Liebe Gemeinde, „ich bin der gute Hirte“ sagt Jesus. Ich kann das

Probepredigt Borchen ­ 358,1-4
Es kennt der Herr die Seinen
Liebe Gemeinde,
„ich bin der gute Hirte“ ­ sagt Jesus. Ich kann das nicht so einfach von mir sagen – ich bin zwar Pastor, und wenn wir das aus dem Lateinischen übersetzen, heißt es auch: Hirte – aber ob ich wirklich gut bin? Ob ich bereit wäre, mein Leben für die Gemeinde zu opfern? Das wäre mir jetzt grad ein bisschen viel. Also – ich zitiere Jesus: „Ich bin der gute Hirte und kenne meine Schafe. Ein guter Hirte ist bereit, für seine Schafe zu sterben.“ ­ Wir haben das eben aus dem Johannes­
evangelium gehört, und es leuchtet uns ja auch ein, was Jesus da sagt, nachdem wir vor Ostern so manches über seine Kreuzigung gehört haben.
Und wir verstehen wohl auch, dass wir mit den Schafen gemeint sind – selbst wenn dies Bild nicht so schmeichel­
haft klingt, nehmen wir es doch an: Wir alle ­ als Gemein­
de, als Kirche, sind die Schafherde. Jesus, der Auferstan­
dene, kennt uns. Wir sind getauft, unsere Namen vor ihm genannt, wir können zu ihm beten.
Er kennt uns – ob wir ihn kennen, ist vielleicht nicht im­
mer so klar. Ist aber auch schwieriger geworden, seit er nicht mehr auf der Erde herumläuft. Wer letzten Sonntag die Erzählung vom zweifelnden Thomas gehört hat, kann ermessen, dass es für uns um das geistige Erkennen geht, um unser inneres Auge. Ich denke aber, dass in dem Bild vom Hirten noch viel mehr drinsteckt. Deshalb hab ich diesen Hirtenstab hier mitgebracht, an dem ich das erklären will. Als Bischofsstab, als Krummstab ist er heute noch in Ge­
brauch. Aber ich will ihn zunächst als einfachen Hirtenstab
vorführen.
Wozu ist der gut? ­ Einerseits zur Verteidigung: Wenn ein Wolf kommt, dann kann der Hirte die Schafe verteidi­
gen. ­ Er kann den Wolf so schlagen, dass der Reißaus nimmt oder sogar tödlich verletzt wird. ­ (vorführen) ­ Dies Bild soll uns das Vertrauen schenken, dass all das Böse uns keinen Schaden tun kann, solange Jesus unser Hirte ist: Welches Böse bedrängt uns heute? Unsere Wölfe sind der Egoismus und die Gier, aber auch die Angst, die Ohnmacht und das Versagen – all das drängt auf uns ein. Aber es kann uns nicht völlig aus der Bahn werfen, wenn wir auf den schauen und vertrauen können, der uns als guter Hirte verteidigt. Der Schmerz und Ohnmacht am Kreuz erlebt hat, aber nach drei Tagen auferstanden ist und uns aus dem Himmel heraus begleitet.
Egoismus und Gier sollen eigentlich in der Schafherde nicht vorkommen, wenn sie diesen Hirten kennt. Es gibt natürlich genug davon – unser ganzes Wirtschaftssystem ist ja darauf aufgebaut. Erst jetzt haben wir wieder ein Bei­
spiel in den Nachrichten gehört, dass die Weltbank die Palmölplantagen in Honduras finanziert hat, für die viele Kleinbauern ihr Land verloren haben. Wenn ich das höre, fühl ich mich selbst ganz ohnmächtig – eigentlich müsste ich was tun – schließlich bin ich Bürger eines der reichsten
Länder der Erde … Ich denke aber daran, dass ich über­
haupt erst davon gehört haben, weil die Kleinbauern sich wehren. Jesus hilft ihnen, den Mut aufzubringen, gegen die Macht der Konzerne aufzustehen, er schenkt ihnen Hoffnung und Kraft. Ja: Angst, Ohnmacht, Versagen, das erleben wir natür­
lich immer wieder, persönlich und gesellschaftlich – aber wo Jesu Geist wirksam ist, da können sie nicht stark wer­
den. Jesus ist in diesen Punkten ziemlich wehrhaft. Der Hirtenstab steht also als Waffe gegen das Böse –
(nicht gegen die Bösen, die Menschen, sondern das Böse,
das in uns steckt).
­ Andererseits kann man mit dem Stab die Richtung an­
zeigen: Mose hat ihn z.B. auch so benutzt. Als er mit dem
Stab über das Wasser wies, wich es zur Seite, und das Volk konnte hindurch gehen. Und ich erinnere mich an einen Kirchentag, als ein riesiger Posaunenchor zusam­
men war: Der Dirigent hatte einen Besenstiel in der Hand, mit dem er dirigierte (vorführen) – und die Bläser in den hintersten Reihen konnten ihn auch noch sehen. ­Das ist für mich eigentlich die Hauptfunktion des Hirtenstabes, den Jesus in der Hand hält: Dass er uns dirigiert, dass er uns Takt und Richtung vorgibt. Das ist gerade heute so nötig. Ich sehe meine und unsere Probleme mit zu vie Freiheit, zu schweren Entscheidun­
gen, zu viel Verantwortung. Wir haben so viel Freiheit – aber wir entscheiden oft falsch. Irren ist menschlich.
Vor 100 Jahren, da konnte der Lehrer und der Pastor im Dorf alles bestimmen, und im ganzen Land waren das Kai­
ser und Kanzler. Sie gaben die Richtung vor. Es gab für die Einzelnen wenig Freiheit – wenig Entscheidungsmög­
lichkeiten. Heute leben wir in einer Demokratie, in der Frei­
heit ein ganz großer Wert ist. Aber sie belastet uns auch, weil sie uns so große Verantwortung aufbürdet.
Und dann erleben wir ständig, dass wir eben nicht frei ent­
scheiden können, weil wir Rücksicht nehmen müssen auf andere und weil es das Schicksal manchmal so will. Ge­
burt, Krankheit und Tod – auch da liegt das Ende der Frei­
heit. Trotzdem leben wir mit der Verantwortung. Als wäre ich wirklich ganz frei, bekomme ich immer das Gefühl ver­
mittelt, ich wäre selbst schuld, wenn etwas bei mir nicht möglich ist. Wenn es heißt: „Jeder ist seines Glückes Schmied“ bekomme ich immer ein ganz mulmiges Gefühl. – Denn das bedeutet ja, dass alle selbst schuld seien, wenn sie nicht glücklich sind. Ich habe letzte Woche die Verfilmung der „Blechtrommel“ von Günther Grass gesehen. In dem Roman dieses großen Schriftstellers, der ja leider in dieser Woche ver­
storben ist, geht es ja um den kleinen Oskar, den Blechtrommler, der sich weigerte zu wachsen. Er blieb der
Dreijährige. Als Kind brauchte er keine Verantwortung übernehmen – ich glaube, das trifft unsere Erfahrung der Überforderung, aber auch unsere Erfahrung, dem Schick­
sal eben doch ausgeliefert zu sein. Wir brauchen jeman­
den, der uns die Richtung zeigt. Unsere ganze Gesellschaft schwört auf die Freiheit, aber sie lässt sie uns als kleine Leute nicht spüren. So oft sa­
gen die Politiker und Politikerinnen, zu ihren Entscheidun­
gen gäbe es keine Alternative. Selbst sie sehen keine Freiheit für sich. Das fördert die Resignation unter allen. Wir brauchen einfach einen Hirten, mit dem wir mitlaufen können. Das kann kein Mensch sein, denn wir Menschen irren, wir sind verstrickt in unsere eigenen kleinen Denk­
weisen. Wir brauchen Jesus. Seine Worte z.B. aus der Bergpredigt sind zeitlos. Seine Richtungsanzeige hin zur Liebe gilt immer. Ganz Radikal: Sogar unsere Feinde sol­
len wir lieben. Ich halte das für sehr realistisch. Ich sehe ja, wohin das führt, wenn wir die Feinde nicht lieben, nicht verstehen wollen, sondern bekämpfen. In Afghanistan oder im Koso­
vo, im Irak oder in Libyen – immer hat sich langfristig ge­
zeigt, dass der Krieg nicht zum Frieden führt, sondern zu Leid und Hass. In der Ukraine genauso wie im Nahen Os­
ten beobachten wir das gerade mit Sorge. Dass die Regie­
rungschefs der Welt das immer noch nicht eingesehen ha­
ben, zeugt nur davon, dass sie eher auf das Wort der Wirt­
schaftsfürsten hören als auf Jesus. Jesus sagt: „Ich bin der gute Hirte“. Er braucht seinen Hir­
tenstab, um uns die Richtung zu zeigen. Wenn die katho­
lischen Bischöfe auch so einen Hirtenstab, den Krumm­
stab, tragen, dann aus diesem Grunde. Sie sollten als Ver­
treter Christi seine Worte, seine Liebe in der Welt verbrei­
ten. Was bin ich dankbar, dass da in Rom inzwischen der Papst Franziskus diese zeitlose Botschaft von Jesus wie­
der stärker ins Zentrum rückt. Aber ich will ihn wieder zum einfachen Hirtenstab machen,
Denn nicht zuletzt ist er für mich ein Halt, und ein Symbol
für das einfache Leben. An so einem einfachen, nackten Stock kann ich mich gut festhalten.
Jesus, der gute Hirte, steht für die Stärke des einfachen Lebens. Er hat sich auf seiner Wanderschaft ganz abhän­
gig gemacht von der Gastfreundschaft der Menschen. Solch ein einfaches Leben erträume ich mir manchmal, obwohl ich es mir ehrlicherweise gar nicht zutraue. Aber ich denke gern an eine Aktion von „Brot für die Welt“ vor fast 40 Jahren: Da wurde zu der „Aktion e“ eingela­
den: „einfach leben, einfach überleben, Leben entdec­
ken“. Da hab ich viel gelesen, wie man Energie sparen oder vegetarisch lecker kochen kann, wie wir alle einfa­
cher leben, aber eben auch einfach überleben können. Das gab es also vor knapp 40 Jahren alles schon – die Botschaft von Jesus ist aber noch viel älter. Jesus sagt: Ich bin der gute Hirte. Er gibt uns festen Halt, gibt Orientierung und Mut. Dass wir ihn kennen oder ken­
nen lernen, dass wir uns auf ihn einlassen und schauen, wohin er uns schickt, mich, uns, unsere Kirche ­ darum möchte ich zu ihm beten, heute und alle Zeit. Amen. Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus. Amen.
anschließend Stille - Lied der Gemeinde H+E 204: Wer Gott folgt