LESERFORUM Freie Presse Mittwoch, 9. März 2016 LESEROBMANN Ihr Alten: Sagt was! REINHARD OLDEWEME TELEFON: 0371 656-65666 (10-12 Uhr) TELEFAX: 0371 656-17041 E-MAIL: [email protected] D ass sich Leser bei mir am Telefon über die Meinung von anderen Lesern auf dieser Seite beschweren, ist keine Seltenheit; aber selbst einen Brief schreiben wollen die wenigsten. Dies jedoch hatte ich zuvor noch nicht erlebt: Vier Anrufer haben sich bei mir über die Briefe unter der Überschrift „Verfall der Werte muss gestoppt werden“ beschwert. Den Männern war in die Nase gefahren, dass in drei Meinungen von einem „Mob“ die Rede war. Einer sprach von einer „pauschalen Verunglimpfung von Menschen, die auf die Straße gehen, um ihrer politischen Überzeugung Ausdruck zu verleihen“, während ein anderer mir zu verstehen gab, dass er sich angesprochen fühle und sich dagegen verwahre, auf diese Weise beleidigt zu werden. Ein Anrufer sprach unverhohlen eine Drohung aus: „Diese Meinungen hätten niemals veröffentlicht werden dürfen. Wenn ich dieses Wort noch einmal in der Zeitung lese, dann …“ Leserbriefe dürfen keine Beleidigungen oder Verunglimpfungen enthalten. Da passe ich zusammen mit der Chefredaktion genau auf, dass das auch nicht passiert. Was also zu der Frage führt: Es geht ausschließlich um die Leute, die aus ihrer Haltung zu der Tat kein Geheimnis machten, während die Feuerwehr versuchte, den Brand in einer künftigen Flüchtlingsunterkunft in Bautzen zu löschen – war das ein Mob? Und die Menschen, die sich in Clausnitz vor einen Bus mit Flüchtlingen stellten, mit deutlichen Drohgebärden „Wir sind das Volk“ skandierten? Meine Meinung: Es bedarf eigentlich keiner wertenden Einordnung in eine Gruppe, weil dieses Verhalten für sich spricht und keines weiteren kommentierenden Begriffs bedarf; auch eine politische Zuordnung dieser Gesinnung ist so offensichtlich, dass sie keiner expliziten Erwähnung bedarf. Ich würde dieses Wort nicht verwenden, doch ich möchte niemandem das Recht nehmen, genau und allein diese beiden Ansammlungen von Leuten einen Mob zu nennen. Abschließend möchte ich aus dem Brief eines 93-jährigen Lesers zitieren: „Wir haben die Entwicklung zum Hitlerfaschismus erlebt und ihn überlebt. Was sich von 1933 bis 1945 abgespielt hat, ist in bester Erinnerung. Hitlerschergen, Nazibüttel, Schreier und Sprücheklopfer brachten Hitler an die Macht. (...) Wir sind in einer Zeit angekommen, wo Schreier, Sprücheklopfer, angebliche Führer von Pegida, AfD und anderen normale, gutgläubige Bürger in ihren Bann ziehen. Von der rechten Szene ganz zu schweigen. Wir schreiben Ihnen, legen unsere Meinung dar, aber wir möchten uns aus Angst nicht öffentlich zu Wort melden. Aber einen Rat haben wir: Die Medien, die Politik und vor allem die Justiz müssen härter und schneller reagieren. Wenn solche Personen wie die AfD-Chefin an die Macht kommen, dann ade, armes Deutschland. Wir wünschen uns, viele unseres Jahrganges würden sich zu Wort melden.“ Die Gefühle und Ängste des 93-Jährigen haben mich tief berührt, seinem Wunsch schließe ich mich vorbehaltlos an. HINWEIS Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe sinnwahrend zu bearbeiten. Leserbriefe geben stets die Meinung ihres Verfassers und nicht die der Redaktion wieder. E-Mails müssen die vollständige Adresse enthalten. Anonyme Zuschriften werden grundsätzlich nicht veröffentlicht. Briefkasten Freie Presse, Ressort Chef vom Dienst Postfach 261 09002 Chemnitz. Fax: 0371/656-17041 E-Mail: [email protected] Seite B1 Die Gefahr viel zu lange verharmlost Unnötig lange Schatten Da feiert Sachsen also seine Flüchtlingshelfer – mit einer Party, die sicher nicht zum Nulltarif zu haben war. War damit den Flüchtlingen geholfen? Hätte dieses Geld nicht viel besser in Unterbringung und Integration der Flüchtlinge investiert werden sollen? Hätte zur Würdigung der Flüchtlingshelfer nicht einfach ein Statement des Ministerpräsidenten, eventuell vor Mikrofon und Kamera, genügt? So aber wirft das Licht der Flüchtlingshilfe unnötig lange Schatten; bekommt Flüchtlingshilfe einen Drall, dessen Luftzug, bildlich gesprochen, auch einreißen kann, zumindest bei denen, die zwar abwartend, aber nicht ablehnend sind. Gunter Sieber, Limbach-Oberfrohna Nach dem Brandanschlag in Bautzen, den Vorfällen in Clausnitz und den Reaktionen der Politiker darauf geht es den Lesern häufig um diese Frage: Hat Sachsen hier ein besonderes Problem? Andere Probleme gehen unter Die Ausschreitungen in Clausnitz schaden der Region und bringen uns einer Lösung nicht wirklich näher. Demonstrationen vor Asylbewerberheimen sind der falsche Weg. Beim Thema Asyl wurden von einer kleinen Gruppe Politiker Entscheidungen getroffen, für die die große Mehrheit der Bürger ganz offensichtlich kein Verständnis mehr hat. Ministerpräsident Tillich sollte jetzt die Aufnahmefähigkeit von Sachsen klar benennen und gegenüber der Kanzlerin Rückgrat zeigen. Es gibt außer der Asylproblematik noch andere Probleme in Deutschland, die gelöst werden müssen, nur gehen die im Augenblick völlig unter. Frank Bihra, Chemnitz Das gebietet die Menschlichkeit Ein Brand in Bautzen, Proteste in Clausnitz und Einsiedel, Pegida in Dresden. Die Liste ließe sich fortsetzen, und mein Unverständnis darüber wird nur noch größer. Was ist unser Problem? Haben wir Angst, vor Schweinefleischverbot und Kopftuchpflicht für Frauen? Oder haben wir Angst, dass unser Wohlstand abnimmt oder sorgen wir uns um unsere Sicherheit? Die beiden letzten Punkte müssen wir ernst nehmen. Ich denke, es gibt gute Argumente, diesen Ängsten zu begegnen. Sicher ist die Versorgung von so vielen Menschen eine große finanzielle Herausforderung. Mit fast 20 Milliarden Überschuss im letzten Jahr steht unser Land aber finanziell gut da. Müssen wir Angst um unsere Sicherheit haben? Schaut man sich die Statistiken an, ist dem nicht so. Natürlich kommen nicht nur Heilige zu uns, sondern auch Menschen, die sich nicht an unsere Gesetze halten. Wir müssen deshalb die Anerkennung unserer Grundordnung von denen verlangen, die hier leben wollen. Das ist die Mindestvoraussetzung für ein Zusammenleben. Und wie weiter? Ich möchte nicht, Asylbefürworter ziehen mit „So geht sächsisch – neue deutsche Leitkultur“ durch Dresden. dass wir einen Zaun um unser Land bauen. Den haben wir vor 26 Jahren abgerissen. Dabei muss es bleiben. Fordern wir unsere Regierung auf, weiter an einer dringend notwendigen gesamteuropäischen Lösung zu arbeiten. Die Asylverfahren müssen beschleunigt werden. Abgelehnte Asylbewerber müssen zügig zurückgeschickt werden. Von allen anderen verlangen wir die Bereitschaft zur Integration. Die Bedingungen, damit diese gelingt, müssen wir verbessern. Ein erster Schritt wäre, die Proteste gegen diese Menschen zu beenden und ihnen mit Respekt zu begegnen. Das gebieten der Anstand und die Menschlichkeit. Frank Tannenhauer, Chemnitz Anpacken lautet die Devise Es ist peinlich für den Freistaat. Pegida ähnelt einem kleinen Feigling, der im Kinderzimmer Krieg spielt, und wenn Mama schimpft, dann war es keiner. Die Sachsen jammern und knatschen, tun sich gern ein bisschen leid. Und das hat sich verselbstständigt. Es ist bequem, mitzulaufen mit den Feiglingen, statt in der Freizeit in Einrichtungen wie Jugendklubs oder Begegnungsstätten für die Flüchtlinge Unterkünfte auszubauen. Verwaiste Häuser gibt es schließlich genug. Die eine oder andere Firma im Ort wäre sicher über Aufträge dankbar. Diese Investitionen wären sinnvoll. So integrieren sich die Neuankömmlinge leichter als in Turnhallen und Zelten. Warum tun sich die Sachsen so schwer? Wir sollten stolz auf uns sein und etwas bewirken wollen. Der Sachse knatscht gern, doch dafür ist keine Zeit. Anpacken und mit Freude etwas bewegen, das ist die Devise. Iris Klocke, Freiberg An Zeit der Wende erinnern Die Ereignisse bereiten vielen große Sorgen. Die konträren Auffassungen zerstören Freundschaften, Familien und bergen großes Konfliktpotenzial. Das rechte Gedankengut, das sich viele Jahre im Untergrund fast ungestört ausbreiten konnte, ist an die Oberfläche getreten und zeigt seine hässliche Fratze. Besonders in Sachsen wurde die rechte Gefahr nie ernst genommen und verniedlicht. Wir brauchen uns nicht zu wundern über das sprießende rechte Gedankengut, es wurde sich nie ernsthaft mit dieser menschenverachten- FOTO: OLIVER KILLIG/DPA den Ideologie auseinandergesetzt. Wie kann ein demokratischer Staat dulden, dass die Naziideologie, die Krieg, Tod, Zerstörung über weite Teile der Erde brachte, heute noch ungestraft öffentlich verbreitet werden kann? Das hat nichts mit Meinungsfreiheit und Demokratie zu tun. Was jetzt von den Asylgegnern veranstaltet wird, ist nicht mehr hinnehmbar. Denken wir ein paar Jahre zurück. Viele DDR-Bürger haben das Land verlassen, sind in die Prager Botschaft geflüchtet und hatten nur den Gedanken, dass der Westen sie aufnehmen muss. Das waren überwiegend Wirtschaftsflüchtlinge, bei uns fielen keine Bomben. Wenn jetzt Menschen zu uns kommen, die schreckliche Erlebnisse hinter sich haben, dann wird abgeblockt. Viele Asylgegner haben sicher schon Urlaub in einem muslimischen Staat gemacht. Wer musste dort negative Erfahrungen erleben? Im Gegenteil, die Gastfreundschaft ist meist besser. Wenn die Asylgegner in der gleichen Lage wären wie die Asylbewerber heute, würden sie mit aller Macht Hilfe einfordern. Davon bin ich überzeugt. Christian Oehler, Werdau Dimension nicht erkannt Tillich sagt, das dürfe sich nicht wiederholen, aber er vergaß zu sagen, dass die Ereignisse gar nicht hätten passieren dürfen. Von Anfang an hat die Landesregierung in der Flüchtlingsfrage konzeptlos agiert und die Dimension des Problems nicht erkannt. Hinzu kommen die Versuche, ihre Unfähigkeit auf die Bürger abzuwälzen, die sie – ich betone – sachlich kritisieren. Der Wert des Dialogs als Erkenntnisgewinn wird viel zu gering geschätzt. Fragende werden in die rechte Ecke gestellt. Im Klima der Schuldzuweisung und Konfrontation schwindet die Urteilskraft auf allen Seiten. Die Bürger sehen die Unterschiede zwischen den Ankündigungen der Regierenden und deren Ausführungen. Über die Köpfe der Betroffenen hinweg Entscheidungen zu treffen und diese dann mit dem starken Staat durchdrücken zu wollen, ist einer Demokratie unwürdig. Deshalb nimmt das Nichteinverständnis der Bürger zu. Bezüglich des Rufes von Tillich nach einem starken Staat mit mehr Polizei und Justiz darf daran erinnert werden: Den hatten wir zweimal; in zwei völlig unterschiedlichen Systemen. Beide haben den Beweis geliefert, dass deren politische Theorie in der Praxis im Fiasko endete. Diese Erfahrungen haben einen großen Wert. Wir brauchen uns nicht noch einmal auf diese Wege zu begeben. Was wir brauchen sind starke Persönlichkeiten, die Konflikte lösen, in dem sie den Bürgern mit überzeugend formulierten Konzepten gegenübertreten und nach konsensfähigen Kompromissen suchen. Gerd Baumann, Chemnitz Haltung des Ministers stößt auf scharfe Kritik Die Nachricht „Dulig unterstellt Polizei PegidaNähe“ und der darauf folgende Artikel „Sachsens Koalition gerät über die Landespolizei in Streit“ hat diese Leser bewogen, uns zu schreiben. Kritik zu unpassender Zeit Solche harten Aussagen machen mich nachdenklich. Die Polizisten sind nun mal auch Menschen wie du und ich, die neben dem Erfüllen ihrer dienstlichen Aufgaben auch noch ganz normal ihren Kopf einsetzen und mitfühlen und mitdenken, was mancher Bürger in der heutigen Zeit so empfindet. Es wäre schön, wenn solche Aussagen mit Kritik an eventuell nicht ganz befehlsmäßiger Dienstdurchführung derzeit nicht getätigt würden. Die Bürger der drei Bundesländer, die zur Wahl gerufen sind, werden bei ihrer Stimmabgabe sicher zeigen, ob sie so hinter der Politik unserer Regierung stehen, wie es von ihnen ge- wünscht ist. Mit solchen wie diese von Dulig getätigten Aussagen sollte nicht versucht werden, im Vorfeld der Wahlen die Bürger zu beeinflussen. Die Arbeit der Polizei ist schwierig genug, eine derartige Kritik an ihrer Arbeit finde ich unangebracht. Gert Oeser, Neuhausen Mehr als nur eine Entgleisung Mit Empörung habe ich die Meinung von Minister Dulig zur Kenntnis genommen. Was ist das für ein Mensch, der so etwas in die Öffentlichkeit hinausposaunt? Wessen Geistes Kind ist er? Das ist für mich keine einfache Entgleisung, es ist offenbar seine tatsächliche Überzeugung. Den Polizisten nachzusagen, es mangele ihnen an interkultureller Kompetenz, ist eine Gemeinheit. Wie oft halten sie ihren Kopf für Ruhe und Sicherheit hin. Mit seinen Worten, die Polizei habe ein qualitatives Problem, meint er damit auch seinen persönlichen Schutz, wenn er durch das Land fährt? Udo Laube, Chemnitz Eingeschränkte Zustimmung Die Aufregung über die Aussage von Dulig zur Polizei überrascht mich nicht sehr. Obwohl ich kein Sympa- lerdings möchte ich auch eine Lanze für die Polizei im Allgemeinen brechen. Die Einsatzleistung und die hohe Arbeitsbelastung der Beamten wird von unserer politischen Führung und von großen Teilen der Bevölkerung offensichtlich nicht honoriert, sonst wären Ausfälle gegen Beamte, wie sie immer wieder vorkommen, nicht möglich. Ernst Janetschek, Bobritzsch-H. Martin Dulig (l.) und sein Chef Stanislaw Tillich. FOTO: ARNO BURGI/DPA thisant der SPD bin, muss ich ihm eingeschränkt recht geben. Vor über 15 Jahren führte ich mit einem Revierleiter eines großen sächsischen Polizeireviers einmal ein Gespräch über die Aufstellung der Polizei in Sachsen. Er äußerte sich ähnlich wie Herr Dulig, man habe ausreichend Quantität, aber leider nicht die notwendige Qualität. Dies mag inzwischen anders geworden sein. Allerdings bin ich immer wieder erstaunt über das Erscheinungsbild einzelner Polizeibeamter in der Öffentlichkeit, bei denen ich sehr deutlich einen Mangel an Erziehung feststelle. Al- Dann auch gleich ein neues Volk Liebe Grüße an Martin Dulig: Wenn er sich schon eine andere Polizei wünscht, kann er sich auch gleich ein neues Volk dazu suchen. Passender Vorschlag: Wie wäre es mit Neuwahlen? Ich sag dann mal schon Tschüss zu Martin Dulig. Jens Wolf, Weißenborn Entschuldigung ist das Mindeste Wenn ich mich richtig erinnere, ist Dulig stellvertretender Ministerpräsident und die sächsische Polizei ein Exekutivorgan dieser Regierung. Hat er in seiner Position nicht schon über viele Monate zumindest geduldet, dass der Sparkurs und Stellenabbau gegenüber dieser Polizei ohne Wenn und Aber durchgesetzt wird? Es ist schon ungeheuerlich, dieser Polizei, die insbesondere solchen Leuten wie dem Minister Sicherheit gewährleistet, solche Anschuldigungen vorzuwerfen. Profiliert sich da ein hoher Politiker unseres Landes zu Lasten eines ihm unterstellten Organs? Will er damit von der Unfähigkeit und Verantwortung der gesamten Landesregierung und insbesondere seiner eigenen ablenken? Er sollte lieber dafür sorgen, dass in Sachsen endlich wieder eine kluge Politik betrieben wird, die für Ruhe und Ordnung sorgt. Eine Entschuldigung gegenüber der Polizei wäre das Mindeste. Konrad Naumann, Chemnitz Provokation ist der Skandal Eine derartige Provokation der Landespolizei durch einen Minister ist der eigentliche Skandal. Was soll das? Gibt es nicht genügend echte Probleme im Land, deren Lösung längst überfällig wäre? Der Polizeipräsident in Chemnitz hat nicht „Flüchtlinge zu Tätern gemacht“, sondern einen Lagebericht erstellt, der nicht schwarz-weiß war, sondern das Verhalten beider Seiten beschrieben hat. So wie es seine Aufgabe ist. Michael Sieber, Limbach-Oberfrohna
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