Mir ist es egal, wo meine Leute arbeiten

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F R A N K F U R T E R A L L G E M E I N E S O N N TAG S Z E I T U NG , 2 2 . NOV E M B E R 2 0 1 5 , N R . 4 7
„Mir ist es egal, wo meine Leute arbeiten“
Henkel-Chef Kasper Rorsted über
Revoluzzer im Büro, das deutsche
Flüchtlingsdrama und den König von Persil
Herr Rorsted, Sie haben alle Topmanager nach Harvard geschickt. Haben
die Nachhilfe so dringend nötig?
Nein, gar nicht. Jeder Konzern trainiert
seine Führungskräfte, einige davon auch
an der Harvard Business School. Soweit
ich weiß, sind wir aber die Einzigen, die
mit Harvard ein eigenes Programm entwickelt haben, bei dem Vorstand und
Topführungskräfte gemeinsam mit den
Professoren die Vorlesungen halten.
Was bringt das der Firma?
Unsere Digitalstrategie zum Beispiel haben wir dort erarbeitet: Wie gehen wir
mit Disruption um?
Von Disruption, revolutionären Brüchen, reden alle, was aber ist an Persil revolutionär? Das Waschmittel tut
seit 100 Jahren seinen Dienst.
Richtig: Auch wenn wir unsere Produkte immer weiter verbessern, Persil bleibt
Persil. Da ist nichts disruptiv. Was sich
ändert, ist die Ansprache und der Austausch mit Kunden.
Der holt sich Persil im Supermarkt:
Was soll da anders werden?
Unterschätzen Sie die Digitalisierung
nicht, die ändert alles – auch den Markt
für Waschmittel. Als wir Persil dieses
Jahr in Amerika eingeführt haben, lief
das nicht mit traditioneller Werbung,
sondern über eine sehr gezielte Kampagne auf Facebook. Die Leute holen sich
ihr Wissen über Produkte heute online,
tauschen sich aus: Was machst du mit
dem Kaffeefleck? Demnächst werden
immer mehr auch direkt im Internet bestellen, in China ist das Internet heute
schon unser größter Händler.
Wie viel kaufen die Chinesen online?
Ein Drittel unserer Umsätze im Kosme-
tikbereich dort ordern die Leute im
Netz. Das treibt unser Wachstum. In
China legen wir mit Kosmetik zweistellig zu. Am chinesischen Einkaufsfeiertag neulich hat Alibaba auf seiner Plattform rund 15 Milliarden Dollar umgesetzt – an einem einzigen Tag!
Alibaba macht alle anderen platt?
Nein, nicht in Wachstumsmärkten wie
China. Dort werden Einkaufsmöglichkeiten geschaffen, die es bisher so nicht
gab. Durch Internetportale wie Alibaba
oder T-Mall kommen die Chinesen erst
an Produkte, zu denen sie sonst keinen
Zugang haben. In China gibt es nicht
überall einen Supermarkt um die Ecke.
China und die Schwellenländer überspringen einen Schritt in der Entwicklung, deswegen wächst der Internethandel dort so rapide. Das ist in Europa
oder Amerika anders.
Wir hinken hinterher?
Für Lebensmittel und Produkte des täglichen Bedarfs ja. Andererseits ist
Deutschland der zweitwichtigste Markt
für Amazon. Hier haben sich viele Konsumenten daran gewöhnt, online zu bestellen – das wird sich quer durchs Sortiment durchsetzen. Darauf müssen wir
uns als Hersteller einstellen.
Die Tage des stationären Handels
sind gezählt?
Nein, es wird nie ausschließlich digitalen Handel geben, sondern ein Nebeneinander. Kürzlich habe ich den Walmart-Chef gesprochen, die bauen gerade Pick-up-Points auf: Da ordern Sie
vom Sofa aus Ihren Wocheneinkauf –
laut Statistik zu 70 Prozent jede Woche
dasselbe. Dann fährt man an eine Station, einer Tankstelle ähnlich, und lädt
sein gepacktes Paket ein. Wer mag,
Wäscht so weiß, weißer geht’s nicht: Henkel-Chef Kasper Rorsted verkauft Waschmittel und trägt seine Oberhemden porenrein.
kann dann trotzdem noch im Store nebenan shoppen. An solche Entwicklungen müssen wir uns anpassen, in Marketing wie Vertrieb. Werbekampagnen im
Netz laufen vielleicht 24 Stunden, nicht
mehr ein paar Wochen wie früher. Auch
mag der Kunde nicht lang auf die online bestellte Ware warten: Wir müssen
schneller liefern.
Wer morgens Shampoo ordert, will
abends die Haare damit waschen?
72 Stunden, so sagt man, ist die maximale Frist, die ein Kunde wartet, vieles will
er gleich haben. Oder wären Sie zufrieden, wenn Sie heute Persil bestellen,
und in drei Wochen können die
T-Shirts in die Waschmaschine?
All dies lernen deutsche Konzernchefs im Silicon Valley? Oder was ist
der Nutzen dieser Pilgerfahrten?
Abgesehen davon, dass es mich persönlich inspiriert, kommen wir jedes Mal
mit 1000 Eindrücken zurück. Die Kunst
ist, daraus die drei relevanten Dinge herauszufiltern, die Einfluss auf unser Unternehmen haben, die wir nicht verpassen dürfen.
Haben Sie dafür ein Beispiel?
Ganz konkret: In Amerika gibt es den
„Dollar Shave Club“, Sie schließen als
Mitglied ein Abo ab, bekommen jeden
Monat Klingen und Rasierschaum mit
der Post geliefert. Hohe Qualität und
viel günstiger als die Marktführer. Vor
zwei Jahren hätte man über so ein Geschäftsmodell gelacht, heute haben die
zehn Prozent Marktanteil, und wir fragen uns: Wenn das mit Rasiercreme gelingt, warum nicht auch mit einer unserer Produktkategorien? Welche neuen
Wettbewerber werden da entstehen? Es
wäre fatal, solche Dinge zu ignorieren.
Im Silicon Valley, auch in Berlin, können
Sie beobachten, um wie viel schneller
Start-ups Fahrt aufnehmen, auch weil sie
einen anderen Antrieb haben: Schaffe
ich es in sechs Monaten nicht, bin ich
pleite. Bei uns im Großkonzern dauert alles länger und kostet mehr, auch weil wir
es uns erlauben konnten, aber das ändert
sich rapide.
Deshalb wollen Sie jetzt auch Startup werden?
Nein, wir sind kein Internetunternehmen, versuchen erst gar nicht, ein Startup zu sein. Wir stehen zu unserer Tradition: Wir sind stolz auf rund 140 Jahre
Henkel.
Also wird die Krawatte nicht abgeschafft, wie in manch anderem Traditionskonzern: Sie tragen weiter
Schlips.
Das sowieso. Aber Krawatten haben
nichts mit Tempo zu tun. Abgesehen davon müssen wir im digitalen Bereich
viel besser werden, etwa indem wir jüngere Leute früher in Verantwortung
bringen. Ein typischer Persil-Produktmanager ist 30 bis 40 Jahre alt, hat die
klassische Karriere im Konzern durchlaufen: erst Assistent, dann verantwortlich für eine kleinere Marke, am Ende
als Höhepunkt: König von Persil. In der
neuen Welt muss man auch mal einen
25-Jährigen daneben setzen und sagen:
So, du bist jetzt der König für Persil online. Die Jungen denken anders.
Arbeiten sie auch anders?
Ja, viel mehr mit sozialen Medien. Die
sind privat bei Facebook, Instagram,
Snapchat und erwarten das auch im
Büro. Wir haben deshalb im Oktober
Yammer eingeführt, eine Art internes
Facebook von Microsoft, da machen
jetzt schon 20 000 Mitarbeiter mit.
Und tratschen über das Kantinenessen?
Jeder kann reinschreiben, was er mag –
auch was ihm an meinen Entscheidungen nicht passt oder wo der Vorstand
aus seiner Sicht falsch liegt.
So tollkühn wird keiner sein, der eine
Karriere vor sich hat.
Das wollen wir nicht steuern. Was früher in der Kantine besprochen wurde,
landet jetzt in den sozialen Medien – damit muss ein Konzern, damit muss auch
ich leben lernen.
Sind Sie auch bei Facebook?
Nein, ganz bewusst nicht. Ich trenne
mein Privatleben strikt vom Geschäft.
Im Büro aber antworte ich auf jede
E-Mail selbst, da ist kein Filter dazwischen. Nur wenn ich in Kopie, also cc,
stehe, dann ignoriere ich das konsequent. Dieses ganze cc-Geschreibe
macht in den seltensten Fällen Sinn und
dient meistens nur der Absicherung!
Sie sagen, es sei nötig, jungen Leuten
rasch Verantwortung zu geben: Wollen die das überhaupt? Wie viel liegt
der Generation Y an der Karriere?
Wie immer gibt es solche und solche, generell wollen die Jungen freier entscheiden, wann und wo sie arbeiten. Als ich
neulich eine 27-jährige Frau eingestellt
habe, hat die gesagt, ich arbeite gerne
zehn Stunden oder auch mal mehr, aber
ich möchte entscheiden können, wo ich
dabei zu bestimmten Zeiten sitze.
Was haben Sie geantwortet?
Das ist mir egal, habe ich ihr gesagt,
Hauptsache, die Leistung stimmt.
Wenn du zwischendurch ins Fitnessstudio gehst und mir hinterher die Finanzanalyse schickst, auch gut. Die Präsenzkultur stirbt aus, die Digitalisierung
wird das endgültig beenden.
Ist das bedrohlich?
Nein, für mich schon gar nicht, ich bin
ohnehin die wenigste Zeit hier im Büro,
sondern an einem unserer Standorte auf
der Welt unterwegs. Präsenz ist keine
Qualifikation und kein Leistungsausweis.
REICH WERDEN MIT HENKEL
Kasper Rorsted, Jahrgang 1962, ist
seit April 2008 Vorstandschef von
Henkel. Wer damals an ihn geglaubt hat und Aktien des Konzerns gekauft hat, ist heute reich:
Der Einsatz hat sich mehr als vervierfacht. Und es soll noch besser
werden, Rorsted verspricht neue
Höchstwerte in allen Disziplinen:
„2015 werden wir ein neues Rekordjahr hinlegen, so viel kann man
heute schon sagen. Wir wachsen
im Umsatz um zehn Prozent, im
Ergebnis noch um mehr. “ Der
Waschmittel-, Kosmetik- und Klebstoffkonzern, hinter dem die Familie Henkel als Großaktionär steht,
bringt es mit 50 000 Mitarbeitern
auf 16 Milliarden Euro Umsatz.
Die bekanntesten Marken heißen
Persil, Pritt, Schwarzkopf.
Foto Edgar Schoepal
Lässt sich auf Reisen ein Weltkonzern lenken, ausgestattet einzig mit
Rollkoffer und Smartphone?
Wenn man es richtig organisiert, dann
ja. Ich bin dieses Jahr rund 200 Tage so
unterwegs, immer alleine, nur mit Koffer, iPad, Smartphone.
Herr Rorsted, Sie sind Däne, wie beurteilen Sie die deutsche Flüchtlingspolitik?
Zunächst hat jedes Land die Verantwortung und Pflicht, sich um Kriegsflüchtlinge zu kümmern. Wie die deutsche Politik derzeit mit dem Thema umgeht,
finde ich nicht gut. Es sieht so aus, als
ob man sich seit Sommer ohne Konzept
von einer Woche zur nächsten hangelt.
Wir geben den Zuwanderern alle Rechte, haben aber nicht den Mut, auch die
Pflichten anzusprechen. Das ist das falsche Signal.
Die Dänen haben in Damaskus Anzeigen geschaltet, um den Syrern mitzuteilen: Kommt lieber nicht nach Dänemark. Ist das besser?
Dänemark liegt unter anderem mit
Schweden und Deutschland an der Spitze der europäischen Länder, wenn es
um die Aufnahme von Flüchtlingen
geht, natürlich im Verhältnis zur jeweiligen Bevölkerung. Schweden hat seine
Grenzen ja schon zugemacht. In Dänemark ist es aber zum Beispiel für Flüchtlinge auch Pflicht, die Sprache zu lernen. Wer dies nicht tut, bekommt weniger finanzielle Unterstützung vom Staat.
Dänemark ist bei der Umsetzung von
Rechten und Pflichten wesentlich strikter als wir in Deutschland.
Zu Beginn des Ansturms klang es
ganz anders aus der Industrie: Manager haben die Flüchtlinge als Lösung
des demographischen Problems gefeiert.
Das sehe ich nicht so. Der Punkt ist
doch nicht die Zahl der Arbeitnehmer,
sondern deren Kompetenzen. Wir brauchen in Deutschland gutausgebildete
Leute, die sich mit Chemie und in Ingenieurberufen auskennen, mit Technik
und Digitalisierung. Die Flüchtlinge
werden dieses Problem kurzfristig nicht
lösen.
Das Gespräch führte Georg Meck.
Kurs der Henkel-Aktie im Vergleich
+300 Veränderung in % seit dem 14. April 2008
(Kaspar Rorsted wird Chef von Henkel)
Henkel
Vorzugsaktie
+200
+100
Dax
0
–100
14.4.2008
Quelle: Thomson Reuters/ F.A.Z.-Grafik fbr.
20.11.2015