Der VW-Skandal wird Deutschland nicht in die Rezession stürzen

Konjunktur:
Der VW-Skandal wird Deutschland nicht in die
Rezession stürzen
Düsseldorf, 2. Oktober 2015
Dirk Heilmann
Die Risikofaktoren für die deutsche Konjunktur mehren sich: Die Abkühlung in China und anderen
Schwellenländern belastet die Exportwirtschaft, die politische Lage im Nahen Osten bleibt explosiv – und
jetzt erschüttert auch noch der Skandal um manipulierte Abgaswerte das umsatzstärkste deutsche
Unternehmen, die Volkswagen AG. Noch zeigen Stimmungsindikatoren wie der Einkaufsmanagerindex und
der Ifo-Index klar aufwärts, aber in ihnen kann sich der VW-Skandal noch nicht niedergeschlagen haben.
Aber oft erwies sich der Börsenindex Dax als guter Frühindikator. Er hat seit April fast ein Viertel an Wert
verloren – kündigt er für 2016 eine Rezession an, wie es der Ökonom Daniel Stelter am vergangenen
Montag im Handelsblatt an die Wand malte?
Das ist höchst unwahrscheinlich. Bisher hat die deutsche Konjunktur in diesem Jahr alle Rückschläge und
Risiken gut verdaut und zeigt sich sehr robust. Dabei hilft auch der solide Aufschwung in der Euro-Zone, die
immer noch der mit Abstand wichtigste Absatzmarkt der deutschen Exporteure ist.
In Deutschland hat sich das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im Vergleich zum Vorjahreszeitraum
von 1,2 Prozent im ersten Quartal auf 1,6 Prozent im zweiten Quartal beschleunigt. Für das dritte Quartal
sagen Bankenvolkswirte derzeit einen weiteren Anstieg des Wachstumstempos auf rund 1,8 Prozent voraus,
für das vierte Quartal wieder eine leichte Verlangsamung. Zum Wachstum trugen bisher sowohl die Exporte
als auch Investitionen und ein für deutsche Verhältnisse lebhafter privater Konsum bei. Überdurchschnittlich
stark wächst auch der Staatskonsum – hier machen sich die Ausgaben für die Flüchtlinge bemerkbar.
Insgesamt befindet sich die deutsche Volkswirtschaft damit auf Kurs zu einer Wachstumsrate von gut
eineinhalb Prozent im laufenden Jahr.
Doch was ist für 2016 drin? Die meisten Volkswirte rechnen hier immer noch mit einem etwas flotteren
Wachstumstempo, doch viele haben ihre Erwartungen bereits von über zwei Prozent auf unter zwei Prozent
zurückgenommen. Der Konsens dürfte jetzt bei knapp zwei Prozent liegen. Die Rücknahme begründeten sie
zumeist mit dem eingetrübten weltwirtschaftlichen Umfeld, das auf eine Exportnation wie Deutschland
besonders stark einwirkt.
In diesen Prognosen ist jedoch zumeist der VW-Skandal noch nicht berücksichtigt. Gemessen an der
medialen Aufregung könnte man glauben, dass er die ganze deutsche Wirtschaft in einen Rezessionsstrudel
zieht. Doch die volkswirtschaftlichen Daten geben ein solches Szenario nicht her. Die Automobilindustrie ist
zwar mit 368 Milliarden Euro Umsatz und 775.000 direkt Beschäftigten die größte deutsche Industriebranche
und stellt damit ein Klumpenrisiko für die Volkswirtschaft dar. Aber der berechtigte Ärger der Verbraucher
über die Manipulation von Abgaswerten bei mindestens elf Millionen VW-Dieselfahrzeugen wird nicht dazu
führen, dass sie dem Autokauf komplett abschwören.
VW stellte in Deutschland im vergangenen Jahr 2,6 Millionen Pkw und leichte Nutzfahrzeuge her; das
entsprach einem Anteil von 44 Prozent an der gesamten Autoproduktion im Land. Die Autobranche
einschließlich der Zulieferer macht einen Anteil von 4,5 Prozent am gesamten deutschen BIP und 11,3
Prozent der deutschen Exporte aus.
Nehmen wir das schon recht extreme Szenario an, dass die Produktion bei VW in Folge des Skandals
doppelt so stark einbricht wie im globalen Rezessionsjahr 2009, dann wäre das ein Rückgang von 17
Prozent. Nehmen wir ferner an, dass dieser Rückgang sich in ähnlicher Höhe bei den Autozulieferern
niederschlägt, dann würde der Umsatz der Automobilbranche 2016 um 7,5 Prozent schrumpfen.
Nun wäre aber zu erwarten, dass die VW-Kunden nicht komplett auf Autos umsteigen, die in anderen
Ländern gefertigt werden, sondern dass die anderen deutschen Hersteller zumindest einen Teil dieser
Käufer für ihre Modelle gewinnen könnten. Gehen wir hier von einem Drittel aus, dann würde der Umsatz der
Branche nur um fünf Prozent schrumpfen. Wenn also der 4,5-prozentige BIP-Anteil der deutschen
Autoindustrie um fünf Prozent zurückginge, dann würde das die Wachstumsrate um 0,225 Prozentpunkte
drücken.
Hinzu käme noch der Effekt auf die Exporte: Bei 11,3 Prozent Exportanteil der Autoindustrie würde ein
Rückgang um fünf Prozent die Ausfuhren um 0,6 Prozent drücken – allerdings auch die Einfuhren, weil für
die nicht produzierten Wagen auch keine Teile importiert würden. Der Einfluss auf den Außenbeitrag, der in
das BIP eingeht, wäre also minimal.
Weitere Faktoren wären Umsatzrückgänge bei Autohändlern, Logistikern und Zulieferern, die nicht zur
Autobranche zählen. Auch regionalwirtschaftlich gäbe es besondere Härten, wie die Haushaltssperren in
Wolfsburg, Braunschweig und Ingolstadt zeigen. Aber selbst großzügig aufgerundet läge der BIP-Effekt mit
0,3 Prozentpunkten noch in einem Bereich, der zu verschmerzen wäre. Allein die Aufnahme von einer Million
Flüchtlingen im Jahr führt nach Schätzungen von Volkswirten zu einem jährlichen Wachstumseffekt von bis
zu 0,4 Prozentpunkten wegen der damit verbundenen Staatsausgaben für Wohnraum, Verpflegung und
zusätzliches Personal.
Das Fazit lautet also: Der VW-Skandal wird die deutsche Wirtschaft nicht maßgeblich schädigen, solange er
sich nicht enorm ausweitet. Um nachhaltigere Auswirkungen zu haben, müssten entweder der VW-Konzern
kollabieren, die Autofahrer sich abrupt vom Verbrennungsmotor abwenden oder eine Welle weiterer
Skandale folgen, die das Siegel „Made in Germany“ schwer beschädigen. Nichts davon ist in Sicht.
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