Mit dem Turbostaubsauger gegen den Bremsstaub

Unternehmen
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F R A N K F U RT E R A L LG E M E I N E Z E I T U N G
MENSCHEN & WIRTSCHAFT
Mit dem Turbostaubsauger gegen den Bremsstaub
Feinstaub kommt nicht
nur aus dem Auspuff.
Ein großer Teil kommt
von den Bremsen. Ein
Franzose will mit
einem kleinen
Staubsauger nun
Millionen von Autos
sauberer machen.
r ist eigentlich kein Bastler, sondern ein ehemaliger Headhunter,
der die Finanzbranche gut kennt.
Und doch hat der Franzose Christophe Rocca-Serra quasi in seiner Pariser
Wohnung eine Erfindung gemacht, um
die ihn Millionen von Automobilingenieuren beneiden dürften: eine Art turbinengetriebener Staubsauger, der den Abrieb
von Bremsbelägen auffängt. Mit dieser
Klappe will er zwei Fliegen gleichzeitig
schlagen. Der Ruß, der die Autofelgen
schwarz macht, ist den Autoliebhabern
schon immer ein Dorn im Auge – er soll
künftig in einem kleinen Sack aufgefangen werden, dessen Inhalt die Reparaturwerkstatt bei jedem Wechsel der Bremsbe-
E
Die Gründer
läge einem Recyclingsystem zuführt. Zum
anderen sieht Rocca-Serra seine Erfindung als Segen für die Umwelt: „Der Abrieb von den Bremsen enthält sieben
krebserregende Stoffe. 20 Prozent der
Feinstaubbelastung in den Städten geht
auf diese Partikel zurück“, berichtet Rocca-Serra. Laut einer Studie, die er zusammen mit der Ingenieurhochschule Insa in
Lyon durchführte, sei die Feinstaubbelastung durch die Bremsen bei den Autos
der jüngsten Generation sechsmal so
hoch wie jene aus dem Auspuff.
Der 50 Jahre alte Rocca-Serra sitzt in einem kargen Büro im Hinterhof eines Gebäudes nicht unweit vom Eiffelturm. Vier
Mitarbeiter teilen sich zwei weißgestrichene Räume mit sehr wenigen Bildern an
den Wänden, das einzig Bunte findet sich
Christophe Rocca-Serra
auf den großen Computerbildschirmen.
Rocca-Serra, Vater von drei Kindern,
stammt aus einer alten korsischen Familie; sein Unternehmen hat er nach seinem
Heimatdorf Saint-Lucie-de-Tallano im Süden von Korsika „Tallano Technologie“
getauft. Es ist ein reines Designunternehmen, es produziert seine Erfindung also
nicht selbst, sondern beauftragt damit per
Lizenz einen Hersteller. Genauer gesagt,
sind es nach seinen Angaben vier Autohersteller, die Tallano das Design für den
Feinstaubsauger abgekauft haben. Ihre
Namen darf er aus Vertraulichkeitsgrün-
Foto Christian Schubert
den nicht nennen, doch er versichert,
dass sie auf seine Technologie schwören.
„Ende kommenden Jahres werden die ersten Neufahrzeuge mit unserem System
auf den Markt kommen“, sagt Rocca-Serra, darunter Premiummarken, die offenbar nicht aus Frankreich stammen. Auch
an der Nachrüstung bestehender Autos arbeite man. Vielleicht sei diese von Ende
2017 an möglich.
Die Geschichte von Rocca-Serra klingt
ebenso banal wie unwahrscheinlich. Kurz
nachdem er sich Mitte des vergangenen
Jahrzehnts einen neuen Wagen zugelegt
hatte, einen schönen SUV, begannen ihn
die schwarzen Felgen zu stören, die vom
Bremsabrieb verschmutzt wurden. Er recherchierte im Internet und stieß auf viele Einträge Gleichgesinnter. Dann verlor
Rocca-Serra das Thema jedoch erst einmal aus den Augen, weil er in Frankreich
ein Rechercheunternehmen für unabhängige Aktienanalysen namens Alphavalue
gründete. Als er sich 2010 von der stattlich gewachsenen Firma getrennt hatte,
kam die Idee vom Feinstaubsauger wieder zurück, er las Studien über Reibungslehre („durch mein angefangenes, aber
nie beendetes Medizinstudium verstehe
ich noch ein bisschen was von Physik“)
und er tüftelte etwa ein Jahr herum. Wie
kommt es, dass er als Laie einem Heer
von Automobilingenieuren ein Schnippchen schlug? „Wenn man einen frischen
Blick von außen hat, kommen oft die besten Einfälle“, sagt er im Rückblick. Die
ganze Autobranche habe fast geschlossen
in eine andere Richtung geforscht – die
Verringerung der Schadstoffe in den
Bremsbelägen, darunter Barium, Cadmium, Eisen, Mangan, Nickel, Chrom und
Blei. Durch die Entfernung von Asbest
glaubt man zudem, genug getan zu haben.
So galt die Aufmerksamkeit der Autoindustrie vor allem den Emissionen aus
dem Auspuff, und die Bremsen wurden
lange Zeit vernachlässigt. Rocca-Serra erarbeitete die Staubsauger-Lösung zusammen mit einer Ingenieursschule in Lyon
und einer in Paris. Rund dreißig Leute
werkelten, einschließlich externer Kräfte,
drei Jahre lang daran. Nach seinen Worten kostet das Saugsystem in der Produktion je Auto nur 50 Euro und wiegt nicht
mehr als 180 Gramm je Bremse.
Seit vor allem in den französischen Medien Berichte über seine Erfindung erschienen, erreicht ihn ein wachsender
Strom von Anfragen. Autoliebhaber wollen wissen, wann seine Lösung auf den
Markt komme, denn sie sehnen sich nach
sauberen Felgen. Das Bewusstsein in der
Politik wachse aus Umweltgründen ebenfalls, meint Rocca-Serra. Die Definition
eines förderungswürdigen „sauberen Autos“ muss nach den Vorgaben der französischen Regierung künftig auch eine Auffanglösung für den Bremsabrieb enthalten. 20 000 Tonnen Feinstaub würden
durch das Bremsen in Frankreich jedes
Jahr entstehen, berichtet Rocca-Serra,
das wäre ungefähr so viel wie die Ladung
des Tankers Erika, die 1999 bei der Ölkatastrophe vor der bretonischen Küste auslief; in Europa kämen sogar jährlich
110 000 Tonnen Feinstaub durch die
Bremstätigkeit zusammen.
Die französische Umweltbehörde Ademe hat Tallano denn auch mit einem Forschungszuschuss von 240 000 Euro unter
die Arme gegriffen. Mit vier Freunden
hatte Rocca Serra zunächst knapp
180 000 Euro zusammengekratzt, um das
Abenteuer zu beginnen. Inzwischen hat
er nach eigenen Angaben rund zwanzig
Aktionäre, die etwa eine Million Euro aufgebracht haben; sein eigener Anteil sei
auf 45 Prozent geschrumpft. Der Umsatz
soll vor allem aus Lizenzeinnahmen stammen, Ende kommenden Jahres will er die
Gewinnschwelle erreichen. Wichtig ist
für ihn, dass sein Patentschutz hält, den
er mit einer Beratungsgesellschaft ausgearbeitet hat. Als er sich den Autoherstellern näherte, hätten diese erst mal genau
sein Patent unter die Lupe genommen, berichtet er. Erst nachdem sie seine Unangreifbarkeit feststellten, waren sie zur Zusammenarbeit bereit.
CHRISTIAN SCHUBERT
Werner Müller gibt nicht auf
Der ehemalige Wirtschaftsminister hofft noch auf den Aufsichtsratsvorsitz von RWE
Lieferheld & Co. Das große Fressen
Bundesliga Der König(s) von Gladbach
Media Markt Eine Firma wie ein Irrenhaus
bü. DÜSSELDORF, 20. September. Viel
deutlicher hätte der Aufsichtsrat des Essener Energiekonzerns RWE seine Rückendeckung für Werner Brandt zu diesem
Zeitpunkt kaum formulieren können: Er
sei der „klaren Meinung“, dass der frühere SAP-Finanzvorstand ein „sehr geeigneter Kandidat“ für den Vorsitz des Kontrollgremiums sei, hieß es in der Erklärung
vom vorigen Freitag, die den offen ausgetragenen Führungsstreit endlich beilegen
sollte (F.A.Z. vom 19. September). Doch
Werner Müller, der Vorsitzende der RAGStiftung, lässt nicht locker: Der frühere
Bundeswirtschaftsminister sieht immer
noch Chancen, dass die kommunalen Anteilseigner und Teile der Arbeitnehmerseite ihn zum neuen Chefkontrolleur machen werden. „Das letzte Wort ist noch
nicht gesprochen. Wenn er gerufen wird,
steht Müller bereit“, hieß es aus seinem
Umfeld. Die Erklärung des Aufsichtsrates
dürfe man nicht überbewerten, sagte ein
Insider. Auch wenn es sich um eine gemeinsame Erklärung des Gremiums hand-
le, bedeute das nicht, dass sie einstimmig
zustande gekommen sei.
Die mit knapp einem Viertel an RWE
beteiligten Ruhrgebietsstädte hatten Müller als Nachfolger des im kommenden
Frühjahr ausscheidenden Aufsichtsratsvorsitzenden Manfred Schneider ins Spiel
gebracht, weil sie ihm eher als Brandt zutrauen, politische Unterstützung für den
durch Energiewende und Atomausstieg
schwer angeschlagenen Energieriesen zu
organisieren. Auch manche Gewerkschaftsvertreter seien über Brandt nicht
glücklich, hieß es. Um Müller durchzubringen, müssten ihn die Kommunen für
die Wahl bei der kommenden Hauptversammlung erst einmal als neues Mitglied
des Kontrollgremiums nominieren. Vorschläge für die Nachbesetzung der drei
auf der Kapitalseite frei werdenden Aufsichtsratsposten werden im Dezember erwartet. Erst nach seiner Bestätigung
durch die Hauptversammlung könnte Müller anschließend aus der Mitte des Aufsichtsrates zu dessen Vorsitzenden gekürt
werden. Auf ein Rennen mit unkalkulierbarem Ausgang will sich der 69 Jahre alte
Müller nach den Angaben aus seinem Umfeld nicht einlassen. Vor einer Kandidatur
müsse Gewissheit bestehen, dass er mit
der nötigen Mehrheit rechnen könne.
Dass Brandt und seine Befürworter das
Feld nach den Vorfestlegungen vom Freitag kampflos räumen würden, sei allerdings schwer vorstellbar, sagte ein Insider. Vielleicht wird Müller seinen energiepolitischen Ehrgeiz bald in eine andere Richtung lenken: auf die Atomkommission, die für die Bundesregierung Modelle ausarbeiten soll, wie sich der Atomausstieg am besten organisieren und die dauerhafte Finanzierung sicherstellen lässt.
Die Mitglieder und der Vorsitzende sollen in den kommenden Tagen ernannt
werden. Möglicherweise ist es ja kein Zufall, dass Müller bei einer Veranstaltung
Anfang Oktober gemeinsam mit Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel über
die „Energieversorgung der Zukunft“ referieren will.
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Kienbaum sucht immer häufiger Führungskräfte mit guten Digitalkenntnissen
MD15-504
B.K. DÜSSELDORF, 20. September. Im
Eingangsbereich der hoch über dem
Rhein im angesagten Düsseldorfer Medienhafen gelegenen Büroetage steht ein
blaues Fahrrad. Es soll an Gerhard Kienbaum erinnern, wie dessen Sohn Jochen
augenzwinkernd erzählt. Denn mit einem
Fahrrad, einer Aktentasche und vielen
neuen Ideen ging der Gründer der gleichnamigen Personal- und Unternehmensberatungsgruppe einst an den Start. Genau
70 Jahre ist es inzwischen her, dass der damals 26 Jahre alte Diplom-Ingenieur
nach Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft sein Büro für „Technische Beratung, Übersetzungen und Vertretungen“
in Gummersbach (bei Köln) gründete,
um mittelständische Unternehmer der
Gegend beim technischen Wiederaufbau
ihrer Betriebe zu beraten. Der während
der 1960er Jahre zum Landesminister für
Wirtschaft, Mittelstand und Verkehr avancierte FDP-Politiker wurde damals zugleich zum Pionier in der deutschen Unternehmensberatungsszene. „Ein typischer Start-up-Unternehmer“, meint Jochen Kienbaum, der die international aufgestellte Gruppe seit 1986 führt.
Wenn die Beratungsgruppe in diesen
Tagen in Düsseldorf in kleinerem und in
Berlin in größerem Rahmen das Jubiläum
feiert, so kann es inzwischen schon die
dritte Generation der Unternehmerfami-
lie präsentieren. Denn nach ersten praktischen Erfahrungen bei einer amerikanischen Unternehmensberatung in London
hat im vergangenen Jahr Fabian Kienbaum, eines der sechs Kinder von Jochen
Kienbaum, in der Unternehmensgruppe
angeheuert. Der 31 Jahre alte Diplomkaufmann und – ganz in der Familientradition – ehemalige Handballer leitet heute als Geschäftsführender Gesellschafter
das Berliner Büro. Er kümmert sich zudem um die digitale Weiterentwicklung
der Beratungsgruppe.
Der Standort Berlin spielt für den Sohn
eine besondere Rolle. Nicht nur wegen
der Nähe zur Politik, an der Kienbaum als
traditionell stark auch den öffentlichen
Sektor beratende Gruppe gelegen ist. Er
setzt vor allem auf die neuen Impulse aus
der prosperierenden Start-up-Szene.
Denn von der Vernetzung mit diesen
Jungunternehmern, auch mittels Beteiligungsgeschäft, will Kienbaum nicht nur
für seine Kunden, sondern auch für das eigene Unternehmen profitieren. „Wir
möchten von deren Agilität, Kreativität
oder auch der Fehlerkultur lernen“, beschreibt Fabian Kienbaum. Das Thema
Digitalisierung wird die Zukunft der Arbeit und damit nicht zuletzt die Anforderungen an die Beratung und die Berater
ändern, sind sich Vater und Sohn einig.
„Der Wandel in der Wirtschaft vollzieht
sich immer rascher. Die Organisationen
der Unternehmen müssten entsprechend
agiler werden. Und mit dem zunehmenden Veränderungsdruck ändere sich auch
das Anforderungsprofil der Mitarbeiter
grundlegend.
Aus Sicht des Unternehmenschefs gehört heute idealerweise in jedes Führungsgremium ein Digital-Verantwortlicher. Und genau das ist eine der aktuellen
Herausforderungen in der Personalberatung. Denn bisher gibt es dazu noch keine
klassischen Laufbahnmodelle. „Der
Kampf um die Talente wird ohnehin zunehmen“, ist Jochen Kienbaum überzeugt. Dazu trägt nicht nur der demographische Wandel bei. Die jungen Talente
der Generation Y – also der sogenannten
Digital Natives – haben auch andere Wertvorstellungen und Forderungen als ihre
Elterngeneration, weiß er. Daher wird es
seiner Meinung nach künftig noch wichtiger, dass Unternehmen vor allem aus dem
Mittelstand Marketing in eigener Sache
betreiben, um sich als attraktiver Arbeitgeber zu positionieren. Für seine Gruppe
bleibt das Arbeitgeber-Branding daher
ein starkes Arbeitsgebiet. Auch im eigenen Haus macht sich der Generationswandel bemerkbar, ändern sich Stil und Ton,
wächst der Wunsch nach gegenseitigem
Wissensaustausch unter den Beratern.
„Wir benötigen heute viel mehr den breit
aufgestellten Teamplayer als früher“, beschreiben die beiden.
Im vergangenen Jahr hat die in insgesamt 19 Ländern mit Büros präsente
Gruppe einen Umsatz von 115 (Vorjahr:
112) Millionen Euro erzielt. Davon
stammte jeweils rund die Hälfte aus den
Beratungsdienstleistungen rund um das
Thema Personalsuche und Personale Entwicklung sowie aus der klassischen Unternehmensberatung. In diesem Jahr plant
Kienbaum mit einem leichten Zuwachs.