013 erfolgen. Eine weitere
Erhöhung ist zum Wertermittlungsstichtag im März 2015 aufgrund der Indexveränderung noch nicht gegeben, da die
7-Punkte-Grenze noch nicht erreicht ist (hier: 106,5–105,6 =
0,9 Punkte). Außerdem wäre eine Anpassung erst frühestens
nach 3 Jahren seit der letzten Erhöhung des Erbbauzinses zulässig (Zeitgrenze gemäß § 9a ErbbauRG).
Die Billigkeitsprüfung ergibt,26 dass der vertraglich erzielbare
Erbbauzins i.H.v. 1.225,64 E unter der Kappungsgrenze liegt
und somit dem vertraglich und gesetzlich erzielbaren Erbbauzins entspricht.
Hinweis: Das Statistische Bundesamt stellt online ein interaktives Programm (Rechenhilfe zur Anpassung von Verträgen)
zur Verfügung. Dieses Programm unterstützt eine Punkteberechnung nur bis zu einem Berechnungsstart bis Dezember
2002. Ab Januar 2003 wird mit diesem Programm nur noch
eine Berechnung in Prozenten durchgeführt.
23 Der Indexwert »Januar 1993« entspricht dem »1. Quartal 1993«.
24 Veröffentlicht in: »Anleitung für die Berechnung von Schwellenwerten und Veränderungsraten für Wertsicherungsklauseln«, Stand: Februar 2013, Statistisches
Bundesamt, Wiesbaden.
25 Verbraucherpreisindex, Basis 2010 = 100.
26 Auf eine Darstellung der Billigkeitsprüfung wird an dieser Stelle verzichtet.
Abhandlungen
Seitz, Fehlerquelle bei Verkehrswertermittlung im Zusammenhang mit Erbbaurechten
Seit mehreren Jahren weist das Statistische Bundesamt darauf
hin, Wertsicherungsklauseln eine Prozentregelung zugrunde
zu legen und empfiehlt, dass bestehende Klauseln mit Punkteregelung auf Prozentregelung umgestellt werden.
Nachteilig bei Punkteregelungen ist neben der Tatsache, dass
eine Umbasierung auf alte Basisjahre statistisch nicht sinnvoll
ist, der hohe rechnerische Aufwand und die für Laien oft
wenig nachvollziehbare Berechnung einer solchen Umbasierung.
5.3 Verträge ohne Anpassungsklausel
Beispiel 3 »ohne Wertsicherungsklausel«: In der Bewilligung vom 09.12.1973 wurde ein Erbbauzins – ohne Anpassungsklausel – i.H.v. 20.000 DM p.a. bzw. 10.225,84 E p.a.
vereinbart. Wertermittlungsstichtag ist der 15.09.2014.
Ist keine Anpassungsklausel im Erbbaurechtsvertrag vereinbart, so besteht in solchen Fällen dennoch ein Erhöhungsanspruch, wenn eine »Störung des Äquivalenzprinzips«, also ein
Ungleichgewicht zwischen Leistung und Gegenleistung vorliegt.
Gemäß BGH-Urteil vom 03.05.1985 (V ZR 23/84) liegt eine
Störung des Äquivalenzprinzips vor, wenn sich die Lebenshaltungskosten27 seit Vertragsabschluss bzw. der letzten Anpassung um mehr als 150 % erhöht haben bzw. ein Kaufkraftschwund von mehr als 60 % eingetreten ist. Hierbei ist grundsätzlich auf die Monatsindizes abzustellen, nicht auf die
Jahresindizes (Entscheidungsgründe zum BGH–Urteil vom
03.05.1985). Betrachtet wird der Zeitraum seit Vertragsabschluss bis zum Wertermittlungsstichtag.
Bei einer vorliegenden Störung des Äquivalenzprinzips ist der
erhöhte Erbbauzins (EZ‘) gemäß BGH-Urteil in Abhängigkeit
der Entwicklung der Lebenshaltungskosten (DLHK) und der
Entwicklung der Einkommensverhältnisse (DArb, DAng)
nach folgender »Formel« zu bestimmen:
(EZ0 . . . ursprünglich vereinbarter Erbbauzins, DLHKM . . .
Änderung der Lebenshaltungskosten seit Vertragsabschluss,
DArbM . . . Änderung des Index der Bruttolöhne der Arbeiter
seit Vertragsabschluss, DAngM . . . Änderung des Index der
Bruttogehälter der Angestellten seit Vertragsabschluss)
Die Veröffentlichung der Indizes der Bruttomonatsverdienste
von Arbeitern und Angestellten wird, wie bereits erwähnt, seit
Januar 2007 nicht mehr fortgeführt (vgl. Abb. 2). Hier muss
also auf die »Verdienstindizes für Erbbauzinsberechnungen«
(Index der Bruttomonatsverdienste vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer (ohne Sonderzahlungen)) zurückgegriffen wer-
den, die abweichend von den o.g. Index-Vorgaben des BGH
definiert sind und als Quartalsmittelwerte veröffentlicht werden.
In Anlehnung an Gilich/Simon28 ergibt sich nachstehende
»modifizierte BGH-Formel« zur Berechnung des erhöhten
Erbbauzinses (EZ‘‘):
(EZ0 . . . ursprünglich vereinbarter Erbbauzins, DVPIQ . . .
Änderung der Lebenshaltungskosten seit Vertragsabschluss
als Quartalsmittelwert, DVDIQ . . . Änderung der Einkommensverhältnisse seit Vertragsabschluss als Quartalsmittelwert)
Praktische Bedeutung (Stand 2015)
Bei Vertragsabschlüssen aus den 1950/60er Jahren wurden
Anpassungen überwiegend in den Jahren 1984/85 nach
BGH-Rechtsprechung vorgenommen. Seit dieser Zeit ist der
LHK/VPI bis 2015 um rd. 70 % gestiegen und liegt somit weit
unter der »Opfergrenze« von 150 %. Die Grenze von 150 % ist
erst ab einem Anpassungszeitraum von 1974/75 bis heute
überschritten. Seit Mitte der 1980er Jahre sind die jährlichen
Preissteigerungen jedoch niedriger als noch in den 1970er Jahren. Wenn die Inflationsrate weiterhin unter 2 % bleibt, wird es
noch lange dauern, bis eine Äquivalenzstörung vorliegt.
Zu Beispiel 3 »ohne Wertsicherungsklausel«
Um zu ermitteln, ob zum Wertermittlungsstichtag 15.09.2014
ein Erhöhungsanspruch bezüglich des ursprünglich mit Bewilligung vom 09.12.1973 vereinbarten Erbbauzinses i.H.v.
von 10.225,84 E p.a. besteht, ist eine Überprüfung in zwei
Teilschritten vorzunehmen:
Zunächst wird überprüft, ob ein Erhöhungsanspruch besteht
(»Störung des Äquivalenzprinzips«) – d.h. ob sich die Lebenshaltungskosten seit Vertragsabschluss um mehr als 150 % erhöht haben.
Falls dies bejaht werden kann, ist im zweiten Schritt der erhöhte Erbbauzins (EZ‘‘) gemäß der modifizierten BGH-Formel in
Abhängigkeit der Entwicklung der Lebenshaltungskosten und
der Entwicklung der Einkommen zu bestimmen.
27 Im Urteil wird Bezug genommen auf den Index für 4-Personen-Haushalte von
Arbeitern und Angestellten mit mittlerem Einkommen.
28 Gilich, T./Simon, Th., a.a.O., GuG 2008, 99; darin wird beispielhaft eine Erbbauzinsanpassung unter Heranziehung des Lebenshaltungs- sowie des Verbraucherpreisindex sowie Umstellung auf den neuen Index der Arbeitnehmerverdienste
dargestellt.
GuG 1
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2016
13
Abhandlungen
Seitz, Fehlerquelle bei Verkehrswertermittlung im Zusammenhang mit Erbbaurechten
Schritt 1: Überprüfung des Erhöhungsanspruchs
C. vertraglich und gesetzlich erzielbarer Erbbauzins
Folgende Indizes wurden vom Statistischen Bundesamt veröffentlicht:
Gemäß der »modifizierten BGH-Formel« ermittelt sich der
vertraglich und gesetzlich erzielbare Erbbauzins (EZ‘‘) zu:
Verbraucherpreisindex
(2010 = 100)
Preisindex für die
Lebenshaltung
(1995 = 100)
Oktober 1973
—
49,0
November 1973
—
49,6
Dezember 1973
—
49,9
Dezember 1999
85,0
105,2
Juli 2014
107,0
—
August 2014
107,0
—
September 2014
107,0
—
Somit besteht zum Wertermittlungsstichtag im September
2014 aufgrund der Äquivalenzstörung eine Erhöhungsmöglichkeit des ursprünglich mit Bewilligung vom 09.12.1973
vereinbarten Erbbauzinses um 24.185,13 E!
Der Einfluss des Erhöhungsbetrags auf den Ertragswert des
Erbbaurechts ist beispielhaft in Abb. 4 dargestellt.
Die Steigerung der Lebenshaltungskosten im Zeitraum Dezember 1973 bis September 2014 ermittelt sich unter Berücksichtigung des Verkettungsmonats Dezember 1999 zu:
(105,2 / 49,9) * (107,0 / 85,0) *100–100 = rd. 165 %
Die vom BGH festgesetzte »Opfergrenze von 150 %« ist überschritten; eine Störung des Äquivalenzprinzips liegt vor.
Schritt 2: Berechnung der Erhöhung des Erbbauzinses
A. Steigerung der Lebenshaltungskosten
Zur Berechnung der Steigerung der Einkommen (Arbeiter und
Angestellte) werden die Quartalsmittelwerte vom 4. Quartal
1973 (umfasst die Monate Oktober, November, Dezember)
und 3. Quartal 2014 (umfasst die Monate Juli, August, September) herangezogen. Dementsprechend wird die Steigerung
der Lebenshaltungskosten ebenso aus Quartalsmittelwerten
gebildet, welche zunächst berechnet werden müssen. Die Verkettung des Lebenshaltungskostenindex mit dem Verbraucherpreisindex muss auch hier berücksichtigt werden.
Die Steigerung der Lebenshaltungskosten DVPIQ ermittelt
sich zu:
B. Steigerung der Einkommen
Die Steigerung der Einkommen DVDIQ ermittelt sich zu:
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Abbildung 4: Rentenbarwertfaktor in Abhängigkeit vom Liegenschaftszinssatz und der Restlaufzeit. Ein Fehler in der Berechnung des
vertraglich und gesetzlich erzielbaren Erbbauzinses (DEZ) schlägt auf
den Bodenwertanteil des Erbbaurechts unmittelbar mit dem Faktor des
jeweiligen Vervielfältigers (Rentenbarwertfaktor) durch. Anhand eines
Beispiels werden die Auswirkungen von DEZ auf den Ertragswert des
Erbbaurechts dargestellt – hier beispielhaft für DEZ = 24.185 5 (vgl.
Beispiel 3) bei 1) einem Liegenschaftszinssatz von 3 % sowie einer
Restlaufzeit des Erbbaurechts von 10 Jahren, 2) einem Liegenschaftszinssatz von 3 % sowie einer Restlaufzeit des Erbbaurechts von
90 Jahren, 3) einem Liegenschaftszinssatz von 7 % sowie einer Restlaufzeit des Erbbaurechts von 10 Jahren und 4) einem Liegenschaftszinssatz von 7 % sowie einer Restlaufzeit des Erbbaurechts von
90 Jahren.
5.4 Zusammenfassung
Der Abb. 5 ist zusammenfassend das Ablaufschema zur
Ermittlung des vertraglich und gesetzlich erzielbaren Erbbauzinses bei Bauwerken, die zu Wohnzwecken dienen, dargestellt. Das Ablaufschema ist nicht abschließend, sondern
bezieht sich auf die am häufigsten verbreiteten Erbbaurechtsverträge mit Bezug auf die Preisindizes für die Lebenshaltung
(Lebenshaltungskostenindex, Verbraucherpreisindex).
Seitz, Fehlerquelle bei Verkehrswertermittlung im Zusammenhang mit Erbbaurechten
Abhandlungen
Aufgrund der sich wandelnden Preisindexreihen der Statistischen Bundes- und Landesämter stellt die Ermittlung des
vertraglich erzielbaren Erbbauzinses eine gewisse Herausforderung an den Sachverständigen dar: Neben der Indexverkettung ist teils eine Umbasierung
auf neue Basisjahre notwendig
(Punkteregelung), die jedoch
vom Statistischen Bundesamt
stark kritisiert wird.
Die gesetzlichen Beschränkungen bei Erbbaurechten, die zu
Wohnzwecken dienen, ergeben
sich aus § 9a ErbbauRG. Um
die im Gesetzestext verbal formulierten Kappungsgrenzen29
von Erbbauzinshöhen in für
den Sachverständigen anwendbare Formeln zu verwandeln, ist
auf BGH-Urteile zurückzugreifen. Diese wiederum beziehen sich häufig auf »veraltete«
Preisindexreihen, die eine Anpassung an heutige Datensätze
notwendig machen.
Abbildung 5: Ablaufschema zur Ermittlung des vertraglich und gesetzlich erzielbaren Erbbauzinses für
Wohnerbbaurechte (nicht abschließend)
6 Fazit
Die Fehlerquelle bei der Verkehrswertermittlung im Zusammenhang mit Erbbaurechten ist häufig bei der Ableitung des
vertraglich und gesetzlich erzielbaren Erbbauzinses zu finden.
Der vertraglich und gesetzlich erzielbare Erbbauzins ist maßgebend bei der finanzmathematischen Methode zur Ermittlung der Bodenwertanteile des mit dem Erbbaurecht belasteten Grundstücks (Erbbaugrundstück) und des Erbbaurechts.
Die vertraglichen Vereinbarungen zum erzielbaren Erbbauzins ergeben sich aus dem Erbbaurechtsvertrag einschließlich
aller Nachträge. Fehlende Erkenntnisquellen hierzu führen bereits bei diesem Rechenschritt zu Informationsdefiziten und
somit zu fehlerhaften Gutachten.
Albert M. Seitz
von der Industrie- und Handelskammer zu Köln öffentlich
bestellter und vereidigter Sachverständiger für die Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken
Peter-Kintgen-Straße 2
50935 Köln
Fon: 0221/4992095
E-Mail: [email protected]
29 Vgl. § 9a ErbbauRG: Ein Anspruch auf Erhöhung des Erbbauzinses besteht nur,
soweit diese unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nicht unbillig ist. Ein Erhöhungsanspruch ist regelmäßig als unbillig anzusehen, wenn und
soweit die nach der vereinbarten Bemessungsgrundlage zu errechnende Erhöhung über die seit Vertragsabschluss eingetretene Änderung der allgemeinen
wirtschaftlichen Verhältnisse hinausgeht.
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