1 Rezension Fröhlich-Steffen, Susanne: Die Identitätspolitik der FPÖ

Daniel Kortschak
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GK ÖPS+EU
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Rezension
Fröhlich-Steffen, Susanne: Die Identitätspolitik der FPÖ: Vom Deutschnationalismus zum
Österreich-Patriotismus, in: ÖZP 3/2004, S. 281-295
Daniel Kortschak
A 236 346
WiSe 2004/05
Abgabedatum 10. I. 2005
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Einleitung
Im vorliegenden Artikel thematisiert Susanne Fröhlich-Steffen den Wandel der
Identitätspolitik der FPÖ im Lauf ihrer Geschichte und besonders nach dem Eintritt der
Partei in die Regierung im Jahr 2000. Auf etwas mehr als elf Seiten zeichnet Sie den Weg
der Freiheitlichen von der Sammelbewegung der „Ehemaligen“, der im Zuge der
Entnazifizierung nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs durch ihre Vergangenheit
Belasteten, über die Bewegung des sogenannten Dritten - des deutschnationalen- Lagers
bis hin zur Partei mit österreich-patriotischem, europakritischem Programm. Besonderes
Augenmerk legt sie auf die Spannungen, denen die ideologische Ausrichtung der Partei
seit der Bildung der schwarz-blauen Koalition ausgesetzt ist.
Inhalt und Aufbau
In ihrem klar strukturierten Text geht Fröhlich-Steffen zunächst auf das Phänomen der
sich Ende der Neunzigerjahre in mehreren europäischen Ländern einstellenden
überraschend deutlichen Wahlerfolge rechtspopulistischer Parteien ein. Als Beispiel nennt
sie etwa Dänemark, die Niederlande und die Schweiz. Sie streicht die wesentlichen
Elemente der von diesen Gruppierungen vertretenen Ansichten hervor, unter anderem den
Vertretungsanspruch für die Anliegen des „kleinen Mannes“, das Aufgreifen von
Ressentiments gegenüber gewissen gesellschaftlichen Gruppen und das Auftreten gegen
die
etablierten
Parteien.
Auch
zeigt
sie,
dass
meistens
eine
charismatische
Führungspersönlichkeit eine entscheidende Rolle für den Erfolg der Partei spielt. Die
Autorin erinnert daran, dass eine der zentralen, von allen rechtspopulistischen Parteien
thematisierten Fragestellungen die Handhabung von Asyl und Einwanderung darstellt,
wobei stets die Warnung vor den Gefahren einer zu großen Zuwanderung und die
Forderung nach restriktiverem Vorgehen in diesem Bereich das Haupanliegen dieser
Parteien ist.
Auch Gründe für das seit den Achtziger- und Neunzigerjahren stetig steigende
Wählerpotenzial rechtspopulistischer Parteien in einigen Ländern führt Fröhlich-Steffen an,
vor allem die zunehmende Verdrossenheit der Bürger gegenüber konkordanten, seit
Jahren oder Jahrzehnten an der Macht befindlichen Regierungsparteien.
Nach dieser allgemeinen Einleitung wendet sich Steffen-Fröhlich Österreich zu und
beleuchtet die - ihrer Ansicht nach verspätete – Entwicklung eines österreichischen
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Nationalbewusstseins als Folge des habsburgischen Vielvölkerstaats. Sie zeigt auf, dass
sich noch bis in die Fünfzigerjahre de zwanzigsten Jahrhunderts die Mehrheit aller
ÖsterreicherInnen einer großdeutschen Nation zugehörig fühlte. Erst die Unterzeichnung
des Staatsvertrags und der Beschluss des Neutralitätsgesetzes im Jahr 1955 leiteten eine
langsame Trendumkehr hin zu einem österreichischen Nationalbewusstsein ein, eine
Entwicklung, die erst in den späten Neunzigerjahren mit einer Zustimmungsrate zum
Konzept einer eigenständigen österreichischen Nation von über 90% als abgeschlossen
gelten kann. Die Autorin streicht die Rolle der beiden Großparteien bei der Herausbildung
des nationalen Bewussteins der ÖsterreicherInnen hervor; schließlich herrschte fast vier
Jahrzehnte lang zwischen SPÖ und ÖVP Einigkeit über die Definition der österreichischen
Nation und man war sich auch einig in der Ablehnung der deutschnationalen Ideologie der
FPÖ, die durch zweifelhafte Äußerungen einiger ihrer Vertreter immer wieder in die Nähe
nationalsozialistischer Ideen abglitt. Durch den Zusammenbruch des Ostblocks und die
damit einhergehende Veränderung der weltpolitischen Rolle Österreichs sowie durch die
fortschreitende Europäische Integration veränderte sich auch das Österreichverständnis
der Großparteien. Spätestens mit Beginn der Kampagne zur Volksabstimmung über den
EU-Beitritt Österreichs traten für ÖVP und SPÖ Fragen der nationalen Identität gegenüber
europapolitischen Themen in den Hintergrund.
Im folgenden Kapitel befasst sich die Autorin mit dem Identitätskonzept der FPÖ bzw.
ihrer Vorgängerorganisationen vom Beginn der Zweiten Republik bis in die frühen
Neunzigerjahre. Sie thematisiert, auch mit Verweis auf historische Zitate und Quellen, die
kulturnationale Prägung des VdU bzw. später der FPÖ, die die nationale Eigenständigkeit
Österreichs ablehnten und das Konzept einer großdeutschen Kulturnation propagierten.
Die Autorin unterstreicht auch die Rolle von VdU bzw. FPÖ als Partei der „Ehemaligen“,
die aus dem Entnazifizierungsprozess nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs als wegen
ihrer Vergangenheit mehr oder weniger belastet hervorgegangen waren. Die Absage an
eine österreichische Nation blieb bis in die Achtzigerjahre Bestandteil des FPÖParteiprogramms. Erst nach Bildung der kleinen Koalition zwischen SPÖ und FPÖ im Jahr
1983 versuchte Parteiobmann Norbert Steger den Deutschnationalismus in den eigenen
Reihen zurück zu drängen. Mit der Wahl Jörg Haiders zum Parteivorsitzenden im Jahr
1986 wurde diese Entwicklung aber wieder gestoppt und Fröhlich-Steffen erinnert in ihrem
Aufsatz daran, dass Haider im August 1988 die österreichische Nation als „ideologische
Missgeburt“ bezeichnet hatte, die FPÖ also Österreich nach wie vor als Teil der deutschen
Volks- und Kulturgemeinschaft verstand. Als weitere Verfechter des großdeutschen
Konzepts führt die Autorin mit Andreas Mölzer und Ewald Stadler zwei bis heute sehr
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Vertreter
des
rechten
Parteiflügels
an
und
verweist
in
diesem
Zusammenhang auf Aussagen Mölzers, der sich 1991 gar für eine Vereinigung
Österreichs mit der Bundesrepublik Deutschland ausgesprochen hatte.
Nach einer kurzen Betrachtung der, wie sie es nennt „Europäisierung von ÖVP und SPÖ“,
also der zunehmenden Orientierung der beiden großen Parteien hin zu europapolitischen
Themen und weg vom jahrzehntelang betonten Österreich-Patriotismus als Folge der
politischen Wende in Osteuropa und der damit einher gehenden Chancen und Risiken für
Österreich, wendet sich Fröhlich-Steffen in ihrem Artikel dem Anfang der Neunzigerjahre
vollzogenen Übergang der FPÖ zu einer österreich-patriotischen Partei zu. 1995 erklärte
Jörg Haider der „Deutschtümelei“ eine Absage und verordnete seiner FPÖ eine stärker
österreichisch-patriotisch
geprägte
Linie.
Fortan
setzte
die
Partei
auf
das
Eigenständigkeits- (gegenüber Europa) und Zusammengehörigkeitsgefühl (als Nation) der
Österreicher und forderte eine selbstbewusste österreichische (Außen)politik. Mit dieser
Betonung nationaler und patriotischer Gefühle ging auch eine klare Ablehnung einer
österreichischen EU-Mitgliedschaft einher. Damit verabschiedete man sich endgültig von
der noch in den Achtzigerjahren gelebten positiven Einstellung gegenüber einem EUBeitritt und grenzte sich deutlich von der betont pro-europäischen Haltung der beiden
großen Parteien. Als deutlichste Anzeichen dieser anti-europäischen Haltung der FPÖ
führt die Autorin das Schilling-Volksbegehren zur Verhinderung der Euro-Einführung und
die im Parteiprogramm von 1997 verankerte Ablehnung einer Politik von Vereinheitlichung
und damit Zurückdrängung nationaler Besonderheiten als Folge des EU-Beitritts an. Mit
der konkreter werdenden EU-Osterweiterung konstatiert Fröhlich-Steffen auch eine wieder
verstärkte Hinwendung der FPÖ zu einem ihrer Kernthemen, der Ablehnung weiterer
Zuwanderung aus Angst vor einer „Überfremdung“ des Landes. Genau diese befürchteten
die Freiheitlichen nach der Osterweiterung und lehnten diese kategorisch ab.
Zentrale Bedeutung kommt der Frage nach der Neudefinition der Rolle der FPÖ nach der
Bildung der blau-schwarzen Regierungskoalition im Jahr 2000 zu. Steffen-Fröhlich
analysiert die Folgen der von den übrigen 14 EU-Staaten gegenüber Österreich
verhängten Sanktionen und stellt fest, dass die dadurch bedingte europa-kritischere
Haltung der ÖVP zu einem ernsten Problem für die FPÖ wurde, die diese Position bisher
allein vertrat. Auch die generelle Ablehnung der Europäischen Integration mussten die
Freiheitlichen dem Koalitionspakt mit der ÖVP „opfern“. Die Autorin erkennt mit der
Regierungsbeteiligung der FPÖ eine „programmatische Kehrtwende“ der Partei. Sie
musste unter dem Eindruck der öffentlichen Aufmerksamkeit ihre negative Haltung
gegenüber der österreichischen EU-Mitgliedschaft aufgeben und auch die generelle
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Ablehnung der EU-Osterweiterung war zumindest für die Bundes-FPÖ plötzlich kein
Thema mehr. Wie Fröhlich-Steffen in ihrem Artikel feststellt, blieb somit vom
programmatischen Österreich-Patriotismus der FPÖ kaum mehr etwas übrig. Der Kärntner
Landeshauptmann Jörg Haider fiel allerdings immer wieder mit EU-kritischen Äußerungen
auf und erschwerte so den FPÖ-Bundespolitikern die Zusammenarbeit mit dem
Regierungspartner ÖVP. Wie die Autorin heraus streicht, führte diese widersprüchliche
Haltung der Freiheitlichen gegenüber wichtigen europapolitischen Themen zu einem
erheblichen Image-Verlust der Partei. Verstärkt wurde diese „Selbstbeschädigung“ noch
durch zahlreiche deutschnationale, rassistische und antisemitische Äußerungen einzelner
freiheitlicher Politiker. Als jüngstes Beispiel für die Identitätskrise der FPÖ nennt FröhlichSteffen die Europawahlen 2004, wo sich der dem rechten, deutschnationalen Parteiflügel
zuzurechnende Andreas Mölzer dank der Vorzugstimmen das einzige FPÖ-Mandat im
EU-Parlament erkämpfte und den gemäßigteren Spitzenkandidaten Hans Kronberger
verdrängte. Die Autorin erinnert an zahlreiche höchst bedenkliche Äußerungen Mölzers,
der etwa 1991 Österreich als Teil der deutschen Nation bezeichnet hatte und eine
Vereinigung der beiden Länder als sein Ziel bezeichnete. Auch hatte er, ebenso wie der
Vertreter der freiheitlichen Jugend Johann Gudenus, vor einer möglichen „Umvolkung“ als
Folge der Zuwanderung gewarnt und sich dabei, wie die Verfasserin betont, eindeutiger
NS-Diktion bedient.
In ihrem Resümee beleuchtet Fröhlich-Steffen noch einmal wie die FPÖ von der
Verunsicherung der Bürger durch die fortschreitende Europäische Integration und die
zunehmende Globalisierung profitierte und mit dem Aufgreifen von Themen, die von den
beiden Großparteien zugunsten des als notwendig erachteten EU-Beitritts vernachlässigt
worden waren, wie etwa die Frage der Zurückdrängung der nationalen Besonderheiten
oder der Problematik der Zuwanderung, jahrelang Erfolge erzielen konnte. Die FPÖ habe
sich mit ihrem österreich-patriotischen Programm erfolgreich ein Image als Bewahrerin der
österreichischen Nation aufgebaut, gestützt auf eine nahezu ausschließlich exklusive
Identitätspolitik mit den Kernelementen Fremdenfeindlichkeit, Anti-Internationalismus und
Anti-EU-Politik.
Die
Autorin
spricht
aber
auch
die
Inkohärenzen
in
diesem
Identitätskonzept an und nennt in diesem Zusammenhang vor allem die deutschnationalen
Aussprüche einzelner Abgeordneter, die ebenso im Widerspruch zur österreichpatriotischen Ausrichtung der Partei stehen wie die mangelnde Abgrenzung zu
nationalsozialistischem
Gedankengut
und
NS-Diktion.
Als
Wendpunkt
in
dieser
Erfolgsgeschichte beschreibt sie die Bildung der blau-schwarzen Koalition im Jahr 2000,
wo es der ÖVP gelang, aus den von den übrigen EU-Mitgliedern verhängten Sanktionen
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Kapital zu schlagen und ihr Image als österreich-patriotische Partei zurückzugewinnen.
Dieses Scheitern an der Regierungsverantwortung setzt Fröhlich-Steffen in den
internationalen Kontext, indem sie schildert, dass rechtspopulistische Parteien zwar von
den durch die fortschreitende Globalisierung und Internationalisierung von Politik und
Wirtschaft ausgelösten Ängsten in der Bevölkerung profitieren können, so lange sie sich
außerhalb der regierenden Kräfte befinden, dann aber oft an der Entscheidung zwischen
Adaption und Opposition scheitern und durch die anschließende Neupositionierung der
etablierten Parteien beträchtlich an Stimmen verlieren.
Resümee
Susanne Fröhlich-Steffen gibt mit diesem Artikel einen guten Überblick über die
Identitätspolitik der FPÖ bzw. ihrer Vorgängerparteien im Lauf der Geschichte, der
gleichzeitig auch die Veränderungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft seit dem Ende
des Zweiten Weltkriegs illustriert. Hoher Aktualitätswert kommt dem Aufsatz durch die
genaue Analyse der identitätspolitischen Veränderungen nach dem Regierungseintritt der
FPÖ auf Bundesebene im Jahr 2000 zu. Der Autorin gelingt es, die Spannungen zwischen
den einzelnen Parteiflügeln, das Zurückfallen hinter den Koalitionspartner Volkspartei und
die generelle Identitätskrise der Freiheitlichen, die in einigen Bereichen zu einer
Rückbesinnung auf die traditionellen Werte der FPÖ als Partei des Dritten Lagers geführt
hat, spannend und facettenreich zu präsentieren. Auch für den in der österreichischen
Innenpolitik nicht so bewanderten Leser aus dem Ausland scheint der Text dank seiner
klaren Sprache, der übersichtlichen Strukturierung des Inhalts und der Beschränkung auf
das Wesentliche gut verständlich. Die zahlreichen Zitate und Verweise auf externe
Quellen und die ausführlichen Literaturangaben animieren zudem zur näheren
Betrachtung einzelner Aspekte und erleichtern die vertiefende Recherche.
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