16 SEITEN extra heute Telefon: 0341 2181-0 • Abo: 0800 2181-020 • Tickets: 0800 2181-050 www.lvz.de 122. Jahrgang, Nr. 88 • Freitag, 15. 4. 2016 • 1,50 Euro VERRÄTER ODER PATRIOTEN? RAZZIA IN BERLINER GROSSBORDELL Eine neue Ausstellung in Berlin zeigt die Bewegung „Freies Deutschland“ SEITE 4 Menschenhandel und Steuerbetrug: 900 Polizisten durchkämmen das „Artemis“ SEITE 32 Schkeuditz: Verdacht auf Geiselnahme führt zu Großeinsatz SCHKEUDITZ. Aus Angst vor Abschiebung verbarrikadierte sich gestern früh ein 28-Jähriger im Schkeuditzer Ortsteil Dölzig stundenlang in seiner Wohnung. Weil sich dort noch zehn weitere Menschen befanden, darunter kleine Kinder, schloss die Polizei eine Geiselnahme nicht aus und rückte mit einem Spezialeinsatzkommando (SEK) an. Nach knapp vier Stunden gab der Mann aus Serbien aber auf und wurde festgenommen. Es gab keine Verletzten. Die Kripo wollte den 28Jährigen gegen 6 Uhr verhaften und seine Wohnung durchsuchen. Er stand im Verdacht, bei einem Einbruch mit einem Komplizen Schmuck und Handys im Wert von 4000 Euro gestohlen zu haben. Der Mann verweigerte den Beamten jedoch den Zutritt und drohte, einem Säugling Gewalt anzutun. Seite 5 Koalition stellt Weichen für erstes Integrationsgesetz Drama im Zoo: Tiger tötet Tiger BERLIN. Die Spitzen von Union und SPD haben sich erstmals in Deutschland auf Eckpunkte eines Integrationsgesetzes geeinigt. Es folgt dem Leitmotiv „Fördern und Fordern“. Mit einem Mix aus Hilfen und Pflichten wollen Union und SPD die Integration Hunderttausender Flüchtlinge beschleunigen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte gestern in Berlin, das geplante Integrationsgesetz bringe „verlässliche Angebote“, abgestuft nach Flüchtlingen mit guter und nicht so guter Bleibeperspektive. „Der Kern ist zu versuchen, möglichst viele Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren.“ Es sollen 100000 Jobs zusätzlich mit Bundesmitteln gefördert werden. SPD-Chef Sigmar Gabriel sprach von einem „historischen Schritt“. Leitartikel/Seite 2 LEITARTIKEL EUROPA LEAGUE 4:3 Amur-Tiger Mischa (17, großes Foto) ist tot. Er wurde gestern Morgen im Leipziger Zoo von seinem Artgenossen Tomak (12, kleines Foto) attackiert. Was war geschehen? Der Pfleger hatte im rückwärtigen Bereich der Tiger-Taiga versehentlich den Seite 17 Fotos: Zoo Leipzig / W. Zeyen falschen Schieber gezogen und die Gehegetür zwischen beiden Tieren geöffnet. Hinspiel 1:1 FC Liverpool Borussia Dortmund Damit zieht der FC Liverpool ins Halbfinale ein. Seite 28 2,8 Milliarden Euro Umsatz: Leipzigs Immobilienmarkt explodiert LVZ, 15.04.2016, Titelseite THEMEN LEIPZIG Lebenslänglich für Mord an fünffacher Mutter gefordert LEIPZIG. Im Prozess um den Mord an einer fünffachen Mutter in Leipzig hat die Staatsanwaltschaft lebenslange Haft für den Ex-Partner der Frau gefordert. Die Verteidigung will lediglich sechs Jahre. Seite 18 KULTUR Gewandhaus erinnert mit Gedenkkonzert an Masur LEIPZIG. Stadt und Gewandhaus erinnern am Samstag mit einem Festkonzert an den Dirigenten Kurt Masur, der im Dezember gestorben ist. Bundespräsident Joachim Gauck hat sich angekündigt. Seite 11 SPORT Poulsen für RB-Spiel gegen Sandhausen wieder fit LEIPZIG. Gute Nachricht für Fußball-Zweitligist RB Leipzig: Der zuletzt angeschlagene Stürmer Yussuf Poulsen ist für das heutige Heimspiel (18.30 Uhr) gegen den SV Sandhausen wieder fit. Seite 27 FINANZEN DAX 10 093,65 (+ 0,67 %) TecDAX 1657,73 (– 0,52 %) EUR/USD 1,1252 (– 0,41 %) WETTER FR SA SO 16° 8° 17° 7° 11° 2° Das komplette Wetter auf Seite 26 Die aktuelle Wetterlage: Bitte Grafik scannen und Regenradar starten. LVZ MULTIMEDIAL DAS SYMBOL zeigt an: Hier gibt es LVZ-Extras. Bitte mit Smartphone oder Tablet-PC die kostenlose App MAGICPAPER herunterladen. Tauchen Bilder mit dem Handy-Symbol in der Zeitung auf, dann scannen Sie die Fotos und schon starten Videos oder Bildergalerien. Das funktioniert auch mit den oben stehenden Wettersymbolen. Scannen Sie die Symbole und sehen Sie das aktuelle Regenradar für Mitteldeutschland. Fragen? Bitte mailen: [email protected] 50015 4 194318 401508 Rekordwert aus der Boomtown-Zeit 1993 erstmals überboten / Extremer Anstieg bei Bodenpreisen VON JENS ROMETSCH LEIPZIG. Im vergangenen Jahr hat der Leipziger Immobilienmarkt einen nie dagewesenen Sprung nach oben erlebt. Für insgesamt 2,82 Milliarden Euro wechselten Grundstücke den Besitzer – das entsprach einem Plus von 57 Prozent gegenüber 2014 (1,79 Milliarden Euro). Erstmals wurden damit die Rekordwerte aus der Boomtown-Zeit 1993/1994 überboten, teilte der Gutachterausschuss für Grundstückswerte der Stadt Leipzig mit. Wie Ausschussmitglied Gernot Weiß mitteilte, sind die Preise so stark gestiegen, dass die Bodenrichtwertkarte nun bereits nach einem Jahr aktualisiert werden musste. „Das gab es noch nie. Bisher erfolgte die Anpassung alle zwei Jahre.“ Leipzig habe binnen weniger Monate eine Entwicklung vollzogen, für die ande- re Städte zehn Jahre oder länger bräuchten, sagte Baubürgermeisterin Dorothee Dubrau (parteilos). Das zeige sich auch an der Zahl der Kaufverträge. Sie stieg um 14 Prozent auf rund 7600. Vergleichbare Halb-Millionen-Städte wie Nürnberg (5600 Verträge) oder Dresden (5000) würden weit unter diesem Wert liegen. Dubrau beschrieb eine „extreme Situation“, die Ausdruck des rasanten Einwohnerwachstums und des wirtschaftlichen Aufschwungs in Leipzig sei. Dass damit deutliche Preissteigerungen einhergehen, sei zum Beispiel bei den noch freien Baugrundstücken ablesbar. Dort kletterte die Zahl der Vertragsabschlüsse um neun Prozent auf 844, der Umsatz indes um 77 Prozent auf 148 Millionen Euro. Bei den Eigentumswohnungen ging es ebenfalls bergauf: im frisch sanierten Altbau um zwölf Prozent auf durch- Vermögen versteckt: Anklage gegen Drogeriekönig Schlecker STUTTGART. Kurz vor der Pleite seines Drogerieimperiums soll Anton Schlecker (71) in 36 Fällen viel Geld beiseite geschafft haben. Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft wirft ihm gestrigen Angaben zufolge vor, sein Vermögen vor dem Zugriff der Gläubiger geschützt zu haben. Neben dem Firmenpatriar- chen sind auch seine Ehefrau Christa, seine zwei Kinder sowie zwei Wirtschaftsprüfer angeklagt. Europas ehemals größte Drogeriekette Schlecker hatte Anfang 2012 Insolvenz angemeldet. 25000 Menschen verloren ihren Arbeitsplatz, darunter 1500 Beschäftigte in Sachsen und Thüringen. Seite 6 schnittlich 3088 Euro pro Quadratmeter (ohne Stellplatz) sowie im Neubau um sieben Prozent auf 3184 Euro. Die Bauflächen für ein Eigenheim oder Stadthaus haben sich binnen zwölf Monaten um acht Prozent verteuert. Ein mittleres Grundstück von 620 Quadratmetern kostet in diesem Segment nun 85000 Euro, wobei die Spanne bei etwa 100 Euro pro Quadratmeter in Meusdorf oder der Knauthainer Thomas-Müntzer-Siedlung beginnt und bis zu 450 Euro im Schleußiger Villenviertel oder 500 Euro in der teuersten Lage – an der Primavesistraße in Gohlis – reicht. Verglichen mit Metropolen wie Berlin oder München biete Leipzig „noch immer Schnäppchenpreise“, erläuterte Dubrau. In Dresden würden Eigenheim-Bauflächen 150 bis 870 Euro pro Quadratmeter, in Nürnberg 310 bis 1450 Euro kosten, pflichtete Weiß bei. Putin weist Vorwürfe wegen „Panama Papers“ zurück MOSKAU. Der russische Präsident Wladimir Putin weist Vorwürfe im Zusammenhang mit den „Panama Papers“ über Hunderttausende Offshore-Firmen als Provokation zurück. „Wir wissen, dass Mitarbeiter der amerikanischen Institutionen damit zu tun haben“, sagte Putin bei seiner traditionellen Bürgersprechstunde gestern in Moskau. Vorige Woche hatten Medien weltweit über gut 200000 Briefkastenfirmen berichtet, in denen Politiker und Prominente ihr Vermögen geparkt haben sollen. In den Dokumenten taucht auch der Name des PutinFreundes Sergej Roldugin auf. Seite 2 Auffallend sei, dass Investoren immer höhere Summen für bestehende Mehrfamilienhäuser berappen, so Dubrau. Der Umsatz für „bebaute Grundstücke“ legte um 72 Prozent auf 1,7 Milliarden Euro zu, sodass dieses Segment erstmals alle anderen überrundete. Dennoch hatte die jüngste kommunale Bürgerumfrage ergeben, dass 2015 die durchschnittliche Wohnungskaltmiete in Leipzig mit 5,29 Euro pro Quadratmeter unverändert blieb (allerdings stiegen die Betriebskosten wie Heizung oder Wasser). Offenbar wollten viele Investoren auf dem hiesigen Immobilienmarkt auch einfach nur Geld anlegen, zumal die Einstiegspreise nach wie vor günstig seien, meinte die Bürgermeisterin dazu. „Höhere Preise bei den noch unbebauten Flächen werden sich aber in jedem Fall in den Mieten niederschlagen, sobald dort Häuser stehen.“ Seite 17 Korrupten Apothekern und Ärzten droht mehrjährige Haft BERLIN. Ärzten, Apothekern oder Pflegekräften, die sich bestechen lassen, drohen künftig bis zu drei Jahre Haft – in schweren Fällen können es bis zu fünf Jahre sein. Das sieht ein Gesetz gegen Korruption im Gesundheitswesen vor, das der Bundestag gestern verabschiedet hat. Damit wird eine Gesetzes- lücke geschlossen, die der Bundesgerichtshof schon 2012 bemängelt hatte. Mit den bisherigen Regelungen können niedergelassene Ärzte nicht wegen Korruption belangt werden. Nach dem Gesetz sollen künftig Bestechung und Bestechlichkeit in den Heilberufen bestraft werden können. Raketenantrieb aus dem IkeaRegal Studenten der Uni Bremen haben einen Öko-Treibstoff für Weltraummissionen entwickelt – aus Kerzenwachs VON HELMUT REUTER F ür die Raumfahrt ist es eine der wichtigsten Fragen: Wie muss der Antrieb einer Rakete aussehen, um große Nutzlasten mit möglichst hoher Geschwindigkeit ins All zu bringen? Die meisten herkömmlichen Treibstoffe sind teuer – oder gefährlich, weil sie leicht explodieren. Bremer Studenten haben eine möglicherweise geniale Lösung gefunden: Paraffin, also schlichtes Kerzenwachs. Der Bio-Treibstoff kann anders als Kerosin oder flüssiger Wasserstoff nicht explodieren. Trotzdem kann er große Kräfte entwickeln. Zwar haben die jungen Forscher dem Treibstoff noch kleinere Zusatzstoffe wie Palmöl beigemischt. „Aber im Grundsatz handelt es sich zu 99 Prozent um ganz normalen Wachs von Kerzen, wie sie etwa bei Ikea gekauft werden können“, erklärt Projektleiter Peter Rickmers. In Kombination mit flüssigem Sauerstoff könne das Wachs genügend Schubkraft und Energie freisetzen, Die Öko-Rakete – Startversuche scheiterten bislang. Foto: dpa um die 80 Kilo schwere und 3,8 Meter lange Forschungsrakete „Zephyr“ mit Schallgeschwindigkeit auf mindestens 4000 Meter Höhe zu bringen. Wenn es gut läuft, könnten es während des sechs Minuten langen Flugs sogar 8000 Meter werden. Die Bremer sind sicher, den „Öko-Raketenantrieb der Zukunft“ entwickelt zu haben. Der Praxistest steht allerdings noch aus. In Schweden, im tief verschneiten Kiruna, mussten bereits zwei Startversuche abgebrochen werden, gestern scheiterte auch der dritte. Grund waren jedoch nicht technische Probleme, sondern das schnöde Wetter, das das Abheben unmöglich machte: Der starke Wind hät- te die kleine Rakete vermutlich einfach aus der Bahn gepustet. Die Studenten am Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation lassen sich nicht entmutigen. „Das erste Ziel des Projekts war Ausbildung“, betont Rickmers den schon sicheren Erfolg der Wachs-Mission. Immerhin konnte ein ausgeklügelter Hybridantrieb entwickelt werden. Die Schubdüsen wurden mit einem 3DDrucker aus Baumwolle und Harz hergestellt. 30 Triebwerkstests waren schon erfolgreich – und 35 Studenten schafften ihre Abschlussarbeiten. Wenn vielleicht am Samstag der Start klappen sollte, wäre das die Krönung der vierjährigen Forschung. VON JÖRG KALLMEYER Mit gutem Willen – und echten Chancen E in Familienvater aus Syrien wollte in einer oberbayerischen Kleinstadt einen Imbiss eröffnen. Die Idee war gut, die Hürden aber schienen unüberwindbar. Welche Bank leiht einem Flüchtling schon das nötige Startkapital? Eine Bürgerin der Stadt sprang privat mit einem Kredit ein. Heute, zwei Jahre später, feiert man in Gars am Inn eine Erfolgsgeschichte: Der Imbiss läuft gut, das Geld ist zurückgezahlt – und die Flüchtlingsfamilie spricht Deutsch. Die kleine Geschichte aus Bayern verrät viel über das große Thema Integration, dem sich Deutschland jetzt stellt: Die Eingliederung in eine fremde Gesellschaft und Kultur gelingt nur mit viel gutem Willen. Auf beiden Seiten. Die Bundesregierung pocht nun vor allem auf die Bereitschaft der Ankommenden, sich den Regeln und Gepflogenheiten in Deutschland anzupassen. Das ist politisch verständlich. Gut eine Million Flüchtlinge sind allein im vergangenen Jahr hier angekommen. Die eher diffuse Sorge vor einer Überforderung der Gesellschaft hat sich bei vielen Deutschen zur konkreten Angst ausgewachsen. Dieser tritt die Koalition mit einem Gesetzespaket entgegen, das die Förderung von Migranten bei der Integration mit konkreten Forderungen an die Zuwanderer verbindet: Der Besuch von Integrationskursen und das Erlernen der deutschen Sprache werden zur Pflicht. Die Signale sind gesetzt. Niemand aber sollte so tun, als stehe man beim Thema Integration ganz am Anfang. In den vergangenen Jahrzehnten haben sich einfache Lösungen nicht bewährt. Warum sollte das jetzt anders sein? Die nun geplante Zuweisung eines Wohnortes durch den Staat ist nicht nur unter juristischen Gesichtspunkten fragwürdig. Ja, man möchte und sollte Ghettos vermeiden. Aber in der langen Geschichte der Migration haben sich Flüchtlinge und Auswanderer in der ersten Zeit immer auch in ihren vertrauten Netzwerken geholfen. Im Einwanderungsland USA gehören „eigene“ Viertel von Italienern, Polen oder Chinesen zur Erfolgsgeschichte des Projekts Integration. In Deutschland möchte man Flüchtlinge aus den Städten aufs zunehmend verwaiste Land schicken. Aber was sollen sie auf den Dörfern machen? Die jungen Deutschen wandern dort schließlich nicht nur deshalb ab, weil es in der Stadt schöner ist. Viele ländliche Regionen bieten den Jugendlichen nicht genug Perspektiven: Es mangelt an attraktiven und zukunftssicheren Arbeitsplätzen, es fehlen gute Bus- oder Bahnverbindungen, der Weg zum nächsten Gymnasium oder gar zur Hochschule ist weit. Dass Flüchtlinge nun auf dem Land ihr Heil suchen sollen, könnte also ein fataler Irrweg sein. Die Erfahrungen mit der Integration zeigen: Der gute Wille allein reicht nicht aus. Es kommt auch darauf an, konkrete Chancen zu eröffnen. Integriert ist in der Regel derjenige, der bei uns Arbeit gefunden hat. Und da wird nicht immer der eigene Imbiss und der private Kredit die Lösung sein. ➦ [email protected]
© Copyright 2024 ExpyDoc