Cyan Magenta Gelb Tiefe Cyan Magenta Gelb Tiefe GLEITSCHIRM Aufwind Kreise im IM FRÜHJAHR BEGINNT DIE THERMIK DELN: ÜBERALL SCHIESSEN DIE AU S D E M BODEN, BESTIMMTEN ODER UND DIE SCHLÄUCHE BLASEN BODENQUELLEN DOCH NICHT? 11 UHR MORGENS Am Startplatz zittert das Windfähnchen, steigt auf, fällt wieder in sich zusammen, weist zeitweilig in Talrichtung. Der Anfänger erkennt hier nur unbestimmte, unentschlossene Windhauche. Für den erfahrenen Piloten sieht die Sache ganz anders aus: Die Masse im Talkessel unter seinen Füßen beginnt gerade leicht zu kochen. Erste Blasen schwappen umher, lecken am Kesselrand, fallen mit einem Schmatzer wieder in sich zusammen und kündigen dem Gleit- „KOCHTOPF-MODELL“ DER 26 4-03 gleitschirm-magazin.com HIMMEL. DE R FREIFLUGPIONIER UND STELLT M I T SEINEM SICHTWEISE THERMIKENTSTEHUNG Die Milch köchelt. Vom Brodeln ist sie vielleciht gar nicht mehr weit entfernt PILZE S T E I G E N B R AV V O N DIE HERKÖMMLICHE schirm-Gourmet einen nachmittäglichen Flug-Festschmaus an. Meistens wird die Thermik mit dem „Blasen“-Modell beschrieben. Einzelne Blasen entstehen an bestimmten Orten, blähen sich auf, werden abgeschnürt und steigen auf. Das Modell ist pädagogisch sinnvoll, aber es erklärt nur unzureichend, wenn der Thermik an Hammertagen der „Gaul durchgeht“. Das Modell des „Kochkessels“ ist deswegen der von den Piloten erlebten Realität sehr viel näher, besonders im Hinblick auf Fragen der Sicherheit. WIE AU S I N D E N F A C H B U C H AU T O R H U B E R T A U P E T I T Von Hubert Aupetit Übersetzung : Sascha Burkhardt W I E D E R Z U B R O- IN FRAGE. SCHÖNHEITSFEHLER DER BLASE Das Blasenmodell geht von der Idee aus, daß jede Thermik durch eine lokale Ursache entsteht. Beispielsweise auf einem Weizenfeld, einer Lichtung, einem Geröllhaufen. Auf relativ hellen und trockenen Untergründen eben, die sich von der vergleichsweise dunkleren und feuchteren Umgebung abheben (Einäugige im Königreich der Blinden ...), und die Sonnenwärme eher wieder abgeben als sie zu speichern. Der weitere Ablauf ist bekannt: Die Luft in den bodennahen Schichten nimmt Energie auf und bekommt Auftrieb. Ein unsichtbare „Rauchwolke“ bildet sich wie über einem Lagerfeuer und steigt auf - entweder in Form einer Kolonne oder aber in einzelnen, abgehackten Blasen. Und in dieser unsichtbaren Rauchwolke drehen Vögel dank ihres Spürsinns genauso auf, wie ein Gleitschirmpilot dank Vario. Um Höhe zu gewinnen, braucht er nur die Blase schön einzukreisen. Genau das ist auch die ganze Wahrheit und der Sinn eines solchen Modells. Der Pilot kann seine Flugtechnik dank dieser Sichtweise optimal an den Aufwind anpassen. Aber: Viele Phänomene werden durch dieses Modell nicht erklärt. Zum Beispiel diese scheinbar „herrenlosen“ Aufwinde, die der Pilot „mitten im Himmel“ manchmal auf- Koch-Kessel stöbert. „Ganz einfach, das sind vom Wind abgeschnittene Blasen, die durch die Luft treiben“, könnte man hier einwerfen ... Doch das will bewiesen werden. Denn diese Wanderer sind nicht immer im Lee einer identifizierbaren Thermikquelle anzutreffen, und sind manchmal deutlich kräftiger als alle Thermiken des Tages, die von solchen Quellen ausgehen. Sind es also Thermikblasen, die durch den Zusammenschluß kleiner Bläschen entstanden sind, so wie viele Wassertröpfchen zu einem Regentropfen zusammenwachsen? Oder liegt noch ein anderer Mechanismus vor? Weiterhin erscheint die Theorie der „identifizierbaren Thermikquelle“ bei näherem Hinsehen recht unpräzis: Es braucht oft schon eine gewisse Kasuistik*, um zu erklären, warum der Hausbart auf dem Acker vom *Methode zur Anwendung sittlicher und moralischer Normen auf Einzelfälle Bauern Nolte steht und nicht auf dem Feld vom Landwirt Schulz. Im Bereich der Meteorologie verhält es sich wie in den Wirtschaftswissenschaften: Vorhersagen gelingen meistens nur rückblickend. Wenn man den Schlauch lokalisiert haben muß, um seine Position vorherzusagen, hilft das dem vorbeifliegenden Streckenpiloten nichts. Denn der kennt weder Nolte noch Schulz und sucht einfach einen Aufzug, um seine Reise fortzusetzen. Und was ist mit den Wolkenstraßen im Flachland? Steckt da eine gut inspirierte Landwirtschaftsgenossenschaft dahinter, die ihren Mitgliedern das Anlegen von Weizenfeldern in Windrichtung vorschreibt? Und wie erklärt man die Cumuluswolken auf dem offenen Meer? Sind darunter Silberfisch-Bänke zu vermuten? Und schließlich gibt das Blasenmodell in den meisten Gewittersituationen vollends den Geist auf. Sicherlich kann man auch da Geologie und Bodenbeschaffenheit bemühen, um zu erklären, warum ein Cumulonimbus eher an einer Stelle entsteht und nicht woanders, aber auch das sind nur nachträgliche Erklärungen, und widersprüchliche Ausnahmen sind Legion. Daher kann man das Modell der lokalen Blasen durch ein dynamischeres Schema erweitern, das die Aerologie als einen globalen Funktionsmechanismus mit einbezieht: das „Kochkessel-Modell“. GENUSS DANK KOCHTOPF Im Kochtopfmodell argumentieren wir mit der reinen Fluiden-Mechanik. Die Luft ist ein dickes, gasförmiges Fluid, das von der Erdkugel zurückgehalten wird. Die Sonne heizt die Kugel stark auf, das Gas dagegen deutlich weniger. (Normal: Das Gas läßt die Strahlung durch, deswegen kann man auch hindurchsehen!). Die Luftmasse wird also in erster Linie von ihrer Basis aus er- gleitschirm-magazin.com 4-03 27 Cyan Magenta Gelb Tiefe Cyan Magenta Gelb Tiefe GLEITSCHIRM Komplexe Wolkenlandschaft: "Globaler Organismus" Wetter Isolierte Schönwetter-Cumuluswolken. Wer kann wirklich sagen, an welcher Stelle am Boden die dazugehörigen Thermiken entstanden sind? wärmt - ganz wie die Milch im Kochtopf. Und die Milch beginnt zu köcheln, zu brodeln, schwappt gar über. Der Kochtopf „Erde“ hat dabei einen sehr ungleichmäßigen Boden - an einigen Stellen dicker, an anderen dünner, mit Vertiefungen, Beulen und sogar Zwischenwänden. Die Flüssigkeit im Topf nimmt also scheinbar unkoordinierte Bewegungen in verschiedenste Richtungen ein. Insbesondere tauchen unzählige horizontale Strömungen auf, um die vertikalen Schlote zu nähren. Das Ganze sieht also dem vergnügten aerologischen Chaos eines sommerlichen Thermiktages doch recht ähnlich. Doch was soll dieses Schema? Ein Nachteil dieses Modells springt sofort ins Auge: Es erscheint sehr viel komplexer, ohne auf den ersten Blick erkennbare Vorteile zu liefern. Doch solche gibt es zahlreich. Der Begriff „Thermikquelle“ wird dabei natürlich nicht ganz über den Haufen geworfen, denn selbstverständlich kocht die Milch eher an den heißesten Stellen des Kesselbodens. Aber die Wichtigkeit dieser Quellen wird relativiert: Genauso, wie die Milch bei genügender Aufheizung im gesamten Topf Blasen wirft, kann auch die Luft Aufwinde an Stellen bilden, die keine herausragenden Bodenkontraste aufweisen. Das Kochkessel-Modell sieht also die Entstehung von Aufwinden ohne 28 4-03 gleitschirm-magazin.com erkennbare Quellen vor. Genau das kann man auch auf dem Meer beobachten. Der Astronom Hadley, Zeitgenosse von Halley und Newton, beschrieb erstmals die Formation von riesigen, sechseckigen Zellen aus Cumuluswolken auf offener See. Gleiches gilt für die Wolkenstraßen im Flachland. Die Erklärung der thermischen Konvektion wird tatsächlich sehr allgemeingültig und einfach: Wenn die Sonne eine beliebige Oberfläche genügend aufheizt, überträgt sie eine Energie an die unteren Luftschichten und destabilisiert die Atmosphäre. Die unteren Schichten werden leichter als die oberen, und es muß zwingend ein vertikaler Austausch stattfinden, ganz unabhängig von der Bodenbeschaffenheit. So erklärt sich auch, warum theoretisch vollkommen „unthermische“ Böden wie Torf die Luft manchmal mit beeindruckenden Aufwinden und Turbulenzen wahrhaft zum Kochen bringen können. WIND UND BLASEN Im Falle von sehr kontrastreichen Böden bei Windstille würde auch das Blasenmodell zur Erklärung von Aufwinden manchmal reichen, in Wirklichkeit aber kann dieser Mechanismus, selbst wenn er tatsächlich eine Rolle spielt, meistens nicht alleine für erlebte Aufwinde verantwortlich sein. Bei starkem Wind zum Beispiel haben die Thermikquellen Wolkenstraße überm Meer: Sicherlich kein Anzeichen von Thermikquellen im Wasser ... nicht genug Zeit, sich aufzuheizen: Die Aufwinde werden regelrecht in Scheibchen geschnitten. Dabei überträgt der Boden den unteren Luftschichten bei Wind dieselbe Energiemenge wie bei Windstille - es muß also immer noch dieselbe Menge Luft umgewälzt werden, um die Atmosphäre auszugleichen. Daraus kann man schließen, daß sich die Aufwinde, statt dem Blasenmodell zu gehorchen, eher wie beim von Hadley auf dem Meer beschriebenen Schema verhalten - wenn auch, aufgrund von Bodenunebenheiten, in einer weniger regelmäßigen Anordnung. Und tatsächlich: Sobald etwas meteorologischer Wind weht, bilden sich Wolkenstraßen ganz oder teilweise aus. Zusammengefaßt ermöglicht das Kochkesselmodell also die Erkenntnis, daß die thermische Konvektion eine globale, dynamische Notwendigkeit für die gesamte Atmosphäre ist, und sich dieser Mechanismus zwar nicht der Aufwindentstehung an lokalen Thermikquellen widersetzt, im Verhältnis dazu aber überwiegt. Die Art, wie sich die Umwälzung organisiert, hängt von der Situation ab, das heißt •natürlich von der Bodenbeschaffenheit •dem Landschaftsrelief, den Wetter- störungen und den entsprechenden Brisensystemen •der aktuellen vertikalen Luftschichtung der Atmosphäre. Je wärmer diese ist, desto weniger wird ihr Gleichgewicht von der bodennahen Erwärmung gestört. Je kälter sie ist, desto schneller wird das Bedürfnis nach einer Umwälzung wach. Es gibt also absolut gesehen keine „instabile“ oder „stabile“ Atmosphäre, sondern: Jede Luftmasse wird durch die Sonneneinstrahlung destabilisert und reagiert mehr oder weniger schnell auf diese Störung des Gleichgewichtes. Die Stärke ihrer Ausgleichsbewegungen charakterisiert ihre Stabilität. Wir Piloten können also festhalten, daß unser Medium Luft zu einem globalen Organismus gehört, und somit der Fluidenmechanik und den dazugehörigen unumstößlichen Regeln der Energieerhaltung gehorchen muß. Kreise vor Watte: und wenn der Cb jetzt hinterrücks kommt? Die Natur widersetzt sich sicherlich nicht der uns natürlich erscheinenden Regulierung im „Blasenstil“, wie oberhalb eines Lagerfeuers, aber diese Umwälzung reicht in den meisten Fällen nicht aus und wird durch sehr viel komplexere Strömungsmechanismen ergänzt. EIN GEWITTER IST KEINE GROSSE BLASE Zum Schluß betrachten wir einen großen Vorteil des Kochkesselmodells: Es erlaubt ein besseres Verständnis von Situationen im Randbereich eines Gewitters. Vor allem kann jetzt der gefährliche Irrglaube über Bord geworfen werden, ein Gewitter sei nichts anderes als eine „große Thermik“. Ein Gewitter trägt zur globalen Umwälzung und Regulierung bei: Nach einem Unwetter ist die Atmosphäre deutlich ruhiger und stabiler als vorher. Die spektakulären Proportionen des Umwälzungsprozesses im Gewitterfall lassen den berechtigten Schluß zu, daß dieser zum Ausgleich besonders großer Gleichgewichtsstörungen in der Atmosphäre am Werke ist. Tatsächlich: „Unten“ ist die Hitze und „oben“ ist die Kälte und Feuchtigkeit zu groß, als daß sich die Differenz im „normalen“ Bereich zwischen 0 und 3.000 Metern ausgleichen könnte. Die Umwälzung muß sehr viel größere Dimensionen annehmen und betrifft schließlich die gesamte Troposphäre von 0 bis 10 oder 12 km Höhe. Hören wir also auf, ein Gewitter wie eine „Thermik mit Größenwahn“ zu behandeln, vor der man sich schützen könnte, indem die örtliche Entwicklung beobachtet wird. Nein, von wenigen Ausnahmen abgesehen, handelt es sich dabei immer umein Phänomen, daß den örtlichen Rahmen weit sprengt. Ein gewaltiger Mechanismus baut sich auf und wird genau in dem Moment ausgelöst, in dem die Energiedifferenz zwischen „oben“ und „unten“ zu groß wird, um von herkömmlichen Regulierungsmechanismen ausgeglichen zu werden. Dann geht alles sehr schnell und läuft nach einem Szenario ab, das sich manchmal jeder Überwachung entzieht: Schnelle Überentwicklung an völlig unerwarteten Stellen, rasche horizontale Ausbreitung einer Wolke mit anschließendem explosionsartigem Höhenwachstum, Annäherung eines weiteren Congestus hinter einem Kamm und Verschmelzung mit einer anderen Zelle. So manches Mal ließen sich Piloten „hinterrücks“ überraschen, während sie die Entwicklung einer ganz anderen Wolke überwachten. Dabei gehorchen die beiden Zellen oft überhaupt nicht derselben Logik. Wie ein solcher Überfall im besten Fall ausgehen kann, lesen Sie auf der Seite 50. Zuviele Piloten mußten eine solche Fehleinschätzung teuer bezahlen. Es gibt zur Vermeidung keine andere Wunderregel als jene, keine Wunderregel aufstellen zu wollen. Man darf nie vergessen, daß die Atmosphäre eine hochkomplexe Maschine ist. Das Kochkessel-Modell hilft dem Streckenflieger auf der Thermiksuche leider nicht bei der Entscheidung für das Feld von Nolte oder jenes von Schulz, dafür aber hält es vielleicht den einen oder anderen Hitzkopf davon ab, kurz vorm Überbrodeln im Milchtopf zu kreisen. Und das ist sicherlich eine unschätzbare Hilfeleistung! gleitschirm-magazin.com 4-03 29 Aufwind
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