INSTITUTIONENGESCHICHTE (RÖMISCHES P RIVATRECHT) SOMMERSEMESTER 2015 PROF. DR . JOHANNES PLATSC HEK XXIII. 1. Persönlichkeitsverletzung - iniuria Kaser, RPR § 51.19-24 * Gell. 20,1,12 f. “… so steht (im Zwölftafelgesetz) geschrieben: WENN ER AN EINEM ANDEREN EINE PERSÖNLICHKEITSVERLETZUNG BEGANGEN HAT, SOLLEN FÜNFUNDZWANZIG ASSE DIE BUSSE SEIN. Wer wird denn so arm sein, dass ihn vom Verlangen, eine Persönlichkeitsverletzung zu begehen, fünfundzwanzig Asse abschrecken könnten? Als deshalb auch euer Labeo [Zeit des Augustus] dieses Gesetz in den Büchern, die er zu den Zwölf Tafeln schrieb, nicht billigte, ..., sagte er: ‘L. Veratius war ein durch und durch schlechter Mensch und vom schieren Wahnsinn besessen. Er machte sich ein Vergnügen daraus, das Gesicht eines freien Mannes mit der flachen Hand zu schlagen. Es folgte ihm stets ein Sklave, der einen Sack voll Asse trug. Sobald er jemanden geohrfeigt hatte, ließ er ihm sofort entsprechend dem Zwölftafelgesetz 25 Asse auszahlen. Deshalb haben die Prätoren später diese Gesetzesbestimmung abgeschafft und nicht mehr zur Anwendung gebracht, und im Edikt verheißen, sie würden zur Abschätzung der Beleidigung Rekuperatoren [eine Richterbank] einsetzen.’” ** Gai. 3,220 “Eine Persönlichkeitsverletzung (iniuria) liegt nicht nur vor, wenn jemand mit der Faust oder dem Knüppel geschlagen oder sogar verprügelt wird (so gen. Realinjurie), sondern auch wenn jemandem Schimpf und Schande angetan werden (so gen. Verbalinjurie), sei es, dass einer das Vermögen eines anderen wie das eines Schuldners (zum Verkauf) ausgeschrieben hat, obwohl er wusste, dass er ihm nichts schuldete, sei es, dass einer zur Verunglimpfung eines anderen ein Pamphlet oder einen Spottvers verfasst hat, sei es, dass er eine Hausmutter (mater familias) oder eine Jugendlichen (praetextatus) verfolgt hat (adsecatus fuerit), und noch auf mehrere andere Weisen.” *** Coll. 2,6,1 (Paul. 1 iniur.) “Wer aber wegen Persönlichkeitsverletzung (iniuria) klagt", sagt [der Prätor], "soll genau bezeichnen, was ihm an Persönlichkeitsverletzung geschehen ist, und einen Schätzwert bestimmen, …” **** P. Hal. 1, Col. IX, Z. 210-213 - "Alexandrinische Dikaiomata" (nach 259 v. Chr.) “Betreffs anmaßenden Verhaltens (hybris). Wenn jemand einen anderen beleidigt durch Handlungen, die (im Gesetz) nicht geschrieben sind, soll er (der Geschädigte) den Streitwert abschätzen und daraufhin den Prozess einleiten, er soll aber in der Klageschrift ausdrücklich bezeichnen, wie er behauptet, beleidigt worden zu sein, und die Zeit, zu der er die hybris erlitt. Der Verurteilte aber soll das Doppelte zahlen von dem, was das Gericht als Schätzung festsetzt.” * * * D.47,10,15,15 * * (Ulp. 77 ed.) Si quis virgines appellasset, si tamen ancillari veste vestitas, minus peccare videtur: multo minus, si meretricia veste feminae, non matrum familiarum vestitae fuissent. si igitur non matronali habitu femina fuerit et quis eam appellavit vel ei comitem abduxit, iniuriarum tenetur. “Wenn einer Jungfrauen nachgerufen hat, diese aber in Sklavinnenkleidung aufgetreten waren, scheint er sich in geringerem Ausmaß verfehlt zu haben; in viel geringerem Ausmaß, wenn Frauen in Dirnenkleidung, nicht in der von Hausmüttern aufgetreten waren. (Das heißt aber auch:) Wenn eine Frau nicht in Matronenkleidung auftrat und jemand ihr nachgerufen oder ihren Begleiter abgezogen hat, wird er aus der actio iniuriarum haften.” LUDWIG-MAXIMILIANS-UNI VERSITÄT MÜNCHEN SEITE 2 VON 2 2. Sachentziehung – furtum Kaser, RPR § 51.1-9 * D. 47,2,1,3 (Paul. 39 ed.) „Furtum ist das unrechtmässige Antasten (fraudulosa contrectatio) einer Sache in gewinnsüchtiger Absicht, und zwar sowohl hinsichtlich der Sache selbst als auch hinsichtlich ihrer Entwendung nur zum Gebrauch oder Besitz.“ ** Gai. 3,196 ff. „Ein furtum begeht (auch), wer […] ein Pferd für einen Spazierritt ausgeliehen hat, es aber weiter wegführt. Dieses nahmen die alten Rechtsgelehrten an, wenn der Entleiher mit dem Pferd in die Schlacht geritten war. 197. Es ist aber richtig, dass diejenigen, die eine geliehene Sache zu einem anderen Zweck benutzen als dem, zu dem sie sie ausgeliehen hatten, nur dann ein furtum begehen, wenn sie wissen, dass sie es ohne/gegen den Willen des Eigentümers (invito domino) tun und dass er es ihnen nicht erlaubt hätte, wenn er es gewusst hätte. Daraus folgt, dass sie ersichtlich nicht unter den Tatbestand des furtum fallen, wenn sie glauben, dass er es ihnen erlauben würde. Dies ist in der Tat die beste Unterscheidung, denn ein furtum kann nur in arglistiger Absicht begangen werden. 198. Aber auch, wenn einer glaubt, er taste die Sache gegen den Willen des Eigentümers an, obwohl der Eigentümer will, dass das geschehe, heißt es, es liege kein furtum vor. Daher wurde folgender Fall diskutiert: Wenn Titius meinen Sklaven angestiftet hat, dass er mir bestimmte Sachen entwende und ihm bringe, und wenn der Sklave mir das gemeldet hat, wenn ich dann, weil ich Titius bei dieser Tat ertappen will, dem Sklaven gestatte, ihm die bewussten Sachen zu bringen, ob Titius mir dann aus der actio furti oder der actio servi corrupti („wegen Verderbens eines Sklaven“) hafte oder aus keiner von beiden? Es wurde gutachtlich entschieden, dass er aus keiner von beiden hafte: aus der actio furti deshalb (nicht), weil er nicht gegen meinen Willen Sachen angetastet hat, aus der actio servi corrupti deshalb (nicht), weil der Sklave nicht schlechter gemacht worden ist.“ *** Gai. 3,189 ff. „Die Buße für handhaften Diebstahl (furtum manifestum) war nach dem Zwölftafelgesetz eine Bestrafung an Leib und Leben. Denn ein Freier wurde ausgepeitscht und demjenigen, den er bestohlen hatte, zugesprochen. Die Alten stritten aber darüber, ob er durch die Zusprechung zum Sklaven wurde oder in die Stellung eines Vollstreckungsschuldners gebracht wurde. Gegen einen Sklaven wurde gleichermaßen auf Auspeitschung erkannt. Aber später wurde die Härte der Strafe missbilligt, und sowohl im Falle des Sklaven als auch in dem des Freien wurde durch das Edikt des Prätors eine Klage auf das Vierfache eingeführt. 190. Die Buße für nicht-handhaften Diebstahl (furtum nec manifestum) wurde durch das Zwölftafelgesetz auf das Doppelte festgelegt, und daran hält sich auch der Prätor. ... 192. Die Klage wegen Verfolgungshinderung (actio prohibiti) ist durch das Edikt des Prätors eingeführt worden. Das (Zwölftafel-)Gesetz legt dafür keine Buße fest. Sie bestimmte nur, dass, wer eine Hausdurchsuchung vornehmen will, dies nackt tue, mit einem licium gegürtet und eine Schüssel haltend. Wenn er etwas fand, so sollte nach dem Gesetz ein handhafter Diebstahl vorliegen. 193. Was aber das licium ist, ist seit jeher umstritten. Am ehesten ist es wohl eine Art Schurz, mit dem die notwendigen Teile bedeckt wurden. 193a. Die Vorschrift ist ganz und gar lächerlich. Denn wer einen Bekleideten an der Durchsuchung hindert, der wird auch einen Nackten hindern, umso mehr, weil eine derart gesuchte und gefundene Sache zu einer höheren Buße führt. Ob schließlich die Schüssel deshalb gehalten werden musste, damit er keine freie Hand hat, um etwas unterzuschieben, oder deshalb, dass er hineinlegt, was er gefunden hat - beides hat keinen Sinn, wenn das, was gesucht wird, von einer solchen Größe oder Beschaffenheit ist, dass es weder untergeschoben noch in die Schüssel gelegt werden kann. Es steht außer Zweifel, dass es dem Gesetz nicht auf das Material der Schüssel ankommt.“
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