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D POLITIK D
Dienstag, 2. Juni 2015
Dienstag, 2. Juni 2015
D POLITIK D
Die Lehren aus der Wahl
In den Landtagswahlen am Sonntag verzeichneten
SPÖundÖVPihrjeweilsschlechtestesErgebnisinder
Geschichte der Zweiten Republik. Genauso gab es im
Burgenland die historisch größten
Stimm- und Mandatsverschiebungen seit 1955.
Überhaupt nie und
nirgends hat eine
Partei wie die FPÖ in
der Steiermark über
16 Prozentpunkte
dazugewonnen. Das
führt zur Frage,
welche Lehren die rotschwarzen Regierungsparteien daraus ziehen.
„Krone“-Analyst Peter Filzmaier
nennt sechs Punkte, die die
Regierung nach dem Wahlschlamassel vom vergangenen Wochenende beachten
sollte.
1. Die Niederlagen in
den Ländern sind nicht
hausgemacht. SPÖ und
ÖVP liegen in bundesweiten
Umfragen noch schlechter.
Das Hauptproblem ist, dass
mit ihrer Regierungsarbeit
fast niemand „sehr“ zufrieden ist. In der Steiermark und
im Burgenland waren es nach
den Daten der ORF-Wahlforschung fünf (!) Prozent,
also nur jeder zwanzigste
Wahlberechtigte.
Warum sollte es anderswo
besser sein? Selbst die Summe von mit der Regierung
„sehr“ und „eher“ zufriedenen Österreichern ergibt
bloß 40 Prozent und somit
keine rot-schwarze Mehrheit. Eine Antwort darauf
lautet, dass wir auf hohem
Niveau jammern. Im Vergleich zu Griechenland
stimmt das.
Einem besorgt in die Zukunft blickenden Wähler
müsste trotzdem erklärt
werden, ob und wie SPÖoder ÖVP-Politiker seine
Lebenssituation verbessern.
Das ist mit der Steuerreform nicht gelungen.
2. Die Mehrheit der
Wähler empfindet in
wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht eine Negativentwicklung. Neben
Zuwanderung und Sicherheit waren Arbeitsplätze das
von rund 25 bis fast 50 Prozent der Anhänger aller Parteien meistdiskutierte Thema. Diese Stimmungslage
voller Ängste kann von keiner Partei geändert werden.
Die Weltwirtschaftskrise
wird nicht in Wien, Graz
oder Eisenstadt gelöst.
SPÖ und ÖVP sind jedoch kläglich gescheitert, dass sie als taugliche Krisenmanager gesehen werden, um uns
vor dem schlimmsten
zu bewahren. FPÖAnhänger
glauben
keineswegs,
dass
Heinz-Christian
Strache die Welt rettet. Bloß mangels
Vertrauen in die Lösungskompetenz der Regierung
sind ihm viele Proteststimmen sicher.
3. Was immer SPÖ
und ÖVP tun - sie müssen aufhören, es in ihrer Kunstsprache des
typischen Politiksprechens zu kommunizieren. Am Wahlsonntag
entstand der Eindruck,
man will nach der verlorenen Wahl die Weltmeisterschaft der Worthülsen gewinnen. Übrig blieb, dass
ein Minus nicht schöngeredet werden darf, jeder sich
alles genau anschauen
muss, es viele Gründe gibt
und keiner etwas ändern
möchte.
Landeshauptmann
Franz Voves rechnete vor,
dass 28 bis 29 Prozent der
Stimmen seinen von ihm
für jedes Resultat unter 30
Prozent
angekündigten
Rücktritt nicht erforderlich machen. Das wider-
spricht den Grundregeln
der Mathematik.
4. Der Wähler hat
Recht. Das ist ein Stehsatz der Politiker. Ehrlicher wäre es, direkt
zu sagen, was am Wählerwillen unverständlich ist. Das Wunschdenken der Wahlberechtigten
ist nicht immer logisch. In
der Steiermark wollten
zwei Drittel ein Nulldefizit
und gleichzeitig Budgeterhöhungen für Sozialleistungen. Sparen, das sind
stets die Anderen. Niemand
will Opfer einer Sparmaßnahme sein. Ist das die Erkenntnis aus der Wahl in
der Steiermark das burgenländische
Gegenmodell?
Nämlich zu tun, als würden
Landesfürsten für alle
Ewigkeiten
das
unerschöpfliche Füllhorn über
die Bürger ausschütten?
Kärnten lässt grüßen. Die
Spendierhosen-Politik
kann nicht der Weisheit
letzter Schluss sein.
5.Vor allem die SPÖ
hat starke Verluste an
das
Nichtwählerlager
erfahren. Gerade im Hinblick auf die Wiener Landtagswahl im Oktober muss
sie sich fragen, ob ihre angeblich schlagkräftige Organisation in den meisten Ländern nicht ein Mythos ist. In
Graz etwa ist das sozialdemokratische Team auf die
Größe einer Kleinfamilie geschrumpft, die sich zudem
den Luxus von Familienkriegen leistet.
Die ÖVP mag in Niederund Oberösterreich Mobilisierungskraft
haben,
in
Wien ist die Zahl der Wahlkampftruppen in vielen Bezirken kleiner als eine
durchschnittliche Schulklasse. Die Regierungsparteien
haben Strukturen und Funktionärsdenken, die sich in
den siebziger Jahren bePeter Filzmaier ist Professor für Politikwissenschaft an der Donau-Universität Krems.
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währt hat. Heute tun sie es
nicht mehr.
6. Wahlkampf ist ein
Themenwettbewerb.
Geht es um Zuwanderung
und Sicherheit, so nützt das
der FPÖ. Genau das waren
die nach den Daten des
ORF von ihren Wählern am
meisten diskutierten TopThemen. Mehr als Hälfte
bis zu drei Viertel sprachen
darüber. Ein Gutteil der
SPÖ- und ÖVP-Sympathisanten ebenfalls.
Gleichzeitig gelingt es der
FPÖ perfekt, damit jedes
andere Thema zu überlagern. In der Arbeitsmarkt-,
Bildungs-,
Gesundheitsoder Verkehrspolitik wird
oft lediglich diskutiert wird,
ob Ausländer die Jobs wegnehmen. Oder zu viele Kinder mit nicht deutscher
Muttersprache in der Schule
sind. Oder ausländische
Pflegekräfte illegal sind. Im
Zweifelsfall sind Autos mit
ausländischen Kennzeichen
sogar an jedem Stau schuld.
So richtig die Kritik an
Vereinfachungen ist: Warum sind SPÖ und ÖVP
dem gegenüber so hilflos?