LESERFORUM Freie Presse Mittwoch, 9. September 2015 LESEROBMANN Darf ich vorstellen REINHARD OLDEWEME TELEFON: 0371 656-65666 (10-12 Uhr) TELEFAX: 0371 656-17041 E-MAIL: [email protected] F ür meine Kolumnen gibt es immer einen Grund: Ich möchte mit Ihnen, liebe Leser, über etwas reden, was mir auf der Seele liegt; für diese aber gibt es sogar zwei. Den ersten Anlass müsste ich eher für mich behalten, weil ich befürchte, dass meine Kollegen in der Redaktion – bescheiden und zurückhaltend wie Journalisten nun mal sind – es gar nicht so toll finden, dass ich Ihnen dies verrate: Seit einigen Wochen finden Sie im Internet auf der Homepage der „Freien Presse“ einen Link „Autoren“, der zu einer Übersicht mit den Ressorts und dann den Namen aller Redakteure führt. Klickt man einen an, kann man das von dem Kollegen bereitgestellte Profil seiner Person und seiner Tätigkeit in der Redaktion lesen. Warum ich Ihnen das verrate? Ganz einfach: Hat er überhaupt Ahnung von diesem Thema? Wo kommt er eigentlich her? Kann er überhaupt mitreden? Woher bezieht er sein Wissen? Ist er nicht zu jung für diese Aussage? Solche Fragen zu den Autoren von Artikeln in der Zeitung bekomme ich häufig gestellt, ich kann die Beweggründe fast immer nachvollziehen, und ich versuche dann, den direkten Kontakt zu meinen Kollegen herzustellen. Das neue Angebot im Internet hilft vielleicht manchmal schon weiter. Bevor Sie jetzt zum Computer eilen oder Kinder und Enkel bitten, mal das Smartphone (Handy mit Internet) rüberzureichen, gestehe ich lieber gleich: Ich war mal Musiker. Der zweite Grund ist ein etwas ernsterer. Zunächst formuliere ich ihn betont neutral: Wenn es um zeitgeschichtliche Themen mit einer unmittelbaren regionalen Relevanz geht, muss der Autor eines Artikels über die erforderliche Kompetenz verfügen. Weniger sachlich hat es kürzlich ein Leser ausgedrückt: „Wer die DDR nicht erlebt hat, sollte sich davor hüten, über sie zu schreiben oder sogar Rückschlüsse und Vergleiche mit heute zu ziehen“, sagte eine Anruferin, die sich beschweren wollte, weil „das nur ein Wessi gewesen sein kann“, der diesen Leitartikel verfasst hat. Mit Blick auf die Tatsache, dass wir in dreieinhalb Wochen den 25. Jahrestag der Wiedervereinigung feiern, sage ich bewusst: Diese Einstellung ist nicht richtig. Würde sie es sein, dürfte kein einziger Historiker über den Zweiten, geschweige denn über den Ersten Weltkrieg schreiben oder über Lehren und Konsequenzen daraus nachdenken, weil er nicht dabei war. Was aber für die Geschichtsexperten gilt, darf auch für Journalisten in Anspruch genommen werden: Wer sich um die Hintergründe bemüht und über das recherchierte Wissen verfügt, darf über historische Ereignisse schreiben und eine Meinung äußern, auch wenn er persönlich keinen unmittelbaren Bezug dazu hat. Für die nächsten Wochen bedeutet dies auch: Wer Zeitzeuge ist und aus eigenem Erleben uns sein Wissen mitteilen möchte, oder wer seinen Erfahrungen zufolge zu einer anderen Einschätzung kommt, sollte nicht zögern, zur „Feder“ zu greifen. Dieser Austausch mit Ihnen ist uns wichtig, liebe Leser. Es geht aber auch einfacher: Rufen Sie mich an. HINWEIS Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe sinnwahrend zu bearbeiten. Leserbriefe geben stets die Meinung ihres Verfassers und nicht die der Redaktion wieder. E-Mails müssen die vollständige Adresse enthalten. Anonyme Zuschriften werden grundsätzlich nicht veröffentlicht. Briefkasten Freie Presse, Ressort Chef vom Dienst Postfach 261 09002 Chemnitz. Fax: 0371/656-17041 E-Mail: [email protected] Seite B1 Dann soll er doch dort bleiben In dem Interview „Der Ruf Sachsens ist im Arsch“ hat sich der Schriftsteller Peter Richter zu Rechtsextremismus in seiner Heimat, die Gründe und die Reaktionen darauf geäußert. Dazu meinen diese Leser: Unter der Überschrift „Ein Bild“ hat Torsten Kleditzsch erläutert, warum „Freie Presse“ das Foto von dem toten Flüchtlingskind nicht veröffentlicht hat. Danke für diese Entscheidung Ich finde das „Textbild“ von Torsten Kleditzsch, das die Fotografie überdeckt, sehr gut, und die ausgedrückte Linie der „Freien Presse“ gefällt mir. Ich bedanke mich dafür. Friedemann Kuppler, Augustusburg Pauschal und mit Polemik Um es kurz zu sagen: Peter Richter lebt seit langem in New York und ist kein Sachse mehr. Er räumt selbst ein, dass ein gezielter Import von Neonazis aus anderen Bundesländern eine Ursache für die Probleme ist. Trotzdem gibt er pauschal den Menschen in Sachsen und speziell in Dresden alle Schuld. Die Dresdener sind entweder „nicht dominant genug“, sich einzumischen, oder sie sind sich beispielsweise auf dem Weißen Hirsch „zu fein“ dazu. Höhepunkt seiner Polemik ist, dass sich der sächsische Dialekt „mit kyrillischen Buchstaben fast einfacher schreiben lässt“. Peter Blaudeck, Neukirchen/E. Stolz, ein Sachse zu sein Zum Glück kenne ich die USA und Amerikaner aus eigenem Erleben vor Ort. Peter Richter liegt mit seiner Einschätzung erheblich daneben. Kann es sein, dass ein linker Auftrag dahinter steckt? Nach seiner Logik müsste das Ansehen der Briten, der Dänen, der Polen usw. schon dreimal „im Arsch sein“. Dieser Artikel erzeugt bei mir das Gegenteil – ich bin stolz ein Sachse zu sein. Jens Richter, Weißenborn Wohl eine „profunde“ Analyse Ich möchte mich für seine profunde Analyse, mit der Peter Richter den Sachsen – so also auch mir – den Spiegel vorhält, bedanken. Besonders gelungen finde ich das Herausarbeiten spezifischer Eigenheiten der Sachsen, die ich an mir so differenziert noch nicht wahrgenommen habe, wie zum Beispiel unsere „sagenhafte Selbstverliebtheit“ oder unser Dialekt, „der sich im Grunde mit kyrillischen Buchstaben fast einfacher schreiben lässt“. Hier hat mir der Autor Denkanstöße gegeben, eingefahrene Gewohnheiten und verbale Nachlässigkeiten kritischer zu hinterfragen. Ich darf nur an ihn die Bitte äußern, die Sicht des äußeren Beobachters und akademischen Weltbürgers nicht aufzuge- Hochachtung vor Nicht-Zeigen Danke für das Nicht-Zeigen des mich und uns alle so tief berührenden Bildes des ertrunkenen Jungen. Dies nenne ich verantwortungsvolles Handeln. Meine Hochachtung dafür. Das Bild ist künftig ohnehin in den Köpfen und Herzen vieler Menschen gespeichert. Karl-Heinz Kleve, Chemnitz In dem Interview hat der Schriftsteller Peter Richter kein Blatt vor den Mund genommen. ben und in den USA zu verbleiben; einem Land, das es im Gegensatz zu Sachsen geschafft hat, Auseinandersetzungen zwischen Bevölkerungsgruppen und Unruhen an seinen Außengrenzen vollkommen zu bewältigen. Wilfried Kunz, Marienberg Auf kluge Ratschläge verzichten Schon durch die Wortwahl in der Überschrift war ich geschockt. Schlimmer noch erging es mir aber mit dem Inhalt. Wenn Richter so sehr und abgrundtief seine Heimat Sachsen hasst, dann soll er sie auch verlassen – und zwar für immer. Wir können hier gut und gerne auf seine klugen Ratschläge und erst recht auf seine Anwesenheit und die am Ende des Interviews erwähnten Gene verzichten. Bezeichnend für die jetzige Stimmungsmache gegen die eigene Bevölkerung ist, einen solchen Mann für den Deutschen Buchpreis zu nominieren. Die Veröffentlichung seiner Meinung ist sicherlich nicht im Interesse eines gesellschaftlichen Konsenses zur Bewältigung der Flüchtlingsfrage. Dieter Kaiser, Flöha Nicht nachvollziehbar Da ich die USA mehrfach bereist habe, fällt es mir schwer zu glauben, dass es dort diese Wahrnehmung des Bundeslandes Sachsen gibt. Der US-Durchschnittsbürger besitzt keinen Reisepass, weiß bestenfalls, wo Europa liegt, und es gelangen mehr GIs in die Welt als Touristen. In seiner moralischen Entrüstung über die Vorgänge in Deutschland ignoriert er, wie lange sein Gastland schon (vergeblich) an einer funktionierenden multikulturellen Gesellschaft arbeitet. Ein Land ohne Verbot von Nazisymbolen, Gesellschaften wie Ku-Klux-Klan und Einrichtungen wie Guantanamo – wo bleibt da die linke Selbstgefälligkeit? Einer Einschätzung kann man beipflichten: „Die Menschen haben schon eine präzise Ahnung von der Welt, und es herrscht eine genauso präzise Vorstellung davon, was man will und was nicht“. Stimmt, und man braucht keinen vorgeschobenen Unterkiefer, um über Entwicklungen nachzudenken, die allein der gesunde Menschenverstand gebietet. Ein Blick auf die Karte und die Bevölkerungsentwicklung genügt, um zu erkennen, dass Europa die Bevölkerung Afrikas und die des Nahen sowie Mittleren Ostens definitiv nicht aufnehmen, geschweige integrieren kann, wie auch die mehr als deutlichen Signale und Reaktionen unserer Nachbarländer zeigen. Achim Tröger, Zwickau Uns das Glück gönnen Es macht mich betroffen, wenn ein Autor aus der Ferne die Flüchtlinge und die Ostdeutschen während der Wende auf eine Stufe stellt. Natürlich wollten sie damals nach 40 Jahren Üben in Geduld ein besseres Leben – und das mit Recht. Schließlich haben alle Deutschen den Krieg verloren, mit sehr differenzierter Aufladung von Schuld. Nun war es aber Schicksal, wo jeder noch seinen Wohnsitz hatte und von den Alliierten den Systemen „zugeteilt“ wurde. Und hart gearbeitet wurde in beiden Teilen Deutschlands, nur eben systembedingt mit unterschiedlichem Ertrag. Und so kann Richter uns ostdeutschen Wirtschaftsflüchtlingen das Glück, damals nicht noch umziehen zu müssen, wirklich gönnen. Heinz Friedrich, Geringswalde Der Verursacher trägt die Verantwortung Die Flut an Meinungen zur Flüchtlingskrise dauert an. Dies ist eine weitere Auswahl mit Auszügen aus Leserbriefen. Allesamt Wirtschaftsflüchtlinge Ich verstehe die Aufregung um die sogenannten Wirtschaftsflüchtlinge nicht. Aus meiner Sicht ist es legitim, einem Land den Rücken zu kehren, in dem man in Elend und Armut lebt, für sich und seine Kinder keine Perspektive sieht und sein Glück in einem anderen Land zu suchen, wo man mit seiner Familie in Würde leben kann. Dabei sollten wir auch niemals vergessen: Wir ehemaligen DDR-Bürgerinnen und Bürger sind allesamt Wirtschaftsflüchtlinge, egal ob freiwillig oder nicht. Die Mehrheit von uns hat sich 1989 für Reisefreiheit und D-Mark und kurze Zeit später für den übereilten Beitritt der DDR zur BRD entschieden. Damit ist sie quasi mit wehenden Fahnen in die BRD geflüch- Man sollte einfach nur traurig sein tet. Und wie soll man die Menschen bezeichnen, die – in der DDR bestens ausgebildet – in den Westen gegangen sind, weil sie dort Arbeit, gutes Auskommen und materiellen Wohlstand gesucht und gefunden haben? Wie soll man die Leute bezeichnen, die im Sommer 1989 ihre Kinder über den Botschaftszaun in Prag gehoben haben und um Aufnahme dort flehten? Das waren beileibe nicht alles politisch Verfolgte. Soll das, was sie für sich dankbar in Anspruch genommen haben, für Menschen aus anderen Ländern nicht gelten? Margitta Zellmer, Chemnitz Ursachen treffend analysiert Der Artikel „Flucht vor Fehlern des Westens“ ist eine treffende Analyse der Ursachen der Flüchtlingswelle aus den Ländern, die Ziel der Militäraktionen der USA und anderer westlicher Länder waren und sind. Leider ist die Schlussfolgerung der Wissenschaftler mager; der Westen müsse Lehren aus seinen Fehlern und der damit verursachten Flüchtlingssituation ziehen. Richtig wäre: Wer sie die Kosten. Wo bleibt die Forderung der Bundesregierung an die Verursacherländer nach einem finanziellen Ausgleich für die Aufnahme dieser Flüchtlinge? Rainer Merkel, Hainichen In Dresden haben Tausende für die Solidarität mit Flüchtlingen demonstriert. FOTO: OLIVER KILLIG/DPA verschuldet hat – und das ist in dem Artikel schonungslos herausgearbeitet – trägt die Verantwortung und Waffenexporte sofort stoppen Solidarität bedeutet eng verbunden zu sein. Als drittgrößter Waffenexporteur beklagen wir die Flüchtlinge aus Kriegsgebieten, deren Notsituation durch Waffenlieferungen erst möglich werden. Eine glaubhafte Solidarität erfordert einen Stopp von Waffenexporten und keine Kriegshilfen; Besinnung auf den Begriff „Bundeswehr“ im Sinne von Abwehren; ein Verbot von aggressiven Drohnen durch die Verteidigungsministerin im Sinne von Verteidigen; eine beispielhafte Enthaltsamkeit von Kriegshandlungen und Kriegsunterstützungen im Sinne unseres Ethikversprechens, dass von Deutschland nie wieder Kriege ausgehen dürfen. Dann würden sich die vielen christlichen Bekundungen in Deutschland rechtfertigen lassen. Joachim Mehnert, Annaberg-Buchholz Das Wesentliche übersehen Der Text ist eine einzige Farce und die Heuchelei eines vermeintlichen Gutmenschen, der nur seine Arbeit tut. Das haben andere in der Geschichte auch von sich behauptet. Absurd, inkonsequent und inhuman ist in Wirklichkeit seine Argumentation hier. Es ist die Argumentation eines Schreibtischtäters, der sich als Experte in Sachen Menschenwürde, als Richter in Sachen Wertigkeit von Leben und Dokumentation und als Oberlehrer, der Menschen vorschreiben will, was sie zu sehen haben und was nicht, aufspielt. Dabei übersieht er das Wesentliche und lenkt absichtlich vom eigentlichen Grund und den gesamten Hintergründen der Tragödie ab. Für wie unreflektiert und unwissend hält er seine Leser eigentlich? Thomas Thiele, Plauen Foto wirft auch Frage auf Wir sollten den toten Jungen nicht als das Symbol für irgendetwas verstehen, sondern einfach nur traurig darüber sein, dass Kinder überhaupt in solche Situationen gebracht werden. Egal, wo auf der Welt. Egal aus welchen Gründen. Ein Bild, das Fragen aufwirft, auch unangenehme. Ich fand gut, dass „Freie Presse“ es nicht noch instrumentalisiert hat. Harald Thiele, Lichtenau Schuldige bleiben unsichtbar Dieses Bild wird um die Welt gehen wie das der vor den Napalmbomben flüchtenden Kinder in Vietnam. Man glaubt, da liege eine Puppe. Aber es ist ein totes Kind, und die Schuldigen bleiben unsichtbar. Erschreckend die Vorstellung, es könne das eigene Kind sein. Wenn da in einem nicht Zorn und Barmherzigkeit entstehen, dann wäre es böse bestellt um diese Welt. Wolfgang Eckert, Meerane Es geht doch nur um eine Unterscheidung Zum Bericht „Herrmann und der wunderbare ‚Neger‘“: Die Reaktionen der selbst ernannten Gutmenschen sind überzogen. Es kommt darauf an, wie man Menschen behandelt, und nicht, welche Bezeichnung man wählt. Aus der Titulierung als „Neger“ eine fremdenfeindliche Gesinnung zu folgern, liegt völlig neben der Sache. Es handelt sich um ein äußeres Unterscheidungsmerkmal, nicht mehr und nicht weniger. Groteske Blüten treibt die politische Korrektheit, wenn Kinderlieder umgeschrieben werden und die beliebte Süßspeise nicht mehr „Negerkuss“ oder „Mohrenkopf“ heißen darf. So etwas ist Wasser auf die Mühlen des „Packs“ und fördert eher die Fremdenfeindlichkeit statt ihr entgegenzuwirken. Andreas Vogt, Großrückerswalde
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