1 flassbeck-economics Kritische Analysen und Kommentare zu Wirtschaft und Politik Europäische Konjunktur im Frühjahr 2016 – erneuter Rückschlag – Teil 2 Heiner Flassbeck · Freitag den 20. Mai 2016 Hier der zweite Teil meines Schnelldurchgangs durch die Konjunktur. Die nächste ausführliche Analyse in Makroskop im Juni. Was wir gestern für die Industrie gesagt haben, gilt sinngemäß auch für die Bauwirtschaft. Die Bauproduktion, die im Winter einen kurzen Höhepunkt verzeichnete, ist im März wieder deutlich zurückgefallen. Das gilt für Deutschland und für Frankreich sowie für die EWU insgesamt. Das bestätigt die Hypothese, dass es der europaweit milde Winter war, der für einen kurzen Aufschwung bei den saisonbereinigten Zahlen gesorgt hat, weil die Saisonbereinigung aufgrund ihrer Konstruktion einen Normalwinter unterstellt. In Südeuropa bewegt sich weiterhin fast nichts. Auch in Spanien, wo es immerhin leicht nach oben gegangen war, gab es im März wieder einen Rückschlag. Italien und Portugal bleiben am Boden. Copyright © 2016 flassbeck-economics -1/7- 22.05.2016 2 Auch beim Einzelhandelsumsatz, seit langer Zeit der einzige Lichtblick der europäischen Konjunktur, war der März schwach. Sowohl in Frankreich wie in Deutschland gab es einen Rückschlag. In Deutschland war der mit 1 ½ Prozent sogar besonders stark. In Südeuropa bleibt die Lage auch im Einzelhandel trostlos. In Portugal und Spanien geht es nur im Schneckentempo aufwärts und Griechenland bleibt die ganz große Katastrophe. Copyright © 2016 flassbeck-economics -2/7- 22.05.2016 3 Die Arbeitslosigkeit sinkt in einigen Ländern zwar ganz leicht, aber, wie wir hier immer wieder betont haben, liegt das in erster Linie daran, dass Menschen entmutigt werden und sich einfach nicht mehr als arbeitslos registrieren lassen. Italien dürfte hier ein eindeutiger Fall sein. Erst wenn es einen unzweideutige Belebung der Konjunktur gibt, kann man auch mit den Arbeitslosenzahlen wieder als Konjunkturindikator arbeiten. Copyright © 2016 flassbeck-economics -3/7- 22.05.2016 4 Die Preisentwicklung geht, wie man an den Erzeugerpreisen sehen kann, immer weiter in den deflationären Bereich. Für die EWU insgesamt liegen die Raten bei den Erzeugerpreisen jetzt klar unter drei Prozent Rückgang. Damit ist vorgezeichnet, dass es auch auf der Verbraucherstufe so bald keine Rückkehr zur Normalität gibt, selbst wenn man berücksichtigt, dass die Ölpreise derzeit wieder steigen. Besonders extrem ist der Rückgang auf der Erzeugerstufe in Spanien, wo inzwischen fast minus sechs Prozent erreicht sind. Copyright © 2016 flassbeck-economics -4/7- 22.05.2016 5 Wirtschaftspolitik Ich will hier und heute nicht viel zur wirtschaftspolitischen Würdigung dessen schreiben, was in Europa vor sich geht. Ich habe das sehr oft geschrieben und es gilt immer noch: Unter Führung Deutschlands ist eine wirtschaftliche Katastrophe produziert worden, die ihresgleichen sucht. Alle wichtigen wirtschaftspolitischen Ziele sind gravierend verletzt, die Einkommens- und Vermögensungleichheit nimmt zu und die Demokratie wird nachhaltig beschädigt. Dass praktisch nichts von diesem Befund Eingang in die deutschsprachigen Medien findet, sagt mehr als tausend Worte über die Rolle dieser Medien. Dass die akademischen Ökonomen schweigen, ist ein noch größerer Skandal. Wie lange wird das Schweigekartell noch funktionieren? Annex: Zur Kalenderbereinigung des BIP in Deutschland Einer unserer Leser schreibt: … in der Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes zur Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts im 1. Quartal 2016 heißt es zur Kalenderbereinigung beim Vorjahresvergleich: „Bruttoinlandsprodukt im 1. Quartal 2016 um 0,7 % gestiegen“ https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2016/05/PD16_1 62_811.html „Auch im Vorjahresvergleich ist die deutsche Wirtschaft gewachsen: Das preisbereinigte BIP stieg im ersten Quartal 2016 um 1,3 %, kalenderbereinigt um 1,6 %, da ein Arbeitstag weniger zur Verfügung stand als ein Jahr zuvor.“ Eine Kalenderbereinigung wird vom Statistischen Bundesamt auch beim Vergleich Copyright © 2016 flassbeck-economics -5/7- 22.05.2016 6 zum Vorquartal vorgenommen (textliche Hervorhebung durch mich): „Die deutsche Wirtschaft ist schwungvoll ins Jahr gestartet: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) war im ersten Quartal 2016 – preis-, saison- und kalenderbereinigt – um 0,7 % höher als im vierten Quartal 2015.“ Die exakte Höhe der Kalenderbereinigung wird beim Vergleich zum Vorquartal jedoch nicht mitgeteilt. Wirft man beim Vorjahresvergleich einen Blick auf die Anzahl und die Struktur der Kalendertage, so zeigt sich folgendes Bild: Im 1. Quartal 2016 gab es wegen des Schaltjahres einen Kalendertag mehr (90 Kalendertage im 1. Quartal 2015, 91 Kalendertage im 1. Quartal 2016). Das Statistische Bundesamt hingegen scheint für die Kalenderbereinigung lediglich die Anzahl der „echten“ Arbeitstage (Montag bis Freitag, möglicherweise auch Montag bis Samstag) heranzuziehen, denn bei diesen fehlt – bereinigt um die Osterfeiertage im 1. Quartal 2016 – im Vorjahresvergleich im 1. Quartal 2016 mit 63 Tagen in der Tat ein Arbeitstag (ergänzende Anmerkung: die beiden Osterfeiertage habe ich den Sonntagen zugeschlagen). Sollte dies tatsächlich der Methodik des Statistischen Bundesamtes entsprechen, dann greift diese Art von Kalenderbereinigung m.E. zu kurz. Denn auch an den Sonntagen wird Wirtschaftsleistung erbracht, wenn auch auf reduziertem Niveau. Auch an Sonnund Feiertagen muss die Bevölkerung essen und trinken. Die Gaststätten und Vergnügungseinrichtungen dürften an diesen Tagen sogar überdurchschnittlich frequentiert werden. Krankenhäuser, ärztliche Notdienste, Tankstellen, Busse und Bahnen (auf reduziertem Niveau) etc. tragen ebenfalls zur Wirtschaftsleistung bei. Auch in der Industrie wird an Sonn- und Feiertagen teilweise gearbeitet. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob die vom Statistischen Bundesamt vorgenommene Kalenderbereinigung im 1. Quartal 2016 in Höhe von +0,3 Prozentpunkten gerechtfertigt ist. Dieser Effekt könnte darüber hinaus auch für die Kalenderbereinigung 1. Quartal 2016 zu 4. Quartal 2015 eine Rolle spielen. Sollte dies zutreffen, dann wäre der BIP-Anstieg sowohl bei den Ursprungswerten als auch bei den kalenderbereinigten Werten überzeichnet (möglicherweise sogar in einer Größenordnung von 0,2 bis 0,3 Prozentpunkten). Und dies eventuell nicht nur in Deutschland, sondern sogar europaweit. Copyright © 2016 flassbeck-economics -6/7- 22.05.2016 7 Viele Grüße“ Ich drucke das hier ab, weil man daran gut erkennen kann, wie schwer es ist, eine wirklich konjunkturell aussagekräftige Zuwachsrate des BIP zu produzieren. Umgekehrt folgt daraus, dass die Statistischen Ämter immer Mittel und Wege haben, die Zahlen so zu drehen und zu wenden, dass sie gut in das allgemein erwartete Bild passen. Dieser Beitrag wurde publiziert am Freitag den 20. Mai 2016 um 04:00 in der Kategorie: Europa, Konjunktur, Länderberichte. Kommentare können über den Kommentar (RSS) Feed verfolgt werden. Kommentare und Pings sind momentan geschlossen. Copyright © 2016 flassbeck-economics -7/7- 22.05.2016
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