Gastkommentar Die Presse – China – Der Große Sprung zurück

26 DEBATTE
MITTWOCH, 14. OKTOBER 2015
China vor einem Großen Sprung zurück?
Gastkommentar. Chinas „Wirtschaftswunder“ droht zu verblassen. Sollte die KP nicht imstande sein, eine tief greifende
Rezession abzuwenden, könnte dies eine schwere Legitimitätskrise auslösen. Und eine Weltwirtschaftskrise obendrein.
mehr diluiert. Laut McKinsey
schnellte die Kreditmenge seit 1994
von knapp einer halben Billion USDollar auf mindestens 28 Billionen
hoch – explosionsartig seit der Finanzkrise 2008, da man mit Brachialgewalt gegen die drohende Krise
inflationierte. Damit hat sich die
Lage dramatisch zugespitzt.
Das rasante Geld- bzw. Kreditmengenwachstum hat dazu geführt, dass das Land mittlerweile
die höchsten Schuldenstände (öffentliche Hand, Privatpersonen
und Unternehmen kumuliert) im
Verhältnis zum BIP weltweit aufweist. Die Banken üben sich bereits
in mehr Zurückhaltung – die Geldmenge wächst so schwach wie seit
über 15 Jahren nicht mehr.
Es sind jede Menge faule Kredite im Umlauf, die in der Euphorie
ewigen Wachstums ohne genaue
Prüfung für unproduktive und verschwenderische Investitionen vergeben worden sind.
VON RONALD-PETER STÖFERLE
UND MARK VALEK
T
urbulent geht es zu auf dem
chinesischen Aktienmarkt!
Nachdem sich der Shanghai
Composite Index innerhalb eines
Jahres mehr als verdoppelt hat,
sorgt seit Juni eine herbe Talfahrt
von knapp 40 Prozent weltweit für
Nervosität unter den Anlegern. Eine
Rezession der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt hätte gravierende Folgen – weit über Chinas Grenzen hinaus. In Anbetracht dessen
vollzogen zuletzt Rohstoffe und Aktienindizes eine massive Korrektur.
Um das „chinesische Wirtschaftswunder“, das gerade zu verblassen droht, zu verstehen, lohnt
sich eine historische Reflexion.
Nachdem in der politisch wie wirtschaftlich fast vollständig isolierten
Volksrepublik die Zustände gegen
Ende der Mao-Ära unhaltbar geworden waren, leitete die KP-Führung unter Deng Xiaoping ab 1979
schrittweise ökonomische Reformen ein, die einen rasanten Aufschwung einleiteten.
Permanentes Experimentieren
Die planwirtschaftliche Praxis hatte zu massiven sozialen und wirtschaftlichen Problemen und damit
zu einer Legitimitätskrise der KP
geführt. Denn die kommunistische
Führung verfügte augenscheinlich
nicht über das notwendige Rüstzeug, um das Land ins sozialistische Paradies zu führen – ihr Alleinführungsanspruch lag jedoch
genau darin begründet.
Um dieses Legitimitätsproblem
zu lösen, bediente sich Deng paradoxerweise internationaler Best
Practices, die er ausgerechnet dem
institutionellen Arsenal des Kapitalismus entlehnte. Dazu zählten
wirtschaftliche Liberalisierungen,
Stärkung von Eigentumsrechten
sowie eine vorsichtige internationale Öffnung. Man begab sich auf
eine Gratwanderung, die viel Fingerspitzengefühl verlangte, um die
ergriffenen Maßnahmen in den
Kontext einer auf fundamentalen
marxistisch-leninistischen Prinzipien beruhenden praktischen Ideologie einzuordnen.
Resultat war und ist ein andauerndes Experimentieren mit institutionellen Veränderungen, die jeweils der operativen Lösung aktueller Probleme dienen und damit
Teil eines einzigartigen graduellen
und adaptiven Transformations-
prozesses sind. So hat sich eine dynamische und in vielen Zügen
marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung herausgebildet, im Rahmen derer über Jahrzehnte hinweg
Kapitalaufbau und die viel beachteten BIP-Zuwächse von knapp zehn
Prozent im Jahr erzielt wurden. Die
Bedeutung sozialistischer Etikettierung zur ideologischen Zementierung des Führungsanspruchs der
KP ging dabei kontinuierlich zurück und wurde durch eine Leistungslegitimierung ersetzt.
Dies wiederum bedeutet, dass
die politische Stabilität in China
mehr als andernorts davon ab-
hängt, inwieweit die Bevölkerung
(vor allem die Mittelschicht) die
Wirtschaftspolitik gutheißt. Schließlich kann sich der Unmut über eine
erfolglose Regierung nicht einfach
in deren Abwahl artikulieren. Da
seit Entfesselung der Marktkräfte
auch die raffende Hand der Parteikader um sich greift – sprich: politische Macht zur privaten Abschöpfung eines guten Teils des Wohlstandszuwachses genutzt wird –,
bedarf es eines außergewöhnlichen
Wirtschaftswachstums, um die Mittelschicht mit manierlichen Lohnund Vermögenszuwächsen bei Laune zu halten.
DIE AUTOREN
Mag. Roland-Peter
Stöferle (* 1980 in
Wien) studierte Betriebswirtschaftslehre und
Finanzwirtschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien sowie in den USA. War
zunächst Mitarbeiter der Raiffeisen
Zentralbank, danach als Analyst bei der
Erste Group. Derzeit Mitglied der
Geschäftsführung der Incrementum AG
mit Sitz in Liechtenstein.
PIZZICATO
Innere Stadt, quo vadis?
N
ur hauchdünn konnte die ÖVP in Wien I den Bezirksvorsteher
halten. Bei den Stimmen für den Gemeinderat fiel sie im ersten
Bezirk gar hinter SPÖ und FPÖ zurück, während die Neos stark abschnitten. Die Innere Stadt ist auch nicht mehr das, was sie mal war.
Frau Hofrat: Grüß Gott, Frau Gräfin! Kalt is’ worden, nicht wahr?
Höchste Zeit, unsere Pelzmäntel wieder rauszuholen.
Frau Gräfin: Grüß Sie, Frau Hofrat! Den Pelzmantel habe ich versetzt.
Ich wähle jetzt nämlich rot und kaufe wie diese Arbeiter beim
H&M ein. Beim H&M am Graben, versteht sich. Man hat ja Stil.
Frau Hofrat: Ich trage den Pelz auch nur zum Skatebrettfahren. Ich
will das so gut können wie mein Idol, der Herr Alm von den Neos.
Frau Gräfin: Ja, früher haben wir alle wie er nur Brett und Nudelsieb
gehabt. Und waren glücklich. Wo ist denn der Herr Gemahl heute?
Frau Hofrat: Ach, der hat FPÖ gewählt. Jetzt steht er vorm Meinl und
demonstriert, damit nicht ein Mohr bei uns die Überhand gewinnt.
Frau Gräfin: Und sagen Sie mal, was wurde eigentlich aus der Partei,
die wir früher alle miteinander gewählt haben. Die Dings, die . . .
Frau Hofrat: Ach, die Wiener ÖVP. Schad’ ist um sie. Die soll jetzt aber
wieder einen neuen Chef kriegen. Da kommt so ein Junger mit B . . .
Frau Gräfin: Ah, der Busek wahrscheinlich. Ob das endlich wieder
ein ÖVPler ist, der was für unsereiner tut?
(aich)
Reaktionen an: [email protected]
Mark Valek (* 1980 in
Mödling) studierte
Betriebswirtschaft an
der Wirtschaftsuni Wien.
Arbeitete in verschiedenen Positionen
für die Raiffeisen Zentralbank. Seit 2013
Partner der Incrementum AG; Lektor am
Institut für Wertewirtschaft in Wien und
Referent an der Wiener Börse Akademie.
Koautor des Ratgebers „Österreichische
Schule für Anleger“.
[ Fotos: Privat]
LESERPOST
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Die Presse, Hainburger Straße 33,
A-1030 Wien oder an
[email protected]
Der Kleinere hat immer
die schwächere Position
„Michael Häupls großer Duellschmäh“, Leitartikel von Rainer
Nowak, 12. 10.
Der Analyse des Wahlausgangs
und den skizzierten Zukunftsaussichten der Wiener Parteien kann
man vorbehaltlos zustimmen. Und
dass die Bundes-ÖVP die Wiener
ÖVP monatelang völlig alleingelassen hat, war ein riesiger Fehler.
Allerdings fordern die letzten
Sätze zur Bundes-ÖVP, in denen es
heißt: „Das kindische Gejammer
über den Koalitionspartner ist eine
Ausrede, die keiner mehr hören
will“ Widerspruch heraus. Der kleinere Regierungspartner hat immer
die schwächere Position. Wenn
man dann auf einen Koalitions-
Doch wie nachhaltig ist der
Aufschwung? Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass nur ein
geringer Teil des nominalen
Wachstums als wirklicher Wohlstandszuwachs infolge der Liberalisierungen zu werten ist, wohingegen das Gros auf den exzessiven
Umgang mit einer planwirtschaftlichen Residualinstitution zurückzuführen ist: einem staatlich gelenkten Kreditboom.
Rasantes Geldwachstum
Grundsätzlich unterscheidet sich
China hierin wenig von westlichen
Industriestaaten. Es herrscht jeweils eine auf Schulden basierende
Geldordnung vor, in der Banken
Giralgeld erzeugen, indem sie Kredite vergeben. Über Regulierungen
(u. a. der Zinsen und Mindestreservesätze) können Zentralbanken
Einfluss auf den Geldschöpfungsprozess nehmen, die Kreditexpansion forcieren und damit die Konjunktur oberflächlich beleben.
Eine dauerhafte Anwendung
dieses Mittels führt zu Verzerrungen in der Kapitalstruktur und zu
Fehlallokationen, da etliche unrentable Investitionsprojekte angestoßen werden. Das Fundament der
realen Ersparnis wird dabei immer
partner trifft, der zu jeder noch so
vernünftigen Initiative Nein sagt,
zu keinerlei Reform zu bewegen ist
und dessen Gewerkschaften nicht
mehr wissen, wo die Grenzen der
Zumutbarkeit sind, bleibt einem
der Erfolg versagt. Der ÖVP ist daher anzuraten, zur nächsten politisch opportunen Möglichkeit aus
dieser Koalition auszuscheiden,
falls die SPÖ bei dieser Linie bleibt.
Eine rot-schwarze Koalition
wird neu zu bewerten sein, wenn
sich tatsächlich laut Häupl „in der
Partei“ etwas ändern sollte.
Dr. Christian Leydolt, 1090 Wien
Selbsttäuschung gehört
zum grünen Programm
„Grüne: Koalition über alles“, von
Köksal Baltaci, 13. 10.
Es ist wenig überraschend, dass für
Frau Vassilakou – entgegen ihrer
Ankündigung – ein Rücktritt kein
Thema ist. Das wirft nicht nur ein
schlechtes Bild auf sie selbst und
auf die Grünen, es ernüchtert letztendlich auch die Wähler. Die Grünen stellen sich gern als Sauber-
Brandgefährliche Deflation
Brandgefährlich ist in einem solchen Umfeld Deflation, da bei sinkenden Preisen der Schuldner den
Schuldendienst womöglich nicht
mehr leisten kann und so eine Kettenreaktion auslöst, bei der Kredite
und damit das mit ihnen geschaffene Geld evaporieren. Zwar hätte
ein solcher deflationärer Vorgang
einen reinigenden Effekt, da er
Fehlinvestitionen aufdecken und
den wirtschaftlichen Prozess wieder in Einklang mit den tatsächlichen Ersparnissen bringen würde.
Aber die Verwerfungen der damit
einhergehenden Rezession würde
kaum eine Regierung verkraften.
Folglich ist man versucht, Deflation um jeden Preis zu vermeiden.
Mit welchen reflationären
Maßnahmen wird die Chinesische
Volksbank als nächstes aufwarten?
Fest steht: Sollten die KP und ihre
institutionellen Ausleger nicht imstande sein, eine tief greifende Rezession abzuwenden, könnte dies
eine schwere Legitimitätskrise auslösen. Und eine Weltwirtschaftskrise obendrein. Den Kern dieses
ernsten Problems bildet das inflationistische, staatliche FIAT-Geldsystem. Nur selten wird dies als wesentlicher Mitverursacher von den
diversen Wirtschaftskrisen erkannt.
Und praktisch nie wird dieses System im öffentlichen Diskurs infrage
gestellt.
E-Mails an: [email protected]
männer/-frauen dar. Sobald sie
aber selbst am Futtertrog der
Macht sitzen, nehmen sie es mit
ihren Versprechen dann doch
nicht mehr so genau.
Bis kurz vor der diesjährigen
Wahl war die Änderung des Wahlrechts für sie kein Thema, obwohl
bereits vor der Wahl 2010 vertraglich mit den anderen Oppositionsparteien vereinbart. Mit ihren
Wahlversprechen wird es Maria
Vassilakou wohl ähnlich handhaben wie mit ihrer Rücktrittsansage vor der Wahl – sie wird sich
selbst ignorieren.
Aber Selbsttäuschung gehört
bekanntlich genauso zum Programm der Ökopartei wie zur
Lebenshaltung ihrer Anhänger.
Nicht umsonst ist der durchschnittliche Grün-Wähler für eine
multikulturelle Gesellschaft, will
seine Kinder dieser aber dann
doch nicht aussetzen und schickt
sie auf teure Privatschulen. Genauso wie er stets lauthals für die Umwelt eintritt, aber gern fliegt und
mit dem SUV herumkurvt.
Felix Gasslitter, 1070 Wien