Predigtreihe „Worte für die Lebensreise“ Predigt am 23. August

Predigtreihe „Worte für die Lebensreise“
Predigt am 23. August 2015 über Psalm 23,1 in Billensbach
Liebe Gemeinde!
„Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln …“ Kaum ein Psalm wird so oft gebetet
wie der Psalm 23. „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.“ Es ist der Taufspruch
unsrer Luise, und es ist der Beerdigungsspruch von Hildegard Weller, die wir vor zwei
Wochen zu Grabe tragen mussten. Ein Spruch, der Leben und Tod umspannt. Ein Wort für
alle Lebenslagen, ein Wort für unsere Lebensreise.
Mit dem Psalm 23, mit dem Bild vom guten Hirten, verbinden sich für mich
Kindheitserinnerungen. Ich erinnere mich daran, dass ich als Kindergartenkind den Psalm 23
auswendig gelernt habe und mir meine Mutter versprochen hat, dass ich ein Spielzeugauto,
das ich mir schon lange wünschte, bekomme, wenn ich den Psalm im Kindergarten aufsagen
würde. Noch deutlicher vor Augen steht mir meine Oma, die mich oft auf ihren Schoß nahm
und mir dann immer wieder das Lied „Weil ich Jesu Schäflein bin“ vorsang, das wir heute
auch noch singen werden. Mit dem Psalm 23, mit dem Bild vom guten Hirten, verbinden sich
für mich Bilder und Gefühle von tiefer Geborgenheit.
Bei Gott bin geborgen, weil Gott für mich sorgt. Wenn ich mich an ihn halte, dann werde ich
keinen Mangel leiden, dann wird es mir an nichts fehlen. Aus den Worten „Der Herr ist mein
Hirte, mir wird nichts mangeln“ spricht ein großes Vertrauen. Das Vertrauen, ich werde
immer genug haben, genug für Leib und Seele. Genug, das heißt gerade für uns im reichen
Deutschland nicht, dass wir immer weiter wachsen werden, dass wir immer wohlhabender
werden, nicht einmal, dass wir unseren Standard halten können. Das Psalmwort gibt keine
Wohlstandsgarantie. Genug heißt, ich werde haben, was ich zum Leben brauche, nicht
weniger, aber auch nicht mehr. Die grünen Auen und das frische Wasser sind Bilder, die an
Grundbedürfnisse denken lassen, nicht an Luxus. Wir könnten auf so viel Überflüssiges
verzichten und wären immer noch weit davon entfernt, Mangel zu leiden.
Und doch gibt es auch die anderen, die Menschen, die nicht einmal ihre Grundbedürfnisse
stillen können. Während ich an der Predigt schreibe, fällt mir mein wöchentliches
Zeitmagazin in die Hände. Auf der Titelseite schaut mich das Gesicht einer Frau an, die in
Nigeria Opfer der islamistischen Terrororganisation Boko Haram wurde. Man sieht es ihr an
und kann es im Text dazu nachlesen, welches unvorstellbare Leid sie ansehen und selbst
ertragen musste. Auch wenn ihr die Flucht gelang, die Bilder und Erfahrungen lassen sich
nicht auslöschen. Wie hört sie als Christin die Worte „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts
mangeln“? Wie hören es all die vielen Frauen und Männer, deren Grundrechte mit Füßen
getreten werden und die nicht einmal ihre Grundbedürfnisse stillen können? Die an allen
Ecken und Enden Mangel leiden.
Vielleicht hören sie es als Verheißungswort. „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts
mangeln.“ Es heißt nicht „mir mangelt es an nichts“, es heißt „mir wird nichts mangeln“. Der
Psalmbeter beschreibt nicht die Gegenwart, er redet von der Zukunft. Er redet nicht von dem,
was er gerade erlebt, er redet von dem, worauf er hofft. Wer jetzt im Mangel lebt, wem jetzt
selbst das Lebensnotwendige verwehrt wird, dem wird Gott zu einer anderen Zeit geben, was
er braucht und was ihm zusteht. Wenn nicht hier in dieser Welt, dann in der kommenden
Welt, wenn die Gewalttäter gerichtet sind und ihre Opfer aufsehen und aufstehen dürfen. Das
Wort vom guten Hirten ist immer auch ein Hoffnungsbild für die Ewigkeit. Bis dahin bleibt
die Hoffnung und bleibt die Gewissheit: „Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte
ich kein Unglück, denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich.“ Der Hirte ist
auch im Dunkel da, auch in den dunklen Wäldern Nigerias. Er ist kein Hirte für die
Landlustidylle, er ist ein Hirte fürs Leben, mit allen Höhen, Tiefen und Abgründen.
„Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.“ Der Satz fordert mich heraus. Er fordert
mich zu einem neuen Lebensstil heraus. Er fordert mich heraus, einfach und gerecht zu leben.
Weil Gott mir zeigt, was ich brauche und was nicht, kann ich einfach leben. Ich kann mich am
einfachen Brot und am einfachen Wasser freuen und eine Flasche guten Wein öffnen, wenn
Freunde kommen und wir die Gemeinschaft und die Gespräche genießen wollen. Und weil
ich weiß, dass andere Menschen ihre Grundbedürfnisse nur dann befriedigen können, wenn
andere verzichten lernen und sich für die Rechte der Ärmsten einsetzen, kann ich gerecht
leben, kann ich auf rechter Straße gehen, kann ich auf dem Weg der Gerechtigkeit gehen um
seines Namens willen.
„Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.“ Aus einem Satz tiefer Geborgenheit ist
jetzt am Ende eine Mahnung zum einfachen und gerechten Leben geworden. Beides ist
wichtig, beides ist mir wichtig. Als Kind auf dem Schoß meiner Oma war mir nur die
Geborgenheit wichtig. Heute ist mir die Geborgenheit immer noch wichtig. Ich könnte nicht
leben, wenn ich mich nicht geborgen wüsste. Aber zur Geborgenheit dazu getreten ist mir in
den letzten Jahren die Einsicht, dass ich auch aufgefordert bin, so zu leben, dass ich die
Geborgenheit anderer nicht verhindere, sondern fördere. Machen Sie mit beim einfachen und
gerechten Leben? Dann denke ich gerne mit Ihnen gemeinsam darüber nach, wie das
aussehen kann.
Amen.
Pfarrer Dr. Hans Joachim Stein, Kaisersbacher Str. 11, 71717 Beilstein