Zu Georg Trakls Gedicht ‚Hölderlin

SALZBURGER KULTURVEREINIGUNG
Salzburgs führender Konzertveranstalter
Georg Trakl
Forschungs- und Gedenkstätte
Zu Georg Trakls Gedicht ‚Hölderlin‘
Der neueste Trakl-Fund wurde vom Wiener Antiquar Erhard Löcker bei der Auflösung einer
privaten Bibliothek gemacht: ein Hölderlin-Band (Interimsbroschur) von 1905 mit dem Exlibris
von Georg Trakl und einem bisher unbekannten Gedicht ‚Hölderlin‘ in der hier gut lesbaren
Handschrift Trakls. Es handelt sich dabei um den dritten Band der Gesammelten Werke Friedrich Hölderlins, herausgegeben von Wilhelm Böhm im Verlag Eugen Diederichs, mit Dramen und
Übersetzungen Hölderlins: Empedokles, Ödipus und Antigonae. Auf dem vorderen Spiegelblatt
findet sich das von Max Esterle entworfene Exlibris Georg Trakls, ein Hinweis darauf, dass
der Band aus Trakls Besitz stammt. Auf die gegenüberliegende Seite hat Trakl mit Bleistift das
Gedicht ‚Hölderlin‘ geschrieben. Da er keine Korrekturen angebracht hat, wie sie bei anderen
seiner Manuskripte häufig zu finden sind, dürfte es sich um eine Reinschrift handeln.
Das Gedicht besteht aus zwei vierzeiligen Strophen in gleichmäßigen vierhebigen Jamben mit
umschließendem Reim, wie ihn Trakl zu dieser Zeit gerne verwendet hat. Die erste Strophe
zeigt eine friedliche Landschaft, in der fast alle Bewegung zum Stillstand gekommen ist; selbst
der Bach gleitet nur ganz leise.
Elemente dieser Strophe kommen auch in der ersten Strophe des bekannten vierstrophigen Gedichtes ‚Melancholie des Abends‘ vor, das Trakl in seinen ersten Band ‚Gedichte‘ aufgenommen
hat. Es ist wahrscheinlich im Oktober 1911 entstanden. (ITA I, 440) Das Gedicht ‚Hölderlin‘ datierte Trakl mit 1911. Welche von beiden Fassungen die erste war, lässt sich nicht mit Sicherheit
feststellen. Dass Trakl einmal begonnene Texte in abgewandelter Form mehrfach verwendet
hat, ist bekannt. Der Vers Indes der Bach ganz leise gleitet könnte eine Anlehnung an Hölderlins
Formulierung Da glänzend schon der Bach hinuntergleitet aus dem Gedicht ‚Der Frühling‘ sein.
(ITA I, 440)
In der zweiten Strophe nimmt Trakl direkt Bezug auf Hölderlin, weist auf dessen edles Haupt
hin, das von Wahnsinnn (Trakl schrieb das Wort mit drei ‚n‘, wohl eine Verschreibung) verdüstert
worden sei.
SALZBURGER KULTURVEREINIGUNG
Salzburgs führender Konzertveranstalter
Georg Trakl Forschungs- und Gedenkstätte
Die Bedeutung Hölderlins für Trakl ist in der Forschung ausführlich hervorgehoben worden. Er
hat ihn als Bruder angesprochen und machte ihn zu einer Leitfigur seiner poetischen Welt. Hölderlin ist mit dem Saitenspiel, dem sanften Wahnsinn und dem Heiligen seines Wesens in seinen
Gedichten gegenwärtig. Der entrückte Tote macht sich aus einer fernen Zeit vernehmbar. Im
Gedicht ‚Hölderlin‘ begegnet uns sein Wahnsinn als ein frommer Schauer, der am Abend durch
die Kräuter flüstert. Seine Gegenwart hat etwas Geisterhaftes, etwas von einem Doppelgänger,
wie der Schweizer Literaturhistoriker Bernhard Böschenstein meint. Er sieht darin ein leicht
verwischten Selbstbildnis, das aus zeitlichen Tiefen ausgegraben wird. Trakl teilte jedoch nicht
den Geschichtsoptimismus Hölderlins, da seiner Meinung nach der Mensch bereits mit der
‚Schuld des Geborenen‘ in die Welt kommt und daher dem Untergang geweiht ist.
Das jetzt aufgefundene Gedicht bestätigt die Bedeutung Hölderlins für den Dichter aus Salzburg. Neben ‚An Novalis‘ ist es das zweite Widmungsgedicht, das die geistigen Traditionslinien,
in denen sich Trakl gesehen hat, deutlich werden lässt. Dass sich das Präsidium der Salzburger Kulturvereinigung bereit erklärt hat, dieses wertvolle, einzigartige Dokument zu erwerben
zeugt von höchstem Verantwortungsbewusstsein und stellt eine wertvolle Bereicherung für die
Georg-Trakl-Forschungs- und Gedenkstätte im Geburtshaus des Dichters dar.
Dr. Hans Weichselbaum
Leiter der Georg Trakl Forschungs- und Gedenkstätte