Langfristig glauben wir an Russland

32 WIRTSCHAFT
VON MICHAEL GASSMANN
AUS DÜSSELDORF
WELT AM SONNTAG: Herr Rorsted,
Henkel-Produkte wie Persil und Pritt
kennt fast jeder, aber die Konkurrenz
wächst. Wird das Geschäft mit Marken schwieriger?
KASPER RORSTED: Starke Marken
sind entscheidend für Henkel. Wir haben daher unsere Marken in den letzten
zehn Jahren konsolidiert. Von einst über
1000 sind rund 250 übrig geblieben.
Heute erzielen wir mit den zehn TopMarken 59 Prozent unseres Umsatzes,
insgesamt mehr als zehn Milliarden Euro. Schwarzkopf und Loctite machen jeweils zwei Milliarden Umsatz, Persil
kommt auf über eine Milliarde. Wir rollen Marken weltweit aus und konzentrieren unsere Marketinginvestitionen
auf immer weniger Marken.
Die Werbung scheint auch nötig. In
Deutschland teilen sich zwei Supermarktketten und vier Lebensmittelriesen die Märkte weitgehend unter
sich auf. Welche Macht hat Henkel gegen die Eigenmarken des Handels?
Wir müssen uns auf die Märkte einstellen, in denen wir tätig sind. In den letzten
fünf Jahren ist die Position der Eigenmarken des Handels weitgehend konstant geblieben. Wir versuchen, alle Preissegmente zu besetzen, bei Waschmitteln etwa
mit Spee als Einstiegsmarke, Weißer Riese im mittleren Segment und Persil als
Premiumprodukt. So gehen wir auch bei
anderen Produktgruppen vor, beispielsweise bei Haarpflege oder -kolorationen.
Außerhalb Deutschlands haben sich viele
Handelsunternehmen aus Eigenmarken
ganz zurückgezogen. Wir betrachten
Handelsmarken nicht als Bedrohung, die
Händler sind unsere Partner. Unser Job
ist es, sie zu überzeugen, dass sie unsere
attraktiven Marken ins Regal nehmen.
Der Umsatz Ihres Konzerns ist im ersten Quartal um knapp 13 Prozent gewachsen, der Nettogewinn um fast
sechs Prozent. Konkurrenten außerhalb des Euro-Raums mussten Einbußen hinnehmen. Spielt Ihnen der
schwache Euro in die Hände?
In den letzten beiden Jahren hatten wir
die Wechselkurse gegen uns. Das hat uns
rund 1,4 Milliarden Euro Umsatz gekostet. In dieser Zeit haben wir nicht geklagt und auch unsere Finanzziele für
2016 nicht revidiert, also 20 Milliarden
Euro Umsatz, davon zehn Milliarden in
den Wachstumsmärkten, sowie zehn
Prozent jährliches Wachstum beim Ergebnis je Aktie. Jetzt hat sich der Währungstrend umgekehrt, das ist gut für
uns. Im Lauf der Zeit gleicht sich der
Wechselkurseinfluss aus.
Henkel hat Spielraum, könte 4,5 Milliarden Euro für Zukäufe ausgeben.
Derzeit wird viel über ein Angebot für
das Haarpflegegeschäft von Procter &
Gamble spekuliert. Wollen Sie Wella?
Wir kommentieren grundsätzlich keine
Spekulationen oder Marktgerüchte.
Eine starke Marke wie Wella würde
doch perfekt in Ihr Portfolio passen.
Dazu möchte ich mich nicht weiter äußern. Wir sind gut aufgestellt, und wir investieren in unsere Standorte, Marken
und Innovationen sowie in verschiedene
Übernahmen, wenn sie strategisch gut zu
uns passen und der Preis stimmt. Im vergangenen Jahr haben wir 1,8 Milliarden
Euro für Akquisitionen ausgegeben, und
auch 2015 haben wir bereits Vereinbarungen für Zukäufe in einer Größenordnung
von über 300 Millionen Euro geschlossen. Wir brauchen also nicht unbedingt
große, milliardenschwere Zukäufe, um
unsere Finanzziele zu erreichen. Aber seien Sie sicher, dass wir unsere Mittel auch
weiterhin klug investieren werden.
In welchen Branchen und Regionen
gehen Sie denn mit dem Milliardenbudget für Übernahmen auf die Jagd?
„Langfristig glauben
wir an Russland“
14 . J U N I 2 015
kräfte müssen regelmäßig an Compliance-Trainings teilnehmen. Wer das nicht
tut, muss mit Abstufungen in der jährlichen Bewertung rechnen, was auch zu
finanziellen Einbußen führt.
Inwieweit beunruhigen Sie die zahlreichen Krisenherde der Welt, vom
Nahen Osten bis Russland?
Wir sind in der Tat besorgt, dass Regionen wie der Nahe und Mittlere Osten
über so lange Zeit nicht zur Ruhe kommen. Auch in Osteuropa sind die Verwerfungen hartnäckig. Wir sind seit 1990 in
Russland und erleben dort jetzt die vierte
Krise. Deren Ausmaß und die Auswirkungen auf die Volkswirtschaften in Osteuropa haben viele überrascht, auch uns. In
Deutschland sind durch den UkraineKonflikt nach Studien etwa 100.000 Arbeitsplätze verloren gegangen, bei Henkel erwarten wir für 2015 insgesamt Belastungen in Höhe von etwa 100 Millionen Euro beim Ergebnis. Aber wir glauben langfristig an Russland, wo wir ein
hervorragendes Managementteam, 3500
Mitarbeiter und acht Fabriken haben.
Genauso stehen wir zu unserem Geschäft und dem Team in der Ukraine.
Die UkraineKrise trifft
Henkel hart, gibt
Konzernchef
Kasper Rorsted
zu. Von Europa
fordert er mehr
politischen Mut
Europa erodiert derzeit nicht nur in
der Ukraine. Das Griechenland-Problem ist hartnäckig, die Briten werden
über einen Austritt abstimmen. Wie
bewerten Sie diese Tendenzen?
Europa fehlt der politische Mut. Wir beschäftigen uns seit 2008 mit einer Krise,
die keine neue Vision von Europa zulässt. Wie soll da Begeisterung bei der
Bevölkerung aufkommen? Die Politik
muss, wie ein Unternehmen, Perspektiven öffnen. Wer nur immer Schadensbegrenzung betreibt, kommt nicht mehr
voran. Das transatlantische Handelsabkommen TTIP wäre eine solche Perspektive. TTIP würde über eine Million Jobs
in Europa schaffen, wo die Arbeitslosigkeit so hoch ist wie seit Jahren nicht.
Wenn man sich zudem ständig mit einem Land beschäftigt, das für ein Prozent der Wirtschaftsleistung steht ...
JUDITH WAGNER
D
ie Sonne strahlt durch
die riesigen Glasflächen in den Bau
rechts von Tor 1 auf
dem
Düsseldorfer
Henkel-Gelände. Vielleicht trägt das zur
aufgeräumten Stimmung von Vorstandschef Kasper Rorsted bei. Mit ausgestreckter Hand und perfekt gestyltem
Dreieinhalb-Tage-Bart – seinem Alleinstellungsmerkmal unter den Dax-Chefs –
eilt er in den Raum.
W E LT A M S O N N TA G N R . 2 4
Henkel-Vorstandschef Kasper Rorsted: „Keiner kauft mehr Seife, weil er bestochen wurde"
Wir sind in unserem Industriegeschäft an
Technologien im Hightech-Bereich interessiert. In den USA haben wir letztes
Jahr mit Bergquist den Marktführer im
Bereich wärmeableitender Klebstoffe für
die Elektronikindustrie erworben. Diese
kommen zum Beispiel bei LED-Leuchten,
Smartphones oder in Autos zum Einsatz.
Solche Technologien vermarkten wir
weltweit, der Firmenstandort spielt dabei
keine Rolle. Anders im Konsumentengeschäft. Hier geht es für uns darum, gezielt
in bestimmte Produktkategorien zu investieren, um eine nachhaltige Marktposition in einem bestimmten Land oder
einer Region aufzubauen oder eine bestehende Position zu stärken. Ein gutes Beispiel ist die im Mai angekündigte Übernahme der Waschmittelmarken von Colgate-Palmolive in Australien. Dort waren
wir bisher mit unserem Waschmittelgeschäft nicht vertreten.
Finden Sie denn überhaupt noch genügend geeignete Übernahmekandidaten?
Wenn man langfristig orientiert ist – und
Henkel ist fast 140 Jahre alt –, dann gibt
es genügend mögliche Partner für Übernahmen. Man braucht jedoch Geduld, der
Zeitpunkt spielt eine untergeordnete Rolle. Man muss nicht Geld ausgeben, nur
weil man es hat, sondern um sich strategisch und langfristig zu stärken. Wir haben eine klare Strategie und wissen genau, wo wir hinwollen.
Wo wollen Sie denn hin?
Nehmen Sie das Haarpflegegeschäft mit
Friseuren in Nordamerika als Beispiel für
unser langfristiges Vorgehen. Noch bis
Ende 2010 hatten wir in diesem Bereich
kein eigenes Geschäft. Dann haben wir
dort das Friseurgeschäft unter der Marke
Schwarzkopf erworben, das von uns bis
dahin als Lizenzgeschäft betrieben wurde. Im vergangenen Jahr folgte dann die
Übernahme von drei Unternehmen in
diesem Segment. So sind wir in wenigen
Jahren zur Nummer drei im US-Markt
aufgestiegen.
Das hat aber nicht verhindert, dass
der Henkel-Umsatz in den USA 2014
um 1,5 Prozent gesunken ist, während
alle übrigen Regionen zulegten.
Ich bin zuversichtlich, dass wir auch in
den USA auf unseren Wachstumspfad zurückkehren werden. Im Industriegeschäft, also bei Klebstoffen, sind wir
bereits die Nummer eins. Im Markengeschäft besteht die Herausforderung, dass
ein einziger Wettbewerber mit 60 Prozent Marktanteil eine starke Position im
Waschmittelbereich hat ...
... nämlich Procter & Gamble.
Wir haben in Nordamerika unsere Hausaufgaben nicht gut genug gemacht, nicht
so gut jedenfalls wie in Europa, im Nahen
Osten oder in Asien. Wir sind dabei, das
Problem zu lösen. Es hat einen Managementwechsel gegeben, wir haben eine
Reihe von Innovationen auf den Markt
gebracht, und wir investieren intensiv in
unsere Marken. Es gibt erste Anzeichen,
dass wir auf dem richtigen Weg sind: Im
ersten Quartal 2015 ist Henkel in den
USA wieder gewachsen, aber das reicht
uns nicht. Wir sind erst zufrieden, wenn
wir mindestens vier bis sechs Quartale
organisch – also ohne Zukäufe – gewachsen sein werden.
Wie wichtig ist Nordamerika?
Sehr wichtig, Nordamerika ist – bezogen
auf den Umsatz – unser größter Einzelmarkt, noch vor Deutschland. Von den
letzten fünf Monaten habe ich zweieinhalb Monate dort verbracht, wir haben in
den USA über 6000 Mitarbeiter. Nordamerika muss wieder ein Wachstumstreiber für Henkel werden und es bleiben.
Mehrere Faktoren geben den USA und
Kanada Vorteile insbesondere gegenüber
Europa, die sich langfristig auszahlen
werden. Dazu zählt eine günstige Entwicklung der Bevölkerungsstruktur. Die
KASPER RORSTED,
VORSTANDSCHEF
VON HENKEL
Als erster Henkel-Chef ist Kasper
Rorsted, 53, kein Eigengewächs des
Unternehmens. Der Däne, Sohn
eines Wirtschaftsprofessors,
studierte Wirtschaft in Kopenhagen
und Harvard, bevor er in der amerikanischen IT-Industrie ins Topmanagement aufstieg. Er arbeitete bei
Unternehmen wie Oracle, Compaq
und Hewlett-Packard. In den Henkel-Vorstand wechselte er 2005,
drei Jahre später wurde er Vorstandsvorsitzender. Rorsted hat
Henkel seitdem strikt auf Erfolg
getrimmt, das Markenportfolio
bereinigt, den Umsatz um 2,3 Milliarden Euro erhöht und den Aktienkurs auf rund 105 Euro verdreifacht. Rorsted gilt als Vertrauter von Aufsichtsratschefin
Simone Bagel-Trah. Beide stehen
nun womöglich vor dem größten
Coup der Henkel-Geschichte, der
Übernahme von Wella. Rorsted ist
verheiratet und hat vier Kinder.
Energiekosten sind außerdem sehr vorteilhaft. Das zieht sich durch alle Ebenen
von den Verbrauchern bis zur Industrie.
Dazu kommt ein flexibler Arbeitsmarkt.
Und schließlich hat Amerika es geschafft,
seine Attraktivität für kluge Köpfe aus aller Welt zu behalten. Schauen Sie sich an,
wie viele Nicht-Amerikaner in den USA
studieren und dann dort bleiben. Dieser
Aspekt wird in Europa oft unterschätzt.
Klingt nach einer Konzentration auf
die alten Industrieländer. Sind die
Märkte in den Schwellenländern noch
so entscheidend wie früher?
Eindeutig ja. Langfristig sehen wir dort
enorme Möglichkeiten. Auch wenn das
Wirtschaftswachstum in China auf rund
sieben Prozent sinkt, bleibt der Markt
für uns bedeutend. Indien, Indonesien
oder Vietnam, das sind alles wichtige
Märkte für Henkel. Der Schlüssel zum
Erfolg besteht darin, dass wir dort fast
ausschließlich lokale Managementteams
haben. Für unsere arabischen Führungsteams gehören beispielsweise Konflikte
und Krisen wesentlich mehr zur „Normalität“ als für uns, in China sind außerhalb der großen Metropolen ChinesischSprachkenntnisse unerlässlich.
In solchen Märkten laufen Geschäfte
häufig nicht ohne Schmiergeld. Wie
gehen Sie mit Korruption um?
Wenn wir von unseren Produkten reden,
sind solche Compliance-Themen nicht
relevant. Keiner kauft mehr Seife, weil er
bestochen wurde.
Aber vielleicht erwartet jemand Bakschisch, wenn Henkel ein Grundstück
für ein neues Werk kaufen will.
Bei dem Thema gibt es keine Grauzone.
Jeder unserer Mitarbeiter weiß, dass er
das Unternehmen verlassen muss, wenn
etwas in diese Richtung passiert. Ich wäre
sehr überrascht, wenn sich herausstellen
würde, dass es bei uns irgendwo schwarze Konten gäbe. Alle Henkel-Führungs-
... Sie sprechen von Griechenland ...
... dann ist es schwierig, die anderen 99
Prozent erfolgreich zu steuern. Wir brauchen eine Vision für Europa, die auf die
Zukunftsfragen eingeht, anstatt von Krisengipfel zu Krisengipfel zu eilen.
Deutschland geht es so gut wie noch nie
seit dem Zweiten Weltkrieg, aber es fehlt
hier oft an politischem Mut. Die Steuereinnahmen sind auf einem Höchststand,
der Haushalt ist ausgeglichen, wir könnten endlich die Schwachstellen der Infrastruktur bereinigen.
Ein Beispiel bitte.
Die Politik hat angekündigt, bis 2018
überall schnelles Internet einzuführen.
Das ist mir nicht ehrgeizig genug. Eine
solche Selbstverständlichkeit kann doch
kein langfristiger Anspruch für ein weltweit führendes Industrieland sein! Ein
anderes Beispiel: Warum investieren wir
nicht Milliarden in die Bildung, statt sie
in Renten umzuverteilen? Damit erhöhen
wir die Kosten, statt mehr in die Zukunft
zu investieren. Wir haben in Deutschland
und Europa so viele Möglichkeiten, aber
wir ergreifen sie nicht.
Klingt etwas frustriert. Bleibt Henkel
trotzdem in Deutschland?
Das ist überhaupt keine Frage! Hier ist
unser Zuhause und unsere Zukunft. Die
Rolle von Deutschland und Düsseldorf im
Henkel-Konzern ist heute wichtiger denn
je. Wir steuern den Konzern von hier aus.
Durch die Globalisierung hat der Standort Deutschland enorm gewonnen.
Gilt das auch für die Arbeitsplätze?
Henkel hat die Zahl der Arbeitsplätze in
Deutschland im vergangenen Jahr um
200 auf 8200 erhöht. Darunter sind viele
Funktionen, die es vorher hier nicht gab.
Wie sieht es mit Ihrem Job aus? Ihr
Vertrag läuft bis Ende 2017.
Ich arbeite sehr gerne für Henkel. Dass es
uns gut geht, ist einem starken Team und
engagierten Mitarbeitern zu verdanken.
Ich bin inzwischen seit zehn Jahren im
Henkel-Vorstand und habe ein extrem
gutes Verhältnis zu Frau Bagel-Trah, unserer Aufsichtsratsvorsitzenden. Ich mache mir über meine nächste Amtsperiode
noch keine großen Gedanken. Ich konzentriere mich darauf, wie wir unsere Ziele erreichen. Wir sind jetzt in der zweiten
Halbzeit und in Führung. Jetzt wollen wir
das Spiel auch gewinnen. Wir werden das
schaffen, davon bin ich überzeugt.