Leitlinien für eine zukunftsfähige EU Agrarpolitik - Agrar

66. Öffentliche Hochschultagung am 4. Februar 2016
“Die großen Weichenstellungen? Agrar- und Ernährungspolitik, nach 2020“
Leitlinien für eine zukunftsfähige EU-Agrarpolitik:
Die Sicht eines Agrarökonomen*
Prof. Dr. Dr. h.c. P. Michael Schmitz
Institut für Agrarpolitik und Marktforschung
Justus-Liebig-Universität Gießen
Trotz der aktuell schwierigen Preis- und Einkommenssituation für die Landwirtschaft sollte die EUAgrarpolitik den in wichtigen Teilen begonnenen Kurs einer Marktorientierung auch nach 2020 fortsetzen
und sich nicht durch marktwidrige rückwärtsgewandte Reformvorschläge verunsichern lassen. Zur Marktorientierung gehören dabei zweifellos
• offenere Grenzen und internationale Arbeitsteilung mit Partnern der EU und außerhalb (konkret:
Abbau von tarifären und nichttarifären Handelshemmnissen und Verzicht auf Exporterstattungen);
• Verzicht auf produktionslenkende Eingriffe durch staatliche oder staatlich legitimierte Institutionen/Organisationen;
• Abschaffung gekoppelter Direktzahlungen und Beschränkung marktstützender Interventionen auf
Ausnahmefälle.
Über die Direktzahlungen ist nach 2020 neu nachzudenken. Alle bisherigen Begründungen halten einer
gründlichen Überprüfung nicht stand.
• Als Instrument der Einkommenssicherung müssten sich die Direktzahlungen an der individuellen
Einkommens- und Vermögenssituation der Haushalte in den einzelnen EU-Mitgliedsländern und
deren steuer- und sozialpolitischen Normen orientieren und nicht an sektoralen oder EU-weiten
Durchschnittswerten;
• Als pauschaler Ausgleich für höhere Standards in der EU fehlt den Direktzahlungen der quantifizierbare Beleg, die damit verbundene notwendige Ausdifferenzierung und das Alleinstellungsmerkmal im Vergleich zu anderen, ebenfalls von Standards belasteten Sektoren in der EU;
• Als Instrument für konkrete Umweltleistungen fehlt den Direktzahlungen die Orientierung an den
jeweiligen lokalen/regionalen Knappheiten der verschiedenen Umweltgüter und damit mangelt es
an Treffsicherheit.
Wenn man den in der 1. Säule bislang verankerten pauschalen Einkommenstransfer deshalb nicht an der
tatsächlichen individuellen Einkommenssituation der landwirtschaftlichen Haushalte orientieren möchte,
verbleibt lediglich das Argument des Vertrauensschutzes für eine zeitlich begrenzte Fortführung der Direktzahlungen. Dabei wäre zu akzeptieren, dass ein Teil der Direktzahlungen an die Grundeigentümer
überwälzt wird und nicht den aktiven Landwirten zu Gute kommt.
Dass aber eine marktwirtschaftliche Orientierung auch ihre Grenzen hat, ist unstrittig. Dann ist Politik in
der Verantwortung. Manchmal helfen allerdings schon weiche Eingriffe, um Märkte wieder funktionsfähig
zu machen bzw. die Wettbewerbsfähigkeit agrar- und ernährungswirtschaftlicher Branchen marktnah zu
stärken. Die Förderung von Forschung und Entwicklung, von Weiterbildung und Beratung sowie die
Schaffung von Markttransparenz und Bereitstellung von Marktinformationen sind Beispiele dafür. In vielen
Fällen des Marktversagens sind aber zweifellos ordnungsrechtliche Eingriffe oder marktkorrigierende
Schutzpolitiken über Steuern bzw. handelbare Rechte notwendig. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass dabei
häufig gravierende Fehler passieren, also Politikversagen vorliegt, weil
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die volkswirtschaftlichen Kosten von Maßnahmen nicht voll erfasst und keine Alternativen geprüft
werden (z.B. bei der Energiewende);
die kumulative Wirkung zahlreicher Einzelmaßnahmen für die landwirtschaftlichen Betreibe unterschätzt und damit deren Wettbewerbsfähigkeit geschwächt wird (z.B. Fachrecht und vorgeschlagene Pflanzenschutzmittelbesteuerung);
durch nationale Alleingänge Marktanteile verloren gehen (z.B. frühzeitiges Verbot der Käfighaltung);
an falschen Bemessungsgrundlagen angesetzt wird und dadurch marginale Umweltverbesserungen mit hohen volkswirtschaftlichen Kosten erkauft werden (z.B. Schließung der Eiweißlücke in
der EU zur Rettung des Regenwaldes);
Politik gefühlte und medial befeuerte Ängste im Rahmen einer modernen Landbewirtschaftung
höher bewertet werden als fachlich fundierte und wissenschaftlich belegte Sachzusammenhänge
und Fakten.
Um solche Fehler zukünftig zu vermeiden, sind u.a. auch alle Maßnahmen der 2. Säule noch einmal auf
ihre Treffsicherheit und Effizienz hin zu untersuchen, wie es der Europäische Rechtshof regelmäßig anmahnt und es bei einer weiteren Mittelaufstockung auch dringend notwendig wäre. Und dass bei allen
berechtigten Schutzpolitiken (Umwelt-, Natur-, Klima-, Tier- und Verbraucherschutz) auch die Erzeuger
und ihre Familien zu schützen sind, sollte selbstverständlich sein. Ohne Sicherung der wirtschaftlichen
Grundlagen der Betriebe sind auch die ökologischen und sozialen Komponenten der Nachhaltigkeit gefährdet.
* Kurzfassung eines gleichnamigen Vortrags anlässlich der 66. Öffentlichen Hochschultagung der Agrar- und Ernährungswissenschaftlichen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel am 4. Februar 2016 mit
Weichenstellungen? Agrar- und Ernährungspolitik nach 2020“
dem Leitthema „Die großen