Personalwirtschaft_Round Table 2015

ZEITARBEIT
Round Table
Die Zuversicht ist
zurück
Ob politische Regulierungen oder Fachkräftemangel –
Arbeitnehmerüberlassungen ringen an vielen Fronten
gleichzeitig und das nicht ohne Erfolg. Über die aktuellen
Herausforderungen, ihre Rolle als Reserven-Erschließer,
Qualifizierer und Integrationsmotor diskutierten Vertreter
namhafter Personaldienstleister beim Round Table der
Personalwirtschaft.
ie Ohren im politischen Berlin sind
doch nicht auf Durchzug geschaltet.
Gegen die Neuregulierung des AÜG, insbesondere die Einsatzbefristung, hatten
nicht nur Branchenvertreter sondern auch
Gewerkschaften laut getrommelt. Nun plant
das Bundesarbeitsministerium die Obergrenze für Zeitarbeitseinsätze von 18 Monaten für abweichende Tarifregelungen zu öffnen und die Auslagerung durch Werkverträge mitbestimmungsfrei zu halten. Ein
Gesetzentwurf soll nach der Sommerpause vorliegen, sagt die Bundesarbeitsministerin im Juni der Frankfurter Rundschau.
Sollte diese Wendung tatsächlich eintreten,
trifft sie auf erleichtertes Aufatmen bei
den Anbietern. Durch entsprechende Tariföffnungsklauseln Betrieben die Flexibilität an die Hand zu geben, die sie brauchen, berücksichtige die betrieblichen
Anforderungen, kommentiert Christoph
Kahlenberg, Leiter der Randstad Akademie.
Dass die Bundesregierung einer Tariföff-
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nung für die geplante 18-monatige Obergrenze der Einsatzdauer von Zeitarbeitnehmern „nunmehr offen gegenübersteht“,
begrüßt auch Dr. Klaus Eierhoff, Beiratsmitglied bei Tempton. Eine Höchstüberlassungsdauer ohne Tariföffnung, wie es
bislang vorgesehen war, hätte nicht nur für
die Zeitarbeitsbranche und die Arbeitnehmer potenziell schwerwiegende Konsequenzen gehabt, sondern auch für die
Einsatzunternehmen. Deshalb haben einige Unternehmen bereits im Vorgriff auf
eine gesetzliche Regelung mit ihrem
Betriebsrat entsprechende Vereinbarungen geschlossen, berichtet Thomas Schenk,
Geschäftsführer von Kelly Services. Eine
gesetzliche oder tarifvertragliche Regelung, idealerweise in Kombination, werde
nun den Entscheidern in Unternehmen
Sicherheit geben, die derzeit fehle.
Der positive Gesamteindruck der Korrektur des Gesetzgebers wird jedoch getrübt.
Ingrid Hofmann hält die Tariföffnungsklauseln unter den gegebenen Umständen
Hartmut Lüerßen (rechts),
Zeitarbeitsexperte vom
Marktforschungs- und Beratungsunternehmen Lünendonk,
moderierte den Round Table
zusammen mit Chefredakteur
Erwin Stickling.
zwar für eine vernünftige Lösung, aber
„grundsätzlich stört, dass wir bei der
Gesamtthematik als Arbeitgeber und damit
auch unsere Mitarbeiter außen vor sind“.
Tarifregelungen wie Arbeitszeiten oder
Lohnentwicklungen gehörten in die Hände der Sozialpartner und sollten nicht über
Gesetze von der Politik geregelt werden,
kritisiert die Geschäftsführerin von I.K.
Hofmann. Ebenso stört sie, dass in der
öffentlichen und politischen Wahrnehmung Zeitarbeit und Werkvertrag nach
wie vor verquickt werden. Wenn ein Werkvertrag nicht eindeutig als solcher zu identifizieren sei, gelte die Zusammenarbeit
automatisch als Zeitarbeit. So würden „zwei
völlig getrennte Dienstleistungen miteinander vermischt und auch gemeinsam
be- oder verurteilt“.
Stabiler Markt mit
Personalengpässen
Neben den politischen Unwägbarkeiten,
die im letzten Jahr zur Unruhe führten, blicken die Anbieter jedoch auf einen stabilen Zeitarbeitsmarkt mit einem moderaten
Wachstum. Viele der Dienstleister spüren
nicht nur eine gute Nachfrage nach Arbeitnehmerüberlassung, sondern auch nach
weiteren Leistungen in ihrem Portfolio. So
registriert man bei Kelly Services vermehrt
Anfragen nach MSP-Programmen, da gerade Großunternehmen auf eine effizientere Art der Kommunikation mit ihren diversen Dienstleistern setzen wollten.
Piening Personal verzeichnet ein „dynamisches Wachstum“ im Bereich AuslandsRecruiting, vor allem in Polen und Spanien,
sowie bei Recruiting-Lösungen. Da Unternehmen mit bis zu 1000 Mitarbeitern meist
nur über eine kleine Personalabteilung
verfügten, nutzten sie vermehrt diese externe Unterstützung.
Geschäftsleitungsmitglied Frank Schrader
thematisiert darüber hinaus einen wunden
Punkt, der alle Anbieter trifft. Bei der
Inlandsrekrutierung stiegen Aufwand und
Kosten signifikant, da der Markt immer
enger werde. Passende Bewerber in ausreichender Anzahl ließen sich vor allen
dann sicher finden, „wenn entsprechende
Tarife winken oder das Unternehmen einen
‚großen‘ Namen hat“. Weniger bekannte
KMU mit normalem Gehaltsniveau stelle
das vor große Herausforderungen. Denn
unabhängig von der Entgelthöhe ist in
manchen Branchen und Regionen der
Arbeitsmarkt bereits leergefegt. Insbesondere im Süden Deutschlands sei der Bewerbermarkt fast zum Erliegen gekommen,
ergänzt Dr. Dieter Traub, Geschäftsführer
von Orizon: „Eine passgenaue Personalsuche auf Kundenaufträge ist in vielen Fällen gar nicht mehr möglich.“ Hier ist die
Flexibilität der Einsatzunternehmen gefragt,
die ihre Suchprofile entsprechend ausweiten müssen.
Equal Pay und die
Mitarbeiterwanderung
In Konzernen und bei großen Mittelständlern ist Equal Pay überwiegend angekommen, was kleinere Unternehmen zu spüren bekommen. Zudem zahlten viele
Einsatzunternehmen bereits erhebliche
übertarifliche Zulagen, um eine Lohnangleichung zwischen Stammbelegschaft und
Zeitarbeitspersonal zu erreichen, sagt
Michael Kästner, Geschäftsführer von
Trenkwalder Personaldienste. Das führt
dazu, dass „diese Firmen sehr beliebt sind
und mit ihrem Lohngefüge oft auch die
regionalen Märkte bestimmen“. Einsatzunternehmen mit niedrigeren Gewinnspannen könnten diese zusätzlichen Leistungen oft nicht zahlen und hätten allein
dadurch mehr Probleme, qualifiziertes Personal zu finden. Deshalb existiere mittlerweile ein Art Wettbewerb zwischen kleinen und großen Entleihunternehmen, der
jedoch, wie auch die Steigerungsraten der
Tariflöhne, letztendlich dazu führen werde, dass sich das Lohnniveau in der Zeitarbeit weiter verbessere.
In der Zwischenzeit sind aber diejenigen
Einsatzunternehmen im Nachteil, die nicht
„drauflegen“ können. Gut ausgebildete
Fachkräfte fordern heute eine angemessene Bezahlung und ihr Lohn liegt in der
Regel über dem Tariflohn. Die Folge ist, so
Randstad-Experte Christoph Kahlenberg,
„dass Bewerber die Branche vorgeben, in
der sie eingesetzt werden wollen“. Auch seine Prognose lautet, dass sich mittelfristig
das Lohnniveau der Branche dem der
Stammbelegschaft angleicht. In Hochlohnbranchen wendeten vielen Kunden bereits
Equal-Pay-Vereinbarungen an, ansonsten
sorgten in der Regel die Branchenzuschläge dafür, dass der Lohnunterschied zwischen Stammbeschäftigten und Zeitarbeitskräften nahezu ausgeglichen werde.
Reserven bergen
Der Arbeitskräftemangel ist längst nicht
mehr auf den qualifizierten Fachkräftebereich begrenzt, in einigen Regionen ist er
bereits bei den einfachen Tätigkeitsprofilen angekommen. Das spüren die Personaldienstleister täglich und reagieren mit
verschiedenen Strategien. Eine davon
lautet: Potenziale heben und schauen,
wer bislang unter dem Radar lief. „Es
gibt immer noch ungenutzte Potenziale
in Deutschland, ob Berufsrückkehrer,
Teilzeitkräfte oder Menschen mit Behinderung.“ Diese Feststellung macht
Carsten Heller, Leiter Kommunikation der
Job AG und rät Personaldienstleistern, „in
Zusammenarbeit mit Einsatzbetrieben und
Netzwerkpartnern geeignete Reaktivierungs- und Qualifizierungsprogramme aufzusetzen“. Die Menschen dort abzuholen,
wo sie ihre Stärken und Potenziale haben,
und diese zu nutzen, sei ein konkreter Beitrag, den „die Branche für die Gesellschaft
leisten kann“.
Unter dem Radar laufen bislang die Zielgruppen, die Klaus Eierhoff von Tempton
anspricht. „Setzen Unternehmen Mitarbeiter zeitweise oder dauerhaft aufgrund
von schwierigen Unternehmenskonstellationen frei, zum Beispiel aufgrund eines
unerwartet stornierten Großauftrags oder
der Restrukturierung eines Unternehmensbereichs, so gilt es, diese Mitarbeiter für
uns zu gewinnen.“ Zudem müssten auch
die Randbereiche des Arbeitsmarktes
erreicht werden, beispielweise Zeitsoldaten nach deren Ausscheiden aus dem aktiven Bundeswehr-Dienst oder auch geeignete ehemalige Häftlinge, die in einer Justizvollzugsanstalt eine Ausbildung gemacht
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Round Table
„
Tarifregelungen wie Arbeitszeiten
oder Lohnentwicklungen gehören
in die Hände der Sozialpartner
und sollten nicht über Gesetze von
der Politik geregelt werden.
Ingrid Hofmann, Geschäftsführerin, I.K. Hofmann
GmbH
„
Wir begrüßen, dass die Bundesregierung einer Tariföffnung
für die geplante 18-monatige
Obergrenze der Einsatzdauer
von Zeitarbeitnehmern nunmehr
offen gegenübersteht.
Dr. Klaus Eierhoff, Beiratsmitglied,
Tempton Holding GmbH
haben. Einen anderen Hebel setzt OrizonChef Dieter Traub an: die proaktive Suche.
Bislang starteten die Personaldienstleister ihre Suchaktivitäten, wenn der Kunde
Bedarf signalisiere. Sie hätten aber auch
die Möglichkeit „unabhängig vom Auftrag
Kandidaten auf dem Markt anzusprechen,
was arbeitsmarktpolitisch und sozialpolitisch sinnvoller ist“. In der Vergangenheit
habe die Branche zu sehr aus Kundensicht
gedacht, was die Suche erschwere. Ebenso rät Traub zu einer transparenten Kommunikation mit dem Kunden, damit klar
werde, dass „wir nicht Mitarbeiter finden
können, die der Markt nicht hergibt“.
Auslands-Recruiting:
Begrenzte Märkte
Die Arbeitskräftesuche im Ausland ist für
die Branche schon seit einigen Jahren kein
Neuland mehr. Dabei sind die Erfahrungen unterschiedlich. Hofmann Personal
rekrutiert Mitarbeiter aus Osteuropa und
stützt sich auf eigene Entwicklungsprogramme. Vor allem sei beim Start eine gute
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muttersprachliche Betreuung erforderlich,
die Unterstützung bei der Suche einer
Unterkunft und natürlich Deutschkurse.
Hofmann Personal rekrutiert in verschiedenen Ländern Mitarbeiter und die Bereitschaft, das Heimatland zumindest für eine
bestimmte Zeit zu verlassen, sei in Polen
recht ausgeprägt. Ingrid Hofmann: „Wir
machen sehr gute Erfahrungen in der
Zusammenarbeit.“
Letztlich ist es nicht die Auslandsrekrutierung selber, die eine große Herausforderung darstellt. Eher erfordert die Integration vor Ort erhebliche Anstrengungen,
wenn denn die Dienstleister ihre Verantwortung gegenüber Mitarbeitern und Kunden ernst nehmen, betont Carsten Heller,
Job AG: „Es gilt eine Infrastruktur zu schaffen, damit im Sinne der Mitarbeiterorientierung eine umfassende Betreuung durch
die jeweilige Niederlassung sichergestellt
werden kann.“ Mit dem Einsatz eines muttersprachlichen Disponenten sei es dabei
nicht getan. Die Bereitstellung von Wohnraum gehöre ebenso dazu wie die Unter-
stützung bei Behördengängen oder bei der
Einrichtung eines Bankkontos. Damit dieses Gesamtpaket erstellt werden könne,
sei es erforderlich, dass der Kunde einen
Teil des finanziellen Aufwands mittrage.
Heller: „Der Kundennutzen liegt neben der
reinen Rekrutierung und dem Einsatz leistungsfähiger und motivierter Mitarbeiter
vor allem in der Minimierung von Reputationsrisiken, die eine hemdsärmelige
Umsetzung ohne Einhaltung fürsorglicher
Mindeststandards mit sich bringt.“
Allerdings ist es ein Trugschluss zu glauben, dass beispielsweise „alle polnischen
oder ungarischen Arbeitnehmer das Land
verlassen wollen, um in Deutschland zu
arbeiten“, erklärt Michael Kästner. Die
Menschen wollten dort arbeiten, wo sie
leben, und seien immer weniger bereit,
Familie und Heimat zu verlassen, um im
Ausland ihre Brötchen zu verdienen. Das
zeige der Markt in Ungarn und Polen deutlich, wo die Trenkwalder-Länderorganisationen jährlich zweistellige Zuwachsraten
verzeichneten. Zudem zeige sich aufgrund
der Zuwanderung vieler internationaler
Konzerne zumindest in den Ballungsräumen ebenfalls ein Mangel an Fachkräften.
Insgesamt würden die Arbeitsmärkte in Osteuropa immer stabiler. Dazu komme, so seine Erfahrung, dass Unternehmen in
Deutschland oft nicht bereit seien, den
hohen finanziellen Aufwand für Unterbringung, Auslöse und Reisekosten ausländischer Mitarbeiter zu zahlen.
Kein Allheilmittel:
Social Media und Co.
Neben der Zielgruppenschließung im Inund Ausland setzen die Anbieter auch auf
digitale Recruiting-Kanäle – doch ohne
ihnen omnipotente Wirkung zuzuschreiben. „Aus unserer Perspektive muss man
jeden Stein hochheben, das bedeutet auch,
Print nicht abzuschreiben“, sagt Frank
Schrader von Piening Personal. So spiele
Social Media Recruiting abgesehen vom
Pflegebereich keine signifikante Rolle bei
der Suche nach Mitarbeitern. Im technisch
gewerblichen Sektor funktionierten einfache Anzeigenblätter als Kanal nach wie
vor sehr gut. Für die Eigenpräsentation
arbeite Piening Personal durchaus mit dem
Baustein Online-Marketing, doch seiner
Erfahrung nach dürfe im Recruiting die
Social-Media-Komponente derzeit nicht
überbewertet werden.
Letztlich komme es auf die Branche, Region
und die gesuchte Qualifikation an, welche
Recruiting-Kanäle gewählt werden, meint
auch Christoph Kahlenberg: Ob der Mitarbeiter durch eine klassische Stellenanzeige in Printmedien oder in den bekannten Online-Jobbörsen gesucht werde, ob
Social Media-Plattformen oder die Möglichkeiten des Empfehlungsmarketings
genutzt würden, das würde von Fall zu
Fall individuell entschieden.
Allerdings ist die Branche selber beim Thema digitales Personalmarketing noch nicht
State of the Art aufgestellt. Carsten Heller,
Job AG: „Es sind noch Hausaufgaben zu erledigen.“ So hätte höchstens ein halbes Dutzend der Top 25-Anbieter seinen Internetauftritt mobilfähig gemacht. Auch die sozialen Netzwerke, allen voran Facebook und
Xing, seien noch nicht umfassend in die
Marktkommunikation und den Rekrutierungsprozess integriert. Die Job AG habe
in den zurückliegenden Monaten deshalb
die Präsenz und Zielgruppenansprache
auf Arbeitgeberbewertungsportalen ausgebaut, mit dem Ergebnis, dass sich „auch
ohne geschönte Bewertungen die eigene
Arbeitgeberattraktivität steigern lässt“.
Social Media Recruiting, Active Sourcing
und Online-Marketing: Alles schön und
gut, doch die Branche „sollte auf dem Boden
der Tatsachen bleiben“, mahnt Dieter Traub
von Orizon. Die Erfahrung zeige, dass selbst
die Top 25 der Arbeitnehmerüberlassungen auf eingehende Bewerbungen nicht
immer so professionell reagieren, wie man
sich dies aus Bewerbersicht oder aus
Imagegründen wünschen würde. Der Fehler liege im System: Auch gute Leute im
Vertrieb garantierten noch kein modernes
Bewerbermanagement. „Wir müssen professioneller mit Bewerbern umgehen, hier
liegen noch gigantische Möglichkeiten.“
Dem schließt sich Frank Schrader an. Personaldienstleister, die sich ausschließlich
„
Wir wünschen uns vom Gesetzgeber klare, schnelle Regelungen,
die eine Schulung und Integration
der Migranten auf dem zweiten
Arbeitsmarkt zulassen.
Thomas Schenk, Geschäftsführer,
Kelly Services GmbH
„
Proaktiv, also unabhängig vom
Kundenauftrag, Kandidaten auf
dem Markt anzusprechen, ist
arbeitsmarkt- und sozialpolitisch
der bessere Weg.
Dr. Dieter Traub, CEO, Orizon Holding GmbH
als Lieferanten der Kunden verstehen, würden im Markt verlieren. „Wir sind auch
Dienstleister der Arbeitnehmer und Bewerber.“ Die Candidate Experience müsse stimmen, denn Bewerber erwarteten zu Recht,
dass der Dienstleister auch ihn als Kunden verstehe. Nur wer beide Seiten zufriedenstelle, könne auf Dauer erfolgreich sein.
Qualifizierungsmotor Zeitarbeit
Eine weitere Strategie, um den Pool an
potenziellen Mitarbeitern zu vergrößern,
liegt in der Weiterbildung und der Qualifizierung. Beides ist für die Personaldienstleister eigentlich ein alter Hut. Aber es
gibt eine bittere Pille zu schlucken: Die
Dienstleister können und wollen sie nicht
alleine finanzieren. Wenn sie das Einsatzunternehmen nicht an ihrer Seite haben,
um beispielsweise die Ausbildungskosten
langfristig abzusichern, wird es schwierig.
Trenkwalder-Chef Michael Kästner wünscht
sich, dass der große Ausbildung- und Weiterbildungsmarkt aktiver über die Bundesagentur für Arbeit oder andere bildungspoliti-
sche Institutionen gefördert werde und
deutlicher auf die Bedarfe des Arbeitsmarktes eingehe. „Zeitarbeitsfirmen können hier insbesondere bei der Auswahl
der richtigen Kandidaten und bei der Integration der Menschen in die neuen Jobs
helfen.“ Hier müsse künftig ein partnerschaftlicher Dialog entstehen, um die
Lücken in der Ausbildung zu schließen.
Auf die Frage der Investitionsbereitschaft
zielt auch das Statement von Christoph
Kahlenberg, Randstad, ab. Der riesige
Wachstumsmarkt Weiterbildung komme
nicht flächendeckend in Fahrt, „weil die Lasten ungleich verteilt sind“. So seien zwar
im Süden die Kunden eher bereit, sich an
Aus- und Weiterbildungen sowie Umschulungen zu beteiligen, weil der Druck
besonders hoch sei – ähnlich wie in anderen Regionen Deutschlands, in denen fast
Vollbeschäftigung herrscht. An anderen
Orten sei es ungleich schwieriger, Ausund Weiterbildungsprogramme zu realisieren. Die Qualifizierung müsse sich auch
für den Personaldienstleister lohnen. Das
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„
Wir müssen professioneller mit
Bewerbern umgehen, hier liegen
noch gigantische Möglichkeiten.
Frank Schrader, Mitglied der Geschäftsleitung,
Piening GmbH
„
Die Menschen dort abzuholen, wo
sie ihre Stärken und Potenziale
haben, und diese zu nutzen, ist ein
konkreter Beitrag, den die Branche
für die Gesellschaft leisten kann.
Karsten Heller, Leiter Marketing & Unternehmenskommunikation, JOB AG Personaldienstleistungen
werde immer dann schwierig, wenn der Mitarbeiter, kaum dass er die Qualifizierung
erfolgreich abgeschlossen hat, das Unternehmen verlässt und zu einem anderen
Arbeitgeber wechselt. „Hier wünschen wir
uns, dass die gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen werden, um mit den Mitarbeitern für beide Seiten verlässliche Fortbildungsvereinbarungen abschließen zu
können.“
Wer investiert?
Dass die entleihenden Unternehmen durchaus bereit sind, über eine gewisse Dauer
Qualifizierungen oder eine Ausbildung
mitzufinanzieren, ist die Erfahrung von
Kelly-Geschäftsführer Thomas Schenk. Kritischer werde es bei sehr kostenintensiven
Ausbildungen, beispielsweise zum Windenergieanlagen-Techniker. „Wir müssen
in Zusammenarbeit mit den Unternehmen
Lösungen finden und wo es erforderlich ist,
auch neue und innovative Wege gehen.“
Dass zur Qualifizierung immer drei Partner gehören – der Entleiher, das entlei10
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hende Unternehmen und der Arbeitnehmer – sowie gelegentlich die fördernden
Institutionen, macht die Sache per se nicht
einfacher. So hat Orizon, weil der entsprechende Bedarf von Unternehmen signalisiert wurde, eine Ausbildung für Schweißer aufgesetzt, inklusive der vollen Finanzierung durch die örtliche Arbeitsagentur.
Was fehlte, waren aber interessierte Kandidaten vor Ort, denn die Förderung war
lokal begrenzt. Dieter Traub: „Bevor ein Qualifizierungsprogramme aufgesetzt wird,
sollten auch die öffentlichen Geldgeber
immer eine Analyse des Kandidatenpotentials vorschalten.“
Betriebliche Engpässe lösen
Ob Beratung, Ausbildung, MSP oder Recruiting: Unternehmen nutzen die ganze Palette der Dienstleistungen der Arbeitnehmerüberlassung. Gerade der strukturellen
Beratung, so Klaus Eierhoff von Tempton,
komme eine wesentliche Bedeutung zu.
Ein Beispiel: Ein Kunde fordert zehn Facharbeiter an, die derzeit aber auf dem Markt
nicht zur Verfügung stehen. Eine Lösung
könnte sein, die Struktur der Arbeitsabläufe so zu verändern, dass auch Fachhelfer
eingesetzt werden können. Die verfügten
dann über die fachliche Qualifizierung,
aber beispielsweise nicht über Führungsqualitäten.
Die Rolle des Beraters wird immer wichtiger, weil die Engpässe immer größer werden. „Wir zeigen Handlungsmöglichkeiten auf, die sich je nach Anforderung regional stark unterscheiden können“, ergänzt
Christoph Kahlenberg. Offen und auf
Augenhöhe zu beraten, funktioniere dort
am besten, wo der Handlungsbedarf am
größten sei.
Betriebliche Engpässe zu lösen, erfordert
auch, dass die Personaldienstleister neue
Wege gehen. So setzt Kelly Services auf Partnerschaften und Netzwerke. Thomas Schenk
nennt ein Beispiel: Suche ein Unternehmen
900 Ingenieure für einen Auftrag in Brasilien, könne die Rekrutierung dieses „Goldstaubs“ in Zusammenarbeit mit den Länderniederlassungen und im Netzwerk mit
anderen Partnern gut funktionieren. Mit
Sorge beobachtet er allerdings, dass größere Jobbörsen in manchen Ländern versuchen, die Dienstleistung der Arbeitnehmerüberlassung selbst zu erbringen. Ob sich
dort ernst zu nehmende Mitbewerber bilden, ließe sich noch nicht beurteilen, allerdings zeige das Internet, wie schnell sich
Branchen verändern würden.
Arbeitswelt 4.0 und
Zeitarbeit
Szenarien zur Arbeitswelt 4.0 gibt es viele und über jede Prognose lässt sich trefflich streiten. Unbestritten sind zwei Entwicklungen: Zum einen wird sich die Art
der Kommunikation zwischen Unternehmen, Kunde und Mitarbeiter/Bewerber
verändern. Zum anderen die Arbeit als solche, siehe Industrie 4.0, die mehr Flexibilität sowie neue Qualifikationen erfordert
und möglicherweise viele Mitarbeiter, vor
allem im ungelernten Bereich, überflüssig
macht. Welche Folgen diese Entwicklungen speziell für die Branche der Arbeitnehmerüberlassung haben, lässt sich jetzt
„
Passende KandidatenManagementsysteme, clevere
IT-Lösungen, die Nutzung neuer
Technologien und Medien machen
die Kommunikation im Arbeitsmarkt einfacher, schneller und
transparenter.
Michael Kästner, CEO,
Trenkwalder Personaldienste GmbH
„
Der Wachstumsmarkt Weiterbildung kommt nicht flächendeckend in Fahrt, weil die Lasten
ungleich verteilt sind.
Christoph Kahlenberg,
Leiter der Randstad Akademie
ten. Wie sich die Digitalisierung auswirkt,
lässt sich in einem südeuropäischen Partnerunternehmen von Trenkwalder studieren, das die Digitalisierung der administrativen Aufgaben schon vollständig vollzogen hat. So arbeiten die internen Mitarbeiter mit einem Terminal, auf das auch
der Kunde Zugriff hat. „Kunden sind es
gewohnt, Arbeitsverträge per Fingerabdruck zu bestätigen“, beschreibt Michael
Kästner die Veränderungen. Das führe in
der Folge dazu, dass deutlich weniger interne Administration und Disposition notwendig seien und die Dienstleistung effizienter werde. Kästner warnt: „Wir müssen dafür sorgen, dass die Digitalisierung
uns nicht überrollt.“ Passende Kandidaten-Managementsysteme, clevere IT-Lösungen und die Nutzung neuer Technologien
und Medien seien erforderlich, um die
Kommunikation zwischen den Menschen
im Arbeitsmarkt einfacher, schneller und
transparenter zu machen.
Asylbewerber im Arbeitsmarkt
schon mehr oder weniger gut beobachten.
„Die Digitalisierung der Arbeitswelt wird
mittelfristig die Produktivität steigern“,
prognostiziert Frank Schrader. Im Personalbereich bedeutet dies, wer die besseren
digitalen Systeme habe und schneller auf
Bewerbungen reagiere, habe die Nase vorn.
Doch der Kernprozess der Rekrutierung
bliebe letztendlich unangetastet. „Die entscheidenden Faktoren, die uns als Recruiting Company davor schützen, durch digitale Prozesse ersetzt zu werden, sind immer
noch die soften Faktoren in der Auswahl
und das persönliche Bewerbungsgespräch
von Mensch zu Mensch.“
Dieser Aussage kann Christoph Kahlenberg
von Randstad nur zustimmen. Gerade im
gewerblichen Bereich sei der per sön liche Kontakt nach wie vor ein wichtiger
Faktor. Sein Blick auf die digitale Arbeitswelt der Zukunft ist positiv: Richtig sei, dass
im Zuge der Digitalisierung Jobs verloren
gingen – gerade in der Produktion, aber
nicht nur dort. Aber: „Bisher hat jede technologische Neuerung unterm Strich zu
mehr Beschäftigung geführt und in Deutschland beobachten wir, dass trotz des technologischen Fortschritts die Nachfrage
nach Arbeitskräften weiter steigt.“ Auch
Ingrid Hofmann geht im Gegensatz zu vielen gängigen Aussagen davon aus, „dass
auch zukünftig Mitarbeiter für einfache
Aufgaben in den unterschiedlichsten Projekten gebraucht werden“.
Digitale Geschäftsabwicklung
„Die Digitalisierung wird das Geschäftsmodell Zeitarbeit verändern, dieser Prozess
hat bereits begonnen“, stellt Klaus Eierhoff
von Tempton fest. In Zukunft könnte zum
Beispiel ein Inventurhelfer oder auch ein
SAP-Experte, der den Kunden bereits kennt,
über eine Online-Plattform gewonnen werden. „Der Prozess der Rekrutierung wird
zunehmend standardisiert werden und
sich wesentlich beschleunigen.“ Zudem
stelle sich auch die Frage nach der Notwendigkeit von Niederlassungsnetzen oder ob
bestimmte Bewerberprofile auch ohne konkreten Kundenauftrag erstellt werden soll-
Neben der Arbeitswelt 4.0 stellt sich aktuell
auch die Herausforderung, ob und wie
Asylbewerber in den deutschen Arbeitsmarkt integriert werden. Nach bisheriger
Gesetzeslage im Aufenthaltsgesetz müssen
Asylbewerber vier Jahre warten, bis sie in
der Zeitarbeitsbranche tätig sein dürfen.
Immer häufiger ist deshalb, nicht nur von
iGZ und Anbietern, sondern auch von Politiker zu hören, dass diese Regelung nicht
mehr zeitgemäß ist. Piening-Geschäftsführer Frank Schrader: „Wer soll die Migranten in den Arbeitsmarkt integrieren, wenn
nicht wir?“ Die Branche verfüge mit 20
Prozent Ausländeranteil über ausreichend
Erfahrung in der Qualifizierung – vom
Deutschkurs bis zu Ausbildungsmaßnahmen an den Maschinen – und sie habe das
Know-how bei der Anerkennung der Berufsabschlüsse. „Wir stehen als Integrationsmotor für den Arbeitsmarkt parat.“
Bleibt zu hoffen, dass im politischen Berlin das Angebot auf offene Ohren stößt.
Christiane Siemann, freie Journalistin, Bad Tölz
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